S. Schwartz (Hg.): Tropical Babylons

Cover
Titel
Tropical Babylons. Sugar and the Making of the Atlantic World, 1450-1680


Herausgeber
Schwartz, Stuart B.
Erschienen
Anzahl Seiten
347 S.
Preis
$59.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Weber, The Rothschild Archive London

„People the very color if the night, working briskly and moaning at the same time without a moment of peace or rest, whoever sees all the confused and noisy machinery and apparatus of this Babylon, even if they have seen Mt. Etna and Vesuvius will say that this indeed is the image of Hell.” Gleich einleitend zitiert der Herausgeber Stuart Schwartz die Eindrücke, die der Jesuit António Vieira, ein Gegner der Sklaverei, in den 1630er-Jahren beim Besuch einer dem eigenen Orden gehörenden Zuckerplantage gewann. Babylon: die Stadt der Sünde, Symbol von Hölle und Verdammnis, und Gegenpol zum himmlischen Jerusalem. Was Vieira in diese theologische Metapher fasste, war – so Schwartz – nichts anderes als ein Blick in die industrielle Zukunft. Schwartz weist darauf hin, dass schon Karl Marx in dem mit der Plantagenwirtschaft aufkommenden Sklavenhandel ein Element in der Morgenröte des Kapitalismus sah, und Eric Williams griff diese These in seiner umstrittenen Arbeit „Capital and Slavery“ (1944) wieder auf. Die gleich eingangs aufgeworfenen Fragen nach diesem Zusammenhang (S. 1-5) ziehen sich denn auch durch alle hier versammelten Aufsätze, und das dürfte die Lektüre auch über den Kreis der Spezialisten hinaus lohend machen.

Der thematische Fokus ‚Zucker’ ist methodisch begründet: Nach der so genannten „staple theory“ können Güter mit hohem relativem Marktwert („staple commodities“) die Produktionsfaktoren zu ihren Gunsten beeinflussen und im kolonialen Kontext auch auf die Beziehungen zwischen Kolonien und Metropolen einwirken (S. 5f.). Diese Effekte lassen sich besonders gut in der Frühphase einer solchen Entwicklung verfolgen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen hier die Organisation von Arbeit und Kapital in der frühen atlantischen Zuckerwirtschaft (insbesondere die Rolle unfreier Arbeit), die Demografie der Kolonien, die Entwicklung von Technologie und Produktivität der Plantagen und Mühlen, die Besitzstrukturen sowie die staatlichen Unterstützungen bei Aufbau und Ausbau von Plantagenregionen (hierzu etwa S. 48, 89, 161).

Der hier gewählte Zeitraum vom Beginn der atlantischen Expansion bis ins späte 17. Jahrhundert ist zum Thema noch nicht in wünschenswerter Weise ausgeleuchtet (S. 7-10). Während die vorhandene Literatur sich oft auf eine Nation beschränkt 1, sind hier alle relevanten Regionen der drei betroffenen Kontinente einbezogen. Die Auswahl von Autoren aus den niederländischen, englischen, portugiesischen und spanischen Sprachräumen gewährleistet eine kompetente Abhandlung. Der Herausgeber konnte zudem einige Eminenzen des Fachgebiets versammeln: William D. Phillips rekapituliert die Bedeutung der iberischen Zuckerwirtschaft seit ihrer Einführung durch die islamischen Eroberer, während Alberto Vieira, Genaro Rodríguez Morel und Alejandro de la Fuente sich auf die Brückenfunktion Madeiras und der Kanaren, auf Hispaniola und, respektive, das frühkoloniale Kuba konzentrieren. Schwartz selbst liefert einen Überblick zur frühen brasilianischen „Sugar Industry“, und John J. McCusker bietet gemeinsam mit Russell R. Menard eine neue Sicht auf die „Sugar Revolution“ auf Barbados. Eddy Stols geht auf die kulturgeschichtliche Bedeutung des Zuckers in Europa ein, und Herbert Klein steuert einen konzisen Überblick zum frühen atlantischen Sklavenhandel bei. Die Einbeziehung wirklich neuer, weitenteils auf Quellenarbeit basierender Ergebnisse macht das Buch zu einer wertvollen Ergänzung bereits vorliegender Aufsatzsammlungen.2

Die Bedeutung der brasilianischen Produktion bis etwa 1650 und dann der britischen und niederländischen Karibik sind allgemein bekannt. Die Aufsätze ergänzen das Bild um wichtige Komponenten: Saint-Domingue, der wichtigste Zuckerproduzent des 18. Jahrhunderts, hatte diese Rolle schon ein Mal um 1550 inne, als es noch den spanischen Namen Espanola (bzw. Hispaniola) trug, und auch Kuba, größter Produzent im 19. Jahrhundert, exportierte bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erstklassige Sorten (S. 10, 96-104). Erstaunlich ist, wie früh die Zuckerplantagen der Neuen Welt ihre Effizienz optimiert hatten: Nach Riesenschritten in den ersten Jahrzehnten lag die Steigerungsrate der Produktivität für den gesamten Zeitraum von ca. 1550 bis ca. 1750 nur noch bei 20 Prozent (S. 19). Ein Grund hierfür war, dass die Protagonisten die erforderlichen technischen, finanziellen und logistischen Erfahrungen schon bei der Entwicklung der Zuckerwirtschaft auf Madeira, São Tomé und den kanarischen Inseln erworben hatten (hierzu ausführlich die Kapitel 2 und 3) und ohne große Transferprobleme auch in der neuen Umgebung anwenden konnten. Immerhin hatte Kolumbus selbst einige Zeit auf Madeira gelebt, mit Zucker gehandelt und Pflanzen von dort in die Karibik gebracht (S. 65, 74, 86f.). Eine bald folgende Transferleistung war dann der Einkauf, Transport und Einsatz afrikanischer Sklaven. Herbert Klein zeigt, wie die über den Untersuchungszeitraum sinkenden Todesraten auf der berüchtigten "middle passage" auch für diesen Sektor steigende Effizienz bedeuten.

Die vergleichende Untersuchung macht jedoch deutlich, dass der Nexus zwischen Zuckerrohranbau und unfreier Arbeit nicht so zwingend ist, wie häufig unterstellt wird, und dass Zuckerrohr auch nicht immer auf Großflächen gepflanzt wurde (S. 56f, 185). Im Spanien und Portugal des 15. und 16. Jahrhunderts wurde nur ein relativ kleiner Anteil der Feld- und Mühlenarbeit von Sklaven geleistet (S. 28, 35), ebenso auf Madeira (S. 58f.). Auch für Barbados, bislang gerne als ein Musterbeispiel für die unmittelbar durchschlagenden Effekte eines solchen Nexus angeführt, zeigten Menard und McCusker, dass es immerhin rund fünf Jahrzehnte dauerte, bis afrikanische Sklaven auch die letzten europäischen Vertragsarbeiter („indentured labor“) ersetzt hatten. Wiederholt wird die Zweckmäßigkeit des Begriffs „sugar revolution“ (d.h. schnelle Verdrängung anderer „cash crops“ durch Zucker, Bildung großer Plantagen, Sklavenarbeit, marktorientierte kapitalistische Wirtschaftsweise) in Frage gestellt, und McCusker und Menard kommen gar zu dem Schluss, dass er – wegen der relativ schleppenden Entwicklung – selbst für Barbados kaum anwendbar ist: „Sugar did not revolutionize Barbados; rather it sped up and intensified a process [...] already underway.“ (S. 306) Hier scheint es aber, dass die beiden Autoren bei der Bewertung der Ergebnisse ihrer detaillierten Untersuchung etwas übertreiben. Ihre eigenen Daten legen nahe, dass Baumwolle, Tabak und Indigo in der kurzen Zeitspanne von den 1630er-Jahren bis 1650 vollständig vom Zucker verdrängt wurden (S. 292), während Kapital aus London und den Niederlanden in derselben Zeit dazu beitrug, die Zahl der Arbeiter pro Plantage von durchschnittlich fünfzehn – fast ausschließlich „indentured labor“ – auf weit über hundert – fast ausschließlich Sklaven – zu steigern (S. 294). Das sollte man schon eine Revolution nennen dürfen, oder dieses Wort wäre überhaupt zu vermeiden. Unumstritten ist jedenfalls, dass mit der Größe der Betriebe auch die Brutalität des Systems der Sklaverei zunahm (S. 145, 301). Dieses Wachstum legt freilich die Frage nach der Marktseite nahe, und Eddy Stols zeigt denn auch, dass Zucker entgegen den geläufigen Darstellungen nicht erst im 18. Jahrhundert, sondern von Spanien und Portugal ausgehend und über Antwerpen nach Norden fortschreitend, schon weit vor 1600 von breiten Kreisen der europäischen Bevölkerung konsumiert wurde.

Alle Beiträge gehen auf die bedeutenden Investoren im mediterranen ‚Hinterland’ Spaniens und Portugals ein – vor allem Finanziers und Kaufleute aus Genua und Florenz, die den Aufbau dieser kapitalintensiven Agrarindustrie überhaupt erst ermöglichten. Von besonderem Interesse für viele deutschsprachige Leser dürften aber die zahlreichen Hinweise auf das Engagement von Handelsgesellschaften aus dem Alten Reich sein. Um nur die großen Namen zu nennen: Bereits von ca. 1420 an war die Ravensburger Handelsgesellschaft an der Zuckerproduktion um Valencia beteiligt (S. 33f., 260), die Welser investierten schon vor 1510 auf Teneriffa, indirekt auf La Palma, und ab etwa 1530 in Santo Domingo (S. 96f., 261, 262), die Fugger in den 1540ern in Brasilien (S. 160, 200). Die Aufsätze zeigen nicht nur, wie sehr diese Branche schon in ihren Anfängen globalisiert war. Modern waren auch die einhergehenden ökologischen Belastungen. Der enorme Brennstoffbedarf bei der Rohzuckergewinnung führte zur Vernichtung karibischer und brasilianischer Waldbestände (S. 101f., 179), und in Amsterdam, wo die mit Kohle betriebenen Zuckersiedereien die ersten hohen Industrieschlote wirklich modernen Typs errichten mussten, zwang die Luftverschmutzung zu saisonalen Feuerungsverboten (S. 273).

Der Band ist mit Karten, Grafiken und Tabellen ausgestattet, und ein umfassendes Register macht die gebotene Informationsfülle gut handhabbar. Die Beiträge machen auch dem Neuling auf diesem Gebiet anschaulich, wie die verschiedenen ökonomischen Parameter (Transportkosten, Zuckerpreise, karibische Bodenpreise, Kosten für Sklaven- und Vertragsarbeit, europäische Löhne etc.) zur Ausbildung des Plantagensystems beitrugen. Sie stellen sowohl Gemeinsamkeiten als auch wichtige Unterschiede der Entwicklung in den verschiedenen Regionen heraus und regen damit an zur weiterführenden Beschäftigung mit dieser prägenden Entstehungsphase der atlantischen Welt.

Anmerkungen:
1 McCusker, J. J., Menard, R. R., The Economy of British America, 1607-1789, Chapel Hill 1985; Stein, Robert-Louis, The French Sugar Business in the Eighteenth Century, Baton Rouge 1988. Die regionale Begrenzung liegt übrigens auch bei Mintz vor, die sich vor allem auf den britisch beherrschten Raum bezieht und fast ausschließlich englischsprachige Literatur verwendet: Mintz, Sidney W., Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers, Frankfurt am Main 1992.
2 Solow, Barbara (Hg.), Slavery and the Rise of the Atlantic System, Cambridge 1991; Socolow, Susan M. (Hg.), The Atlantic Staple Trade, Bd. I (= Russell-Wood, A. J. R.; Steel, M. (Hg.), An Expanding World. The European Impact on World History 1450-1800, Bd. 9,I), Aldershot 1996.

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