C. Danelzik-Brüggemann u.a. (Hgg.): Bildgedächtnis

Titel
Bildgedächtnis eines welthistorischen Ereignisses. Die tableaux historiques de la Révolution française


Herausgeber
Danelzik-Brüggemann, Christoph; Reichardt, Rolf
Reihe
Formen der Erinnerung 10
Erschienen
Göttingen 2001: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Die Editionsgeschichte der Tableaux historiques de la Révolution française sind seit Maurice Tourneaux’ großer Bibliografie zur Geschichte von Paris in der Revolutionszeit (1890) gründlich nach Änderungen zwischen den Auflagen und nach Einzelabbildungen erschlossen worden. An diesem Beispiel haben die Autoren des vorliegenden Bandes, die sich in Vorbereitung auf den Giessener Sonderforschungsbereich zur Erinnerungskultur 1998 bei einer Tagung getroffen haben, empirische Auswertungen und weiterführende methodologische Überlegungen zur Rolle von ikonografischen Werken für die Erforschung der Medialität interkultureller und transnationaler Prozesse vorgenommen.

Zwei Richtungen interessieren dabei besonders: die Rolle umfangreicherer Bildsammlungen als besonders konzentrierte Speicher des kollektiven Gedächtnisses und ihr Einsatz für die (gleichsam agitatorische) Polarisierung der Deutung aktuellen Geschehens im Moment des Übergangs vom Erleben zum Erinnern. Damit werden die Bemühungen um eine Kulturgeschichte der Französischen Revolution fortgesetzt, die Rolf Reichardt in unterschiedlichen Konstellationen seit mehr als dreißig Jahren vorantreibt, wozu nur auf sein Projekt eines Handbuches politisch-sozialer Grundbegriffe oder auf die Datenbank zur deutschen Revolutionsbibliothek verwiesen sei. In beiden Fällen geht es um ein Massiv von Textbelegen, das entweder begriffsgeschichtlich oder am Indikator der Übersetzung in eine andere Sprache (und einen anderen Verwendungskontext) erschlossen wird.

Seit einigen Jahren hat Reichardt in Kooperation mit Kunsthistorikern und auf den Spuren des französischen Mentalitätshistorikers Michel Vovelle, der 1989 erstmals eine fünfbändige Sammlung der Revolutionsikonografie veröffentlicht hat, seriell auswertbare Bildquellen als neue Analysebasis herangezogen. In der Deutung der Französischen Revolution als internationales Medienereignis steckt die Hypothese, die Revolution habe eine weit über Frankreich und auch über Europa hinausführende verständliche Bildsprache kreiert (S. 10), wobei sowohl Dauer als auch Reichweite und Struktur dieses Vorgangs bisher noch weitgehend unaufgeklärt sind. Dass Bilder leichter geografische Grenzen überschreiten können, leuchtet jedem heutigen Fernsehkonsumenten unmittelbar ein und trieb auch schon die Stecher und Verleger des späten 18. Jahrhunderts zu einer Konjunktur der Nachdrucke. Adaptionen verweisen uns aber zugleich auf unterschiedliche Bedingungen oder jedenfalls auf ihre Antizipation bei den auswählenden Verlegern. Die umfangreiche Sammlung der Tableaux historiques wurde in Nord- und Südeuropa und im deutschsprachigen Kulturraum zur Grundlage eigener Werke, die die ursprüngliche, sehr umfangreiche Sammlung komprimierten, sie dadurch aber auch billiger und weiteren Käuferschichten zugänglich machte, die Bilder gegenüber den Begleittexten bevorzugte bzw. diese sogar mit eigenen (liberalen wie im holländischen oder gegenrevolutionären wie im deutschen Fall) Revolutionsdeutungen kombinierte. Gerade diese scheinbare Neutralität der Bilder von der Interpretation im Text verankert die Ikonografie der Revolution in den verschiedenen politischen Richtungen des europäischen 19. Jahrhunderts und machte sie zum Gemeingut der Bilder, die den Menschen beim Thema Revolution durch den Kopf gingen.

Die Aufsätze des Bandes wiederum widmen sich der Erschließung der französischen Originale (immerhin fünf Ausgaben in 26 Jahren), wie die Beiträge von Christoph Danelzik-Brüggemann, Hans Jürgen Lüsebrink, Chun-Lan Liu und Stéphane Roy sowie Claudette Hould belegen, während Annie Jourdan und Rolf Reichardt die holländischen und deutschen Nachrucke und Adaptionen behandeln. Im eigentlichen Sinne erinnerungsgeschichtlich geht vor allem Annie Duprat vor, die die Präsenz in der gegenrevolutionären Karikatur der 1990er-Jahre in Frankreich zum Ausgangspunkt wählt für die Frage nach Überlieferungswegen im kollektiven Gedächtnis. Eine genauere und auch methodologisch explizite Analyse, die über die Feststellung langfristiger Präsenz polemischer Bilder hinausgeht, sucht man jedoch auch hier vergebens. Bilder werden als faszinierende Quelle (neu-)entdeckt, aber ihr Platz bei der Formierung von konkurrierenden und schließlich dominanten Narrativen, die das kollektive Gedächtnis über längere Zeit füllten und formten, bleibt noch zu bestimmen.

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