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Titel
Martin Walser. Eine Biographie


Autor(en)
Magenau, Jörg
Erschienen
Reinbek 2005: Rowohlt Verlag
Anzahl Seiten
624 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Lorenz, Fachbereich Kulturwissenschaften, Universität Lüneburg

Seit Martin Walser sich mit literarischen Texten politisch-moralische Anschuldigungen wie den Antisemitismusvorwurf zugezogen hat, hat die Auseinandersetzung mit seiner Person und seinem Werk auch für Nichtphilologen an Relevanz gewonnen. So ist das Erscheinen einer Biografie über den polarisierenden Schriftsteller ein Ereignis, von dem man sich Aufschlüsse über die von Walser provozierten Debatten um die deutsche Vergangenheit versprechen darf.

Jörg Magenau (Literaturkritiker bei „FAZ“ und „taz“) hat im Rowohlt-Verlag ein gewichtiges Buch vorgelegt, das angesichts des medial weidlich zelebrierten Verlagswechsels Walsers von Suhrkamp zu Rowohlt wie ein Willkommensgeschenk für den Porträtierten anmutet. Magenau berichtet in klassischer Manier über die Kindheit im Bodenseeidyll, die Jugend im Nationalsozialismus, Studium und Promotion, Theaterversuche und Rundfunkarbeit, Schriftstellergenese und die daran anschließenden Werkphasen bis 2004. Seine Darstellung stützt sich auf eine Vielzahl von Quellen, darunter zum Teil unpublizierte Briefwechsel Walsers mit der intellektuellen Elite der Bundesrepublik. Während Literaturkritik und Interviews in durchaus repräsentativer Breite aufgearbeitet werden, findet die germanistische Forschung nur wenig Berücksichtigung. Dankenswerterweise belegt Magenau trotz des dezidiert nichtwissenschaftlichen Charakters seines Buches sämtliche Zitate und Quellen. In Kombination mit dem Namensregister leistet sein Werk somit auch für tiefergehende Studien zu Walsers Schaffen und dessen Rezeption einen wichtigen Beitrag.

Der Gattung gemäß würdigt der Biograf weniger einzelne Texte. Vielmehr verzeichnet er Lebensstationen, Personenkonstellationen und Anekdoten. Einzelne Begebenheiten füllen jedoch kein Buch; die Ausbreitung von Walsers nur für Insider interessanten Auseinandersetzungen mit seinem Verlag verweist auf ein grundsätzliches Problem des ganzen Unterfangens: Der Lebensweg Walsers ist weitaus weniger aufregend als seine Texte. Eine zweite Einschränkung erfährt Magenaus Buch durch den Umstand, dass er über eine noch lebende Person schreibt: Um Einblicke in private Korrespondenzen zu erhalten, muss er die Nähe zum Objekt seiner Darstellung suchen und dafür gewisse Rücksichten walten lassen. Seine Kritik am vielleicht umstrittensten deutschen Gegenwartsautor beschränkt sich daher auf Dinge, die kaum zu leugnen sind, etwa misslungene und mittlerweile vergessene Nebenwerke oder öffentlich gewordene Entgleisungen wie im Gespräch mit Ignatz Bubis Ende 1998. Bei allen Debatten, in die Walser verwickelt war, bezieht Magenau nachträglich treu Position für den Schriftsteller.

So werden die Proteste von Holocaust-Überlebenden wie Romani Rose, Ignatz Bubis und Marcel Reich-Ranicki gegen Werke Walsers, denen sie einseitig-pejorative Klischeebildung vorwarfen, stets zugunsten des Autors kommentiert. Heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist die Auseinandersetzung um den von Walser und Asta Scheib verfassten Tatort „Armer Nanosh“ (1989), der – wie mittlerweile bestens dokumentiert ist – manifest antiziganistische Stereotype transportiert.1 Magenau fällt hierzu lediglich ein, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, habe gegen den Film protestiert, weil man die Vergangenheit nicht im Krimigenre aufarbeiten könne. Dies ist allerdings angesichts der schon damals vorgebrachten Argumente weniger als die halbe Wahrheit. Den Konflikt mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden ein Jahrzehnt später verzerrt Magenau noch drastischer: Bubis habe wie „ein Priester“ in einer Art „Religionsstreit“ nur eine einzige Weise des Umgangs mit der deutschen Vergangenheit – „das bloße Ritual“ – zugelassen und den davon abweichenden Walser „zum Ketzer“ gemacht (S. 491f., 498). Gerade in jenem Gespräch zwischen Walser und Bubis, auf das Magenau sich bezieht, ist jedoch überdeutlich, dass dies nicht Bubis’ Position war.2 Was den Reich-Ranicki parodierenden Roman „Tod eines Kritikers“ angeht, hält sich Magenau an die Naivität suggerierenden Selbstdeutungen Walsers. Warum er „Tod eines Kritikers“ als „Walsers dringlichstes, notwendigstes Buch“ bezeichnet (S. 535), obwohl er zugesteht, dass das Literarische hier hinter der Selbsttherapie eines Gekränkten zurücktrete (S. 528), bleibt ebenso fragwürdig wie der Umstand, dass Magenau dieses Werk ausgerechnet unter die Kapitelüberschrift „Liebeserklärungen“ stellt. Den Antisemitismusvorwurf findet Magenau hysterisch: „Aus der sexuellen Prüderie der Adenauer-Zeit ist eine Prüderie des Gedenkens geworden.“ (S. 534) Damit reiht er sich in den Chor jener Verteidiger Walsers ein, die an der Revision der Antisemitismusdebatte des Jahres 2002 arbeiten.3

Es sind diese einseitigen Parteinahmen Magenaus, die die Seriosität seiner Darstellung ohne Not untergraben. Im Politischen gibt er sich wie sein Protagonist harmlos, etwa wenn die euphorische Besprechung eines nationalapologetischen Buches von Hans Rothfels durch den jungen Rundfunkredakteur Walser (1951) referiert wird: Magenau nimmt diese frühe Stellungnahme zur NS-Vergangenheit lediglich als Beleg dafür, dass Walser sich schon immer von „Persönlichkeiten angezogen“ gefühlt habe, „die Deutsches und Jüdisches gleichermaßen repräsentieren“ (S. 72) – ohne wahrzunehmen, welche Rolle Rothfels nach seiner Remigration für den deutschen Entlastungsdiskurs gespielt hat.4 Auch dürfte man in einem Abriss von Intellektuellendebatten mehr Bewusstsein für das Problematische an den Thesen Ernst Noltes (S. 414), an der vereinnahmenden Rezeption Victor Klemperers (S. 461f.) oder an der auf Exkulpation angelegten Verwendung der Chiffre Versailles (S. 523) erwarten. Und zeugen Jürgen Möllemanns Beiträge zur Antisemitismusdebatte wirklich nur von einer „proarabischen Haltung“ (S. 531)? Statt eine vertiefende Reflexion der Streitformen und -inhalte zu leisten, laviert Magenau: Er gibt sich demonstrativ schlichtend, blendet aber Kontexte aus und übergeht so allzu oft die eigentliche Problemlage.

Diese Biografie ist gleichwohl keineswegs nutzlos, bietet sie doch vor allem zu Walsers Anfängen einiges, auch bislang unbekanntes Material – ein Desiderat der Walser-Philologie. Ein weiteres Verdienst Magenaus ist es, der verkürzenden Links-Rechts-Zuordnung Walsers die plausible These einer Werkkontinuität entgegenzustellen. Die Entwicklung des Schriftstellers war weniger schwankend als gemeinhin angenommen, und die Aussagen, die Magenau darüber macht, erscheinen dem Beobachter des von Walser kultivierten Hin und Her von Öffentlichkeitssucht und Rückzugswunsch durchaus plausibel – es handelt sich dabei um ein und dieselbe Bewegung, nicht um Positionswechsel. Und ebenfalls richtig ist der Hinweis auf die zahlreichen autobiografischen Züge seiner Romane. Auch über ihren Nutzen für die Walser-Philologie hinaus erweist sich die Biografie als wertvolle Dokumentation, wird doch der bundesrepublikanische Kulturbetrieb mit seinen Akteuren, Beziehungsgeflechten und Skandalen vom Ende der 1950er-Jahre an bis heute geschildert. Dass Magenau sich dabei häufig Sprachgestus und Perspektive Walsers zueigen macht (etwa das Phantasma eines „religiös strukturierten Intellektuellentum[s]“, S. 436), führt mitunter zur Mythenbildung. So gelangt er zu der mit Walsers Verlautbarungen deckungsgleichen Aussage, dass der Schriftsteller gegen die „zunehmende Normiertheit im Umgang mit der NS-Vergangenheit“ ankämpfe (S. 476) – wobei doch alle Einlassungen Walsers aus den letzten Jahren darauf hinweisen, dass dieser sich vielmehr daran stört, dass Vergangenheit und Erinnerung überhaupt diskursiv ausgehandelt werden. Dass seine eigenen Beiträge im Endeffekt daran mitarbeiten, gehört zum Paradoxon Walser.

Anmerkungen:
1 Vgl. Margalit, Gilad, On Ethnic Essence and the Notion of German Victimization. Martin Walser and Asta Scheib’s „Armer Nanosh“ and the Jew within the Gypsy, in: German Politics and Society 20,3 (2002), S. 15-39.
2 Vgl. Wir brauchen eine neue Sprache für die Erinnerung. Das Treffen von Ignatz Bubis und Martin Walser, in: Schirrmacher, Frank (Hg.), Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt am Main 1999, S. 438-465.
3 Henscheid, Eckhard et al., Der Streit um Martin Walser, Berlin 2002; Borchmeyer, Dieter; Kiesel, Helmuth (Hgg.), Der Ernstfall. Martin Walsers „Tod eines Kritikers“, Hamburg 2003.
4 Rothfels, Hans, Die deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung, Krefeld 1949; vgl. hierzu kritisch: Berg, Nicolas, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003, S. 143-192.

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