K. Rudolph: Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg

Cover
Titel
Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg. Die Ostpolitik der westdeutschen Großindustrie 1945-1991


Autor(en)
Rudolph, Karsten
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Campus Verlag
Anzahl Seiten
455 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte, Bielefeld/Eugen-Gutmann-Gesellschaft, Frankfurt am Main

„Die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen ist aufregender als jeder Roman. Vergebens sucht man nach einem anderen Beispiel so tödlich-intimer Umarmung und gegenseitiger Verknäuelung und Verstrickung zweier Völker.“ Diese Ansicht vertrat bereits 1988 Sebastian Haffner in seinem Buch „Der Teufelspakt“. Ein besonders spannendes Kapitel im Schicksalsroman der deutsch-russischen Beziehungen bilden die Bemühungen von Diplomatie und Wirtschaft, während des so genannten „Kalten Krieges“ einen modus vivendi zwischen der Sowjetunion und anderen „Ostblockländern“ auf der einen und der jungen Bundesrepublik auf der anderen Seite herzustellen. Karsten Rudolph hat sich der Aufgabe angenommen, diese Bemühungen sowie die daraus resultierenden wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland von 1945 bis zum Ende der alten Sowjetunion näher zu analysieren. Sein Ansatz ist eher ein politik- und diplomatiehistorischer, weniger ein wirtschaftshistorischer. Daher folgt seine Darstellung mehr den Fragestellungen der Politikgeschichte, während Probleme und Fragen des konkreten Handelns der ökonomischen Akteure eher am Rande thematisiert werden. Dies ist dem Autor nachzusehen, bietet die „Ostpolitik“ der westdeutschen Großindustrie während des Untersuchungszeitraumes doch genügend Stoff für eine spannende Darstellung.

In den ersten Abschnitten schildert Rudolph anschaulich, wie die westdeutsche Industrie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schnell mit ihren Bemühungen scheiterte, den „Osthandel“ wieder zu beleben. Bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion hatte die deutsche Großindustrie traditionell enge Beziehungen zu Russland und anderen Staaten Mittel- und Osteuropas unterhalten, ja sie sah in diesen Ländern sogar eine Art von „traditionellem“ Hinterhof – sowohl zur Beschaffung notwendiger Rohstoffe als auch als Absatzmarkt. Mit den megalomanen Plänen Hitlers zur Etablierung eines europäischen Großwirtschaftsraumes unter deutscher Hegemonie schien diese Position sogar festgeschrieben zu sein. Der Zusammenbruch des NS-Regimes, die Demontagepolitik der Alliierten und die Zerschlagung alter Großkonzerne zwangen die deutsche Industrie nach 1945 jedoch, einen völlig neuen Anlauf zur Reaktivierung des „Osthandels“ zu nehmen.

Wie Rudolph nachweisen kann, fiel dies schwer. Adenauers Politik der Westintegration konterkarierte auch vielfältige Bemühungen der deutschen Industrie, wieder stabile Wirtschaftsbeziehungen mit den Staaten in Osteuropa aufzubauen, vor allem der Sowjetunion. An Engagement und Willen der deutschen „Osthändler“ aus der Industrie mangelte es nicht. Traditionelle Foren der Wirtschaftsdiplomatie, wie etwa der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, wurden reaktiviert, neue geschaffen, zahlreiche Initiativen gestartet, um „mit der Sowjetunion wieder ins Geschäft zu kommen“. Dennoch: Der Primat der Politik kanalisierte, ja verhinderte aus außenpolitischer Räson vieler dieser Aktivitäten. Im Ränkespiel zwischen Politik und Wirtschaft in der frühen Bundesrepublik war die Machtposition der westdeutschen Industrie noch zu schwach, die Prägekraft zahlreicher politischer Entscheidungsträger bei der Gestaltung der Außen- und Außenwirtschaftspolitik zu dominant. Viele sahen in der Sowjetunion den „Todfeind“, mit dem man keinen Handel trieb.

Gestützt auf eine reiche Quellenbasis zeichnet Rudolph in diesen Kapiteln chronologisch die einzelnen Gesprächsinitiativen und Bemühungen der Industrie nach, Wirtschaftskontakte nach „Osten“ zu knüpfen, ebenso die Manöver des Bonner Außenministeriums und seiner Mitarbeiter, diese Bemühungen in seinem Sinne zu kanalisieren. Vielleicht wäre in einigen Abschnitten eine klarer konturierte Gegenüberstellung der einzelnen Positionen hilfreich gewesen, um die unterschiedliche Stoßrichtung der Diplomaten aus dem Außenministerium und der „Wirtschaftsdiplomaten“ zu verdeutlichen. An manchen Stellen ist die Darstellung zu deskriptiv und detailverliebt, ohne zu einem konkreten Ergebnis zu kommen.

Der Streit um Röhrenlieferungen in die Sowjetunion, die Auseinandersetzung über mögliche Kompensationsgeschäfte und schließlich das von der Politik durchgedrückte „Röhrenembargo“ markierte sicherlich einen Wendepunkt in der Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen mit „dem Osten“. Zwar akzeptierte die westdeutsche Großeisenindustrie das Embargo aus außenpolitischer Räson, doch suchte sie auch kontinuierlich nach Wegen, die ablehnende Haltung der Politik zu unterlaufen. Messebesuche, Einladungen an russische Politiker und Reisen nach Moskau oder in die Hauptstädte anderer Ostblockländer sollten dazu als Mittel dienen. Angesichts eines an Dynamik nachlassenden „Wirtschaftswunders“ erkannte die Politik wohl auch schrittweise die Notwendigkeit, dass die deutsche Industrie intensiv nach neuen Handelspartnern und Absatzmärkten suchen musste. Anschaulich beschreibt Rudolph diesen „Suchprozess“ und stellt dabei drei Industrielle in den Vordergrund, die den „Osthandel“ während dieser Zeit in der Tat prägten: Otto Wolff von Amerongen, Berthold Beitz und Ernst Wolf Mommsen. Rudolph kann nachweisen, dass diese drei in der deutschen Unternehmerschaft, vor allem derjenigen des Ruhrgebiets, eher „Außenseiter“ waren, dass es ihnen aufgrund ihres Engagements und ihres Charismas jedoch gelang, sich als entscheidende und durchsetzungsfähige „Brückenbauer“ der deutschen Industrie nach Osten zu profilieren. Rudolphs Darstellung der einzelnen Lebenswege und unternehmerischen Leistungen gerät an einigen Stellen zu einer Hommage an die drei Industriellen; an ihrer Bedeutung für den Ausbau des deutschen Osthandels ist jedoch nicht zu zweifeln.

In gewisser Weise lassen sich die drei Unternehmerpersönlichkeiten sogar als Wegbereiter für die „neue Ostpolitik“ der Bundesregierung unter Willy Brandt verstehen. Mit diesem Politikwechsel gewann der Osthandel deutlich an Dynamik. Industrielle wie Wolff von Amerongen oder Beitz mussten dennoch für ihre Haltung in den Interessenverbänden der Industrie kämpfen, da ein großer Teil der deutschen Wirtschaft die Politik des Kabinetts Brandt mit Misstrauen, ja sogar mit Ablehnung betrachtete, wie Rudolph zeigt. Die Hoffnungen, die von der Politik und den „Osthändlern“ in den Ausbau der deutsch-russischen oder deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen gesetzt wurden, blieben jedoch zu einem großen Teil unerfüllt. Verantwortlich war dafür die deutliche Abkühlung in den Beziehungen mit den östlichen Nachbarn aufgrund des Nachrüstungsbeschlusses der NATO und der Verhängung des Kriegsrechtes in Polen, vielleicht auch der Rückzug der drei prominenten „Osthändler“ Wolff von Amerongen, Beitz und Mommsen aus dem operativen Tagesgeschäft. Erst durch die allgemeine Neuausrichtung der Politik unter KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow gewannen die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen wieder verstärkt an Bedeutung. Dieses in die unmittelbare Gegenwart hereinreichende Kapitel behandelt Rudolph in seiner Studie verständlicherweise nur kursorisch.

Als Ergebnis des Buchs bleibt festzuhalten, dass während des „Kalten Krieges“ die „stabilsten Beziehungen zu den Staatshandelsländern die Wirtschaftsbeziehungen waren“, wie Otto Wolff von Amerongen bereits im Juli 1977 betonte. Dieser Einschätzung ist zuzustimmen, auch wenn sie nicht wirklich überraschend ist. Dass sich Teile der Wirtschaft in einem schwierigen politischen Umfeld zum Vorreiter machten, um die deutsch-russischen Beziehungen zu reaktivieren, ist angesichts der langen Tradition des deutsch-russischen Handels bis 1941 nicht verwunderlich. Rudolph kann nachweisen, dass die Wirtschaft dabei lange Zeit unter dem Primat der Politik stand, bis sie endlich, aber auch nur kurzfristig, die notwendigen Freiräume für die erhoffte Intensivierung des „Osthandels“ bekam. Rudolphs Arbeit ist ein spannendes Stück deutscher Wirtschafts- und Diplomatiegeschichte der Nachkriegszeit, auch wenn sich ein Manko nicht übersehen lässt, das auch anderen Arbeiten zum deutsch-russischen Handel oft anhaftet: Die Geschichte der Wirtschaftsbeziehungen wird fast nur aus deutscher Perspektive und auf der Grundlage von Quellen aus deutschen Archiven erzählt. Der Roman über die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen mit seinen einzelnen Kapiteln lässt sich nur dann vollenden, wenn den russischen Akteuren der gleiche Stellenwert zugemessen wird wie den deutschen. Erst dann lässt sich die Geschichte der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen exakt darstellen; erst dann lässt sich ermessen, wie kompliziert, wie konstruktiv und wie spannend diese Beziehungen tatsächlich waren.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension