K. Schönhoven u.a. (Hgg.): Generationen in der Arbeiterbewegung

Cover
Titel
Generationen in der Arbeiterbewegung.


Herausgeber
Schönhoven, Klaus; Braun, Bernd
Reihe
Schriftenreihe der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte 12
Erschienen
München 2005: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Geschichtswissenschaft hat sich lange schwer getan, mit dem Generationenbegriff zu arbeiten, sie war bestrebt, Subjektivität aus dem Schreiben der Geschichte herauszuhalten und hat die Generationen der Soziologie und der Pädagogik überlassen.1 "Man bemängelte die Unschärfe dieses Forschungskonzepts und seine Orientierung an biologischen Eckdaten, man bezweifelte seine Plausibilität bei der Zuordnung von altersspezifischen Prägungen und man kritisierte seine analytischen Schwachstellen und seinen chronologischen Schematismus bei der Konstruktion von Generationsgemeinschaften und Generationsabfolgen." (S. 7) Aber in den letzten Jahren zeichnet sich eine Renaissance des umstrittenen Forschungskonzepts ab. "Der Generationsbegriff erlebt gegenwärtig - wieder einmal - wissenschaftlich eine Hochkonjunktur und dies nicht nur in soziologischen und sozialpsychologischen Zeitdiagnosen. [...] Das Konzept Generation wird mittlerweile von verschiedenen Fachrichtungen der Geschichtswissenschaft als eine Kategorie genutzt, wenn es um die vergleichende Profilierung der Lebensläufe einer Altersgruppe oder um die mentalitätsgeschichtliche Klassifikation und Zuschreibung von Zeitgenossenschaft für verschiedene Altersgruppen geht." (S. 7) Dabei ist die Anwendung des Begriffs noch keineswegs festgeschrieben. Jürgen Zinnecker hat darauf aufmerksam gemacht, dass Probleme der Generationen gegenwärtig sowohl auf der Mikro-, der Meso- wie der Makroebene interessieren, d.h. in familialen und pädagogischen Generationsbeziehungen, auf der Ebene von Organisationen, Bewegungen und Milieus sowie in der Gesellschaft als Ganzes.2 Der vorliegende Band hat genau jene Mesoebene im Blick: Generationen in der Arbeiterbewegung. Möglicherweise lassen sich für den Historiker auf dieser Ebene am besten einzelne Generationen herausarbeiten. Jedenfalls ist damit ein interessanter Anfang in dieser Richtung gemacht. Der Band beruht auf den Ergebnissen einer gleichnamigen Tagung im März 2003 in Heidelberg. Er ist in drei Teile mit jeweils drei Beiträgen gegliedert: Führungsgenerationen, Formung durch Milieu und Organisation und geistige Orientierung.

Der Forschungsansatz, so betonen die Herausgeber im Vorwort, "zielt auf einen Generationenbegriff, der gruppenbiographische Gemeinsamkeiten auf einem zuvor abgesteckten Untersuchungsfeld gewichtet und nach Übereinstimmungen in den Problemwahrnehmungen, Handlungsnormen und Ausdrucksformen fragt" (S. 8). Im Einleitungsbeitrag beschreibt Klaus Tenfelde "Generationelle Erfahrungen in der Arbeiterbewegung bis 1933". Ausgehend vom Jahr 1931, - in dem die SPD den "wohl schwersten Bruch in ihren generationellen Erfahrungen" erlebte, "den die deutsche Arbeiterbewegung je zu bewältigen hatte" (S. 24) -, weist er nach, dass bis 1933 Milieu- und Generationsbildung in der Arbeiterbewegung beinahe untrennbar verschmolzen waren. Man kann deshalb nur bis 1933 von Bewegungs-, Gewerkschafts- oder Parteigenerationen sprechen. Methodisch ist es auf dieser Mesoebene auch leichter, das Problem der "ersten" Generation in den Griff zu bekommen. Denn die erste bzw. die ersten Generationen sind logischerweise die Gründer- oder Pioniergenerationen der Bewegung. Tenfelde beschreibt die drei Pioniergenerationen der Sozialdemokratie und erörtert danach die Probleme der Verjüngung bzw. Überalterung der Partei in der Weimarer Republik.

Im ersten Teil: "Führungsgenerationen in der Arbeiterbewegung: Prägungen und politische Optionen" charakterisieren Thomas Welskopp die "Generation Bebel" und Bernd Braun die "Generation Ebert". Das sind, nach Tenfelde, die erste und die dritte Pioniergeneration der Sozialdemokratie. Und Maik Woyke beschreibt die Erfahrungen der "Generation Schumacher", die zur "Frontgeneration" des Ersten Weltkriegs gehörte. Es geht um die prägenden Erfahrungen und politischen Optionen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zwischen 1820 und dem Ende des 19. Jahrhunderts geborenen Führungsgenerationen, die die Geschichte der SPD und der Gewerkschaften nahezu ein Jahrhundert lang bestimmten.

Der zweite Teil: "Formung durch Milieu und Organisation: Karrieren und Karrieremuster" enthält Beiträge von: Jürgen Mittag "Zwischen Professionalisierung und Bürokratisierung: Der Typus des Arbeiterfunktionärs im Wilhelminischen Deutschland", der hervorhebt, dass sich die Pionierkohorte der besoldeten Arbeiterfunktionäre aus in den 1870 Jahren Geborenen rekrutierte, also der "Generation Ebert" angehörte; Frank Engehausen: "Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion im Wilhelminischen Kaiserreich: Altersstruktur und Generationenkonflikte", der nachweist, dass man die Fragmentierung der Fraktion, die schließlich in der Parteispaltung mündete, nicht allein als Generationenkonflikt deuten kann; und Siegfried Weichlein: "Milieu und Mobilität: Generationelle Gegensätze in der gespaltenen Arbeiterbewegung der Weimarer Republik", der überzeugend und statistisch untermauert darlegt, dass die Formel von der jugendlichen KPD und der verknöcherten SPD "ein bisschen Substanz und viel Propaganda" (S. 167) enthält.

Im dritten Teil: "Geistige Orientierung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung" erörtert Stefan Berger die "Marxismusrezeption als Generationserfahrung im Kaiserreich"; Karsten Rudolph beschreibt "'Streitbare Republikaner' in der frühen Weimarer Republik: Preußen und Sachsen im Vergleich" und Daniela Münkel fragt "Wer war die 'Generation Godesberg'?". Die drei Beiträge behandeln Phasen und Probleme der Rezeption des Marxismus im späten Kaiserreich, die unterschiedlichen Akzentuierungen des Republikverständnisses im frühen Weimar und die Führungsgruppen der SPD, die die Modernisierung der Partei in der frühen Bundesrepublik einleiteten. "Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob ideologische Anschauungsdifferenzen innerhalb der Arbeiterbewegung auf die unterschiedlichen Erfahrungen von aufeinander folgenden Alterskohorten zurückzuführen sind oder ob sich die geistige Orientierung der Sozialdemokratie unabhängig von mentalitätsgeschichtlich zu verortenden Generationsprägungen und den gemeinsamen Grundüberzeugungen von Generationsgemeinschaften wandelte." (S. 14)

Natürlich bestätigt auch dieser Band die Schwächen und Defizite aller bisherigen Generationengeschichten: Generationen sind zumeist auf Jugend und Jugendgenerationen bezogen, d.h. auf die politische und kulturelle Sozialisation im Jugendalter. Der Generationsbegriff bleibt in der Regel männlich dominiert, die Spezifik der Geschlechter kommt kaum zum Tragen. Generation ist in vieler Hinsicht elitär, d.h. Generationen werden zumeist durch Minderheiten, im vorliegenden Band durch Führungsgenerationen, bestimmt. Gleichwohl kann durch den Vergleich und die Abfolge der Beiträge die Historizität des Generationenbegriffs gewährleistet und begründet werden. Mit der Darstellung der sich wandelnden Generationenverhältnisse in der Sozialdemokratie wird ein Stück weit die "Jugendlichkeit" von Generationen aufgehoben. Die Beschränkung auf die Mesoebene Arbeiterbewegung ermöglicht das dialektische Verhältnis von Klasse, Schicht, Milieu und Generation ins Auge zu fassen und somit manche Einseitigkeiten der Generationengeschichte zu vermeiden. Begrifflich wird im Band allerdings nicht sauber zwischen "Alterskohorten" und "Generationen" unterschieden und damit teilweise das Deutungsmuster Generation wieder in Frage gestellt. Insgesamt jedoch beweisen und untermauern die Beiträge, dass das Generationenkonzept eine wertvolle Ergänzung darstellt, um tiefer in die programmatische, politische und soziale Identitätsbildung der Arbeiterbewegung und in die Entwicklung ihres kollektiven Selbstverständnisses in den verschiedenen Phasen der Geschichte einzudringen. Möglicherweise gibt uns die Erforschung und die Rekonstruktion von Generationen, um an Heinz Bude anzuknüpfen, Antworten auf die Fragen, die wir noch nicht an die Geschichte gestellt haben.3

Anmerkungen:
1 Vgl. Reulecke, Jürgen, Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 2003. (Rez. in H-Soz-u-Kult vom 24.03.2004: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-180)
2 Vgl. Zinnecker, Jürgen, "Das Problem der Generationen". Überlegungen zu Karl Mannheims kanonischen Text, in: Ebenda, S. 45.
3 Bude, Heinz, Qualitative Generationsforschung, in: Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Steinke, Ines (Hgg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek 2000, S. 193.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension