S. Linscheid-Burdich: Suger von Saint-Denis

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Titel
Suger von Saint-Denis. Untersuchungen zu seinen Schriften Ordinatio - De Consecratione - De Administratione


Autor(en)
Linscheid-Burdich, Susanne
Reihe
Beiträge zur Altertumskunde 200
Erschienen
München 2004: K.G. Saur
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
€ 85,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Führer, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die anzuzeigende Studie wurde im Wintersemester 2003/2003 von der Philosophischen Fakultät der Universität Köln als Dissertation angenommen. Die textliche Grundlage wurde vor einigen Jahren durch die Neuedition der behandelten Schriften des Abtes Suger von Saint-Denis (1081-1151) gelegt 1, so dass eine ergänzende Studie zur Latinität und Arbeitsweise des Autors als Desiderat gelten konnte. Eine Reihe von Punkten in der nun erschienenen Untersuchung erscheint jedoch methodisch und formal höchst problematisch.

Susanne Linscheid-Burdich befasst sich in neun Kapiteln mit so unterschiedlichen Aspekten wie der Bedeutung der Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita für Sugers Schriften (Kapitel 1), Sugers Verhältnis zu seinen Zeitgenossen Petrus Venerabilis, Bernhard von Clairvaux und Petrus Abaelardus (Kapitel 6) und den biblischen Bezügen in den untersuchten Werken (Kapitel 9). Diese Gliederung ist nicht zwingend, erlaubt aber ein umfassendes Panorama von Sugers Hintergrund und persönlichen Kontakten. Methodisch wurde anscheinend oftmals so vorgegangen, dass Textdatenbanken auf mehr oder weniger überzeugende Similien zu Suger-Stellen befragt wurden; dies bringt Gefahren mit sich, die in der Interpretation der erhobenen Stellen hätten diskutiert werden müssen. Der eingangs skizzierte Forschungsüberblick nennt die wesentliche Literatur: Umso erstaunlicher ist es, dass für die hier verfolgte Fragestellung – welche Schriften kannte Suger, wie setzte er sie ein – wichtige Literatur zwar genannt, aber im Hauptteil nicht benutzt wurde, wie noch zu zeigen sein wird.

Die Frage, bei welcher Gelegenheit Suger die Kenntnis der angeführten Texte erworben haben sollte, bleibt gänzlich ungeklärt. Da es eine umfangreiche Studie zu Skriptorium und Bibliothek von Saint-Denis gibt 2, wäre hier mehr möglich gewesen als nur eine Nennung im Forschungsüberblick und drei kurzen Belegen in Fußnoten. Wenn auf Parallelen zwischen Helgauds Vita König Roberts des Frommen (996-1031) und Sugers Herrscherdarstellung Bezug genommen wird (S. 183ff.), sollte betont werden, dass Helgauds Schrift in einem Codex unicus der Abtei Saint-Benoît-sur-Loire erhalten ist und dass Suger allenfalls dort mit diesem Text in Berührung hätte kommen können. Diese Handschrift scheint jedoch im Laufe der Jahrhunderte kaum benutzt worden zu sein. Es ist nun durchaus möglich, dass Suger diese Schrift kannte, doch verwundert, dass hier auf solche überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge nicht eingegangen wird.

In einem späteren Kapitel werden Parallelen zwischen Wunderberichten in Sugers Schrift De administratione und im Liber miraculorum sanctae Fidis aus Conques in Südfrankreich gezogen. Der Zusammenhang wird anhand des Ablaufs des Heilungswunders hergestellt: Schwellung und Schmerzen, Genesung, Wiedergewinnen der früheren Gestalt (S. 126f.). Dieser Dreischritt ist bei einem Heilungsmirakel zunächst wenig überraschend. Es handelt sich bei Suger um die Heilung einer Wassersüchtigen, in den Miracula um einen Ritter, der an einer Schwellung am Auge leidet – also einen doch gänzlich anderen Bezug. Auch die als Beleg angeführten Similien im Text selbst 3 lassen hier keinen Zusammenhang erkennen.

Eine Bekanntschaft Sugers mit dem berühmten Magister Hugo von Saint-Victor ist, wie Linscheid-Burdich zutreffend feststellt, nirgendwo belegt. Dass Hugo allerdings nicht als Gast bei den großen Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung 1140 oder zur Weihe des Chores von Saint-Denis genannt wird (S. 31), lässt sich leicht erklären – Suger nennt nur für die Chorweihe vom 11. Juni 1144 in seiner Schrift De consecratione eine Gästeliste, die allerdings nach eigener Aussage nur Erzbischöfe und Bischöfe enthält. Zudem war Hugo bereits 1141 gestorben, so dass sein Fehlen bei der Weihe nicht weiter verwundert.

Im Kapitel zu den Verbindungen zwischen Abtei und König ist methodisch zu bemängeln, dass die Textauswahl keine tragbaren Schlüsse zulässt: König Ludwig VI. von Frankreich (1108-1137) wurde von Suger mit der Vita Ludovici Grossi, einem umfangreichen Tatenbericht, gewürdigt, und doch beschränkt sich Linscheid-Burdich allein auf die im Titel genannten Schriften. Das zwangsläufige Ergebnis (S. 182) ist, dass Ludwig VI. in De administratione als Wohltäter der Abtei genannt wird, nicht aber in der Ordinatio (eigentlich einer Urkunde von 1140 mit Dispositionen zum Leben im Kloster) und in De consecratione, wo es bekanntlich um den Neubau von 1140/1144 geht.

Auch im formalen Bereich ist Etliches anzumerken. Als Beispiel sei eine einzige Seite herausgegriffen: Auf S. 12 heißt es, König Heinrich I. von England sei „langjährigene Feind“ der französischen Könige gewesen; „im jahre 1138“ habe Suger Einfluss geltend gemacht; Abt Adam von Saint-Denis habe die „Wiederherstelung des Anniversars“ für Dagobert vollzogen, schließlich gehe es bei Suger um die „wudnersame Bewahrung“ des noch nicht abgeschlossenen Neubaus; andere Seiten sehen ähnlich aus. Überdies findet ein regelmäßiger Wechsel von alter zu neuer Rechtschreibung statt. Zu korrigieren ist weiterhin, dass Abt Hilduin von Saint-Denis eine metrische Passio sancti Dionysii verfasst hat, nicht Hildebert wie auf S. 61 behauptet. Für eine philologische Arbeit untragbar ist, dass Autoren in veralteten Editionen benutzt werden. So wird Sidonius Apollinaris beispielsweise nach Migne zitiert, obwohl eine Ausgabe der Monumenta Germaniae Historica und mehrere Neueditionen existieren. Selbst die Vita Ludovici wird bei ihrem einzigen Vorkommen (S. 181-183) nach der veralteten Ausgabe von Lecoy de la Marche von 1867 zitiert. Völlig unverständlich ist das Übergehen der zahlreichen Arbeiten von Françoise Gasparri, die insbesondere eine Neuedition der behandelten Schriften Sugers vorgelegt und sich in einem Beitrag, der in der vorliegenden Arbeit nicht zitiert wird, bereits mit Sugers Latinität befasst hat.4

Die Zusammenfassung (S. 218-237) präsentiert die ermittelten Ergebnisse: Suger habe das Corpus Dionysiacum in mehreren Fassungen gekannt, ohne dass ein Zusammenhang mit der baulichen Konzeption des Neubaus der Abteikirche zwingend nachzuweisen wäre; der heilige Dionysius werde von Suger in einer Konkurrenzsituation zu anderen Heiligen (dem heiligen Martin von Tours, dem heiligen Remigius von Reims, dem heiligen Martialis von Limoges) unter Rückgriff auf die seine Konkurrenten betreffenden Schriften bewusst als überragende Heiligengestalt in Szene gesetzt; Suger berufe sich in den drei untersuchten Schriften auf verschiedene Werke, die das Pilgerwesen behandeln (Historia Compostellana, Liber miraculorum sanctae Fidis); die Charakteristik Ludwigs VI. und Ludwigs VII. geschehe im Rückgriff auf die Epitoma vitae Rotberti pii regis Helgauds von Fleury und auf Odos von Deuil Bericht über den zweiten Kreuzzug; die Materialbeschaffung für den Neubau der Abteikirche von Saint-Denis werde anhand der von Suger geschilderten Wunder (z.B. mirakulöse Beschaffung von Baumaterial für Säulen) als göttlich begünstigter Dienst am Heiligen erwiesen. Diese Ergebnisse sind teils wenig überraschend und in der Forschung bereits verbreitet, teils methodisch unsicher. Insgesamt muss also leider festgestellt werden, dass das Thema der Latinität Sugers von Saint-Denis und der Textgrundlagen für seine Schriften auch jetzt noch nicht zufrieden stellend behandelt wurde. Angesichts der Fülle der vermeidbaren Fehler wäre eine formale Überarbeitung das vom Verlag zu fordernde Minimum gewesen.

Anmerkungen:
1 Abt Suger von Saint-Denis, Ausgewählte Schriften. Ordinatio, De consecratione, De administratione, hg. von Andreas Speer, Günther Binding u.a., Darmstadt 2000.
2 Nebbiai-dalla Guarda, Donatella, La bibliothèque de l'abbaye de Saint-Denis en France du IXe au XVIIIe siècle, Paris 1985.
3 Miracula sanctae Fidis III,3: Denique brevi temporis intervallo, ita incolumis efficitur, ut nichil deformitatis preter modicam cicatricem in eius vultu intuentium prebeat obtutibus. Suger De administratione, S. 129 der Neuedition: virgo Maria tam gracile quam nitidum cito restituit.
4 Gasparri, Françoise, Le latin de Suger, abbé de Saint-Denis (1081-1151), in: Goullet, Monique; Parisse, Michel (Hgg.), Les historiens et le latin médiéval, Paris 2001, S. 177-193.

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