Titel
Närrinnen Gottes. Lebenswelten von Ordensfrauen


Autor(en)
Hüwelmeier, Gertrud
Erschienen
Münster 2004: Waxmann Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Relinde Meiwes, Berlin

Interkulturelle und interreligiöse Diskurse haben gegenwärtig Konjunktur. Die historische sowie kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung beschäftigt sich bereits seit geraumer Zeit mit religiösen Lebenswelten. ForscherInnen suchten nach den sinnstiftenden Phänomenen, nach dem Eigensinn von Religion aus einer säkularen Perspektive, studierten Kirchen und Religionsgemeinschaften und deren Verhältnis zu Staat und Gesellschaft. Innovative Ansätze lieferte die internationale Geschlechterforschung. Die von der Berliner Ethnologin Gertrud Hüwelmeier an der Humboldt-Universität vorgelegte Habilitationsschrift „Närrinnen Gottes. Lebenswelten von Ordensfrauen“ versteht sich als Beitrag zu dieser Debatte. Die Studie ist das Ergebnis ausgedehnter Feldforschungen in Häusern der 1851 im Westerwald gegründeten katholischen Frauengenossenschaft der Armen Dienstmägde Jesu Christi.

In vier Abschnitten stellt die Autorin Lebenswelten von Ordensfrauen vor, die auch heute noch von einem Hauch von Geheimnis umgeben sind. Zunächst erläutert sie die Kontexte (I), in denen das gemeinschaftliche religiöse Leben stattfindet. Die LeserInnen wird das Kloster als Forschungsfeld vorgestellt: seine Räume vorgeführt, die Hierarchien und die Organisationsform klösterlichen Lebens erläutert, nach den Beziehungen von Gebet und Arbeit und nach den historischen Wurzeln gefragt. Parallel zu den gravierenden ökonomischen und sozialen Wandlungsprozessen des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland wie in vielen anderen Ländern – gleichsam als ein Reflex auf ausgeprägte Modernisierungsprozesse – neue katholischen Frauenkongregationen. Die von Hüwelmeier untersuchte Kongregation der Armen Dienstmägde Jesu Christi ist eine von ihnen. Frauen loteten damals religiöse Handlungsspielräume nicht zuletzt deswegen aus, weil ihnen Partizipation „in der Welt“ verweigert wurde.

Dem zweiten Teil gibt die Autorin den Titel „Inszenierungen“ (II) und stellt die „Wiederaneignung und Neuinterpretation“ (S. 46) dieser Ordensgeschichte in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Ein von den Schwestern 1998 aufgeführtes Theaterstück mit dem Titel „Närrin Gottes“ rekonstruiert die Lebensgeschichte der Gründerin der Kongregation, Katharina Kasper, und interpretiert sie als eine Wandlung von einer als „verrückt erklärten Tagelöhnerin“ zur allseits „respektierte[n] Generaloberin“ (S. 54). Dieser modernen Betrachtung gingen langwierige Auseinandersetzungen im Kontext des Seligsprechungsprozesses von Katharina Kasper 1978 voraus. Hüwelmeier zeigt, wie es den Schwestern gelang, sich ihre Geschichte gegen männliche Macht- und Herrschaftsansprüche anzueignen. Die für Außenstehende bizarre Begebenheit – die Exhumierung der Gebeine von Katharina Kasper und deren Umbettung vom Schwesternfriedhof in die Klosterkirche – stellt für die Autorin die „symbolische Lösung eines Geschlechterkonfliktes“ (S. 84) dar.

Im dritten Kapitel „Erfahrungen“ (III) geht Hüwelmeier der Frage nach, wie sich diese Prozesse in den Lebensläufen der Schwestern widerspiegelten. Mit dem Instrumentarium der Teilnehmenden Beobachtung – in der Ethnologie als Methode zur Erforschung fremder Kulturen entwickelt – erhalten die LeserInnen tiefe Einblicke in weibliche Lebensläufe. Aus insgesamt zwanzig Einzel- und einem Gruppeninterview wählte Gertrud Hüwelmeier die Lebensgeschichte von sechs Schwestern aus, von denen jeweils zwei der Vorkriegs-, der Kriegs- und der Nachkriegsgeneration angehörten; sie sind zwischen 1937 und 1990 in den Orden eingetreten. Die Autorin strukturiert diesen „Selbstentwurf“ (S. 95) der Schwestern so wenig wie möglich vor und gibt deren Erzählungen in einer Mischung aus Paraphrase und Zitaten in dem Unterkapitel „Stimmen“ wieder. Die Frauen berichten von ihrer Herkunft, beschreiben Eintrittsmotive und ihre Aufgabenfelder, auch über Zweifel und Kritik an ihrem gemeinschaftlichen Leben schweigen sie nicht. Kurzum: Lebenserfahrungen von Frauen zumeist aus unter-bürgerlichen Schichten, über die wir auch im 21. Jahrhundert nur wenig wissen. Bemerkenswert ist dies auch, wenn man bedenkt, dass es Ordensfrauen noch bis in die jüngste Zeit verboten war, sich zu persönlichen Dingen in der Weise zu äußern. Ein Verhaltens- und Moralkodex, der offenbar besonders für ältere Schwestern auch heute noch realitätsmächtig ist und verhaltenssteuernd wirkt. So gerät bereits die Suche nach einem Pseudonym zu einer tiefgehenden und auch ungewohnten Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte (S. 90).

Vor dem Hintergrund dieser Feldforschungserfahrungen werden unter der Überschrift „Transformationen“ (IV) jene Prozesse analysiert, die in den meisten Ordensgemeinschaften nach dem II. Vatikanum einsetzten und zu einem modizifierten Verständnis der Gelübde führten. Die ordensinternen Diskurse kreisen um die Frage, was religiöses genossenschaftliches Leben heute bedeutet. 1 Aus dem Spektrum der von Hüwelmeier behandelten Themen seien hier nur drei genannt:

1. Zu den „einschneidendsten Erfahrungen“ der vergangenen Jahre gehört aus der Sicht der Ordensschwestern die Möglichkeit, den Habit abzulegen, und die daraus resultierenden „Veränderungen am Körper und auf der Haut“ (S. 163). Detailliert beschreibt die Autorin, wie Schwestern mit diesem Wandlungsprozess umgehen, wie sie Chancen und Risiken zunehmender Individualisierung bewerten, thematisiert die Generationenfrage, den Schleier und das Kopftuch sowie die Haare als Symbol von Weiblichkeit. Hüwelmeier betont, dass es um weit mehr als um Kleidungsstile oder Moden geht, vielmehr werde hier die Identität als Ordensschwester neu verhandelt. Ordensmitglieder, die nach Ablegen des Habits an uniformen Kurzhaarfrisuren und an Ordenskleider erinnernde Rock-Bluse-Kombinationen leicht zu erkennen sind, weisen auf den weiten Weg, den die Frauen noch gehen müssen. Hinzu kommen finanzielle Aspekte – ein für viele Gemeinschaften bis dahin unbekanntes Phänomen: Jetzt muss entschieden werden, welche Spielräume für den Kleiderkauf den Schwestern eingeräumt werden. Das Armutsversprechen gerät in die Diskussion.

2. Anders als früher werden von der Ordensleitung heute Freundschaften unter den Schwestern – im Klosterjargon „Partikularfreundschaften“ – nicht mehr generell verboten. Dieses Verbot ziele auf die Aufrechterhaltung des Keuschheitsgelübde, so die These von Hüwelmeier, vor allem auf die Beziehung der Frauen untereinander, die sich von ihren Mitschwestern körperlich und emotional fernzuhalten hatten. Inzwischen erkennt auch die Ordensleitung die enge Verbindung von Körper und Emotion an. Hüwelmeier beobachtet in ihrer Feldforschung eine „große Herzlichkeit im gegenseitigen Umgang“ (S. 190), zugleich berichtet sie von tastenden Versuchen der Schwestern, sich dem Thema lesbischer Beziehungen in der Gemeinschaft zu nähern. Ein auch außerhalb klösterlicher Mauer im Gegensatz zu männlicher Homosexualität noch immer tabuisiertes Thema.

3. Das Gehorsamsversprechen ist ein „Grundpfeiler der politischen Ordnung jeder klösterlichen Gemeinschaft“ (S. 197), dennoch sehen Ordensschwestern ihren Auftrag nicht mehr aus der Perspektive der Unterordnung, sondern der „Einordnung“ (S. 199), wie sie es nennen. Das betrifft das Verhältnis zu den Ordensoberen ebenso wie zu den Beichtvätern und Seelsorgern. Hüwelmeier konstatiert einen Wandel der Kommunikation vom Zuhören und Schweigen zu einer „Kultur des Dialogs“ (S. 202). Das gilt beispielsweise für die Beicht- und Bußpraxis, bis weit in die 1960er-Jahre Disziplinierungsinstrumente, mit denen Kleriker und Ordensleitung Gehorsam erzwangen. Inzwischen wählen sich die Schwestern ihre Beichtväter sorgfältig aus und führen statt so genannter Schuldkapitel geistliche Gespräche miteinander. Auch wenn viele „Rituale der Unterordnung“ (S. 203) aus dem Alltag der Kongregation verschwanden, sind sie dennoch im Habitus vieler Ordensschwestern noch erkennbar. Mehr noch, in Fragen des persönlichen Besitzes, der Mobilität oder etwa in der Auswahl des Ordensnamens entscheidet noch immer die Ordensleitung.

Reflexionen über den Begriff der Schwesternschaft am Ende der Studie zeigen jedoch, dass die klösterliche Lebensweise der Armen Dienstmägde Jesu Christi – auch vor dem Hintergrund von Austrittswellen und Rekrutierungsproblemen – einem permanenten Wandel unterworfen ist. Vor diesem Hintergrund bekommen Fragen, wie die nach Gleichheit und Differenz der Schwestern untereinander oder nach dem Status einer Frauengemeinschaft in der männerdominierten katholischen Kirche, die die Geschichte der Frauenkongregationen von Anfang an begleiteten, eine neue Dynamik. Noch prüfen die Schwestern die „Tauglichkeit von Begriffen“, die konkrete Umsetzung in Lebenspraxis steht in vielen Fällen noch aus. Und schon warten neue Herausforderungen auf die Gemeinschaft, der wie vielen anderen Kongregationen Mitglieder aus fast allen Erdteilen angehören, die sich nicht mehr – eurozentrisch gedacht – missionieren lassen, sondern auf Mitsprache und Selbstbestimmung in den Gemeinschaften drängen.2

Allein der Umstand, dass die Ordensfrauen der Autorin Einblick in die von außen stets als „terra incognita“ (O’Brien) erscheinende Welt gewährten, stellt ein Novum dar. Es kann kaum überbewertet werden, dass Gertrud Hüwelmeier das Vertrauen der Kongregationsleitung und der ihr Auskunft gebenden Schwestern erlangte und dadurch eine fundierte Studie vorlegen konnte. Hierin ist der außerordentliche Wert dieser gut lesbaren Studie zu sehen. Die Autorin berichtet von facettenreichen Lebensläufen, von denen man bisher allenfalls dann Kenntnis erhalten hätte, wenn es sich um Gründerinnen oder außergewöhnliche Persönlichkeiten der Kongregation gehandelt habe. Ein derartiges Maß an individueller Interpretation der eigenen Lebensgeschichte oder der Ordensgeschichte wäre bis in die jüngste Zeit noch undenkbar gewesen und ist in vielen katholischen Frauengemeinschaften bis heute unmöglich. Einige kritische Punkte seien dennoch angemerkt.

Das betrifft zunächst die Wahl des Titels. Die Schwestern bezeichneten in einem von ihnen aufgeführtem Theaterstück ihre Gründerin Katharina Kasper als „Närrin Gottes“, um deren Suche nach dem vollkommen religiösen Leben zu charakterisieren. Sie ließ sich zum Narren machen, um dem Willen Gottes in der Welt zu folgen. Ob sich die Schwestern selbst als „Närrinnen Gottes“ bezeichnen würden, sei angesichts ihrer eindringlichen Suche nach neuer Legitimität dahin gestellt.

Gemeinschaft, Gehorsam und Gelübde sind die Kerne des klösterlichen Lebens, letztere seien in ihrer Auslegung „verhandelbar“ und in der Interpretation „veränderbar“ (S. 194), so Hüwelmeier. Aus meiner Sicht wird nicht immer transparent, wo die Grenzen dieses Wandels eigentlich liegen. Was bedeutet es, wenn der Sinn der Kommunität als gemeinsame Suche der Schwestern nach dem Willen Gottes ausgelegt wird? In welchem Verhältnis stehen Gehorsam und der Anspruch auf Selbstverantwortung? Was bedeutet Gemeinschaft in Zeiten nur scheinbar konträrer Prozesse wie Individualisierung und Globalisierung?

Interessant sind die Vergleiche zwischen Christentum und Islam. Während die Ordensschwestern in Europa und den USA zunehmend auf ihren Habit verzichten, verhüllen viele islamische Frauen ihren Körper und legen einen Schleier um. Hüwelmeier sieht Parallelen zwischen der religiösen Renaissance, wie sie sich im 19. Jahrhundert im europäischen Katholizismus zeigte, und dem Zustand des Islams unserer Tage. In beiden Fällen nutzen Frauen, trotz massiver männlicher Dominanz in beiden Religionen, Partizipationsspielräume. Gewagt scheint mir die These, dass der Schleier islamischen Frauen einen „enormen Statusgewinn“ einträgt. Hüwelmeier selbst weist zu Recht darauf hin, dass es hierzu im Islam stark differenzierende Diskurse gibt.

Die kritischen Einwände – so sei hier eingeräumt – verweisen auch auf Wandlungen, die keineswegs abgeschlossen sind, und schmälern den Erkenntnisgewinn dieses Buches nicht, zumal es auch Anregungen für Diskussionen innerhalb und außerhalb klösterlicher Mauern enthält. Für Historiker ist diese Studie deshalb von besonderem Interesse, weil sie Auskünfte über aktuelle Wirkungen historischer Phänomene gibt, mit denen sich die Geschichtswissenschaft nur selten beschäftigt. Wir sehen hier eine Gemeinschaft, die seit mehr als 150 Jahren weibliche Traditionsbildung betreibt, wobei der Gründungskontext des 19. Jahrhunderts für die Mitglieder der Kommunität heute so aktuell ist wie damals. Im säkularen Bereich dürfte es kaum eine von Frauen initiierte Organisation geben, die es schaffte, über einen solch langen Zeitraum ihre Wirkung zu entfalten.3

Anmerkungen:
1 Aus interne Sicht dazu vgl. Isenring, Zoe Maria, Die Frau in den apostolisch-tätigen Ordensgemeinschaften. Eine Lebensform am Ende oder an der Wende? Freiburg 1993.
2 Vgl. Hüwelmeier, Gertrud, Global Players – Global Prayers. Gender und Migration in transnationalen religiösen Räumen, in: Zeitschrift für Volkskunde 100 (2004), S. 161-175.
3 Mit den Diakonissen als dem protestantischen Pendant beschäftigt sich die soeben erschienene von Gause, Ute; Lissner, Cordula, Kosmos Diakonissenhaus. Geschichte und Gedächtnis einer protestantischen Frauengemeinschaft, Leipzig 2005.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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