E. Dietzfelbinger u.a.: Nürnberg - Ort der Massen

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Titel
Nürnberg - Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände. Vorgeschichte und schwieriges Erbe


Autor(en)
Dietzfelbinger, Eckart; Liedtke, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
159 S., zahlr. SW-Abb.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schmidt, KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Der Politologe Eckart Dietzfelbinger, langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nürnberger Ausstellung „Faszination und Gewalt“ auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, und der Journalist Gerhard Liedtke, engagierter Forscher zu architekturgeschichtlichen Themen und Akteur in aktuellen Debatten zum Umgang mit Architektur, haben gemeinsam ein Buch zum Reichsparteitagsgelände vorgelegt, das, so die Verlagswerbung, „erstmals eine Zusammenfassung der Geschichte des Geländes“ bieten soll.1 Zu Recht erwähnen die Autoren in ihrer Einleitung jedoch die zahlreichen Vorarbeiten, auf die sie sich beziehen und ohne die der vorliegende Band nicht hätte geschrieben werden können.2 Auch frühere Publikationen des Centrums Industriekultur3 und des Vereins „Geschichte Für Alle e.V. – Institut für Regionalgeschichte“4 boten bereits eine Geschichte des Geländes, über die die Publikation des Links-Verlages nur in einzelnen Punkten hinausgeht. Der Anspruch von Dietzfelbinger und Liedtke war es, „in populärwissenschaftlicher Weise den aktuellen Forschungsstand“ zu vermitteln (S. 8) und im abschließenden Kapitel zum Umgang mit dem Gesamtgelände auch „Position zu beziehen“ (S. 9).

Das Vorhaben einer wirklich populären Darstellung ist ihnen allerdings nur zum Teil gelungen. Einerseits stört mitunter eine etwas übertrieben lockere Formulierung (z.B. S. 11: „So stellt man sich das vor: Erst ist nichts, dann kommen die Nazis, und plötzlich ist die Wiese voll.“), andererseits behindert bei manchen Punkten eine große Detailverliebtheit die Freude am Lesen. So wird etwa zu ausführlich die technische Seite der Parteitagsbauten geschildert (Fundamentierungsarbeiten u.ä.). Manchmal werden auch, wohl bedingt durch die zahlengesättigten Quellen, ohne echten Erkenntniswert Teilnehmerzahlen, Angaben zur Dimension von Gebäuden oder auch Mengenangaben zur Vorratshaltung von Lebensmitteln aufgeführt. Bei der reichhaltigen Bebilderung hätte man sich zum Teil etwas bessere Bildqualität und Bildgröße sowie zumindest gelegentlich einen Hinweis auf den ursprünglichen Verwendungszusammenhang von Fotos in der NS-Propaganda gewünscht. Auch der Umgang mit den wenigen im Buch abgedruckten Plänen ist grafisch wenig gelungen und liefert für den nicht Ortskundigen kein anschauliches Bild des gigantischen Areals Reichsparteitagsgelände.

Zu den Stärken des Buches gehört die in anderen Publikationen nicht zu findende Darstellung des komplizierten organisatorischen Hintergrunds beim Bauprojekt Reichsparteitagsgelände und die Darstellung der verschiedenen Nutzungen des Areals vor 1933. Allerdings analysieren Dietzfelbinger und Liedtke das wichtigste Denkmal der Weimarer Republik in Nürnberg, die Ehrenhalle für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges im Luitpoldhain, die ab 1933 als Teil der Luitpoldarena dem Totengedenken von SA und SS diente, in seiner ursprünglichen Funktion und Konzeption nur oberflächlich. Damit wird auch dem demokratischen Oberbürgermeister Hermann Luppe etwas Unrecht getan.

Nahezu in jeder Großstadt gab (und gibt) es einen Versammlungsort und eine städtebauliche Zone für Massenveranstaltungen. Pragmatismus, Gewohnheit und – vor allem – die historische Kulisse (Nürnberg als angeblich besonders deutsche Stadt) waren ausschlaggebend dafür, dass gerade Nürnberg als „Stadt der Reichsparteitage“ ausgewählt wurde. Nürnberg war insofern in erster Linie „Ort der Massen und Mitläufer“ (S. 133), und eben nicht, wie die Autoren zu Recht hervorheben, vorrangig ein Ort der Täter (oder gar der Opfer).

Innerhalb dieses titelgebenden Rahmens des Buchs („Ort der Massen“) wird eine präzise und erkennbar auf jahrelanger Beschäftigung mit dem Thema fußende Darstellung der Reichsparteitage und ihres Geländes geboten. Nur bei wenigen Punkten ist inhaltliche Kritik angebracht, etwa dass die Behauptung, KZ-Häftlinge in Flossenbürg hätten vom Reichsparteitagsgelände als Bestimmungsort ihrer Granitblöcke gewusst, nur auf einer einzigen Zeitzeugenaussage beruht. Das entsprechende Interview ist auch im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu sehen; es bietet ein Beispiel für suggestive Fragestellungen und die gesamte Problematik der Oral History als Vehikel für den Beleg historischer Fakten.

Nach einer ausführlichen Darstellung des manchmal quälenden, manchmal sehr merkwürdigen und selten bewussten Umgangs mit dem Reichsparteitagsgelände nach 1945 beschließt den Band ein „Kommentar: Bewältigen wäre schön“ (S. 133). Unter dieser etwas irreführenden Überschrift, die im letzten Satz relativiert wird, findet sich eine faire, aber wohltuend kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen grundsätzlich möglichen Konzepten des Umgangs, der Verdrängung, der (oft verfehlten) Denkmalsetzung und künstlerischen Aktion sowie der Etablierung von Information in Form pädagogischer Angebote und der Einrichtung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände.5 Ungelöst ist jedoch die Frage, wie man mit dem Gelände insgesamt umgehen soll. Der offensichtliche Mangel einer sinnvollen städtebaulichen Antwort auf die nur teilweise verwirklichte Gesamtplanung des Reichsparteitagsgeländes wird in Nürnberg breit diskutiert.6 Dietzfelbinger und Liedtke plädieren in diesem Zusammenhang für die Berücksichtigung von Aufstieg und Niedergang Nürnbergs als Industriestandort und den Fokus eines „Orts der Massen“, wobei die Unterschiede der demokratischen Massenversammlung, der gleichgeschalteten nationalsozialistischen Masse und der heutigen Massenfreizeit deutlich herausgearbeitet werden müssten.

Trotz der oben angesprochenen kleinen Mängel ist der Band eine gute Einführung in das Thema. Weitere Forschungen, etwa zur Rezeption der Reichsparteitage im Ausland, stehen noch aus.

Anmerkungen:
1 Buchvorstellung auf der Website <http://www.linksverlag.de>.
2 Doosry, Yasmin, „Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen...“. Studien zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Tübingen 2002; Jaskot, Paul B., The Architecture of Oppression. The SS, Forced Labour and the Nazi Monumental Building Economy, London 1999; Zelnhefer, Siegfried, Die Reichsparteitage der NSDAP. Geschichte, Struktur und Bedeutung der größten Propagandafeste im nationalsozialistischen Feierjahr, Nürnberg 1991.
3 Centrum Industriekultur (Hg.), Kulissen der Gewalt. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, München 1992.
4 Geschichte Für Alle e.V. (Hg.), Geländebegehung. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Nürnberg 2002. Der Autor dieser Rezension hat dieses Buch zum großen Teil verfasst.
5 Website: <http://www.museen.nuernberg.de/reichsparteitag>.
6 Unter <http://www.kubiss.de/ehemaliges-reichsparteitagsgelaende> finden sich die wesentlichen Positionspapiere von städtischer Seite, von Geschichte Für Alle e.V. (Hermann-Luppe-Park) und vom Verein Baulust e.V.

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