R. v. Thadden u.a. (Hgg.): Amerika und Europa - Mars und Venus?

Cover
Titel
Amerika und Europa - Mars und Venus?. Das Bild Amerikas in Europa


Herausgeber
von Thadden, Rudolf; Escudier, Alexandre
Erschienen
Göttingen 2004: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 14,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Egbert Klautke, SSEES, Department of History, University College London

Der vorliegende Band ist aus einer Tagung am Berlin-Brandenburgischen Institut für Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Europa hervorgegangen, die im Januar 2003, also noch vor dem Beginn des Irak-Krieges, in Genshagen stattfand. Darin sind Beiträge von deutschen und französischen Journalisten, Politikern und Wissenschaftlern versammelt, die sich seinerzeit im Kontext der transatlantischen Differenzen über die richtige Politik im Nahen Osten mit der europäischen Wahrnehmung der USA auseinandersetzten. Einzig der abschließende Beitrag von A. Krzemiński widmet sich der polnischen Sicht auf die Vereinigten Staaten und erweitert damit die französische und deutsche Perspektive.

Eine Reihe der hier abgedruckten Beiträge sind kurze Stellungnahmen, in denen die Autoren ihre Meinung in der politischen Diskussion um den Irakkrieg und die Politik der amerikanischen, deutschen und französischen Regierungen erläutern. Daneben finden sich ausführlichere Aufsätze, die solide und kompetent über neuere Forschungen zur deutschen oder französischen Amerikawahrnehmung informieren. Zu nennen sind hier Philippe Roger, Autor einer Monografie zum französischen Antiamerikanismus, dessen Beitrag “Aufklärer gegen Amerika. Zur Vorgeschichte des europäischen Antiamerikanismus”, die Debatte zwischen Goerges-Louis Buffon (und De Pauw) und Thomas Jefferson, die den Kern der Auseinandersetzung um die vermeintlich natürlich-klimatisch bedingte Rückständigkeit der USA bildete, rekapituliert. Inge Marszoleks Aufsatz “Das Amerikabild im ‘Dritten Reich’. Ambivalenzen und Widersprüche”, bietet einen guten Überblick über die neuere Forschung zum Thema Amerikaperzeptionen während der NS-Zeit (vor allem die Studien von Philipp Gassert). Sie betont dabei die Inkonsequenzen und Ungereimtheiten der Amerikawahrnehmung in Deutschland unter Hitler und kann zeigen, dass es ein national einheitliches deutsches “Amerikabild” auch im Dritten Reich nicht gegeben hat. Thomas Haurys Analyse “Die ‘Dollarkönige’. Der Antiamerikanismus der DDR” führt kenntnisreich und originell in diesen Themenkomplex ein. Er skizziert die Funktion der USA als zentrales Feindbild der stalinistischen Ideologie in der DDR, das in verändertem Kontext nahtlos an traditionelle Stereotype und Bilder der deutschen (und europäischen) Amerikawahrnehmung anknüpfen konnte. Pierre Rigoulot bietet in seinem Aufsatz “Antiamerikanische Stereotypen im heutigen Frankreich” einen konzisen Überblick über die wichtigsten Topoi der französischen Amerikadebatten seit der Zwischenkriegszeit; Kulturlosigkeit, amerikanische Essgewohnheiten, soziale Ungleichheit, die Rassendiskriminierung und gesellschaftliche Gewalt sind die Themen, die in der französischen Berichterstattung über die USA bis heute dominieren. Die meisten übrigen Aufsätze sind politische oder persönliche Stellungnahmen, die zum Teil nicht mehr für den Druck überarbeitet wurden und somit nicht recht zu den wissenschaftlichen Aufsätzen des Bandes passen.

Ein Streitpunkt, der sich in mehreren Beiträgen wieder findet, ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen illegitimen, weil ideologischem und übertriebenem Antiamerikanismus und berechtigter, da notwendiger, kritischer und reflektierter Amerikakritik. Einige der Autoren verteidigen dabei vehement ihr Recht, die Politik der USA im Nahen Osten zu kritisieren, ohne sich dadurch des Antiamerikanismus schuldig zu machen, insbesondere Pierre Guerlain in seinem Beitrag “Die amerikanische Hegemonie und ihre Wahrnehmung in Europa nach 1989”. Zwischen legitimer Amerikakritik und ideologischem Antiamerikanismus müsse klar unterschieden werden. Trotzdem können auch die Autoren des vorliegenden Bandes diese klare Trennung nicht durchhalten; eine wissenschaftlich brauchbare Definition von “Antiamerikanismus” wird nicht geliefert und steht somit weiterhin aus. Einen Hinweis hätte die Reflexion auf den Terminus “Amerikanismus” geben können, der seit geraumer Zeit aus der gesellschaftspolitischen Debatte verschwunden ist: Antiamerikanismus richtet sich zunächst gegen Formen von Amerikanismus, also gegen ein abstraktes Prinzip, nicht aber gegen eine tatsächlich existierende Nation und ihre Gesellschaft.

Ein strukturelles Problem des Bandes zeigt schon der Titel an: Mit Ausnahme von Krzemińskis Resümee handeln die Beiträge nicht vom Verhältnis zwischen Amerika (bzw. den USA) und Europa, sondern von den bilateralen Perzeptionen zwischen Amerika und Deutschland bzw. Frankreich. Damit setzen die Autoren und Herausgeber eine Tradition der deutschen und französischen Amerikawahrnehmung fort, die ihrer emphatisch-positiven europäischen Orientierung entgegensteht und außerhalb Frankreichs und Deutschlands zu Recht auf Widerspruch und Unverständnis stoßen wird. “Europa” wird in dieser Tradition lediglich als Metapher für das eigene Land, für die eigene Nation verwendet und erhält somit einen exklusiven, nicht den erwünschten integrativen Charakter. Zudem wird im vorliegenden Band leider nicht einmal der nahe liegende Versuch gemacht, einen Vergleich zwischen den deutschen und französischen Amerikawahrnehmungen zu ziehen und dadurch zu neuen Erkenntnissen über die Entwicklung und Funktion nationaler “Amerikabilder” zu kommen.

Es stellt sich die Frage nach Nutzen und Nachteil solcher Art von Sammelbänden, die weder von Verlagen noch vom wissenschaftlichen Publikum geliebt werde, aber trotzdem in zunehmender Zahl auf den Markt kommen. Im vorliegenden Fall müssen starke Zweifel am Wert einer solchen Veröffentlichung vorgebracht werden: Die wissenschaftlichen Beiträge liefern zwar solide Zusammenfassungen von der neueren Forschung, teilen den Spezialisten aber wenig Neues mit und sind als Einführungen in das Thema für allgemein interessierte Leser wiederum ungeeignet. Die Mehrzahl der Beiträge sind persönliche Einschätzungen und Stellungnahmen der Autoren während der Debatte um den Irakkrieg, die so und anders seinerzeit im Überfluss in Zeitschriften und Zeitungen zu lesen waren. Weder Fachwissenschaftler noch ein breiteres Publikum werden so bedient: Weder neue Forschungsergebnisse noch eine allgemeine zusammenfassende Einführung in das Thema “Amerikawahrnehmungen” oder auch “Antiamerikanismus” werden geboten, stattdessen eine Reihe von mit der heißen Nadel gestrickten Beiträgen, die im besten Falle dereinst als Quellen für den Themenbereich “deutsche und französische Amerikawahrnehmungen” dienen werden.

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