Cover
Titel
Deutsches Wörterbuch.


Herausgeber
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Zweitausendeins Verlag
Anzahl Seiten
2 CD-ROMs
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dan Drescher, Gymnasium Halepaghen-Schule Buxtehude

Je umfangreicher ein gedrucktes Standardwerk ist, desto wünschenswerter ist seine (Retro-)Digitalisierung, die mit vergleichsweise niedrigen Anschaffungskosten den Zugang und mittels Suchroutinen den Umgang erleichtern soll. Für das einschließlich Quellenindizes 33 Foliobände umfassende „Deutsche Wörterbuch“ 1, das die visionären Brüder Grimm auf den Weg brachten 2, ist dieses Werk nun vom Kompetenzzentrum für Elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier in Verbindung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vollbracht worden. Erfasst wurden dabei die von 1854 (mit den ersten Lieferungen von 1852) bis 1960 erschienenen Bände, während die Neubearbeitung der veralteten Bände A-F nach ihrer Fertigstellung in wenigen Jahren digitalisiert und mit der Erstbearbeitung vernetzt werden soll.

Verantwortlich für die Konzeption des Projektes zeichnen Thomas Burch (Informatik), Johannes Fournier (Germanistik) und Kurt Gärtner, die mit MitarbeiterInnen sowie Hilfskräften aus dem Vorgängerprojekt 3 Ende 1998 die Arbeit aufnahmen. Zwei Teams junger chinesischer Datentypisten unter Vermittlung des Trierer Lexikografen Dr. Jingning Tao übernahmen in Nanjing (China) die Kärrnerarbeit des Einlesens in den Computer; anschließend wurden die Daten in Trier automatisch abgeglichen. Dabei wurde neu systematisiert, spezielle Kodierungen und Sonderzeichen wurden ergänzt und eindeutige Druckfehler im Deutschen bereinigt.

Die Leistungsmerkmale zur Installation des auf zwei CD-ROMs versammelten Materials erfordern einen nicht allzu alten Computer. Erfreulicherweise läuft das Programm nicht nur unter Windows 98, 2000 und XP, sondern auch unter Linux; eine Macintosh-Version ist angekündigt. 4 Programm und Daten benötigen in der empfohlenen Vollversion ca. 1,3 GB Speicherplatz auf der Festplatte, die Minimalversion, mit der nur das Programm (CD 1) betriebsfähig ist, erfordert ca. 740 MB. Das „Benutzerhandbuch“ ist zur Erschließung der technischen Möglichkeiten ausgesprochen hilfreich und verlässlich, aber bei Problemen auch die einzige Zuflucht, da im Programm selbst eine Hilfsfunktion, wie in anderen Computeranwendungen üblich, leider nicht vorhanden ist, was aber mit der Digitalisierung und Einbindung des „Benutzerhandbuches“ in das Programm schnell behoben werden könnte.

Das sorgfältig und typografisch ansprechend edierte „Begleitbuch“ enthält eine „Einleitung“ (S. 9-22) von Kurt Gärtner, eine „Gebrauchsanleitung“ (S. 25-64) von Hartmut Schmidt, kurze Reflexionen von Ecke Bonk über sein Dokumenta11-Projekt „random walk/random reading“ (S. 67-70), einen Bericht von Hans-Werner Bartz u.a. darüber „Wie das Deutsche Wörterbuch in den Computer kam“ (S. 73-90), einen mit Grimmzitaten angereicherten „Grimm-Bilderbogen“ von Martin Weinmann (S. 92-98) sowie Wilhelm Grimms „Bericht über das Deutsche Wörterbuch“ (S. 99-109) und Jacob Grimms Vortrag „Über das pedantische in der deutschen sprache“ (S. 111-131). 5 Das vom Verlag angelegte „Grimm-Forum“ (http://www.zweitausendeins.de/grimm-forum/) bietet bisher (1.1.2005) leider keine wesentlichen, über das mit dem „Digitalen Grimm“ gelieferte Material hinausgehenden Informationen.

Ist das Programm geöffnet, erlaubt die horizontale Hauptmenüleiste den Zugriff auf knappe Informationen zum „Digitalen Grimm“ (zu denen unerwartet an dieser Stelle auch das im „Deutschen Wörterbuch“ gebrauchte Abkürzungsverzeichnis gehört), auf das Quellenverzeichnis mit den hier gängigen Abkürzungen und Hinweisen der Editoren des „Digitalen Grimm“ zu seiner Benutzung, auf die Suchmasken für die Volltext- und Quellensuche und Hinweisen auf die Suchsyntax, auf Einstellungen zur Anzeige (grammatische Angaben, Siglen, Lieferungsinformation, Spaltenwechsel) und schließlich auf zwei Extras - das überaus nützliche eines rückläufigen Stichwortindex und das spielerische eines Random Reading, d.h. die Kurzanzeige eines zufällig gewählten Stichwortes. Über eine vertikale Buchstabenleiste ist der schnelle Zugriff auf Titelblatt, Vorworte und Stichwörter nach Alphabet möglich.

Befindet man sich im Wörterbuch, erleichtern Lemmalaufleiste, Artikel- und Artikelgliederungsfenster die Navigation. Die (optionale) Angabe von Spalten- und Zeilenzahl im Artikeltext sowie von Band-, Spalten- und Zeilenangabe im Kolumnentitel, beides nach der dtv-Ausgabe, ermöglicht die exakte Zitierbarkeit. 6 Eine weitere Navigations- und insbesondere Arbeitshilfe bietet innerhalb der Artikelfenster ein über die rechte Maustaste aktivierbares Kontextmenü. Hier besteht auch das hilfreiche Angebot, Lesezeichen anzulegen und Anmerkungen zu schreiben, die wiederum im Artikelgliederungsfenster aufgelistet werden und dort wie an Ort und Stelle abruf- und bearbeitbar sind.

Die Suche im Wörterbuch ist über eine Suchmaske möglich, in der der Suchbereich eingegrenzt werden kann: hinsichtlich des Textkorpus vom Gesamttext aus in sinnvollen Kategorien wie Stichwort, Wortart und Verszitat und hinsichtlich der Edition auf Wortstrecken und Erscheinungsjahre. 7 Die Suche ist durch die üblichen Operatoren und Trunkierungen sowie Varianten- und Nachbarschaftssuche erweiter- und verfeinerbar, was besonders historische Schreibungen erfassbar werden lässt und Wortbildungssuchen ermöglicht. Schließlich sind auch die Suchfelder untereinander logisch verknüpfbar.

Diese technischen Voraussetzungen machen den „Digitalen Grimm“ natürlich zunächst für GermanistInnen zu einem überaus nützlichen Hilfsmittel sprachhistorischer, linguistischer und literaturgeschichtlicher Arbeit. Wörter ohne eigenen Stichwortansatz und die verwendeten sprachwissenschaftlichen und lexikografischen Termini sind erst jetzt leicht erreichbar. Darüber hinaus können nun kulturhistorische Untersuchungen, die sich beispielsweise an Wortfeldern oder einzelnen Wörtern orientieren, gezielt aus dem Born des „Deutschen Wörterbuches“ schöpfen. Dies gilt auch für nichtgermanistische Fächer: Möchte man z.B. als Latinist wissen, in welche deutschen Wörter aus Sicht der Bearbeiter der einzelnen Einträge das lateinische solitudo (Alleinsein, Einsamkeit) aufgefächert ist, wird man mittels der Wörterbuchsuche nach solitudo schnell das Spektrum „Bergöde“ bis „Wüstenung“ erhalten. Zudem ist „Der Digitale Grimm“ ein funktionales und leistungsstarkes Instrument für die wissenschaftshistorische Erforschung der Lexikografie. Und schließlich ist das Wörterbuch in seiner digitalisierten Form mehr denn je für alle, die mit der deutschen Sprache neugierig und kreativ umgehen, ein nie versiegender Quell.

Dies wird auch durch einige Mängel, die schnell beseitigt werden sollten, nicht geschmälert:
• Der Export von Wörtern bzw. Textabschnitten ist erschwert: Im Wörterbuchteil ist dies nach Markieren nur mittels der Tastenkombination STRG+C, nicht jedoch über die rechte Maustaste etc. möglich. Ein Exportieren aus den Vorworten und der Suchergebnisliste sowie das Auswählen und -drucken ganzer Seiten der Druckversion ist unmöglich. Die Antwort auf Frage 5 der unter http://www.zweitausendeins.de/grimm-forum/grimm-forum.htm gelisteten sechs „Häufig gestellten Fragen“, warum es keine direkte Druckmöglichkeit gebe, nämlich dass das Ausdrucken in der bisherigen Entwicklungsphase „nicht auf dem Plan“ gestanden habe und man ja auch noch an einer Mac-Version arbeite, scheint nur eine verkaufsbegründete Eile zu bemänteln, die zu Lasten der NutzerInnen geht.
• Das Fortbewegen in den Vorworten ist nur über Laufleiste oder Navigationspfeile möglich, nicht jedoch mittels Mausscrolling.
• Was zuvor über die eingeschränkte Navigation und Exportiermöglichkeit aus den Vorworten gesagt wurde, gilt auch für das Quellenverzeichnis.
• Das Fußnotenfenster ist nicht vergrößer- oder verkleinerbar, so dass auf einem kleinen Bildschirm gerade nur zwei Zeilen sichtbar sind.
• Probleme bei der Digitalisierung des Griechischen sind offensichtlich. Dies betrifft die falsche Wiedergabe von Buchstaben und das Fehlen von Akzenten: Gleich im Vorwort zu Band 1 (= I, Sp. IX) fehlt der Akut bei „lexis“, ebenso s.v. Name (Bd. 13, Sp. 322,39) bei „nemein“ und s.v. Grammatik (Bd. 8, Sp. 1799,31) bei „techne“, wo zudem statt des griechischen „t“ eine „4“ Verwirrung stiftet, eine Aufzählung, die sich fortsetzen ließe. Dies ist auch durch die im „Benutzerhandbuch“ (S. 15) genannten Probleme mit der „Darstellung der Diakritika und Sonderzeichen, für die es noch keine standardisierten Abbildungsmöglichkeiten gibt, und die daher nicht ohne weiteres auf dem Bildschirm darstellbar sind“, bei einem derart ambitionierten Projekt kaum zu entschuldigen.
• Innerhalb der Ergebnisliste ist nur ein Springen an Anfang oder Ende der Liste bzw. zu den jeweils folgenden oder vorausgehenden zehn Einträgen möglich, ein gezieltes Springen innerhalb der Ergebnisliste dagegen nicht.

Auch wenn das „Deutsche Wörterbuch“ weiter denn je davon entfernt sein dürfte, in den Familien des Landes wie ein Hausbuch gelesen zu werden, wie es Jacob Grimm nach der Fertigstellung des ersten Bandes erwartete, wird die Erfüllung des Wunsches von Kurt Gärtner, in diesem Schatzhaus der deutschen Sprache sollte „jeder Germanist und jeder an der deutschen Sprache Interessierte mindest einmal in der Woche nachschlagen“ 8, durch seine digitalisierte Gestalt insgesamt auf einladende und funktionelle Weise erleichtert. Es ist zu hoffen, dass die angekündigten Upgrades bzw. -dates, mit denen auch weitere wesentliche Informationspositionen durch spezifische Kodierungen ausgewiesen werden sollen, möglichst bald erhältlich sind.

Anmerkungen:
1 16 Bände in 32 Teilbänden mit 316.256 Stichwörtern der Erstbearbeitung in 67.744 Spalten und ein Quellenverzeichnis mit mehr als 25.000 Titeln und Verweisen; als Taschenbuchausgabe bei dtv, München 1999, € 499.
2 Zu den Grimms vgl. zuletzt: Die Brüder Grimm in Berlin. Katalog zur Ausstellung anläßlich des hundertfünfzigsten Jahrestages seit der Vollendung von Band I des Grimmschen Wörterbuches im Jahr 1854, 5. Juli-28. August in der Humboldt-Universität zu Berlin, Stuttgart 2004, mit mehreren im Abschnitt VII (S. 152-183) vereinten Beiträgen zum „Deutschen Wörterbuch“, und B. Heidenreich, E. Grothe (Hgg.), Kultur und Politik - Die Grimms, Frankfurt am Main 2004.
3 Elektronischer Verbund der wichtigsten mittelhochdeutschen Wörterbücher: im Internet zugänglich unter www.mwv.uni-trier.de.
4 Der Rezensent hat Programm und Datenbank unter Windows XP getestet.
5 S. 33 haben die Herausgeber des „Begleitbandes“, die sonst der neuen deutschen Rechtschreibung folgen, „aufwändig“ statt „aufwendig“ (S. 33) übersehen.
6 Hat man unter den Einstellungen die Option Lieferungsinformation aktiviert, gewinnt man zusätzlich über das Klicken der linken Maustaste Umfang, Bearbeiter und Erscheinungsjahr der jeweiligen Lieferung.
7 Warum der entsprechende Abschnitt im „Benutzerhandbuch“ nicht nur „Suchen“, sondern „Suchen und Recherchieren“ überschrieben ist, bleibt unerklärte Tautologie.
8 Begleitbuch: Einleitung, S. 11.

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