N. Doll u.a. (Hgg.): Kunstgeschichte im Nationalsozialismus

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Titel
Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950


Herausgeber
Doll, Nikola; Fuhrmeister, Christian; Sprenger, Michael H.
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Katenhusen, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hannover

"An der Zeit" sei es, schrieben Jutta Held und Martin Papenbrock 2003 im Tagungsband "Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus" 1, dass die deutsche Kunstgeschichte sich im Licht eines neuen methodischen Instrumentariums an die Aufarbeitung ihrer Geschichte im Nationalsozialismus mache.2 Und auch die Herausgeber des vorliegenden Bandes sehen den richtigen Zeitpunkt für eine Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus gekommen. Vorbei seien die ersten Nachkriegsjahrzehnte mit ihren Verdrängungs- und "Exkulpationsstrategien", so Mitherausgeberin Nikola Doll in ihrem Beitrag zum Ersten Deutschen Kunsthistorikertag 1948 (S. 333), vorüber auch die Zeit vornehmlich ideen- oder auch paradigmengeschichtlich motivierter Studien. Allerdings sei die Lücke mit einem primär biografiegeschichtlichen Ansatz nicht zu füllen, sondern bedürfe einer Kombination von institutions- bzw. wissenschaftshistorischer Analyse mit Methoden der Generations- und Elitenforschung - einer Vorgehensweise mithin, die das handelnde Subjekt in seinem ‚Betriebssystem Kunst' (S. 15), das immer auch ein Betriebssystem Kunst- und Wissenschaftspolitik ist, in den Blick nimmt.

Das komplexe System von Mitwirkung oder Distanz, "lustvoller Unterwerfung" (W. Benz) 3 oder (partieller) Verweigerung, Karrieresprung und gesellschaftlichem Aufstieg oder Karriereende und - möglicherweise - Vertreibung und Flucht spiegelt sich in den zwanzig Beiträgen des vorliegenden Bandes. Er begleitet eine Wanderausstellung, die bis ins Jahr 2007 in insgesamt sieben deutschen kunsthistorischen Instituten, Universitätsbibliotheken und Museen gezeigt werden wird.4 Ausstellung, Begleitband, und mit ihnen der Disziplin Kunstgeschichte, ist ein über das Fach hinausgehendes, großes Interesse breiter Öffentlichkeiten insgesamt nur zu wünschen, ist es doch, so Frank-Rutger Hausmann, "das letzte bedeutende geistesgeschichtliche Fach, dessen Geschichte im ‚Dritten Reich' noch zu schreiben bleibt".5

In der Tat stehen Heinrich Dillys seit rund zwanzig Jahren publizierte Überblicksdarstellungen der Institution Kunstgeschichte und ihrer Vertreter zwischen 1933 und 1945 noch immer so vorbildlich wie einsam da 6, wenn auch vor allem in den letzten Jahren verdienstvolle Einzelstudien an ihre Seite traten 7, gleichermaßen kontrastiert und ergänzt durch im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt zur Wissenschaftsemigration in der Kunstgeschichte entstandene Arbeiten.8 Dennoch, wer im Frühjahr 2001 an der Sektion zur Disziplingeschichte im Nationalsozialismus des Kunsthistorikertages in Hamburg teilnahm, wird sich an Diskussionen erinnern, in denen für die Jahre zwischen 1933 und 1945 noch immer von einem ‚Faschismus ohne Individuen' bzw. von ‚Individuen ohne Faschismus' ausgegangen wurde. Insofern brachten erst die von Jutta Held und Martin Papenbrock herausgegebenen Studien frischen Wind in eine lange Phase künstlicher Flaute.

Es wundert wenig, dass gleich mehrere AutorInnen dieses Bandes nun auch bei der hier besprochenen Publikation mitgearbeitet haben. Auch "Kunstgeschichte im Nationalsozialismus" legt großen Wert auf die Recherche, Analyse und Interpretation (neuer) archivalischer Quellen. Eine Reihe der Aufsätze ging aus studentischen Initiativen und Studienabschlussarbeiten hervor; Materialreichtum und kenntnisreiche Einordnung des Erforschten in die fachdisziplinären Gesamtzusammenhänge war den achtzehn AutorInnen dieser Studie, von denen zwei Drittel unter vierzig Lebensjahren alt und mehr als ein Drittel unter dreißig ist, offensichtlich wichtiger als jenen "sedativen Stereotypen" (C. Sachse) 9 aufzusitzen, die Komplexes so leicht wie falsch deuten und mithin den Blick auch auf diese Disziplin verstellen, nicht erhellen.

Entstanden ist mithin eine Publikation, die die vorhandenen Ansätze zur Erforschung der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus wertvoll ergänzt, nicht zuletzt auch, weil sie sich dem Untersuchungsgegenstand aus fachdisziplinärer kunsthistorischer Sicht nähert und mithin bislang vernachlässigte inhaltlich-methodische Aspekte berücksichtigt. Darüber hinaus beschränken sich die AutorInnen nicht auf die Darstellung der Entwicklungen und Biografieverläufe zwischen 1933 und 1945, sondern sie stellen Fragen nach Kontinuitäten und Brüchen im ‚kurzen 20. Jahrhundert' insgesamt. So wird beispielsweise das kunst-, wissenschafts- und auch parteipolitische Klima an kunsthistorischen Instituten während der dem ‚Dritten Reich' vorangehenden Jahrzehnte ins Auge gefasst und auch wiederholt nach dem Einfluss der während des Nationalsozialismus tätigen Kunsthistoriker auf Forschung und Ausbildung an den Universitäten, Museen und anderen Kultureinrichtungen der jungen Bundesrepublik gefragt. Das Thema der Kontinuitäten und Brüche der Kunstgeschichte in der DDR bleibt hingegen weitgehend unbeleuchtet. Gerade der Aspekt der Kontinuität kann jedoch in Anbetracht der folgenreichen fachdisziplinären "Nicht-Debatte" in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht genug betont werden, was auch das dem Anhang zugeordnete Interview mit der Kunsthistorikerin Sigrid Braunfels (* 1914) eindrucksvoll belegt. Weitere Interviews sollen im Verlauf des Ausstellungsprojekts entstehen.

Die Veröffentlichung ist dreigeteilt: Nach einer Rahmen setzenden und zugleich Perspektiven eröffnenden Einführung der drei Herausgeber Nikola Doll (Bonn/Berlin), Christian Fuhrmeister (München) und Michael H. Sprenger (Marburg) fasst ein erster Schwerpunkt institutsgeschichtliche Studien zusammen, die jeweils die lokalen Strukturen von kunsthistorischer Lehre und Forschung beleuchten. Neben der über bisher Bekanntes vielfach hinausgehenden Darstellung der Geschichten der Universitätsinstitute in Berlin (Sandra Schaeff), Bonn (Nikola Doll) und München (Katrin Meier-Wohlt) fällt vor allem das Beispiel kunstgeschichtlicher Forschung an den Technischen Hochschulen, insbesondere Karlsruhes auf (Martin Papenbrock), die, vielerorts eng angelehnt an die Architektenausbildung, oft als eine Forschung aus "zweiter Hand" verstanden wurde, gleichwohl aber zur "Ideologisierung und Politisierung des Nationalsozialismus" (S. 68) einen wichtigen Beitrag leistete.

Nicola Hilles Beitrag zum Tübinger Institut für Kunstgeschichte und konkret zu den prekären Folgen einer von Ordinarius Georg Weise 1932 veröffentlichten kritischen Einschätzung der Arbeit Paul Schultze-Naumburgs schlägt den Bogen zum zweiten Schwerpunkt "Werke und Personen" und verweist, indem er die Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit in der nationalsozialistischen Kulturpolitik betont, zugleich auf einen komplexen zentralen Befund dieses Bandes. In Tübingen führte nach der nationalsozialistischen Machtübernahme die Abneigung gegenüber einem völkisch-konservativen Redner, der noch dazu just zu dieser Zeit als Reichskultusminister im Gespräch war, zu einer "Maßregelung"(S. 104) seitens höchster Kulturpolitiker, die wiederum die Anpassung des Instituts an kulturpolitische Ziele des Nationalsozialismus (und notorische Ausbruchsversuchen in Form von Auslandsdienstreisen seines Ordinarius) zur Folge hatte. In Bonn indes geriet, wie Ruth Heftrig herausstellt, Hans Weigert mit seinem engagierten Versuch, den Nationalsozialismus als neuen "Kulturträger" (S. 121) zum Hort expressionistischer Kunst und eines Neuen Bauens im Geist des Bauhauses zu machen, also "die Avantgarde zu nationalisieren" 9, zwar in die Fährnisse eines Parteiausschlussverfahrens - die Fürsprache einflussreicher Parteifunktionäre indes führte zu einer Versetzung nach Breslau, wo Weigert seine Lehre und Forschung verhältnismäßig unbehindert fortsetzen sollte (S. 125).

Zweierlei wird deutlich: Auch in künstlerisch-kulturpolitischer Hinsicht war, erstens, der Nationalsozialismus keine Phase der Stagnation und des Konservatismus, sondern vielmehr der Dynamik, der Modernisierung, ja der "Geburt einer Massenkultur" 11, die gar die Grenzen zwischen "hoher" und "niedriger" Kultur zu verwischen begann, wie auch der Beitrag von Barbara Schrödl zu "Architektur, Film und die Kunstgeschichte im Nationalsozialismus" darlegt (v.a. S. 313f.). Zweitens: Mochten im Widerstreit zwischen einem modernistischen und einem antimodernistischen Flügel innerhalb der kulturpolitischen Eliten auch die Konservativen schließlich die Oberhand behalten, so war doch zu keiner Zeit von einer zentral und totalitär vertretenen nationalsozialistischen Kunst- und Kulturpolitik zu sprechen. Im Gegenteil: Das spezifisch Unspezifische dieser Politik bedingte innerparteiliche Machtkämpfe, die im allgemeinen Kompetenzgerangel des nationalsozialistischen Wissenschaftsapparates intensiviert wurden und schließlich jenes Klima beständiger Improvisation und "Permeabilität" (S. 229) schufen, das einerseits Machtvakua und vorübergehende Verhandlungsräume (keinesfalls Frei-Räume) entstehen ließ, auf der anderen Seite aber auch ebenso permanent Unberechenbarkeit, Verunsicherung und Bedrohung produzierte. Dies macht vor allem Christian Fuhrmeister in seinem Beitrag über die Münchner Privatdozenten Hans Gerhard Evers, Harald Keller und Oskar Schürer im dritten Schwerpunkt des Bandes, den "Gruppenbildern", deutlich (S. 229). Widersprüche, Ambivalenzen, Ungleichzeitigkeiten waren die Folgen eines Systems, das tief ins ganz und gar nicht unpolitische Berufliche wie auch ins Privateste, Persönlichste einschnitt.

Mit präzisem Blick, und - vor allem - nicht leichtfertig moralisierend nähert sich der Band so auch einer (jungen) nicht-jüdischen Kunsthistorikergeneration, deren Berufsalltag zwar durch steten Profilierungsdruck geprägt war, zugleich aber auch, systembedingt, Karrierechancen bereithielt, die sich durch die Entlassung und Vertreibung jüdischer KollegInnen und durch neue Tätigkeitsfelder im Gefolge nationalsozialistischer Expansionspolitik nach 1933 ergaben. Immer wieder finden sich in den Beiträgen Hinweise auf Denunziationen nichtarischer Kollegen, derer man sich zu entledigen suchte. Immer wieder auch ist die Rede von Kunsthistorikern, die sich im besetzten Osten wie im Westen Europas im Zuge des "Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften" für solche Aktivitäten zur Verfügung stellten, die u.a. zu Konfiszierungen im Namen des "Kunstschutzes" führten. Judith Tralles' Aufsatz zu den "Fotokampagnen des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte Marburg während des Zweiten Weltkrieges" sei stellvertretend für diesen Aspekt genannt. Gerade die Schilderung der Entwicklungen im Kunstgeschichtlichen Seminar Marburg und der vielfältigen Tätigkeiten seines langjährigen Ordinarius Richard Hamann lässt allerdings - dieser Kritikpunkt sei erwähnt - ein Gesamtregister des Bandes vermissen. Um zu überprüfen ob Hamann eine "bekanntermaßen politisch linke Einstellung" (Michael H. Sprenger, S. 74) auszeichnete, oder ob er vielmehr, so Klaus Niehr in seinem Beitrag über Hamann als volksnahen Autor der "Geschichte der Kunst", eine "nachgerade atemberaubende Radikalisierung der Sprache und des Denkens" vollzog, "die auf eine Anpassung an den von der Politik vorgegebenen Kunstgeschmack" hindeute (S. 190) - muss man den gesamten Band durchlesen. Auch über zahlreiche weitere einflussreiche und weniger bedeutende Vertreter der deutschen Kunstgeschichte zwischen 1933 und 1945 finden sich Informationen nicht nur in den einzelnen Beiträgen, sondern vielfach in den reichhaltigen Anmerkungsapparaten, die mit einem Register schnell erschlossen werden könnten.

Aber was die Lektüre von "Kunstgeschichte im Nationalsozialismus" zusätzlich lohnend macht, ist, dass hier die Perspektive der universitären Lehre und Forschung erweitert wird durch den Blick auf die Arbeit jener Kunsthistoriker - und außerordentlich wenigen Kunsthistorikerinnen (vgl. dazu S. 206f. und S. 252f.) -, die in anderen Bereichen des ‚Betriebssystem Kunst' tätig waren: auf den abseits des nationalsozialistischen Kulturbetriebs lebenden Kunstschriftsteller Franz Roh etwa (Thomas Lersch), der sich mit dem offenbar vom Propagandaministerium in Auftrag gegebenen Buch über die "missverstandenen deutschen Genies" nach Kriegsende zur "Autorität in Fragen der zeitgenössischen deutschen Kunst" (S. 174) entwickelte. Oder auf den Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Ernst Buchner, der, wie Helena Pereña Sáez herausarbeitet, mit seiner Unterstützung von "Arisierungs"-Maßnahmen, der Gutachter- und Beratertätigkeit für Hitler wie mit seinem Einsatz bei der "Repatriierung" von Kunstwerken im Ausland ein prägnantes Beispiel für jenen Typus eines deutschen Kunsthistorikers im Museumsdienst darstellt, der mit Einfluss und Macht im Amt blieb - nach den Entlassungswellen der frühen 1930er-Jahre, aber auch nach dem Krieg: Von 1953 an nahm Buchner wieder jene Position ein, die er, nach 1945 als "Mitläufer" eingestuft, vorübergehend verloren hatte.

Diese bislang wenig bekannten Entwicklungen aufzuzeigen ist ein Verdienst des Ausstellungsbandes, der in dem, was er der Forschung an Neuem bietet und was er - auch in Hinblick auf das seit Herbst 2004 von der DFG geförderte Pilotprojekt zur "Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus" - an Künftigem anstoßen wird, mehr als "an der Zeit" war.

Anmerkungen:
1 Held, Jutta; Papenbrock, Martin (Hgg.), Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus (Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 5), Göttingen 2003, Vorwort.
2 Held, Jutta, Zur Historiografie der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, in: Held; Papenbrock (wie Anm. 1), S. 13.
3 Benz, Wolfgang, Hitlers Künstler. Zur Rolle der Propaganda im nationalsozialistischen Staat, in: Sarkowicz, Hans (Hg.), Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2004, S. 14-39, S. 16.
4 Siehe dazu die Ausstellungsankündigung: http://www.zikg.lrz-muenchen.de/main/2005/kuge/index.htm (20.06.2005).
5 Hausmann, Frank-Rutger, Rezension von Held; Papenbrock (wie Anm. 1), in: Informationsmittel (IFM). Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft (http://www.bsz-bw.de/rekla/show.php?mode=source&eid=IFB_04-1_177_177) (15.06.2005).
6 Dilly, Heinrich, Deutsche Kunsthistoriker 1933-1945, München 1988.
7 Vgl. z.B. Halbertsma, Marlite, Wilhelm Pinder und die deutsche Kunstgeschichte, Worms 1992; Blume, Eugen; Dieter Schulz (Hgg.), Überbrückt. Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler 1925-1937, Köln 1999.
8 Vgl. hier v.a. Michels, Karen, Transplantierte Kunstwissenschaft. Deutschsprachige Kunstgeschichte im amerikanischen Exil, Berlin 1999; Wendland, Ulrike, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, 2 Bde., München 1999.
9 Sachse, Carola, Visionen, Expertisen, Kooperationen. Forschen für das Dritte Reich. Beispiele aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, in: Hirschfeld, Gerhard; Jersak, Tobias (Hgg.), Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz, Frankfurt am Main 2004, S. 265.
[10] Germer, Stefan, Kunst der Nation. Zu einem Versuch, die Avantgarde zu nationalisieren, in: Brock, Bazon; Preiß, Achim (Hgg.), Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig, München 1990, S. 21-40.
11 Dröge, Franz; Müller, Michael, Die Macht der Schönheit. Avantgarde und Faschismus oder die Geburt der Massenkultur, Hamburg 1995.

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