P. Danylow u.a. (Hgg.): Otto Wolff

Cover
Titel
Otto Wolff. Ein Unternehmen zwischen Wirtschaft und Politik


Herausgeber
Danylow, Peter; Soenius, Ulrich S.
Erschienen
München 2005: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
558 S., 40 s/w Abb.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kim Christian Priemel, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Mit dem vorliegenden Band stellt die Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschafts-Archiv nun die Ergebnisse eines von der Otto-Wolff-Stiftung in Auftrag gegebenen Forschungsprojektes zur Geschichte des gleichnamigen Konzerns vor. Mit insgesamt sieben beteiligten Autoren haben die Herausgeber einem Sammelband den Vorzug vor einer einheitlichen Darstellung gegeben. In vier chronologisch geordneten Überblickskapiteln wird die Unternehmensentwicklung geschildert, während drei biografische Abschnitte, die sich den Führungspersönlichkeiten Otto Wolff, Rudolf Siedersleben und Otto Wolff von Amerongen widmen, den Bogen über diese Phasen hinwegspannen. Die verschiedenen Beiträge werden im Folgenden zunächst einzeln betrachtet.

Im ersten Kapitel verfolgt Dittmar Dahlmann die Entwicklung der Otto Wolff oHG vom regionalen Eisen- und Schrotthandel über die Anteilskäufe an bedeutenden Produktionsgesellschaften der Eisen- und Stahlindustrie bis zur Beteiligung an den Vereinigten Stahlwerken und dem Krisenbeginn 1929. Mit seiner Vertikalexpansion verfolgte Wolff demnach vorrangig die Förderung seiner Handelsinteressen durch Sicherung langfristiger Exklusivverträge. Einen besonderen Schwerpunkt in der Schilderung nehmen die frühe internationale Ausrichtung der Handelsbeziehungen und die so genannten Russengeschäfte der 1920er-Jahre ein. Zu kurz kommt indes die Analyse der Führungsstrukturen und strategischen Ausrichtungen innerhalb des Konzerns. So bleiben die Entscheidungsabläufe in der oHG meist ebenso unklar wie die Beziehungen zwischen Zentrale und Beteiligungsgesellschaften. Der Leser erfährt wenig über die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den beiden Teilhabern Otto Wolff und Ottmar Strauss, und auch die Frage der Kontrolle der Handelsfilialen wird kaum angeschnitten. So kann Dahlmann zwar diagnostizieren, dass die Politik Wolffs, die Eisen- und Stahlerzeuger seiner Gruppe auf die Interessen der Handelsgesellschaften auszurichten, fehlschlug, ohne aber die entscheidenden Bruchstellen in diesen Bemühungen zu benennen. Dies ist sicherlich zu einem erheblichen Teil der Quellenlage geschuldet, die vielfach genaueren Aufschluss über interne Abläufe und Beziehungen nicht zulässt. Teils scheinen aber die vorhandenen Primär- und Sekundärquellen nicht ausreichend ausgeschöpft worden zu sein. So bleibt u.a. unklar, worin der Konflikt Wolff-Flick, einer „der entscheidenden Machtkämpfe um die Kontrolle über die VESTAG“ (S. 87), bestanden hat, wenn gleichzeitig der Eindruck einer Interessenabgrenzung der beiden Konzernherren erweckt wird.1

Auch Eckart Conze kann in seinem Porträt Otto Wolffs die Frage nach den Strukturen der Unternehmensgruppe nicht befriedigend beantworten. Zwar sucht er nach nicht weniger als dem „ganze[n] Otto Wolff“ (S. 100f.), konzentriert sich aber auf den Privatmann und die politisch einflussreiche Persönlichkeit. In diesem Zusammenhang werden vor allem Wolffs Befürwortung einer deutsch-französischen Annäherung in den 1920er-Jahren und seine Unterstützung Schleichers ausführlich angesprochen. Ob aber gerade letztere geeignet ist, Wolff als „Demokrat und Republikaner“ (S. 148) auszuweisen, muss zumindest fragwürdig erscheinen. Über den Unternehmer Otto Wolff hingegen erfährt man nur wenig, und auch die von Conze angestrebte „Doppelbiografie“ unter Einbeziehung Ottmar Strauss’ bleibt unscharf. Zwar wird die gute Abstimmung der beiden Partner hervorgehoben, ihre praktische Umsetzung jedoch nicht entwickelt. Eine Rekonstruktion der Zuständigkeiten und Unternehmenskonzeptionen der beiden Gründer findet nicht statt, stattdessen bleibt es bei Allgemeinplätzen wie „Ehrgeiz, Schaffenskraft und die Überzeugung, dass dem Tüchtigen und Wagemutigen die Welt offen stehe“ (S. 110). Treffender gerät die Analyse der internen „Arisierung“ des Unternehmens durch das Ausscheiden des jüdischen Teilhabers Strauss’. Überzeugend argumentiert Conze hier für eine Kontextualisierung im Rahmen von Wolffs eigenen Dynastieplänen. Der Erhalt des Unternehmens unter seinem Namen und die Weitergabe an die (Adoptiv-)Söhne waren demnach das zentrale Movens für Wolffs Bereitschaft, die Verdrängung seines – überdies überschuldeten – langjährigen Partners nicht zu hindern, die Einsetzung Siederslebens als Generalbevollmächtigten hinzunehmen und im folgenden selbst einen affirmativen Kurs gegenüber Görings Vierjahresplanbehörde einzuschlagen. Ziel und Maßgabe war dabei der Erhalt des Lebenswerks und der Aufstieg in den Kreis der Haniel, Krupp und Thyssen.

Auch Jost Dülffer, der die Jahre 1929 bis 1945 bearbeitet, stellt die Kooperation der Gruppe Otto Wolff mit der nationalsozialistischen Rüstungswirtschaft heraus. Wolff und Siedersleben setzten demnach bewusst auf „atmosphärisch“ bedeutende Beteiligungen an NS-Vorhaben, etwa die Errichtung der Reichswerke „Hermann Göring“, und nahmen dabei auch Verluste in Kauf in der Erwartung durch Verbesserung des Standings der Firma langfristig gewinnbringende Vorteile zu erlangen (S. 174ff.). Unter der alleinigen Führung Siederslebens nach dem Tode Wolffs 1940 sollte dies auch die Mitwirkung an Handel von Arisierungsgütern und ‚Raubgold’ beinhalten.

Siedersleben wuchs nach seiner Einsetzung 1934 umgehend in die Rolle der nebst, teils sogar vor dem Eigentümer wichtigsten Führungspersönlichkeit, wie Ulrich Soénius in seinem ausgewogenen Porträt darlegt. Soénius unterstreicht, dass Siedersleben nur bedingt als nationalsozialistischer Gewährsmann in Wolffs Unternehmen einzuschätzen ist. Tatsächlich war dieser kein Parteimitglied. Als Verwaltungsfachmann sanierte er die angeschlagene Unternehmensgruppe und systematisierte erstmals über einen Geschäftsverteilungsplan die Zuständigkeiten – nicht ohne sich eine Schlüsselstellung darin zuzuweisen. Ab 1935 wurde Siedersleben regulärer Teilhaber und lenkte die Firma Otto Wolff bis Kriegsende. Dabei verfolgte er eine Linie strikter Konzentration auf wirtschaftliche Betätigung und distanzierte sich nach der Verhaftung Erwin Plancks nach dem 20.7.1944 umgehend von seinem Mitarbeiter, um mögliche Gefährdungen des Unternehmens auszuschließen. Dies wirft indes die Frage auf, wie sich diese ökonomische Selbstbeschränkung Siederslebens damit vertrug, dass er als einziger Spitzenmanager eines bedeutenden Privatunternehmens, so Soénius, Staatsinterventionismus in der Privatwirtschaft „vehement verteidigt“ habe (S. 281) und letztlich eher „Chefbuchhalter“ (S. 245) denn Unternehmer gewesen sei.

Volker Ackermann resümiert die Nachkriegsgeschichte des Konzerns. Im Mittelpunkt seiner Darstellung stehen die erneute Aufnahme der Osthandelsbeziehungen durch Otto Wolff von Amerongen unter Aufnahme der Firmentradition und die Umstrukturierung der Unternehmensgruppe 1966. Ackermann stellt vor allem die Finanzierungsfrage heraus, die für die Otto Wolff KG an Dringlichkeit gewann, da diese Fremdkapital nur unzureichend mobilisieren konnte. Die Gründung der Otto Wolff AG schuf Abhilfe und ging intern mit einer divisionalen Neugliederung einher. Diese schuf die Grundlage für die Behauptung Otto Wolffs in der Stahlkrise der 1970er und 1980er-Jahre, ehe es 1990 zum Verkauf an Thyssen kam.

In den abschließenden beiden Beiträgen steht die Person Otto Wolff von Amerongens im Mittelpunkt. Peter Danylow vervollständigt in raschen Zügen die Unternehmensgeschichte durch die Skizzierung der Tätigkeiten der Otto Wolff Industrieberatungs-, Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaften bis zum heutigen Tage; die Quellenproblematik der Zeitnähe limitiert allerdings notwendig auch die Analysetiefe. Jochen Thies’ biografischer Essay hingegen enttäuscht vollständig. Das Porträt gerät über weite Strecken hagiografisch. Weder die Tätigkeit des Unternehmers noch des DIHT-Präsidenten wird eingehend beleuchtet, vielmehr erschöpft sich der Beitrag in einer Aufzählung der vielfältigen politischen Kontakte Wolff von Amerongens. Statt die Unternehmensführung und die wirtschaftspolitischen Positionen des Konzernherrn einer Analyse zu unterziehen, wird dieser als „begnadeter Gastgeber“ (S. 422), „Glücksfall für Deutschland“ (S. 431) und gar als „Krawattenmann des Jahres“ 1984 (S. 426) charakterisiert.

Im Ergebnis fällt der besprochene Band qualitativ stark auseinander. Die wie bei anderen Großunternehmen zuletzt auch gewählte Form einer Historikerkommission bzw. eines Teams führt hier nicht zu gleichwertigen Resultaten, eine verbindende Fragestellung ist kaum ersichtlich. Insbesondere bleiben einzelne Beiträge weit hinter dem Stand theoretisch-methodischer Reflexion zurück, der in den vergangenen Jahren Einzug in die Unternehmensgeschichte gehalten hat. 2 Gerade Theorieangebote der property rights- und der corporate governance-Ansätze, deren heuristischer Wert in neueren Studien unter Beweis gestellt wurde 3, bleiben leider ungenutzt. Fragen der Unternehmensstrukturen und -kommunikation, der Kompetenzabgrenzungen und Entscheidungsroutinen werden oft gar nicht gestellt – mit den positiven Ausnahmen Soénius’ und Ackermanns, die die Reorganisationsmaßnahmen 1934 und 1966 in ihre Überlegungen mit einbeziehen.

Als wenig hilfreich erweist sich auch die Selbstdarstellung des Unternehmens als dezentralisierte Firmengruppe und deren Ablehnung des Konzern-Begriffes nicht zu hinterfragen. Dies ist auch dem Umstand zuzuschreiben, dass der Begriff des Konzerns als besondere Form des Privatunternehmens bislang nur in geringem Maße theoretisch reflektiert und ausdifferenziert worden ist.4 Daraus resultiert häufig eine begriffliche Vermischung von produktiv homogenen Großunternehmen und komplexeren Unternehmensverbünden einerseits oder aber eine implizite Reduktion von Konzernen auf rechtlich verbundene Unternehmen, die durch Personal- und Besitzverhältnisse etablierte Verbindungen unterbewertet, andererseits. So bleibt im vorliegenden Band die Frage nach der Interessenvertretung und -durchsetzung ebenso wie der Kontrollausübung Otto Wolffs in den Beteiligungsgesellschaften weitgehend unausgeleuchtet; formelle und informelle Gremien (Aufsichtsräte, Präsidien, Ausschüsse etc.) spielen praktisch keine Rolle. Auch ein Organigramm, das Auskunft über die Unternehmenszusammenhänge geben könnte, sucht man vergebens. Für eine vergleichende Konzern- und Branchengeschichte der Schwerindustrie bietet der rezensierte Band daher nur partiell eine Unterlage.

Anmerkungen:
1 Insofern geht die Darstellung nicht über die Analyse von Reckendrees, Alfred, Das «Stahltrust»-Projekt. Die Vereinigten Stahlwerke 1926-32/33, München 2000, hinaus.
2 Als Überblick: Hesse, Jan-Ottmar; Kleinschmidt, Christian; Lauschke, Karl (Hgg.), Kulturalismus, Neue Institutionenökonomik oder Theorienvielfalt. Eine Zwischenbilanz der Unternehmensgeschichte, Essen 2002.
3 Beispielhaft: Erker, Paul; Lorentz, Bernhard (Hgg.), Chemie und Politik. Die Geschichte der chemischen Werke Hüls 1938-1979. Eine Studie zum Problem der Corporate Governance, München 2003.
4 Für eine kurze Definition vgl. Hofmann, Rudolf; Hofmann, Ingo (Hgg.), Corporate Governance. Überwachungseffizienz und Führungskompetenz in Kapitalgesellschaften, München 1998.

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