B. A. Kumin u.a. (Hgg.): The World of the Tavern

Cover
Titel
The World of the Tavern. Public Houses in Early Modern Europe


Autor(en)
Kuemin, Beat A.; Tlusty, B. Ann
Erschienen
Aldershot 2002: Ashgate
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
£47.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gunther Hirschfelder, Volkskundliches Seminar, Universität Bonn

Seit den 1960er-Jahren herrscht Übereinstimmung, dass die Ernährung einen grundlegenden Indikator für die Analyse historischer Prozesse darstellen kann. Gleichwohl ist der Quellenwert des Alkoholkonsums erst in jüngster Zeit in den Fokus der Geschichts- und der Kulturwissenschaften gerückt. Dabei bietet sich eine Betrachtung der alkoholischen Getränke für vergleichende Studien in besonderem Maße an, da sie meist im öffentlichen Raum konsumiert wurden und sowohl aus ordnungspolitischen als auch fiskalischen Gründen besonders reichen Niederschlag in den Quellen gefunden haben.

Zu den wichtigsten Vertretern der jungen historischen Alkoholforschung zählen die Herausgeber des zu besprechenden Bandes, die an dieser Stelle erstmals eine vergleichende Synopse des multifunktionalen Wirtshauswesens der Frühen Neuzeit vorlegen. Dabei bilden England, das Deutsche Reich und Russland die Schwerpunkte.

Eine klar gegliederte Einleitung erschließt den Band ebenso wie die Thematik. Hier skizzieren Beat Kümin und B. Ann Tlusty die analytischen Möglichkeiten moderner historischer Alkoholforschung und umreißen Forschungsstand bzw. -desiderata.

Den inhaltlichen Teil beginnt Michael Frank mit seinen grundlegenden Überlegungen zu den Wirten im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Frank deutet einen enormen Formenreichtum an und konzentriert sich dabei stark auf den ländlichen Raum Norddeutschlands. Eine Analyse weiterer Regionen und vor allem des städtischen Bereichs würde dieses Spektrum sicherlich erweitern.

Kümin geht den Fragen nach der Relevanz der Person des Wirtes nach; da er sich dabei auf das reichhaltige Material stützen kann, das er im Rahmen seines Habilitationsprojektes erhoben hat, gelangt er für den oberdeutschen/schweizerischen Raum zu einem differenzierten Bild, das die überragende Position der Wirtspersönlichkeit für die soziale und wirtschaftliche Einheit des Gasthauses transparent macht.

Der Beitrag von Judith Hunter (English Inns, Taverns, Alehouses and Brandy Shops: The Legislative Framework, 1495-1797) basiert ebenfalls auf einem größeren Forschungsprojekt. Die legislativen Rahmenbedingungen größerer Raumeinheiten systematisch zu untersuchen, ist auch für das Reichsgebiet dringendes Forschungsdesiderat, denn Ordnungs- und Steuerpolitik determinierten den Bereich der kommerziellen Gastlichkeit in besonderem Maße. Allerdings gab es sowohl im Reich als auch in England eine derartige Fülle an regionalen und lokalen Sonderbestimmungen, dass generelle Aussagen vorläufig nur schwer zu treffen sind.

In seinem Beitrag über die Zusammenhänge zwischen Wirtshaus und Konfession kehrt Fabian Brändle zur regionalen Perspektive zurück. Dabei stellt er die These auf, dass die Instrumentalisierung der Wirtshäuser im Prozess religiös intendierter Auseinandersetzungen des späten 17. Jahrhunderts maßgeblich für die Aufstandsbewegung des Jahres 1699 verantwortlich war. Die Rolle der Wirtshäuser sollte, das deutet der Beitrag erfolgreich an, bei der Analyse frühmoderner Unruhen künftig eine größere Rolle spielen. Während jene Beiträge, die sich auf Schriftquellen stützen, die Möglichkeiten der Dokumente voll ausschöpfen, bleibt der Beitrag von Alison Stewart (Taverns in Nuremberg Prints at the Time of the German Reformation) etwas hinter dem Interpretationshorizont der Bildquellen zurück.

Janet Pennington erschließt die historische Alkoholforschung mit Grundrissen, Bauzeichnungen und Plänen eine ganz neue Quellengruppe. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Wirtshäuser als multifunktionale Dienstleistungsbetriebe eine maßgeblich Rolle im Prozess der protoindustriellen Durchdringung englischer Gewerbelandschaften spielten. Diese Funktion bestätigt John Chartres in seinem Beitrag über den Wandel der englischen Inns im 18. Jahrhundert. Eine ähnlich bedeutende ökonomische Stellung des Gastgewerbes erkennen Hans Heiss und Felix Müller, deren Beiträge den vormodernen Alpenraum untersuchen.

George E. Snow hat mit den Wirtshäusern im frühneuzeitlichen Russland einen Untersuchungsgegenstand gewählt, der von bisheriger Forschung weitgehend vernachlässigt wurde, für eine Analyse der Genese moderner Trinkkultur und Alkoholproblematik aber dringendes Forschungsdesiderat ist.

Neue Wege beschreitet auch Tlusty, die den Zusammenhängen zwischen den oberdeutschen Gaststätten und dem Militärwesen nachgeht. Sie gelangt zu der Erkenntnis, dass die Wirte häufig Profiteure von Belagerungen und Einquartierungen waren, da sie die Infrastruktur für Militäroperationen bereitstellten.

Was bleibt als Ergebnis? Zunächst erhellen die Beiträge das Potenzial historischer Alkoholforschung für zentrale Felder in der neueren historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung. Das betrifft sowohl die Bereiche der Kommunikations-, der Gender- und der Tourismusforschung als auch die Themenfelder Sozialdisziplinierung, Konfessionalisierung und Öffentlichkeit. Schließlich weist der Band auf die überragende gesamtökonomische Bedeutung des frühmodernen Gastgewerbes hin. Ein zusammenfassendes Fazit hätte diesem europäischen Sammelband sicherlich gut getan, aber letztlich sind hier wesentliche Problemfelder benannt und erschlossen worden, so dass weiteren Studien ein operabler Weg gewiesen wird.

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