F. Kösters: Entstehungsgeschichte der Grundrechtsbestimmungen

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Titel
Entstehungsgeschichte der Grundrechtsbestimmungen des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung in den Vorarbeiten der Reichsregierung und den Beratungen der Nationalversammlung.


Autor(en)
Köster, Friedhelm
Erschienen
Göttingen 2003: Cuvillier Verlag
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schwitanski, Institut für soziale Bewegungen, Ruhr-Universität Bochum

Zur Entstehung der Grundrechtsartikel der Weimarer Reichsverfassung (WRV) liegt bislang keine Monografie vor. Die beiden umfangreichen Arbeiten von Willibalt Apelt und Christoph Gusy 1 beschreiben – ebenso wie Ernst Rudolf Huber in seinem bekannten Kompendium zur deutschen Verfassungsgeschichte – die eigentlichen Beratungen der Grundrechte in der Nationalversammlung eher summarisch und führen den großen Umfang und die Heterogenität der Bestimmungen auf den versuchten Ausgleich bürgerlich-liberaler und sozialdemokratischer Wertvorstellungen zurück. Allerdings gibt es in der älteren und neueren Literatur verstreut Hinweise, wie eine Untersuchung zur Entstehung der Grundrechte der WRV gewinnbringend betrieben werden könnte. So hat Martin H. Geyer auf den bereits während des Ersten Weltkriegs begonnen Wandel von Gerechtigkeitsvorstellungen hingewiesen, der sich durchaus in den Grundrechten der WRV wieder finden lässt. 2 Jörg-Detlef Kühne hat das Grundrechtsverständnis der Genossenschaftstheoretiker im Anschluss an Otto v. Gierke kritisiert, die in der Weimarer Nationalversammlung prominent vertreten waren 3 und Detlef Lehnert hat eine Untersuchung zum Wirken von Hugo Preuß vorgelegt, die kulturgeschichtliche Fragestellungen aufgreift und in ihrer Beurteilung von Preuß’ Wirken bezüglich der Grundrechte noch Raum für Ergänzungen lässt. 4 Nicht vergessen seien ältere Ansätze wie der von Rainer Wahl und Frank Rottmann, die in der WRV Ansätze zu Lösungen bestimmter funktionaler Probleme einer Demokratie entdeckt haben, die später in der Bundesrepublik ausgebaut werden sollten. 5

Die vorliegende Dissertation von Friedhelm Köster wurde im Fachbereich Rechtswissenschaften geschrieben. Das Augenmerk von Friedhelm Köster konzentriert sich daher wohl schon aus fachlichem Interesse hauptsächlich auf den Text der Weimarer Verfassung selbst. Seine Absicht ist es, die Entstehungsgeschichte der dortigen Grundrechte nachzuzeichnen (S. 1). Er tut dies, indem er zunächst die historischen Ausgangsbedingungen der Verfassungsarbeit in Weimar beschreibt und dann ausführlich und intensiv die einzelnen Stationen der Textentwicklung von den Vorarbeiten im Reichsamt des Inneren bis zum fertigen Resultat verfolgt. Der Leser wird so durch fünf Verfassungsentwürfe hindurch über die Veränderungen fast einer jeden Bestimmung aus dem zuletzt mit fast 60 Artikeln recht umfangreichen zweiten Hauptteil der WRV informiert.

Problematisch erscheint dabei die methodische Grundsatzentscheidung Kösters, die Entstehungsgeschichte der institutionellen Garantien aus seiner Untersuchung auszuschließen, da es sich bei diesen gemäß einer nicht näher gekennzeichneten „heutigen Auffassung“ (S. 2) nicht um Grundrechte handele. Eine Erörterung der Bedeutung, die den institutionellen Garantien in der Nationalversammlung zukam im Vergleich zu derjenigen der klassischen Individualrechte hätte es erlaubt, eventuelle Abweichungen im Grundrechtsverständnis der Nationalversammlung zur heute vielleicht herrschenden Ansicht kenntlich zu machen und so dem Grundrechtsbegriff eine historische Tiefendimension zu verleihen. Ein nachdrücklicheres Eingehen auf historiografische Fragestellungen kommt leider gegenüber der dichten Beschreibung der Quellentexte zu kurz.

Inhalt und Aufbau der ersten drei Kapitel der Arbeit, die den historischen Bedingungen der Verfassungsgebung zu Weimar gewidmet sind, orientieren sich an gängigen Schilderungen der kriegsbedingten Entwicklungen des Verfassungssystems bis hin zur Einsetzung der Konstituante, der Grundrechtssituation im Kaiserreich und der grundrechtspolitischen Forderungen der politischen Parteien, für die Köster vor allem deren Programme ausgewertet hat. Manchmal bleibt dem Leser unklar, welche Positionen Köster vertritt, was besonders dann irritiert, wenn ältere Literatur zitiert wird. Die im Kapitel über die Grundrechtssituation im Kaiserreich von Ernst-Rudolf Huber übernommene, letztlich aber der zeitgenössischen Staatsrechtslehre entstammende Position, wonach Grundrechte nicht notwendig der verfassungsrechtlichen Verankerung bedürfen, um „zuverlässige Geltungskraft“ zu besitzen (S. 21), führt zu einer insgesamt positiven Wertung des Grundrechtsschutzes im Kaiserreich, was sich nicht ganz mit der Kritik deckt, die Köster in Anlehnung an andere Autoren in seinem Abschnitt zur Staatsrechtslehre an eben diesem Grundrechtsschutz übt.

Im nächsten größeren Teil beschäftigt sich Köster mit den Vorarbeiten zur Reichsverfassung insbesondere durch Hugo Preuß. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt zunächst auf den äußeren Geschehnissen und ist orientiert an vor allem aus der älteren Literatur bekannten Positionen. So ist auch Köster der Ansicht, Preuß habe die Aufnahme von Grundrechten in den Entwurf abgelehnt, um die Beratungen nicht zu verzögern, und leitet dessen Grundrechtsskepsis nicht aus seinen theoretischen Dispositionen ab. Neben Preuß bleiben die sonstigen Protagonisten und die Frage nach der Bedeutung der herrschenden Rechtslehren auf die weitere Gestalt der Grundrechte in den Entwürfen zur Reichsverfassung unterbelichtet. Vielmehr verfolgt Köster nun die Entwicklung der Entwurfstexte und spürt dabei den Traditionen einzelner Bestimmungen auf dem von Kühne 6 geebneten Pfad bis hin zur Verfassung der Paulskirche nach.

Dieser Methode bleibt Köster auch im dritten Teil seiner Arbeit, der die Beratungen der Weimarer Nationalversammlung behandelt, verpflichtet. Eine etwas größere Distanz zu den Quellen wäre manchmal wünschenswert gewesen, vor allem wenn Köster Urteile über die Funktion einzelner Bestimmungen oder der Grundrechte im Ganzen fällt. Bei diesen handelt es sich zumeist um Äußerungen von Mitgliedern der Nationalversammlung selbst oder um Positionen aus Verfassungskommentaren der Weimarer Zeit. Es verunsichert, wenn zum Beispiel mit Konrad Beyerle, dem Hauptverantwortlichen für Grundrechtsfragen von Seiten des Zentrums respektive der Bayerischen Volkspartei, behauptet wird, der mangelnde institutionelle Schutz der Grundrechte in der WRV, die Aufnahme von Grundpflichten und zahlreichen institutionellen Garantien sei der veränderten Bedeutung von Grundrechten in der Demokratie geschuldet (S. 197). Eine Kontrastierung mit modernen liberalen Demokratie- und Grundrechtstheorien hätte hier Distanz schaffen und dem Missverständnis vorbeugen können, die Auffassung Beyerles werde tatsächlich als historisch notwendige behauptet. Hier wünscht man sich, Köster hätte stärker Position bezogen, denn auch die Einordnung der WRV in westeuropäische Verfassungstraditionen vermag nicht recht zu überzeugen, wenn zuvor mit Beyerle der „germanische Rechtsgedanke“ in den Grundrechten analysiert wurde (S. 259, 292). Ein Seitenblick auf solche Teile der Quellen, die neben den Texten der Entwürfe das zeitgenössische semantische Feld aufschließen, das Vokabular von Volksgemeinschaft und Einbeziehung des Individuums, von dessen Pflichtbindung etc., hätte Aufmerksamkeit wecken können für die historische Wandlung des Grundrechtsverständnisses zwischen Weimarer Republik und Bonner Grundgesetz. Dieser Wandel findet hier nicht genügend kritische Würdigung.

Ansonsten ist das Buch von Köster für alle, die sich mit der Entstehung der Grundrechte in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung beschäftigen, eine Orientierungshilfe in den manchmal unübersichtlichen stenografischen Berichten über die Verhandlungen der Nationalversammlung und ihres Verfassungsausschusses.

Anmerkungen:
1 Apelt, Willibalt, Geschichte der Weimarer Verfassung, München 1946, S. 106-110; Gusy, Christoph, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 272ff.
2 Geyer, Martin H., Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne, München 1914- 1924, Göttingen 1998.
3 Kühne, Jörg-Detlef, Demokratisches Denken in der Weimarer Verfassungsdiskussion - Hugo Preuß und die Nationalversammlung, in: Gusy, Christoph (Hg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000, S. 115-133; Ders., Die Bedeutung der Genossenschaftstheorie für die moderne Verfasssung, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 15 (1984), S. 552-570.
4 Lehnert, Detlef, Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft. Politisches Denken, Öffentliches Recht und Geschichtsdeutungen bei Hugo Preuß. Beiträge zur demokratischen Institutionenlehre in Deutschland, Baden-Baden 1998.
5 Wahl, Rainer; Rottmann, Frank, Die Bedeutung der Verfassung und der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik - im Vergleich zum 19. Jahrhundert und zu Weimar, in: Bajohr, Frank; Johe, Werner et al (Hgg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983, S. 339-386.
6 Kühne, Jörg-Detlef, Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben, Frankfurt am Main 1985.

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