A. Ayton u.a. (Hgg.): The Battle of Crécy

Cover
Titel
The Battle of Crecy, 1346.


Herausgeber
Ayton, Andrew; Preston, Sir Philip
Reihe
Warfare in History
Erschienen
Woodbridge 2005: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
VIII, 390 S.
Preis
£25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Clauss, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Regensburg

Die Schlacht von Crécy stand immer wieder im Zentrum historischen Interesses. Nun haben sich in dem hier anzuzeigenden Buch einige der profiliertesten Kenner der Militärgeschichte des 14. Jahrhunderts zusammengefunden, um erneut über diese Schlacht nachzudenken. Auch wenn es sich formal um einen Sammelband handelt, so trägt diese Studie doch deutlich die Handschrift des englischen Mediävisten Andrew Ayton (Hull), der weit über die Hälfte des Textes geschrieben hat. Im Zentrum der Analyse steht dabei die Frage, warum die Engländer diese Schlacht gewonnen haben. Hier zeigen sich bereits zwei wesentliche Elemente, die den Großteil des Buches – und vor allem die von den englischen Mediävisten geschriebenen Passagen – bestimmen: Es geht um Militärgeschichte klassischer angelsächsischer Prägung, und im Zentrum der Untersuchung stehen Edward III. und die siegreichen Engländer. Auch wenn es gerade auf deutsche Leser mitunter irritierend wirken mag, mit welcher Selbstverständlichkeit hier ausschließlich die strategisch-taktische und organisatorische Seite des mittelalterlichen Krieges behandelt wird, bleibt doch festzuhalten, dass Ayton und seine Kollegen auf diesem Weg zu neuen, tragfähigen und überzeugenden Ergebnissen kommen.

Im einleitenden Abschnitt ‚The Battle of Crécy: Context and Significance’ (S. 1-34) legt Andrew Ayton die grundlegenden inhaltlichen und methodischen Aspekte der Untersuchung dar. „For example, the evidence of the narrative sources can be combined with an understanding of combat psychology and a grasp of the practical limitations of fourteenth-century weapons technology.“ (S. 10) Erst in der Zusammenführung aller verfügbaren Quellen liegt die Chance, über die oftmals widersprüchlichen Nachrichten der Chronisten und die bisherige Forschung hinaus zu kommen. Ayton weist auf die Wichtigkeit dieser Schlacht und von Schlachten allgemein für die mittelalterliche Kriegsführung hin und widerspricht damit überzeugend einer Tendenz in der jüngeren Forschung, welche die Bedeutung von Schlachten für den mittelalterlichen Krieg eher gering veranschlagt. Allein die bei Crécy versammelten Truppen belegen laut Ayton, dass sowohl Philipp VI. als auch Edward III. wussten, was 1346 auf dem Spiel stand. Vor dem Hintergrund, dass Philip den Engländern 1339 und 1340 eine offene Feldschlacht verweigert hatte, war es ihm nun mehr oder weniger unmöglich, im Angesicht seiner versammelten Truppen nicht zu kämpfen. Überhaupt erscheint Philipp VI. in dieser Darstellung eher als Schachfigur im Spiel des englischen Königs, denn als eigenständig handelnder Monarch.

Dies gilt besonders für das zweite Kapitel, in welchem Ayton das strategische Konzept hinter der „Crécy Campaign“ beleuchtet (S. 35-107). In einer minutiösen Untersuchung aller Bewegungen und Unternehmungen Edwards, seiner Kenntnisse des Territoriums, seiner Berater und der politischen Situation in Frankreich kommt er zu dem Schluss, dass die Schlacht von Crécy nicht am Ende einer vergeblichen Flucht der Engländer stand, sondern vom englischen König bereits vor der Einschiffung seiner Truppen in England geplant und vorbereitet worden war. Edward war von Anfang an darum bemüht, Philipp zum Kampf zu bewegen, auf einem Territorium seiner Wahl und zu seinen Bedingungen. Ayton zeigt auf, dass der Kampf nicht zufällig im Ponthieu stattfand, sondern dass Edward sich bewusst hier den Franzosen stellen wollte. Die Grafschaft war lange in englischem Besitz gewesen, in Amiens hatte Edward 1329 Philipp einen Lehnseid für seine Besitzungen in Frankreich geleistet. Der englische König kannte also das Land – und vielleicht sogar das spätere Schlachtfeld von Crécy – und konnte damit rechnen, dass Philipp gerade hier das Angebot einer Schlacht nicht ausschlagen würde. Ayton vermag es, auch in der Forschung bislang strittige Fragen – wie etwa den Übergang über die Somme bei Blanquetaque – schlüssig in dieses Konzept einzupassen.

Nachdem die Vorgeschichte zu Crécy dargelegt wurde, widmen sich im dritten und vierten Kapitel Philip Preston und Michael Prestwich der Schlacht selbst. Zunächst verortet Preston „The traditional Battlefield of Crécy” (S. 109-137), wobei es nicht darum geht, die bislang von der Forschung favorisierte Verortung nordöstlich von Crécy-en-Ponthieu anzuzweifeln. Vielmehr will Preston das Augenmerk auf eine bislang wenig beachtete topografische Besonderheit des Schlachtfeldes lenken, welche für die Schlacht und ihren Verlauf entscheidend war: eine zwei bis fünf Meter hohe, steil zum Tal hin abfallende Anhöhe, welche den Schauplatz des Kampfes im Osten begrenzte. Diese Anhöhe stellte ein für die Reiterei unüberwindliches Hindernis dar und ist daher für die Taktik der Franzosen von entscheidender Bedeutung. Auf die Schlacht selbst geht Prestwich in einem vergleichsweise kurzen Abschnitt ein (S. 139-157), der mit der erdrückenden, aber heilsamen Erkenntnis beginnt: „It is impossible to reconstruct the past.“ (S. 139). Eine endgültig gesicherte Aussage über die Aufstellung der englischen Truppen und den Verlauf der Schlacht lassen die chronikalischen Quellen nicht zu, auch wenn Prestwich – was angesichts der langen Forschungstradition für Crécy erstaunlich genug ist – mit Matthias von Neuenburg eine „neue“ Quelle zur Schlacht gefunden hat. Letztendlich müssen die unterschiedlichen Versionen der mittelalterlichen Historiografen unversöhnt nebeneinander stehen bleiben. Entscheidende Aspekte lassen sich aber dennoch erkennen – etwa mit Hinblick auf die geringe Zahl an Gefangenen oder ritterlichen Konventionen: „This was not a gentlemanly fight, dominated by the conventions of chivalric culture. There was horrific carnage, and heaps of dead and dying men marked the killing ground of the battlefield.“ (S. 157)

Der Zusammensetzung des englischen Heeres widmet sich Ayton im fünften und umfangreichsten Kapitel des Buches (S. 159-251), das von der Grundannahme ausgeht, dass man erst den Aufbau einer Armee verstehen muss, wenn man ihre Taktik verstehen will. Zunächst beschreibt der Autor die chronikalischen und verwaltungstechnischen Quellen, aus denen sich – gestaffelt nach sozialer Stellung – unterschiedlich präzise Aussagen zur englischen Armee treffen lassen. Während von den Men-at-arms etliche namentlich und biografisch fassbar sind, lassen sich kaum Rückschlüsse bezüglich der Bogenschützen und Lanzenträger ziehen. So muss sich die „military service prosography“ (S. 197) vornehmlich auf die Gefolge der adligen Heerführer beziehen. Hier lassen sich sowohl eine hohe personelle Stabilität als auch eine lang andauernde Kampferfahrung in den Schlachten des englisch-schottischen bzw. englisch-französischen Krieges nachweisen. Edward III. konnte auf ein Heer zurückgreifen, dessen Kämpfer nicht nur über viel Erfahrung auf dem Schlachtfeld verfügten, sondern diese Erfahrung obendrein mit den Kämpfern gemacht hatten, neben denen sie auch bei Crécy fochten. In diesem Zusammenhang macht Ayton theoretische Ansätze der neueren Netzwerktheorie fruchtbar, um den Zusammenhalt einer mittelalterlichen Armee zu analysieren: „While being connected to each other by bonds of amity and shared status, the ‚hubs’ were themselves the foci around which the men in the army clustered.“ (S. 227) Dieser Ansatz erscheint äußerst vielversprechend und man kann gespannt sein, ob und wie Ayton ihn zukünftig weiter ausbauen wird.

Die Kapitel sechs bis acht beleuchten in einigen Aspekten die französische Seite der Schlacht. Christopher Piel behandelt „The Nobility of Normandy and the English Campaign of 1346“ (S. 253-264). Der Adel der Normandie stand loyal zu Philipp VI. und nur wenige liefen zu Edward III. über. Dennoch wurde dem englischen Heer nur vergleichsweise geringer Widerstand entgegengebracht, was Piel mit der mangelnden Unterstützung durch die französische Krone erklärt. Die Zusammensetzung der französischen Armee betrachtet Bertrand Schnerb in „Vassals, Allies and Mercenaries: The French Army before and after 1346“ (S. 265-272). Da die entsprechenden Soldlisten fehlen, lassen sich nur sehr allgemeine Aussagen über die Zusammensetzung des französischen Heeres treffen; Grundlage für die Rekrutierung war die Kombination aus Lehnsaufgeboten, der allgemeinen Pflicht zur Verteidigung des Königreiches, dem arrière ban, und der Anwerbung von Söldnern. An diesem System änderte – und dies ist das interessanteste Ergebnis dieses Abschnittes – auch die Niederlage von Crécy nichts. Zwar gab es taktische Neuerungen, aber keine in der Heeresorganisation, die erst Karl V. entscheidend verbessern sollte. „Crécy was a great defeat, but did not serve as a lesson.“ (S. 272) Françoise Autrand setzt sich schließlich mit den Folgen von Crécy für die französische Monarchie auseinander (S. 273-286): Vor allem war die Niederlage ein moralischer Schock, der voll und ganz Philipp VI. angelastet wurde. Dessen Flucht wurde von zeitgenössischen Historiografen mit dem heldenmütigen Sterben des blinden Königs Johann von Böhmen kontrastiert. Politisch wurde die Niederlage vor allem den königlichen Beratern angelastet, die ihre Posten räumen mussten.

In „Crécy and the Chronicles“ (S. 287-350) stellt Ayton die verschiedenen chronikalischen Berichte zur Schlacht in ihrer Abhängigkeit voneinander vor. Er geht auf die verschiedenen Quellen und Aussagewerte der Berichte ein und legt im Detail sehr schlüssig dar, welcher Wert einzelnen Autoren und einzelnen Teilaspekten zuzuweisen ist. Ein Ergebnis ist dabei, dass der gerade von englischer Seite lange favorisierte Bericht Geoffrey le Bakers mit ebensoviel Vorsicht und Rücksichtnahme auf Darstellungsabsicht und Entstehungszusammenhang zu lesen ist, wie der traditionell viel kritischer betrachtete Giovanni Villanis. Interessante Ergebnisse liefert vor allem der vergleichende Überblick: Während englische Quellen die eigenen Bogenschützen kaum erwähnen, schreiben französische Chronisten gerade diesen einen erheblichen Anteil an der eigenen Niederlage zu. Wie aber ist mit einer Vielfalt einander widersprechender Berichte umzugehen? Ayton nimmt zu Recht deutlich Abstand vom „cherry-picking approach“ (S. 349) und weist darauf hin, dass die Darstellungsabsicht des Autors wichtiger Bestandteil jeder Analyse sein muss: „To create a composite from passages of such varied provenance would be like making a jigsaw picture by fitting together the pieces from a number of different, incomplete puzzles. The result is unlikely to be a valid representation of anything.“ (S. 350)

Im zehnten und letzen Kapitel lösen die beiden Herausgeber, Ayton und Preston, das implizite Versprechen ein, welches das ganze Buch durchzieht: Sie versuchen, sie wagen eine Rekonstruktion der Schlacht selbst und beantworten die Frage, warum Edward III. gewonnen hat. Hierzu führen sie alle im Buch vorhandenen Überlegungen bezüglich des Geländes, der Zusammensetzung des Heeres, der Strategie des Kriegszuges usw. zusammen und kommen zu einem geschlossenen Gesamtbild: Die Bogenschützen waren nicht an den Flügeln, sondern inmitten der men-at-arms aufgestellt, so dass sie je nach taktischem Bedarf aus der Schlachtlinie heraus und wieder in deren Schutz zurücktreten konnten. Ein begrenzter Vorrat an Pfeilen – Ayton und Preston gehen hier sehr überzeugend dieser oft vernachlässigten Frage nach – erlaubte es den Bogenschützen nicht, ihre theoretisch mögliche formidable Rate von bis zu 20 Schuss pro Minute über lange Zeit zu leisten. Den Realitäten des Krieges angemessen, gehen die Autoren dann auch von einem sehr dynamischen Schlachtgeschehen aus, in dem alle Teile der englischen Armee je nach taktischer Lage reagierten und agierten. Hierfür kreieren sie den Begriff „micro-tactics“ (S. 359). Auch diese Analyse kommt zu dem Schluss, dass die Bogenschützen Edward den Tag von Crécy gewonnen haben: „Crécy was a triumph for the archer because the army leadership recognised how best to exploit his particular skills, given the opportunities offered by the ground but also the limitations imposed by the available ammunition supply.“ (S. 377)

Die Beiträge der verschiedenen Autoren stehen mitunter etwas unverbunden bzw. redundant nebeneinander, teilweise widersprechen sie einander explizit, wenn etwa von der englischen Strategie vor Crécy die Rede ist, die mal mehr (Ayton), mal weniger (Prestwich) als Edwards Bemühen gedeutet wird, Philipp zur Schlacht zu stellen. Ein Literatur- und Quellenverzeichnis fehlt leider; ein ausführlicher Index beschließt den Band. Die mitunter sehr technisch-nüchterne Sprache verdeckt hier und da die menschlichen Schicksale der Schlacht. In diesem Zusammenhang befremden manche Formulierungen: „One hundred yards for the longbow is bread and butter. The target is clearly visible ...“ (S. 372)

Mit diesem Buch liegt nicht nur eine detaillierte Analyse der Schlacht von Crécy vor, es liefert auch ein Beispiel dafür, wie eine auf militärisch-organisatorische Aspekte abzielende Kriegsgeschichte des Mittelalters heute geschrieben werden muss. Der souveräne Umgang mit einem vielfältigen Quellenmaterial zeichnet vor allem alle von Andrew Ayton selbst geschriebenen Teile aus. Was auf den ersten Blick nach der von Alfred H. Burne praktizierten ‚inherent military probability’ aussehen mag, entpuppt sich als fundierte und quellennahe Analyse einer mittelalterlichen Schlacht; hierbei wird stets auch die Begrenztheit der Quellen und ihrer Interpretierbarkeit deutlich gemacht.

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