M. Fröhlich: Geschichte Großbritanniens von 1500 bis heute

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Titel
Geschichte Großbritanniens. Von 1500 bis heute


Autor(en)
Fröhlich, Michael
Erschienen
Darmstadt 2004: Primus Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Maurer, Bereich Volkskunde/Kulturgeschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die Geschichte einer der europäischen Nationen zu schreiben, wurde früher als eine große, wichtige und anspruchsvolle Aufgabe angesehen: keineswegs nur dann, wenn es um die Identität der eigenen ging, sondern auch um das Verständnis der Nachbarn. Als Kurt Kluxen in den 1960er-Jahren eine Darstellung der englischen Geschichte vorgelegt hatte, mit der seither Generationen von Studenten groß geworden sind, bestand kein Zweifel, dass hier ein fachlich ausgewiesener Kenner (insbesondere der Verfassungsgeschichte und der Geschichte der politischen Ideen) am Werke war, der aus der Fülle seines Wissens schöpfen konnte und in einer erzählenden Geschichtsdarstellung von etwa 800 Seiten eine Einführung mit perspektivierenden und weiterführenden Ausführungen zu verbinden vermochte.1 Peter Wende hat dem in den 1980er-Jahren eine stärker auswählende, unter sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten strukturierende Überblicksdarstellung in den Dimensionen von 300 Seiten zur Seite gestellt 2, die bereits auf eine Studentengeneration zugeschnitten war, welcher man ausufernde Erzählungen, vor allem wo es um politische und militärische Ereigniszusammenhänge ging, nicht mehr zumuten wollte. Hans-Christoph Schröder hat diese Linie in den 1990er-Jahren fortgeführt mit einer essayartigen 100-Seiten-Übersicht 3: Probleme und Dimensionen sollten angesprochen werden; an eine umfassende Vermittlung von Geschichtsdaten und -fakten war in diesem Format nicht zu denken. Michael Fröhlich nun scheint, im 200-Seiten-Format, eine Zwischenlösung gesucht zu haben: Nicht zu erschreckend dick für Studierende, aber doch auch Fakten vermittelnd.

Die kritische Lektüre des Werkes führt jedoch zu dem Ergebnis, dass das neueste in diesem Felde mit den genannten Werken überhaupt nicht verglichen werden kann. Zwar scheint es zunächst, durch eine Stammtafel, Quellenauszüge, Abbildungen, Datenlisten und Literaturangaben, sogar mit Anmerkungen, eine wissenschaftliche Darstellung zu sein. Genauere Besichtigung ergibt jedoch, dass es sich um einen stilistisch missratenen, in den Proportionen verfehlten, im Faktischen unzuverlässigen und offensichtlich unlektorierten Druck handelt.

Ein Problem jeder Darstellung der Geschichte Englands oder Großbritanniens, wo man sie nämlich beginnen solle, ist hier weder reflektiert noch bewältigt: Müsste man nicht, wenn nicht in grauer Vorzeit oder im Altertum, zumindest mit dem Mittelalter beginnen? Lässt sich das Parlament verstehen, die Monarchie, die soziale Verfassung des Landes, wenn man nicht zumindest auf die Grundlagen hinweist? Hier dagegen ist erst im Zusammenhang mit der amerikanischen Revolution von der Magna Carta Libertatum die Rede, ohne dass man an früherer Stelle in diesem Buch schon einmal etwas darüber gefunden hätte. Dies nur als ein Beispiel für viele, um die unkoordinierte Informationsdarbietung zu belegen, welche sich durch das ganze Buch zieht. (Auf S. 112 fließen im Zusammenhang der Verfassungsreformen von 1832 erstmals ohne Erläuterung „Peerschub“ und „Vierzig-Schilling-Freisassen“ ein.)

Die Gewichtung der Epochen ist offensichtlich verfehlt: Hier wird dem Anspruch nach die ganze Neuzeit behandelt, in Wirklichkeit beginnt die (einigermaßen) fortlaufende Darstellung aber erst mit den Kapiteln über die amerikanische Unabhängigkeit und über die industrielle Revolution. Davor steht eine dilettantische Blütenlese unkoordinierter Einzelsätze, die nicht dem Anspruch genügt, welchen man an irgendeine britische Geschichte stellen muss. Die englische Nation als protestantische (nebst den damit verbundenen Problemen) muss unverstanden bleiben, weil die Reformationsgeschichte nicht angemessen behandelt wird. Die entscheidenden Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts – ob nun ‚Bürgerkrieg’ oder ‚Revolution’ – können nicht zur Grundlage eines Verständnisses werden, weil sich dazu nur unkoordinierte Einzelaussagen finden. („Die Intervention der Armee machte den Bürgerkrieg zu einer Revolution“, S. 33). Kurz: Fragen der Proportionierung des Stoffes und eines verständlichen Zusammenhanges der Inhalte sind hier so gröblich missachtet, dass sich ein weiteres Eingehen auf Einzelheiten der Interpretation erübrigt.

Ein Vorwurf, den man diesem Buch nicht machen kann: es enthalte nur politische und Sozialgeschichte. Vielmehr findet man hier Fakten aus unterschiedlichsten Bereichen: von der Wirtschaft bis zur Kultur. Allerdings ohne nachvollziehbare Auswahl: Wozu ganze Sätze über poetae minores, wenn Shakespeare in zwei Nebenbemerkungen (S. 25, 55) indirekt abgetan wird? In der Darstellung des 20. Jahrhunderts sind kulturgeschichtliche Ansprüche völlig verdunstet.

Das Werk enthält drei Quellenauszüge, die grau unterlegt hervorgehoben sind. Man könnte es unter Kennern als interessante Quizfrage ausloben, welche drei Quellen zur Geschichte Großbritanniens wohl unverzichtbar wären. Auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1776, eine Notiz aus dem Kriegstagebuch von Franz Halder aus dem Jahre 1940 über Hitlers Absichten und eine Aufzeichnung des Legationsrates Heinz Voigt über de Gaulles Ablehnung des britischen Beitritts zur EWG von 1963 würde wohl kaum einer verfallen!

Fragen des Stils zu diskutieren, erscheint überflüssig, wo eine solche Maßstablosigkeit waltet wie im vorliegenden Fall. Die Aneinanderreihung schlichter Hauptsätze, so mochte es anfangs scheinen, sei möglicherweise ein didaktisches Mittel oder einem absichtlichen Stilwillen des Autors zu verdanken. Stilblüten aus dem Lehrbuch journalistischer Entgleisungen rufen Heiterkeit hervor: „Sie erfreuten sich höherer Löhne, doch mussten sie auch manchen Absatzschwierigkeiten ins Auge blicken, die zur Arbeitslosigkeit führten“; „Auch neue Energien traten an, um ‚King Coal’ in den Ruhestand zu schicken“ (S. 105); „In der Vergangenheit gab es nur wenige, die am Einband der Bibel kratzten“ (S. 119); „Der ‚National Observer’ erhielt viel Aufmerksamkeit, hinter den Zeilen stand William Earnest Henley“ (S. 126); „Rußlands ausschweifender Blick reichte, um Misstrauen auszulösen“ (S. 129); „Der Immigration Act von 1971 schlug in dieselbe Kerbe“ (S. 192). Es bleibt nur das Fazit, dass hier offensichtlich gar nicht erkannt wurde, dass zu einer solchen Übersichtsdarstellung überhaupt ein bestimmter Stil gehört, wenn sie nicht ungenießbar bleiben soll. Vom gedanklichen Differenzierungsverlust im Hauptsatz-Primitiv-Deutsch ganz abgesehen: „1642 begann der Bürgerkrieg. Niemand hatte ihn gewollt. Für alle Beteiligten waren die Gefahren des Krieges groß.“ (S. 32)

Vieles klingt, wie aus englischen Büchern unzureichend übersetzt (beispielsweise willkürlich wechselnd „Ottomanisches Reich“ und „Osmanisches Reich“, S. 127f. u.ö.; „Soziale und moralische Tabus waren schwer zu orten“, S. 126; „Dreizehn weitere [Romane] folgten, bis er die Prosa zugunsten der Dichtung eintauschte“, S. 125; „Macaulay erstaunte immer wieder mit seiner stupenden Gedächtnisleistung“, S. 118; „Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts teilte viel mit dem ersten des zwanzigsten“, S. 145). Oft genug hat Fröhlich englische Ausdrücke und Sätze gleich unübersetzt stehenlassen („In den ‚provinces’ wandten sich die Chartisten gegen das neue ‚poor law’“; „Peel war Tory und fühlte sich in Erinnerung an seine Kindheit der ‚Lancashire cotton industry’ verbunden“, „er vereinfachte die ‚tariff trade restriction’, 1842 verband sich mit seinem Namen die Einführung der ‚income tax’“; „Die Frage der ‚public health’ wurde immer wichtiger“; „1833 willigte die Regierung ein, freiwillige Organisationen zu unterstützen, die sich der ‚primary education’ widmeten […]. Der Arzt James Phillips Kay wurde Sekretär des ‚Committee of Council on Education’ […]. Kay ging es darum, der ‘working class’ ein Bewußtsein für Disziplin mitzugeben“; alle genannten Beispiele S. 115f.).

Die Anzahl faktischer Fehler ist so beträchtlich, dass das Buch auch für einfachste Bedürfnisse des Nachschlagens nicht in Frage kommt („+1536“ für Heinrich VIII. in der von Ploetz übernommenen Stammtafel, S. 203; „Sartor Resartus“ erscheint als Werk von Dickens, S. 123; „Die Romane wurden für Männer geschrieben“, S. 123; „In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lag die Bevölkerung fast konstant bei sieben Millionen“, S. 48; „Es war selten, dass die englischen Könige in Frieden und Eintracht ihren Thron bestiegen“, S. 47; „Es scheint, als ob der König das Opfer einer ungünstigen Stimmung war, die Cromwell erfaßt hatte. Cromwell dachte selten in großen Schachzügen.“, S. 36).

Man könnte heroisch schließen, dass sich hier jemand eine große Aufgabe vorgenommen habe und daran gescheitert sei – wenn sich irgendwo im Buch Hinweise darauf fänden, dass dem Autor seine Aufgabe überhaupt als solche deutlich geworden wäre.

Anmerkungen:
1 Kluxen, Kurt, Geschichte Englands. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1991.
2 Wende, Peter, Geschichte Englands, Stuttgart 1995.
3 Schröder, Hans-Christoph, Englische Geschichte, München 1995.

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