T. Luther: Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933-1938

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Titel
Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933-1938. Die Auslanddeutschen im Spannungsfeld zwischen Traditionalisten und Nationalsozialisten


Autor(en)
Luther, Tammo
Reihe
Historische Mitteilungen Beihefte 55
Erschienen
Stuttgart 2004: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die auswärtige deutsche Volkstumspolitik in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus ist vor allem in den letzten Jahren vielfach und unter verschiedensten Blickwinkeln untersucht worden. So gibt es eine Reihe organisationsgeschichtlicher Einzelstudien zur Volkstumsarbeit privater, bürgerlicher Verbände und Vereine, deren Gründung zumeist ins Kaiserreich oder darüber hinaus zurückreicht. Für die NS-Zeit ist die deutsche Volkstumspolitik vor allem über die Auslandsorganisation der NSDAP (AO) und vor dem Hintergrund der NS-Außenpolitik behandelt worden. Eine Studie, die sich mit dem ideologischen, personellen und organisatorischen Verhältnissen und Verbindungen zwischen bürgerlicher und nationalsozialistischer Volkstumspolitik ab 1933 beschäftigt, fehlte bislang.

Tammo Luther hat dies nun nachgeholt und eine bemerkenswerte Arbeit vorgelegt. Seine Längsschnittuntersuchung ist in drei chronologisch angeordnete Abschnitte untergliedert. Der erste Teil besteht aus grundsätzlichen Überlegungen zum nicht immer unproblematischen Verhältnis von „Volk und Staat“ in der deutschen Geschichte. Der zweite Abschnitt beginnt mit einer detaillierten Darstellung der Verbreitung des Auslandsdeutschtums nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und bietet daran anschließend einen Überblick über die volkstumspolitischen Grundzüge zur Zeit der Weimarer Republik. Hierbei geht der Autor nicht nur auf die politischen Bemühungen des Auswärtigen Amtes unter Gustav Stresemann oder des Reichsministeriums des Innern ein, sondern stellt kurz und prägnant die wichtigsten nichtstaatlichen und wissenschaftlichen Organisationen und Einrichtungen zur Unterstützung des Auslanddeutschtums vor, allen voran den Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA). Trotz der Aufrechterhaltung machtpolitischer Optionen standen in den 1920er-Jahren für die privaten Organisationen die karitativen und kulturellen Ziele bei der Unterstützung des Auslanddeutschtums im Vordergrund. Um Misstrauen der Herbergsstaaten und daraus resultierende Repressionen gegenüber Auslanddeutschen zu verhindern, erfolgte die Unterstützung zumeist über getarnte Einrichtungen, die durch staatlichen Stellen finanziert, von erfahrenen Volkstumspolitikern, bei Luther später als Traditionalisten bezeichnet, koordiniert und geleitet wurden. Bemerkenswert ist, dass diese Taktik nach der Übergabe der Regierungsgeschäfte an die Nationalsozialisten keine wahrnehmbare Änderung erfuhr.

Den Gründen hierfür widmet sich Luther im dritten und umfangreichsten Teil seiner Arbeit, in dem er die Volkstumspolitik zwischen 1933 bis 1938 nachzeichnet und den Kampf um Macht und Einfluss zwischen Traditionalisten und den sich langsam auf diesem Gebiet profilierenden NS-Gliederungen schildert. Der in der Konsolidierungsphase des NS-Staates auf vorsichtiges außenpolitisches Vorgehen bedachte Hitler, übertrug seinem Stellvertreter Rudolf Heß die Leitung der Volkstumspolitik. Heß rief seinerseits in seinem Bemühen, die vielfach gegen- und nebeneinander arbeitenden privaten und staatlichen Aktivitäten zu bündeln, den Volksdeutschen Rat (VR) ins Leben. Als zentrale Anlaufstelle für volkstumspolitische Fragen und zur Koordinierung aller bestehenden Aktivitäten war dieser in leitenden Positionen mit hochkarätigen und erfahrenen Traditionalisten, wie Karl Haushofer und Hans Steinacher vom VDA, besetzt. Dieser frühe Triumph der Traditionalisten gegenüber Gleichschaltungsversuchen und jugendlichen Parteiaktivisten währte jedoch nicht lange. In der Auslandsorganisation der NSDAP (AO), geleitet vom ehrgeizigen Wilhelm Bohle, entstand dem VR schon bald eine unüberwindbare Konkurrenz. So beanspruchte die AO nicht nur die Aufgabenbereiche des VR, sondern strebte mit der NS-Ausrichtung der Auslanddeutschen die machtpolitische Instrumentalisierung deutscher Volksgruppen im Ausland an. Dies brach nicht nur völlig mit den Grundsätzen der Traditionalisten, sondern führte auch zu schwerwiegenden Konflikten innerhalb der deutschen Volksgruppen, in denen sich nun nationalsozialistische Flügel bildeten, die Führungsansprüche geltend machten. Heß, der sowohl von Traditionalisten als auch von Bohl zur Durchsetzung ihrer Ziele umworben wurde, war jedoch innerparteilich nicht stark genug, dem Volksdeutschen Rat die nötige Durchsetzungskraft zu verleihen. Bereits zwei Jahre nach seiner Gründung war dieser wirkungslos geworden und wurde durch das „Büro Kursell“ ersetzt.

Otto von Kursell, Mitglied der SS und bei den Traditionalisten angesehen und respektiert, sollte beide Richtungen miteinander vereinigen, doch scheiterte er bereits ein Jahr später zur Jahreswende 1936/37 an der Ungeduld seiner Parteigenossen, die ihm zu viel Entgegenkommen gegenüber den Traditionalisten vorwarfen. Kursells Büro wurde zur Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi) umgewandelt und im Laufe des Jahres 1937 stärkte die SS kontinuierlich ihren Einfluss in der Volkstumspolitik. Der Heinrich Himmler unterstehende SS-Obergruppenführer Werner Lorenz und der SD-Mann Hermann Behrends erhielten schließlich von Heß die alleinige Kompetenz in Volkstumsfragen zugesprochen, während allen anderen Parteigliederungen jede selbstständige Betätigung auf diesem Sektor untersagt wurde. Dies bedeutete nicht nur für Bohls Auslandsorganisation das Aus, sondern setzt auch den Aktivitäten der Traditionalisten ein Ende. Von nun an begann, dem außenpolitischen Kurswechsel Hitlers im Herbst 1937 angepasst, die straffe Zentralisierung der vom Reich aus betriebenen Volkstumspolitik und die Disziplinierung auslanddeutscher Volksgruppen, um ihre machtpolitische Instrumentalisierung zu ermöglichen. Diese, auf die nationalsozialistische Außen- und Machtpolitik zugeschnittene Volkstumspolitik, konnte sowohl Fanatisierung bedeuten, wie im Fall der Sudetendeutschen, als auch die völlige Aufgabe der Volksgruppen, wie es in Südtirol geschah.

Tammo Luther legt mit seiner Dissertation eine ausgesprochen fundierte und sehr gut lesbare Arbeit vor. Trotz der Fülle des verwandten Materials, der großen Anzahl behandelter Personen und Organisationen und den komplexen zeitlichen und strukturellen Abläufen innerhalb des Untersuchungszeitraumes, bleibt die vielschichtige Studie zu jedem Zeitpunkt übersichtlich und nachvollziehbar. Dies liegt vor allem an Luthers souveräner Darstellung und glänzender Analyse. Gestützt auf umfassende Kenntnisse der Forschungsliteratur und einem nicht minder großen Bestand ausgewerteter Quellen, stellt der Autor minutiös und dennoch auf das Wesentliche bedacht, komplizierte Entwicklungen ausgewogen dar, ohne dabei innen- und außenpolitische Aspekte der Zeit zu vernachlässigen. Es ist gerade dieser gelungenen Zusammenführung organisationsgeschichtlicher und tagespolitischer Aspekte zu verdanken, dass Luthers Arbeit nicht nur weit über das Niveau gängiger Organisationsgeschichten hinausgeht, sondern sie zu einem wichtigen Beitrag zur Geschichte nationalsozialistischer und konservativ-bürgerlicher Volkstumspolitik macht.

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