R.-M. Vogt: Die urheberrechtlichen Reformdiskussionen

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Titel
Die urheberrechtlichen Reformdiskussionen in Deutschland während der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus.


Autor(en)
Vogt, Ralf-M.
Reihe
Europäische Hochschulschriften II: Rechtswissenschaften 3856
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
XVI, 336 S.
Preis
€ 56,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabella Löhr, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Ein kurzer Blick in die rechtshistorische Forschungsliteratur zur Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland im 20. Jahrhundert zeigt schnell die Größe der Forschungslücke, der sich die vorliegende Studie widmet: Die Quellen zur Entstehung des modernen Urheberrechtes im 18. und 19. Jahrhunderts sind für Deutschland bis ins Detail erforscht und wurden in der Sekundärliteratur und in Quellensammlungen zugänglich gemacht. Darüber hinaus findet sich eine umfangreiche Kontextualisierung der rechtshistorischen Forschung in den Sozial- und Kulturwissenschaften, die beispielsweise mit der Geschichte des Buchwesens, des Buchdruckes und der Lesegesellschaften die Rechtsgeschichte in größere gesellschaftliche Entwicklungslinien eingeordnet haben. Die rechtshistorischen Darstellungen enden in der Regel jedoch am Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Gesetzen zum Urheberschutz von Werken der Literatur und Musik von 1901 und zum Urheberschutz von Werken der Kunst und Fotografie von 1907 und setzen erst wieder in den 1960er-Jahren mit dem neuen Urheberrechtsgesetz der Bundesrepublik ein. Möchte man sich über die Zeit dazwischen informieren, also vom Ersten Weltkrieg, über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus bis in die frühe Bundesrepublik hinein, findet man nur wenig oder gar keine Literatur.

Vor diesem Hintergrund ist die Kieler Dissertation von Ralf-M. Vogt eine sehr begrüßenswerte Arbeit, die mit der Zwischenkriegszeit eine Zeitspanne thematisiert, in der auf gesetzgebender Ebene zwar nichts Neues geschah, in der aber mit einer Fülle von Reformdiskussionen zwischen privaten und öffentlichen Interessensgruppen eine Grundlage für die Entwicklung des Urheberrechts in der Bundesrepublik gelegt wurde. So arbeitet die Studie ein wichtiges Forschungsdesiderat auf und schließt zeitlich direkt an die ein Jahr zuvor auch in Kiel eingereichte Dissertation von Christiane Maracke an, die mit den 1949 beginnenden Vorarbeiten zum Urheberrechtsgesetz der Bundesrepublik von 1965 einen bisher in der Literatur und in den Quellen auch weitestgehend unbekannten Abschnitt problematisierte.1

Die Darstellung der Reformdiskussion während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus gliedert sich in vier Kapitel: Das erste Kapitel umreißt kursorisch den Urheberrechtsschutz bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts mit Fokus auf die für den weiteren Rechtsverlauf maßgebenden Urheberrechtsgesetze von 1901 und 1907. Dem folgt ein ausführliches zweites Kapitel, das in chronologischer Abfolge die einzelnen Gesetzesentwürfe von amtlicher und privater Seite in den 1920er und 1930er-Jahren vorstellt, nicht ohne vorher die Gründe für die Reformdiskussion in dieser Zeit zu nennen: Mit der Verpflichtung des nationalen Urheberrechts gegenüber maßgebenden Vorgaben des internationalen Urheberrechts in Form der Berner Übereinkunft und der Anpassung des Urheberrechts an die Weiterentwicklung technischer Medien (Schallplatte, Rundfunk, Tonfilm) werden die beiden wesentlichen Rahmenbedingungen der Zeit genannt, an denen die Reformdiskussion sich abarbeitete. Der chronologischen Darstellung folgt im dritten Kapitel eine systematische Aufschlüsselung der zentralen Inhalte der Debatte (das Urheberpersönlichkeitsrecht, die Schutzfrist, Rundfunksendungen und Schallplatte, Tonfilm und der Rechtsschutz ausübender Künstler). Schließlich folgt ein viertes Kapitel, das in seinem ersten Teil das Urheberrecht im Nationalsozialismus problematisiert und im direkt anschließenden zweiten Teil einen Ausblick auf die weiteren Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg gibt.

Dieses letzte Kapitel überrascht, zum einen weil die Studie hier sehr abrupt von der Analyse einer Diskussion während der Zwischenkriegszeit auf die gesetzgebende Realität in den 1930er-Jahren schwenkt, und zum anderen weil diese Diskussion der Rechtspraxis im Nationalsozialismus in einem Kapitel gemeinsam mit den Nachkriegsentwicklungen abgehandelt wird. Das erste Unterkapitel kann Vogt überzeugend begründen, wenn er sagt, dass die bekannten Darstellungen zum Urheberrecht im Nationalsozialismus die Rechtsprechung einseitig darstellen würden, sie in der Praxis jedoch viel differenzierter ausgefallen sei. Dennoch, so spannend die Problematisierung der politischen Bedeutung und Instrumentalisierung des Urheberrechts als Zugangstor zu den wichtigen Propagandamedien Rundfunk und Tonfilm auch ist, würde man sich trotzdem wünschen, dass dieser Wechsel der Argumentationsebene in der Struktur der Darstellung deutlich sichtbar gemacht worden wäre beispielsweise in Form eines Exkurses.

Die Idee für das zweite Unterkapitel wäre verständlich, würde man die Gesetzgebungen der Bundesrepublik in direkter Fortsetzung der Debatten in der Zwischenkriegszeit interpretieren und auf diese Weise einen Ausblick auf die zeitlich verzögerten Resultate der Debatte geben. Aber diese Interpretation funktioniert leider aus darstellungstechnischen Gründen nicht. Denn an keiner Stelle der Studie fasst Vogt die Ergebnisse der Debatten zusammen oder diskutiert die Bedeutung der chronologisch weiterentwickelten Gesetzesentwürfe, so dass es leider dem Leser überlassen bleibt, den Zusammenhang zwischen den Reformdiskussionen und den nur skizzenhaft angedeuteten Rechtsentwicklungen nach 1945 herzustellen. Wünschenswert wäre ein resümierendes Schlusskapitel gewesen, das die Menge an juristischen Details, die das Buch bietet, in eine zentrale Diskussion über die Akteure, Interessen, Argumentationen und rechtssystematischen Entwicklungslinien in dieser Debatte eingeordnet hätte.

Trotz dieser Kritik ist es ein wichtiges Verdienst der Studie, dass sie eine große Menge an bisher nicht ausgewertetem Archivmaterial und zeitgenössischen Publikationen zum Thema systematisch erschlossen, aufbereitet und zugänglich gemacht hat – nicht zuletzt durch das ausführliche Quellen- und Literaturverzeichnis. Damit bietet sie nicht nur eine sehr gute Grundlage, sondern lädt geradewegs dazu ein, die Anfänge der bis heute das nationale wie das internationale Urheberrecht bestimmenden Debatten um die technischen Reproduktionsmöglichkeiten von Werken der Kunst, Literatur und Musik und der dabei zentralen Aushandlungsprozessen zwischen öffentlichen und privaten Interessen zu verfolgen und weiter aufzuarbeiten. So ist es dem Buch zu wünschen, dass seine Anregung zur Erforschung der Bedingungen der Produktion, Verwertung, Verbreitung und Rezeption von kulturellen Gütern für einen Zeitabschnitt, der bisher sehr vernachlässigt wurde, auf Resonanz in der Forschung stößt und zu weiteren Studien führt, die diese rechtshistorischen Daten in breiter angelegte kultur- und gesellschaftsgeschichtlichen Fragestelllungen über den Stellenwert, die Bedeutung und die Konsequenzen der Verrechtlichung kultureller Güter integriert.

Anmerkung:
1 Maracke, Catharina, Die Entstehung des Urheberrechtsgesetzes von 1965 (Schriften zur Rechtsgeschichte 99), Berlin 2003.

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