Cover
Titel
Niccolo Machiavelli.


Autor(en)
Schröder, Peter
Reihe
Campus Einführungen
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Campus Verlag
Anzahl Seiten
164 S.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bee Yun, Berlin

Niccoló Machiavelli (1469-1527) ist einer der umstrittensten Figuren in der Geschichte der europäischen politischen Idee. In der Forschung herrscht über seine Werke immer noch weitgehend Uneinigkeit. Eine solche Uneinigkeit der Interpretation bereitet schon jedem Versuch, ein Einführungsbuch über ihn für die breite Leserschaft zu schreiben, große Schwierigkeiten. Die Hauptquelle der Uneinigkeit ist die Tatsache, dass Machiavelli in seinen schriftstellerischen Tätigkeiten zwei entgegengesetzte politische Ziele zu vertreten scheint, einmal die an den Absolutismus erinnernde Machtpolitik in ‚Il Principe’, einmal den an der bürgerlichen Freiheit orientierten Republikanismus in den ‚Discorsi’. Fast alle wichtigen Beiträge haben sich der Aufklärung dieses Widerspruches gewidmet. Es versteht sich also von selbst, dass sich Peter Schröder, Lecturer am University College of London, in seinem neuen Einführungsband zu Machiavelli bald nach einer kompakten Darstellung der Biografie Machiavellis im zweiten Kapitel mit dieser Frage auseinandersetzt.

Der gesamten Politikauffassung Machiavellis unterliegt nach Schröder ein pessimistisches Menschenbild, nach dem die guten Menschen der List des Bösen häufig zum Opfer fallen (S. 43). In einer solchen Welt komme man lediglich mit der christlichen Handlungsethik nicht aus. Die potenzielle Bosheit des Menschen sei ein destabilisierender Faktor für den Staat und müsse deswegen durch Institutionen und Gesetze geregelt und kanalisiert werden. Solche Institutionen und Gesetze könne die republikanische Staatsverfassung am besten anbieten, die auf der institutionell geregelten Grundlage den Bürgern Schutz und Freiheit gewähre (S. 63f.). Gehorsamkeit gegenüber den Regelungen sei jedoch in der Anfangsphase der Staatsgründung von den Menschen kaum zu erwarten, müsse vielmehr erst im Lauf der Zeit durch Erziehung erworben werden (S. 60). Deswegen lasse Machiavelli die Aufgabe der Staatsgründung erstmal dem uomo virtuoso, dem Begabten, zukommen, der zugleich als Gesetzgeber notfalls durch Zwangsmittel dem Egoismus Einhalt gebieten könne (S. 60ff.). Eine solche Alleinherrschaft sei nach Ansicht Machiavellis jedoch im Hinblick auf ihre Stabilität und Dauer deutlich begrenzt. Alleinherrschaft bedeute für ihn nicht mehr als ein Mittel, die republikanische Staatsverfassung zustande zu bringen. Machiavelli sei also ein Republikanist neuen Typs, der primär auf die Überzeugung gestützt sei, dass „das oberste Ziel einer jeden Herrschaft oder eines jeden Staates in der Befriedung des Landes und der Stabilität der politischen Verhältnisse zu sehen sei“ (S. 50). Machiavellis Republikanismus, wie ihn Schröder versteht, ist also hauptsächlich pragmatisch.

Offensichtlich legt Schröder seiner Argumentation das Renaissancebild Burckhardtscher Prägung zugrunde. Burckhardt zufolge bedeutete die Politik für die Menschen der Renaissance den Kampf ums Dasein und die Macht. Burckhardt hat diese egoistische Politikkonzeption der Renaissance im Sinne der Entdeckung der objektiven Welt und Tatsache dargestellt. Schröder folgt ihm, wenn er Machiavelli anpreist: „[M]an wird aber wohl sagen müssen, dass die Analyse politischen Handelns erst mit Machiavelli die Tatsache berücksichtigt, dass Moral und Politik nur selten zur Deckung zu bringen sind. Das Verdienst seiner Ratschläge besteht im unverblümten Aufdecken des Widerspruches von Moral und Politik.“ (S. 58f.) Die Wahrheit der Politik sei nach Burckhardt und Schröder also immer da gewesen und hätte nur darauf gewartet, endgültig von jemandem ‚aufgedeckt’ zu werden wie das physische Gesetzt der Schwerkraft.

Diese Haltung hypostasiert aber die Machtpolitik als unhintergehbar. Damit werden andere Politikauffassungen als reine realitätsfremde Spekulation und Utopismus verdammt, wie daran ersichtlich ist, dass Burckhardt selbst die moraltheoretisch orientierte Haltung der mittelalterlichen Menschen als wahnsinnig und von Fantasien besessen verdammte. Die Einseitigkeit dieser Auffassung ist offenkundig. Auf diese Weise wird Machiavelli vom gesamten ideengeschichtlichen Umbruch des Spätmittelalters abgeschottet und die ‚Neuheiten’ seines Gedankens auf seine rein ‚tatsachenorientierte’ geistige Begabung oder auf die ‚säkularisierte’ Mentalität der Bourgeoisie der Renaissance zurückgeführt. Zahlreiche Machiavelli-Forschungen sind Burckhardt gefolgt. Nun wiederholt Schröder dieses zählebige Klischee einmal mehr, das unter den Renaissanceforschern seit langem in Zweifel gezogen worden ist.

Ein anderes Problem der Machiavelli-Interpretation Schröders ist der verfassungstheoretische Anachronismus, der schon bei Hans Barons Bürgerhumanismusthese zu finden ist. Er fasst den Ausgangspunkt des Republikanismus Machiavellis folgendermaßen zusammen: „Es zeichnet eine Republik aus, dass die Ausübung der Staatsgewalt durch Gesetz und Institution verlässlich geordnet ist und nicht der Willkür eines Fürsten unterliegt.“ (S. 64) So scheint Schröder zu glauben, dass Machiavelli die Fürstenherrschaft und die Republik im Sinne des Gegensatzes zwischen Herrschaft der Willkür und Herrschaft der Regel verstanden habe.

Diese Interpretation ist aber fraglich, weil zwar die Fürstenherrschaft in den politischen Traktaten und Fürstenspiegeln vom 13. bis 16. Jahrhundert als Herrschaft nach dem Königswillen, aber nicht nach der Königswillkür verstanden worden ist. Ein wertender Vorwurf gegenüber der Fürstenherrschaft als Willkürherrschaft, ist meines Wissens meistens von den Gegnern der Monarchie in ihrem Kampf gegen den Absolutismus instrumentalisiert und dadurch in die politische Sprache eingebürgt worden. Sicher waren die Bürger der freien Stadtrepublik stolz auf ihre freie Verfassung und besaßen ein Überlegenheitsgefühl gegenüber der ‚unfreien’ Fürstenherrschaft. Einmal während des Krieges gegen das monarchische Mailand haben der Stolz und das Überlegenheitsgefühl bei Bruni die akute Formulierung erhalten, jede Monarchie sei wesentlich Tyrannei. Dies war aber eher ein Ausnahmefall. Durch das Spätmittelalter und die Renaissance hindurch herrschte überwiegend ein Verfassungsrelativismus. Jede Gesellschaft habe eine für sie geeignete Verfassungsform. Wie zahlreiche Traktate der florentinischen Humanisten belegen, ist dieser Relativismus von den Bürgern der freien Republik weit bestätigt worden. Also galt die Fürstenherrschaft als eine auf das Gemeinwohl orientierte legitime politische Institutionsform. Machiavelli machte hier keine Ausnahme. Es wird daran deutlich, dass Machiavelli in ‚Il Principe’ die Fürstenherrschaft von der Herrschaft des Tyrannen unmissverständlich unterscheidet.

So wird etwa die folgende Bemerkung Schröders nicht mehr selbstverständlich: „[D]er Staat, so betont Machiavelli wiederholt, sei nicht für den Herrscher da, sondern einzig und allein, um den Bürgern Schutz und Freiheit zu gewähren.“ (S. 63) Die Betonung des Schutzes des Bürgers war für die Theoretiker der Politik des Spätmittelalters und der Renaissance keine nur für die Republik reservierte Aufgabe, hatte also mit einer bestimmten Verfassungstheorie nichts zu tun. Ferner ist es fraglich, ob Machiavelli tatsächlich die Gewährung der Freiheit als Hauptaufgabe jedes Staates angesehen und damit die Monarchie von vornherein aus der Kategorie des guten Staates ausgeschlossen hat. So hätten die republikanischen Kämpfer der späteren Zeit gedacht, aber nicht Machiavelli. Die folgende Stelle aus dem 9. Kapitel des ersten Buches der ‚Discorsi’, die Schröder selbst zitiert, beweist dies: „Nie wird ein kluger Kopf einen Mann wegen einer außergewöhnlichen Handlung tadeln, die er begangen hat um ein Reich oder einen Freistaat zu konstituieren.“ (S. 62) Diese Stelle zeigt nun, dass Machiavelli prinzipiell die Herstellung der Monarchie als ein legitimes politisches Ziel angesehen hat. Damit wird auch Schröders Argument fraglich, dass Machiavelli dem Fürsten allein die Rolle eines Anführers der republikanischen Staatsverfassung zuerkennen wollte.

In der Machiavelli-Forschung haben zwei Forschungsstränge konkurriert. Der eine betont an Machiavelli (vor allem in ‚Il Principe’) den Politikrealisten, der, von allen ideologischen Bindungen frei, auf die Erhaltung und Erweiterung der Macht bedacht war.1 Für den anderen besitzt Machiavelli (zumindest in den ‚Discorsi’) in der europäischen Ideengeschichte seine primäre Bedeutung als Vermittler des antiken Republikanismus in die Neuzeit.2 Ich glaube, dass Schröder in seinem Einführungsband den ambitiösen Versuch unternommen hat, aus diesen zwei Strängen eine eigene Synthese herzustellen. Dieser Versuch scheint mir aber nicht gut gelungen zu sein, denn in seiner Darstellung finden sich die Grundprobleme der jeweiligen Stränge wieder. Es fehlt nicht an glänzenden Ideen wie etwa in der aufschlussreichen Diskussion über Machiavellis Sicht des Problems der bürgerlichen Zwietracht (S. 66ff.). Solche Juwelen werden aber von manchen Problemen verdunkelt, von denen hier zwei angesprochen wurden.

Anmerkungen:
1 Vor allem Meinecke, Friedrich, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München 1960; Münkler, Herfried, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt am Main 1982.
2 Baron, Hans, Machiavelli. The Republican Citizen and the Author of „The Prince,“ in: The English Historical Review 76 (1961), S. 217-253; Skinner, Quentin, The Foundation of Modern Political Thought, Bd. 1, Cambridge 1978; Ders., Machiavelli, Oxford, 1981; Pocock, J.G.A., The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton 1975.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension