W. Müller u.a. (Hgg.): Das historische Jubiläum

Cover
Titel
Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus


Herausgeber
Müller, Winfried; Flügel, Wolfgang; Loosen, Iris; Rosseaux, Ulrich
Reihe
Geschichte: Forschung und Wissenschaft 3
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
389 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Mitterauer, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Aus Anlass von Jubiläen ist die Geschichtswissenschaft nach wie vor sehr gefragt – in den letzten Jahren vielleicht sogar noch stärker als früher. Für HistorikerInnen ergibt sich so ein weites Betätigungsfeld. Das mag ein Grund dafür sein, dass der Kontext solcher Aktivitäten innerhalb des Faches wenig reflektiert wird. Es ist ein erstaunliches Phänomen: Beim Feiern von Geschichte ist man immer wieder dabei, doch die Geschichte des Geschichte-Feierns wird nur selten zum Thema historischer Reflexion gemacht. Ein solcher Zugang kann aber wichtige Anstöße zur Selbstaufklärung innerhalb des Faches leisten: In welcher Weise hat sich Geschichtswissenschaft in der Vergangenheit bei Jubiläen in Dienst nehmen lassen? In welcher Weise geschieht das noch heute? Eine Geschichte der Jubiläumskultur enthält viel an kritischem Potenzial.

Der von Winfried Müller in Verbindung mit Wolfgang Flügel, Iris Loosen und Ulrich Rosseaux herausgegebene Sammelband „Das historische Jubiläum“ leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, das Defizit an Beschäftigung mit historischen Jubiläen abzubauen. Der Band ist aus dem Dresdener Sonderforschungsbereich „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ hervorgegangen 1 und basiert auf Referaten eines 2001 abgehaltenen Workshops. Müllers einleitender Beitrag („Das historische Jubiläum. Zur Geschichtlichkeit einer Zeitkonstruktion“) bietet einen Längsschnitt vom alttestamentlichen Jobeljahr über das Heilige Jahr der Päpste hin zum neuzeitlichen Jubiläum, das in seiner Entwicklung bis zur Gegenwart verfolgt wird. Ein solcher Gesamtüberblick in der Langzeitentwicklung erscheint notwendig, um Traditionsstränge zu erfassen, die beim Feiern von Geschichte bis heute nachwirken. Eine derart epochenübergreifende Darstellung muss sich notwendig weitgehend auf Literatur stützen; in einigen Bereichen kommen eigene Spezialstudien des Verfassers hinzu. Die wesentliche Leistung liegt jedoch in der Zusammenschau und Interpretation der großen Entwicklungslinien.

Die sonstigen Studien des Sammelbandes sind stärker spezialisiert und thematisch breit gestreut. Ein Schwerpunkt liegt auf den Reformationsjubiläen, die für die Entstehung und Entwicklung der neuzeitlichen Jubiläumskultur besonders wichtig waren. Unterschiedliche Erscheinungsformen protestantischer und katholischer Traditionsstränge kommen immer wieder zur Sprache – mit den Begriffen „Erinnerungsjubiläen“ und „Ablassjubiläen“ werden sie pointiert erfasst. Die Beiträge des Sammelbandes behandeln nicht nur Jubiläumsfeiern von konfessionellen und staatlichen Großgruppen, sondern auch solche in lokalem, betrieblichem und familiärem Rahmen. Ein wichtiges methodisches Prinzip, das sich in mehreren Studien findet, ist die Analyse von „Jubiläumsketten“, d.h. von Feiern des gleichen Anlasses in unterschiedlichem zeitlichem Abstand. Auf dieser Grundlage sind interessante diachrone Vergleiche möglich.

Der Sammelband bietet vielfältige Anregungen für weitere Studien zur Geschichte historischer Jubiläen. Auf drei Richtungen möglicher Fortsetzung sei besonders verwiesen. Eine erste Erweiterungsmöglichkeit wäre die Untersuchung von periodisch in größeren Abständen abgehaltenen Gedenkfeiern in Verbindung mit jährlich wiederholten, also die Verbindung von Jubiläum und Anniversarium. Mehrere Beiträge des Sammelbandes zeigen deutlich, dass die eine Form des Geschichte-Feierns ohne die andere nicht verständlich ist – etwa die Aufsätze von Hannes Stekl („Öffentliche Gedenktage und Jubiläen in Zentraleuropa im 19. und 20. Jahrhundert“) und Simone Dannenfeld („Die Institutionalisierung des Sedantages“). Gerade um die Anfänge historischer Jubiläumskultur zu erhellen – ein besonderes Anliegen des Herausgebers –, wird die stärkere Berücksichtigung des jährlichen Gedenkens notwendig sein.

Eine zweite Erweiterungsmöglichkeit des Untersuchungsfelds betrifft die räumliche Basis. Die Beiträge des Sammelbandes beschränken sich im Wesentlichen auf den deutschsprachigen Raum. Nur vereinzelt – etwa in der erwähnten Studie über zentraleuropäische Gedenktage – wird dieser Rahmen überschritten. Wenn man bedenkt, dass schon 1421 in Venedig eine Jahrtausendfeier der Stadt diskutiert wurde, so zeigt sich, dass es außerhalb des Untersuchungsraumes weiter zurückreichende Wurzeln gibt. Für die Suche nach den Anfängen der Jubiläumskultur wäre eine räumliche Ausweitung wichtig. Zudem ließe sich eine überregional vergleichende Sicht bis in die jüngste Vergangenheit und Gegenwart mit Gewinn anwenden. Auf S. 65 findet sich ein kurzer Hinweis auf die Instrumentalisierung des Amselfeld-Jubiläums von 1989 durch Slobodan Milošević, zu der es übrigens inzwischen aufschlussreiche Literatur serbischer Historiker gibt. Eine ähnliche Politisierung durch den Rückgriff auf 600 Jahre entfernte Vergangenheit wäre in anderen Regionen Europas wohl schwer möglich gewesen. Wir müssen in Europa und darüber hinaus offenbar bis heute mit sehr unterschiedlichen Formen der Gestaltung und Wirkkraft historischer Gedenktage rechnen. Die inzwischen weltweite Bedeutsamkeit des Feierns von Geschichte aus Anlass von Jubiläen in ihren Übereinstimmungen und Unterschieden ließe sich etwa an den Diskussionen im Vorfeld des Columbus-Jahrs 1992 gut illustrieren.

Das führt zum dritten Aspekt einer möglichen Erweiterung von Jubiläumsstudien, nämlich einer verstärkten Wirkungsgeschichte. Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart zeigen, dass das Feiern von Geschichte aus Anlass von Jubiläen keineswegs immer eine harmlose Angelegenheit ist. Um uns bewusstzumachen, was Geschichte-Feiern bewirken kann, ist eine Geschichte des Geschichte-Feierns von eminenter Bedeutung. Der vorgelegte Sammelband bietet viele Ansatzpunkte, in diese Richtung weiterzudenken.

Anmerkung:
1 <http://rcswww.urz.tu-dresden.de/~sfb537>

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