P. Betts: The Authority of Everyday Objects

Cover
Titel
The Authority of Everyday Objects. A Cultural History of West German Industrial Design


Autor(en)
Betts, Paul
Erschienen
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
$ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tina Dingel, Department of History, University of Limerick

Die Rolle des Industriedesigns für den Wiederaufbau Deutschlands nach 1945 ist in der historischen Forschung bis jetzt weitgehend unbeleuchtet geblieben. Ähnlich wie die deutsche Konsumgeschichte vor etwa einem Jahrzehnt, rückt die Designgeschichte erst jetzt explizit in den Fokus wissenschaftlicher Analysen, obwohl es in der internationalen Forschungslandschaft seit ca. 15 Jahren Anstrengungen gibt, die Designgeschichte als Teil der Geschichtswissenschaften zu positionieren. Mit seinem Buch beweist Paul Betts eindrucksvoll, dass eine Kulturgeschichte des (west-)deutschen Designs, zeitgenössisch „Formgebung“ genannt, neue Einblicke in die Prozesse der (nationalen) Identitätsbildung, der Schaffung kollektiver Mythen und in die Entstehung kultureller Ängste in der deutschen Nachkriegsgesellschaft ermöglicht.

Betts konzentriert sich bei seiner Analyse auf alltägliche Haushaltsgegenstände sowie Möbel und spart andere Bereiche wie Grafik- oder Automobildesign und Architektur aus. Er stützt sich auf ein breites und umfangreiches Quellenspektrum von Regierungsunterlagen aus dem Dritten Reich und der Bundesrepublik, über Materialien verschiedener Wirtschafts- und Kulturverbände, Dokumente von Gestaltungshochschulen, Ausstellungskataloge, relevante (Fach-)Zeitschriften, bis hin zu Werbung, Ratgeberliteratur und Fotografien. So begegnet er wirkungsvoll dem Mangel an Dokumentation zum Design von Alltagsgegenständen. Besonders bei der Untersuchung von Fotografien und Werbung stellt der Autor die Stärken des „visual turn“ unter Beweis.

Gestützt durch diese vielschichtigen Quellen präsentiert Betts seine zentrale These: das Industriedesign habe sich zwischen Mitte der 1920er-Jahre und Mitte der 1960er-Jahre kaum verändert, weder in Ost- noch Westdeutschland. Was sich vielmehr gewandelt habe, sei die kulturelle Bedeutung und Darstellung des Design gewesen, hätten doch politisch unvereinbare Regime auf die gleichen Objekte zurückgegriffen, um sie als visuelle Markierungen für ihre jeweiligen politischen Projekte zu nutzen (S. 11). So haben die Nationalsozialisten trotz aller gegenteiligen Propaganda auf die klassische Moderne der Weimarer Zeit aufgebaut und die in dieser Zeit entworfenen Gegenstände nur leicht verfremdet in ihren Projekten zum Einsatz gebracht. In den 1950er-Jahren seien dann die Theorie und Praxis des Bauhauses herangezogen worden, um die Wurzeln der jungen Bundesrepublik in der Weimarer Republik verorten zu können.

Diese These verbindet die sechs Hauptkapitel des Buchs, von denen zwei bereits in anderer Form abgedruckt wurden.1 Betts beginnt mit der Analyse des Designs von Alltagsgegenständen im „Dritten Reich“ und konzentriert sich dann in den Kapiteln 2, 4, und 5 auf unterschiedliche, für die Designgeschichte relevante institutionelle Akteure. Kapitel 3 und 6 haben etwas anders gelagerte Schwerpunkte. Kapitel 3 konzentriert sich auf den „Nierentisch-Stil“ als Beispiel für zeitgenössische Popkultur. In Kapitel 6 analysiert Betts die öffentlichen Debatten um die Rolle der Familie und die Gewichtung des häuslichen Lebens in der Nachkriegszeit. Betts kontrastiert so durch seine unterschiedlichen Kapitelschwerpunkte die Analyse von Elitediskursen mit der Untersuchung ihrer Rezeption durch die westdeutsche Bevölkerung, wobei sein Schwerpunkt deutlich auf dem ersten Aspekt liegt.

Die Einführung bietet mehr als nur eine Beschreibung seines Vorhabens, sondern offeriert gleich wichtige Einsichten und Schlussfolgerungen. Betts identifiziert vier Faktoren, die Industriedesign in Nachkriegsdeutschland bedeutungsvoll haben werden lassen. Wirtschaftsfaktoren waren die bedeutendsten, denn nach der Währungsreform waren Exportumsätze entscheidend für die wirtschaftliche Erholung. Als zweiten Faktor identifiziert Betts einen kulturellen Idealismus, in dem die (Neu-)Gestaltung von Objekten eine entscheidende Rolle bei der Umerziehung ihrer Nutzer spielte. Zudem sei das Industriedesign, und hier im Besonderen das Bauhaus, als „diplomatisches Kapital“ wichtig gewesen, um im Ausland ein positives Deutschlandbild aufzubauen. Der vierte Faktor sei in den weit reichenden kulturellen Auswirkungen des Faschismus zu suchen. Verstehe man mit Walter Benjamin den Faschismus als „Ästhetisierung der Politik“, so habe das Industriedesign in Nachkriegsdeutschland eine post-faschistische Ästhetisierung des Alltagslebens zu vermitteln versucht (S. 14ff.). In der Einleitung erläutert Betts auch, dass er die Studie, die ursprünglich ost- und westdeutschen Phänomenen vergleichen sollte, aus forschungsökonomischen Gründen auf Westdeutschland beschränkt hat.

Betts widmet sein umfangreichstes und vielleicht auch aufschlussreichstes Kapitel der Bedeutung der Gestaltung von Haushaltsgegenständen im Nationalsozialistischen Regime, einen inhaltlichen Schwerpunkt, den der Titel nicht vermuten lässt. Drei institutionelle Akteure werden hierzu von Betts untersucht: der Werkbund, Albert Speers Amt „Schönheit der Arbeit“ und der bisher mit wenig Aufmerksamkeit bedachte Kunst-Dienst, der ein Auffangbecken für viele ehemalige Werkbundmitglieder nach dessen Übernahme durch die Nationalsozialisten werden sollte. Wie auch schon in der Einleitung, betont Betts hier noch einmal, dass die politischen Veränderungen im Jahr 1933 keine tief greifenden Änderungen im Industriedesign mit sich brachten. Die klassische Moderne wurde von den Nazis inkorporiert und keineswegs abgelehnt wie dies die dramatisch inszenierte Schließung des Dessauer Bauhauses vermuten lasse. Durch überzeugende Interpretation seiner visuellen Quellen zeigt Betts auf, wie die Grundsätze der Neuen Sachlichkeit bei der Objektgestaltung fortbestanden und von den Nationalsozialisten nur geschickt mit „deutscher Gemütlichkeit“ in der optischen Darstellung verfeinert wurden. So wurde sachliches Kantinengeschirr mit blauen Punkten versehen oder schlicht-funktionale Haushaltsgegenständen in einem häuslich-gemütlichen Umfeld präsentiert.

In Kapitel 2 verfolgt Betts die Nachkriegsentwicklung des Werkbundes, der sich selbst als „Gewissen der Nation“ zu stilisieren und die moralische Dimension des Funktionalismus vor den Gefahren der nationalsozialistischen Vergangenheit und einer scheinbar amerikanisierten Gegenwart zu schützen versuchte (S. 73f.).

Kapitel 3 kommt als interessanter Einschub daher. Von den vermeintlich kulturellen Höhen des funktionellen Designs steigt Betts zum „Nierentisch-Stil“ hinab und zeigt die Diskrepanz zwischen den Diskussionen der Designelite und den Praktiken der Bevölkerung auf. Das organische Design des „Nierentisch-Stils“ erfreute sich in den 1950ern großer Beliebtheit bei westdeutschen Konsumenten und wurde gleichzeitig von rechten wie linken Intellektuellen kritisiert. Ihnen war dieser Stil zu sehr dem Konsumdenken verhaftet als das er zu einem moralischen und kulturellen Wiederaufbau hätte beisteuern können. Einer partiell aus der Gegenreaktion gegen solch „falsche“ Gestaltung motivierten Einrichtung, der 1955 gegründeten Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG), wendet sich Betts in Kapitel 4 zu. Die auch „Neues Bauhaus“ getaufte Hochschule knüpfte an die traditionellen Ziele des Bauhauses an und wollte den dort gelehrten Funktionalismus in Theorie und Praxis weiterentwickeln. Betts beschreibt, manchmal vielleicht etwas zu detailliert, die von Spaltungen gekennzeichnete Entwicklung der theoretischen Grundlagen durch die Dozenten und die Kooperation mit der Industrie, vornehmlich mit der Braun AG, die den funktionellen Stil der Hochschule über Deutschland hinaus bekannt machte. Mit der Krise des Funktionalismus Ende der 1960er-Jahre geriet auch die HfG in Schwierigkeiten und löste sich schließlich selbst auf, bevor die Landesregierung Baden-Württembergs dies tun konnte. Dem Rat für Gestaltung, einer vom Werkbund angeregten Regierungsorganisation, gilt Kapitel 5. Vertreter von Werkbund, sowie Industrie und Politik kamen hier zusammen, um deutsches Industriedesign zu fördern. Der berühmteste Ausfluss dieser Kooperation war der deutsche Pavillon bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel, mit dem man ein Bild kultivierter westdeutscher Modernität prägen wollte (S. 191). Kapitel 6 untersucht die Verbindungen zwischen Design und Häuslichkeit und zeichnet nach, wie in Westdeutschland Familie und Konsum, traditionelle Geschlechterbeziehungen und moderner Lebensstil, kurz Kultur und Zivilisation (S. 235), zusammengedacht wurden. Hier greift der Autor mehrheitlich auf Sekundärliteratur zurück, was seine Argumentation nicht ganz so zwingend werden lässt wie in den Kapiteln davor.

In seinem Schlusskapitel untersucht Betts die nostalgische Verklärung der 1950er-Jahre als Basis einer neuen und positiven westdeutschen Identität. Der selektive Rückblick in den späten 1970er und frühen 1980er-Jahren auf jene Dekade blendete alle negativen Aspekte wie die große Zahl von Kriegsflüchtlingen oder die Benachteiligung von Frauen und Gastarbeitern zunächst weitgehend aus und ließ die 1950er-Jahre zu einem Symbol für Erneuerung und Leistung werden.

In seinem Buch beweist Betts eindrucksvoll, wie tief Designgeschichte als Kulturgeschichte in politische und gesellschaftliche Veränderungsprozesse blicken lässt. Zugleich öffnet er mit seiner Studie das Feld für weitere Fragestellungen, u.a. nach einer vergleichenden Perspektive. Die schwierige Quellenlage erklärt die Konzentration auf institutionelle Akteure und Design-„Hochkultur“, die bedauerlicherweise wenig Raum für eine Ausweitung seiner aufschlussreichen Analyse der Populärkultur jener Jahre lässt. Seine Umsetzung des „visual turn“ setzt Standards und macht die entscheidende Qualität des Buchs aus.

Anmerkung:
1 Kapitel 2 als „The Nierentisch Nemesis. Organic Design as West German Pop Culture“, German History 19, 2 (2001), S. 185-217 und Kapitel 4 als „Science, Semiotics and Society. The Ulm Institute of Design in Retrospect“, Design Issues 14, 2 (1998), S. 67-82.

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