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Titel
Mit Gott handeln. Von den Zürcher Gotteslästerern der Frühen Neuzeit zu einer Kulturgeschichte des Religiösen


Autor(en)
Loetz, Francisca
Erschienen
Göttingen 2002: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
576 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Lindenau, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Die vor zwei Jahren erschienene Habilitationsschrift von Francisca Loetz thematisiert nicht nur die Gotteslästerung im Stadtstaat Zürich in der Frühen Neuzeit, sondern möchte generell Religion als vielschichtiges Phänomen mit politischen, gesellschaftlichen und individuellen Aspekten abbilden, indem die Auswirkung religiöser Normen in der Gestaltung des Alltags untersucht wird (S. 17). Drei Leitfragen bestimmen die Arbeit der Verfasserin: Zunächst will sie darstellen, wie sowohl die kirchliche als auch die weltliche Obrigkeit mit dem Delikt der Blasphemie umgingen, um damit eine politische und theologische Definition des Tatbestandes der Gotteslästerung zu geben. Sodann stellt sie die Frage nach der Person des Gotteslästerers, seinem sozialen Kontext und nach den Auswirkungen der religiösen Normen auf den Alltag. Schließlich fragt sie, was das Phänomen der Gotteslästerung über den individuellen Glauben bzw. Unglauben und allgemein über die Gottesvorstellungen in der Frühen Neuzeit aussagt.

Einleitend geht Loetz ausführlich auf den Forschungsstand zu Religion und Blasphemie ein. Dabei unterscheidet sie kirchengeschichtliche, sozialhistorisch-mentalitätsgeschichtliche und anthropologische Ansätze. Während sie die ersten beiden für weniger fruchtbar hält, sieht Loetz in der dritten, aus der historischen Hexen- und Inquisitionsforschung hervorgegangenen Richtung die anregendsten Methoden für ihre eigene Forschung. Von den nur zwei bisher vorhandenen neueren monografischen Arbeiten zur Blasphemie von Gerd Schwerhoff und Alain Cabantous hebt Loetz den komparatistischen Ansatz der ersteren hervor, die einen Vergleich zwischen Köln, Nürnberg und Basel im Hoch- und Spätmittelalter vornimmt. 1 Die von ihr als Nachteil empfundene geringe Anzahl der einzelnen Quellensamples bei Schwerhoff will Loetz allerdings durch eine Beschränkung auf den Fall Zürich beheben wobei sie auch das ländliche Umfeld mit einbeziehen kann. Zudem entwickelt Loetz die bereits von Schwerhoff herangezogene Sprechakttheorie zur Interpretation der Gotteslästerung als kommunikativem Akt weiter. Dabei begreift sie jedoch gotteslästerliche Äußerungen nicht nur als Sprech-Akt, sondern als Sprech-Handlung, in denen neben dem Gesagten auch immer das Nicht-Gesagte mitschwingt (S. 77).

Nach der umfassenden Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand wendet sich Loetz im zweiten Kapitel ganz dem Beispiel Zürich zu. Hier arbeitet sie die Normen anhand der theologischen Positionen Heinrich Bullingers und Huldrych Zwinglis heraus und kontrastiert sie mit Gesetzgebung und Strafpraxis. Dabei wird evident, dass die Zeit der Reformation keine tiefgreifende Umdeutung des Deliktes oder wesentliche Verschärfung der Sanktionen brachte, sondern dass die Vorstellungen aus dem späten Mittelalter fortbestanden. Die Autorin relativiert zudem die bisher von der Forschung angeführte hohe Zahl von Todesstrafen 2, wobei sie die ambivalente Haltung der Justiz gegenüber psychisch kranken Gotteslästerern aufdeckt. Der Anteil von reinen Blasphemiedelikten lag demnach bei maximal vier Prozent aller verfolgten Straftaten (S. 177ff.). Nur 19 von 84 Todesurteilen zwischen 1500 und der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden für reine Blasphemiedelikte verhängt. Wesentlich häufiger reagierte die Obrigkeit mit Ehrenstrafen, zum Teil in Verbindung mit Geldstrafen. Nicht selten führten Suppliken von Dritten zugunsten der Delinquenten – von Loetz als „von außen erbrachtes Sozialkapital“ bezeichnet – zur Herabsetzung des Strafmaßes (S. 189).

Noch vor der Verfolgung durch die weltliche oder kirchliche Obrigkeit setzte die soziale Kontrolle durch die Mitbürger, also eine horizontal gerichtete Kontrolle ein. Manche gängigen Flüche und Lästerungen, die sich beim Spiel oder beim Wein erhoben, wurden toleriert, viele Gotteslästerungen jedoch auf der gesellschaftlichen Ebene geahndet – etwa in Form von Herdfall 3 oder durch Zahlungen in die Armenkasse – was einerseits die geringe Strafverfolgung des Delikts bedingte, andererseits aber zur Disziplinierung der Delinquenten beitrug. Mitunter wurde allerdings sofort die Justiz eingeschaltet. Bestimmten sozialen Randgruppen wie Fremden, Soldaten oder Bettlern wurde blasphemisches Reden geradezu unterstellt. Eine Welle von Falschaussagen und Denunziationen wie bei der Hexenverfolgung konnte Loetz für die Blasphemie in Zürich jedoch nicht ausmachen.

Nach den Ausführungen zur Strafpraxis stellt Loetz die gesellschaftliche Bedeutung der Gotteslästerung dar. Blasphemie konnte eine Artikulation von Unzufriedenheit mit der Obrigkeit sein, aber auch mit dem Ziel einer persönlichen Ehrverletzung in einem Konflikt eingesetzt werden. Hier schließt sich Loetz der Interpretation Schwerhoffs an, ja verstärkt sie noch mit der Aussage, „dass blasphemische Ehrverletzungen [...] vorwiegend weltliche Ehrhändel und damit eine kulturell spezifische Form des Streitens sind“ (S. 273). Damit greift sie die eingangs aufgestellte These der Blasphemie als Sprechhandlung auf. Gotteslästerung wird so als Kommunikationsmittel verstanden, dessen sich zudem beide Geschlechter gleichermaßen bedienten. Um ihrem Ziel einer „Kulturgeschichte des Religiösen“ näher zu kommen, untersucht Loetz schließlich das religiöse Wissen und das Gottesverständnis der Blasphemiker. Neben einer hohen Zahl von theologisch ungebildeten Blasphemikern standen andere, die in der gotteslästerlichen Provokation ein Mittel zum religiösen Streitgespräch suchten oder Paradoxien der christlichen Lehre aufzeigen wollten. Nur wenige wollten hingegen die Existenz Gottes in Frage stellen.

Wenn der Titel des Buches die Frage nahe legt, ob man in der Frühen Neuzeit mit Gott (ver-)handeln konnte, so bleibt eine Antwort darauf aus. Anhand der zum Teil sehr ausführlich vorgestellten Quellen und der anschaulichen Tabellen wird jedoch deutlich, dass Gotteslästerung sowohl in der religiösen als auch in der profanen Sphäre der frühneuzeitlichen Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielte und dabei vor allem als Mittel in Ehrkonflikten diente. Der kommunikationstheoretische Ansatz bietet dabei den Vorteil, auch die Intentionen der Gotteslästerer, ihr theologisches Vorwissen und ihren Handlungsrahmen erfassen zu können. Die in Aussicht gestellte Übertragbarkeit der Ergebnisse auf das gesamte westliche Europa (S. 523) ist vielleicht etwas weit gegriffen. Große Aussagekraft besteht aber auf jeden Fall für den schweizerisch-oberrheinischen Raum. Der interkonfessionelle Vergleich bietet eine sinnvolle Erweiterung, wie die Autorin durch einen Ausblick auf die Stadt Luzern zeigt.

Anmerkungen:
1 Cabantous, Alain, Histoire du blasphème en Occident XVIe-XIXe siècle, Paris 1998; Schwerhoff, Gerd, Gott und die Welt herausfordern. Theologische Konstruktion, rechtliche Bekämpfung und soziale Praxis der Blasphemie vom 13. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, Habilitationsmanuskript Bielefeld 1996.
2 Wettstein, Erich, Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, Winterthur 1958.
3 Kirchliche Strafe, bei welcher der Delinquent niederknien und den Boden küssen muss.