M. Prietzel: Das Heilige Römische Reich

Cover
Titel
Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter.


Autor(en)
Prietzel, Malte
Reihe
Geschichte kompakt
Erschienen
Anzahl Seiten
155 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Schwarz, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim

Malte Prietzel ist in der Spätmittelalterforschung vor allem als Verfasser einer monumentalen Biografie über den herzoglich-burgundischen Rat Guillaume Fillastre den Jüngeren (1400/07-1473) bekannt geworden. Die quellengesättigte Arbeit erbrachte einmal mehr den Beweis dafür, dass man gerade in dieser Epoche mit dem Ansatz einer so genannten ‚kontextuellen Biografik’ zu ganz grundlegenden Erkenntnissen über eine Zeit und ihre Probleme gelangen kann.1 Dass Prietzel aber nicht nur in der Behandlung eines wissenschaftlichen Spezialproblems überzeugt, sondern sich auch an ein breiteres Publikum ohne größeres Vorwissen zu wenden versteht, zeigt er in seinem Buch über „Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter“. Die in der Reihe „Geschichte kompakt“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienene Monografie will (so die allgemeine Reihenkonzeption) historisches Grundwissen auf dem neuesten Stand der Forschung besonders für Studierende, Lehrende und historisch Interessierte in einer didaktisch anschaulichen Weise, zu der vor allem auch optisch besonders hervorgehobene Quellen- und Begriffsinserte gehören, vermitteln. Das ist der Maßstab, mit dem Prietzels Buch zu messen ist.

Der Gegenstand, den Prietzel dabei zu bewältigen hat – die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches im Spätmittelalter – , darf als echte Herausforderung bezeichnet werden. Schon allein um den Namen dieses Reiches angemessen zu erklären, wäre eine eigene Abhandlung nötig. Sein geografischer Rahmen ist kaum genau abzustecken. Seine politischen Zentren wechselten ständig; zur Ausbildung einer dauerhaften Kapitale wie bei den westeuropäischen Monarchien ist es nie gekommen (in der Tat kann – wie von Prietzel im Vorwort dargelegt – in dem Umstand der ständig wechselnden herrscherlichen Grablegen geradezu eine Signatur dieses politischen Gebildes gesehen werden). Dazu kommt, dass auf den ersten Blick das Königtum in nicht wenigen Fällen einen eher schwachen, unentschlossenen Eindruck erweckt; es begnügte sich offensichtlich sehr häufig einfach damit, den politischen Entwicklungen ihren Lauf zu lassen.

Ein lohnender, wenn auch wohl wenig ‚erbaulicher’ Gegenstand historischer Forschung bzw. Erzählung wäre auch ein allein mit solchen Defiziten ausgestattetes politisches Gebilde allemal. Dass aber diese Eindrücke vielfach nur die halbe Wahrheit sind, dass hinter allen Unzulänglichkeiten häufig auch bemerkenswerte Versuche von Herrschaftserwerb, -sicherung und -kontrolle standen, macht Prietzel in seinem Buch mehr als einmal deutlich. Und während Fürstentum und Städte, das (freilich nur zum Teil auf Reichsgebiet liegende) burgundische Herzogtum im Westen und der „Staat“ des Deutschen Ordens im Osten hier schon immer alle ‚Trümpfe’ in der Hand hatten, ist vom Spätmittelalter als einer reinen Verfalls- oder Krisenzeit auch beim vorrangigen Blick auf das Königtum schon lange keine Rede mehr. Man muss nur genauer hinschauen.

Prietzels Buch ist in zwölf Abschnitte klar gegliedert. Das gestaltende Prinzip dieser Abschnitte sind dabei die Regierungszeiten der römisch-deutschen Könige und Kaiser von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III., wobei der letzte Abschnitt einem Ausblick auf die Entwicklung nach dem Tod Friedrichs gewidmet ist. Es geht wohlgemerkt um Regierungszeiten (mit allen dazu gehörigen strukturellen Problemen), nicht um eine Abfolge von Herrscherporträts. Alle Abschnitte sind mit prägnanten Überschriften versehen, die die einzelnen Regierungszeiten treffend zu charakterisieren vermögen (z.B. „Konsolidierung nach der Krise: Rudolf I.“, „Staufische Traditionen und luxemburgische Zukunft: Heinrich VII.“ oder „Von kleinen Fortschritten zu tief greifenden Wandlungen: Friedrich III.“). Der erste Abschnitt über Rudolf von Habsburg ist gleich der umfangreichste (S. 1-27). Das ist insofern leicht erklärlich, als in dieses Kapitel einerseits eine Erörterung allgemeiner struktureller Probleme integriert ist (der geografische Rahmen des Reiches usw.), andererseits aber gerade die jüngste Forschung zu einer durchweg positiven Bilanz von Rudolfs Herrschaft gelangt ist 2, die auch im Rahmen einer Überblicksdarstellung entsprechend reflektiert werden muss.

Die Erörterung zweier weiterer Herrschaftsperioden fallen in Prietzels Buch ähnlich umfangreich aus, und auch dies deckt sich vollkommen mit jüngeren Ergebnissen der Spätmittelalterforschung: die Regierungszeiten Karls IV. (S. 68-86) und Friedrichs III. (S. 122-141). Die Regierungszeit des Luxemburgers hat dabei vor allem in den 70er und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts großes Interesse der Forschung auf sich gezogen. Namentlich in den Arbeiten des Giessener Historikers Peter Moraw, der für diese Periode den Begriff eines „hegemonialen Königtums“ prägte, ist ihr eine besondere verfassungsgeschichtliche Schlüsselstellung zugemessen worden.3

In den letzten 15 Jahren scheint ein ähnlich starkes Interesse der Zeit Friedrichs III. zu gelten. Ihre frühere Bewertung als Phase allgemeiner Stagnation und herrscherlicher Untätigkeit hat sich insofern geradezu umgekehrt, als sie im augenblicklichen Bild der Forschung zu einem historischen Abschnitt geworden ist, in dem das Reich zwar langsam, aber stetig ganz wesentliche Schritte in seine Zukunft unternahm. Der Modernisierungsschub war beträchtlich.4 Gerade diese fundamentale Neubewertung der Epoche Friedrichs III. (zumal der Jahre ab dem Regensburger Christentag 1471) vermittelt die Darstellung Prietzels vorzüglich (S. 122-141). Ausgehend von einer Erörterung über die Reichspolitik Friedrichs in der Tradition der Vorgänger, schreitet sie fort zu einer Schilderung des Ringens um Reformen und der Belastungen durch die Türkenfrage in den 50er-Jahren, um in einer Erfassung des Phänomens der „Verdichtung“ (P. Moraw) des Reiches in den 70er und 80er-Jahren zu kulminieren.

Beigegeben ist dem Ganzen eine differenzierte Einschätzung der Persönlichkeit Friedrichs III. und deren Rolle im historischen Prozess (S. 140-141). Mit- und Nachwelt waren bekanntlich nur allzu häufig von den Unzulänglichkeiten des Kaisers überzeugt, wobei das beliebte Klischee von des „Heiligen Römischen Reiches Erzschlafmütze“ gleichsam nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Doch seine Zähigkeit und Verbissenheit im Festhalten politischer Ziele, das unbedingte Bewusstsein, als der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zu handeln, stellen gleichwohl – wie man von Prietzel gut erfährt – bemerkenswerte historische Faktoren dar.

Gemessen an der Konzeption der Reihe, die auf großen Überblick, Erklärung und Wissensvermittlung hin ausgerichtet ist, wird man Prietzels Buch als vollauf geglückt bezeichnen dürfen; es ist didaktisch geradezu vorbildlich. Dennoch ist die Darstellung nicht geprägt von lehrbuchartiger Öde. Im Gegenteil: In prägnanter, anschaulicher Sprache ist hier ein facettenreiches Bild vom „Heiligen Römischen Reich im Spätmittelalter“ gezeichnet worden, in dem immer wieder auch eigene Akzente gesetzt werden. So stellt die Lektüre des Buches auch für fortgeschrittene Leser noch einen Gewinn dar.

Anmerkungen:
1 Prietzel, Malte, Guillaume Fillastre der Jüngere (1400/07-1473). Kirchenfürst und herzoglich-burgundischer Rat, Stuttgart 2001. Vgl. dazu die Rezension in H-Soz-u-Kult unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/MA-2002-018.
2 Vgl. Krieger, Karl-Friedrich, Rudolf von Habsburg, Darmstadt 2003, bes. S. 251ff.
3 Vgl. Moraw, Peter, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490, Frankfurt am Main 1985, S. 240-256.
4 Vgl. nur Heinig, Paul-Joachim, Kaiser Friedrich III. (1440-1493). Hof, Regierung und Politik, 3 Bde., Köln 1997, bes. Bd. 2, S. 1317ff.

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