E. Hrabovec: Der Heilige Stuhl und die Slowakei 1918-1922

Cover
Titel
Der Heilige Stuhl und die Slowakei 1918-1922 im Kontext internationaler Beziehungen.


Autor(en)
Hrabovec, Emilia
Reihe
Wiener Osteuropa Studien 15
Erschienen
Anzahl Seiten
422 S.
Preis
€ 68,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Catherine Horel, CNRS/IRICE, Universität Paris I Email:

Mit dem vorliegenden Forschungsthema habilitierte sich die Autorin 2001 an der Universität Wien, wo sie seitdem am Institut für Osteuropäische Geschichte unterrichtet. Das Buch berührt ein bisher kaum erwähntes Feld und zwar die Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und dem Heiligen Stuhl einerseits sowie andererseits die den Katholizismus betreffenden Beziehungen zwischen der Prager Regierung und der Slowakei. Im Allgemeinen sind über die Geschichte der Slowakei sehr wenige Bücher in westlichen Sprachen veröffentlicht worden, so dass das Werk von Emilia Hrabovec schon daher sehr wertvoll erscheint. Auf der Basis der erst kürzlich zugänglich gemachten Archive des Papstes Benedikt XV. untersucht sie das Verhältnis der päpstlichen Diplomatie zur Slowakei in einer Periode großer politischer Veränderungen. Der Abtrennungsprozess vom ungarischen Königreich erforderte den Ausbau neuer kirchlichen Strukturen, und das zu einer Zeit, da gerade die Reformbewegung der tschechischen Priesterschaft und die Schaffung einer Tschechoslowakischen (National-)Kirche in Sicht waren. Nachdem 2003 auch die Archive des Nachfolgers von Benedikt XV., Papst Pius XI. geöffnet wurden, könnte die Erforschung dieser Beziehungen bis 1939 angegangen werden, was die Autorin offenbar auch vorhat.

Das Buch präsentiert in zwei großen Teilen zunächst den Neubeginn der kirchlichen Organisation in der Slowakei und dann die Weichenstellungen für die darauffolgenden Entwicklungen. An die Rolle des Papsttums gegen Ende des Krieges wird mit Recht erinnert, ebenso an die Haltung des Vatikans gegenüber dem Zerfall der Habsburger Monarchie. Die Anpassung der katholischen Kirche an die neue mitteleuropäische Ordnung läuft parallel zu den Debatten über den von ihr abgelehnten Nationalismus. Interessant dabei ist die Reflexion der Jesuiten über Nation und Nationalität, die den Wert der Nation und das Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten anerkannten (S. 25). Der Stellenwert, den Rom den Beziehungen zu den Nachfolgestaaten einräumte, war groß. Im behandelten Falle betraf dies sowohl Ungarn, das seine Rechte auf der kirchlichen Administration der Slowakei aufgeben musste, als auch die Tschechoslowakei, deren Regierung den Heiligen Stuhl eher als eine Macht ansah, die dem Prozess der von Prag angestrebten „Entösterreicherung“ und Entkatholisierung im Wege stand.

Die Haltung der tschechischen Politiker, insbesondere Präsident Masaryks, zur Kirche wird von der Autorin mit Einsicht erläutert. Mehr als Beneš stand Masaryk dem Katholizismus abgeneigt gegenüber und spielte eine nicht unbedeutende Rolle in der Radikalisierung der Prager Regierung, die auf dem ganzen Territorium von gewalttätigen anti-katholischen Exzessen begleitet wurde. In der Slowakei wurden sie besonders schmerzhaft von der katholischen Bevölkerung empfunden. Als Partner der Tschechen im neuen Staat waren die Slowaken dem Druck ausgesetzt, sich der geforderten Unterwerfung und Anpassung an die tschechische laizistische Staatstheorie zu stellen. Die Spuren dieser Gewalt und der eingeforderten Ergebenheit sollten dauerhafte Spuren in den Mentalitäten unterlassen.

In den Ausbauprozess der kirchlichen Strukturen der Slowakei waren mehrere Akteure involviert: a) die Prager Regierung, die reformfreundliche bzw. tschechische Geistliche in die Slowakei entsenden wollte, b) die slowakischen kirchlichen Behörden und Politiker, darunter die slowakische Volkspartei von Andrej Hlinka, c) der Fürstprimas von Ungarn, Kardinal Csernoch, der seine Autorität auf die ehemaligen königlichen ungarischen Diözese nicht aufzugeben gedachte, und schließlich d) der Vatikan, vertreten von seinem Wiener Nuntius Teodoro Valfrè di Bonzo. In Bezug auf die Slowakei, die man in Rom nur ungenügend kannte, hatte der Heilige Stuhl zwei Hauptsorgen: den "übertriebenen Nationalismus" (S. 73) der Tschechen und die Gefahr der Revolution in Mitteleuropa, namentlich mit Blick auf die Labilität der noch nicht fixierten Grenze mit dem von der bolschewistischen Revolution heimgesuchten Ungarn.

Zwar betrachtete der Nuntius die Slowakei als für Ungarn endgültig verloren, machte sich aber Sorgen über deren Zukunft im tschechoslowakischen Staat. Dieselben Befürchtungen wurden übrigens auch in Richtung Kroatien und Slowenien geäußert, die einem vorwiegend orthodoxen bzw. serbischen Staatsgebilde beitraten. Ein Vergleich der Situation der Slowakei mit der von Kroatien hätte sehr interessant sein können, nicht nur wegen der historischen Beziehungen zu Ungarn, sondern auch mit Blick auf die Position des vorwiegend katholischen Mährens. Die Autorin hat sich indes mehr Polen zugewandt und das mit einer doppelten Begründung: Erstens wurde aus dem Warschauer Nuntius der spätere Papst Pius XI., zweitens waren die bilateralen Beziehungen zwischen Polen und der Tschechoslowakei im Beobachtungszeitraum von schwierigen Grenzfragen belastet, die teilweise die Slowakei betrafen. Dies leuchtet zwar ein, dennoch hätte die Einbeziehung der Lage Kroatiens weitergehende Einsichten ermöglicht, zumal sich Prag und Belgrad 1921 im Zuge der Entstehung der Kleinen Entente annäherten (S. 373). Der fehlende Vergleich zählt zu den ganz wenigen Kritikpunkten, die es überhaupt zu formulieren gilt.

Die Krise der unmittelbaren Nachkriegszeit hat die römische Kurie dazu gebracht, aus der Perspektive der Verteidigung katholisch-religiöser Interessen (S. 94) eine Autonomie der Slowakei in Betracht zu ziehen. Die Slowaken selbst befürworteten mindestens eine Föderalisierung der Tschechoslowakei, was auch von der slowakischen Emigration für wünschenswert erklärt wurde. Forderungen dieser Art waren allerdings schon während der Friedenskonferenzen von den Tschechen bewusst unterminiert worden. Als die Option der Autonomie also nicht mehr annehmbar war, kämpften einerseits Prag, andererseits Budapest um die kirchliche Verwaltung in der Slowakei. Die Autorin erklärt die ungarische Position besonders gut und zeigt ihre gewisse Logik (S. 99-103), wohingegen sich die Taktlosigkeit, wenn nicht Aggressivität Prags für die Lösung der slowakischen Frage eher als schädlich erwiesen hätte. Die von Prag empfohlene Ausweisung der ungarischen Bischöfe sowie die Haltung des Regierungsreferenten Vavro Šrobár und des kirchlichen Administrators Karol Medvecký führten zu einer immer ernsteren Krise zwischen Prag und Rom, die von der vorgesehenen Säkularisierung der Schulen und Bodenreform zusätzlich verschärft wurde. Die Prager Regierung blockierte offenbar alle Initiativen für die Neubesetzung der slowakischen Diözesen, wollte ihre eigenen staatstreuen Kandidaten ernennen können und verweigerte dem Vatikan jeden Kompromissvorschlag. Dasselbe galt für die Gründung einer theologischen Fakultät an der Universität von Bratislava.

In ihren Bemühungen zur Errichtung einer Nationalkirche fasste Prag eine Trennung von Staat und Kirche ins Auge, was für den Heiligen Stuhl mit Blick auf die Slowakei besonders besorgniserregend war. Wie die Autorin auch an anderen Stellen zeigt, übernahm die tschechoslowakische Regierung Gesetze und Maßnahmen des ehemaligen Königreiches Ungarn. Vor allem in der Frage der eventuellen Autonomie griff Prag auf Gesetze der unabhängigen ungarischen Regierung aus den Jahren 1848/49 zurück (S. 155). Die seinerzeitigen ersten Versuche Ungarns, im Sinne der Säkularisierung Schritte einer Laizisierung zu gehen, hatten das damalige Oberungarn, also die Slowakei, nicht berührt. Die Idee einer Autonomie der Kirche war dann sogar 1917 von der ungarischen katholischen Volkspartei vorgebracht worden. Auch dieses Gedankengut sowie Teile des josefinischen Erbes eigneten sich die tschechischen Reformer an. Zu einer Trennung von Staat und Kirche kam es gleichwohl nicht, wobei die dezidierte Opposition des Vatikans auch eine gewisse Rolle spielte.

Trotzdem wurde im Vatikan das Risiko eines Schismas für möglich gehalten, weshalb sich der Heilige Stuhl für die Ernennung eines Vertreters Roms in Prag aussprach (S. 216). Die Entsendung Clemente Micaras folgte unmittelbar die Ernennung Bischofs Korda zum Erzbischof von Prag im September 1919 (S. 219). Die päpstliche Anerkennung der Tschechoslowakei als ersten der Nachfolgestaaten sollte ein Zeichen des Wohlwollens sein. Einer Besserung der gespannten Beziehungen nützte dieser Schritt leider nicht viel, stellte Prag doch den Heiligen Stuhl als Stütze Österreichs und Ungarns und Feind der Tschechoslowakei dar. Es gab Propaganda und verleumderische Pressekampagnen. Im März 1920 trat dann eine gewisse Normalisierung der diplomatischen Beziehungen ein, als der Historiker Kamil Krofta als Vertreter Prags in Rom wurde (S. 248). Diese gescheite Wahl brachte zunächst eine Verbesserung der Lage. Neue Krisen aber bahnten einen Bruch an, der schließlich 1925 anlässlich der Hus-Erinnerungsfeier Wirklichkeit wurde. Die Sache der Diözesangrenzen konnten erst 1927 geregelt werden (S. 357).

Im Zuge der allgemeinen Krise, die der Katholizismus in den Nachfolgestaaten erlebte, führten die Teilung und Umstrukturierung der Diözesen und die Haltung des Klerus in der Tschechoslowakei zu politischen und strategischen Auseinandersetzungen, die einem Kulturkampf glichen (S. 345). Als besonders schwierig stellte sich der Neuausbau der Esztergomer Diözese dar, da Prag und Budapest jeweils erneut den Heiligen Stuhl zu instrumentalisieren suchten. Die vatikanische Diplomatie aber bewies, dass sie kein „Kind von gestern“ war. Weder von den Tschechen noch von den Ungarn gewonnen, war sie stets zum Kompromiss bereit, ohne Schwäche zu zeigen. So rettete sie die politische Zukunft von Andrej Hlinka, als Prag ihn durch die Ernennung mit einem kirchlichen Amt „aus dem Weg“ schaffen wollte. Für die Kurie war Hlinka als Politiker und Führer der Volkspartei viel nützlicher. Der Vatikan dachte mithin langfristig und befestigte so die politische Existenz des slowakischen Katholizismus.

Dank erstmalig ausgewerteten vatikanischen Quellen hat Emilia Hrabovec ein wertvolles Buch vorgelegt, das aber vielleicht zu oft in extrem detaillierten Fragen (z.B. die Schwierigkeiten bei Bischofsernennungen) stecken bleibt und so die Dimensionen der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Nachfolgestaaten vernachlässigt. Auf die fehlenden Vergleiche zu Kroatien und Slowenien ist bereits hingewiesen worden. Aber auch allein in Bezug auf den tschechoslowakischen Staat hätte man gerne mehr über das vorwiegend katholische Mähren gelesen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension