Cover
Titel
Anselm von Canterbury.


Autor(en)
Schönberger, Rolf
Erschienen
München 2004: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
175 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Krüger, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Augsburg

Anselm von Canterbury (1033-1109) war der herausragendste Denker und darüber hinaus als Erzbischof von Canterbury (1093-1109) einer der wichtigsten Politiker seiner Zeit. Die jetzt vorgelegte kleine Monografie des Regensburger Philosophen Rolf Schönberger darf daher mit dem Interesse von vielen Seiten rechnen. In seiner Einleitung (S. 8-10) betont Schönberger, dass es ihm um den „Denker“ Anselm geht, und er setzt diesen Begriff gegen die Bezeichnungen „Philosoph“ und „Theologe“. Zustimmend zitiert Schönberger die von Karl Jaspers formulierte Charakterisierung Anselms als „aus dem Ursprung denkenden Metaphysiker“.

Der Einleitung folgt ein Kapitel mit der Überschrift „Leben, Werk und Wirkung“ (S. 11-21). Schönberger verweist auf die „Zerreißprobe“ der kirchenpolitischen Konflikte jener Zeit, kann aber in den „Gedanken in Anselms Schriften“ davon „buchstäblich nichts spüren“ (S. 13). Schönberger steht damit in der Tradition einer – historischerseits vor allem bis zu seinem Tode (2001) von Richard William Southern vertretenen – Anselm-Forschung, die sich schwer damit tut, den Denker und den Politiker Anselm als Einheit zu begreifen und deshalb auch die von Anselm bei seiner Ernennung zum Erzbischof von Canterbury artikulierte Bescheidenheitstopik zu unkritisch rezipiert (S. 14).1 Nach der im Übrigen anregend geschriebenen Kurzbiografie charakterisiert Schönberger Anselms Gesamtwerk, wobei er auf eine vollständige Aufzählung der Anselmschen Schriften verzichtet (S. 17-19). Zum Abschluss des Kapitels greift Schönberger die Diskussion um die Grabmannsche These auf, die Anselm als „Vater der Scholastik“ bezeichnete. Zu dieser Frage macht er sich den Martin Grabmann nur in erheblich relativierter Form zustimmenden Vergleich von Richard William Southern zueigen, wonach die Bedeutung Anselms für die Scholastik etwa so zu bewerten sei wie diejenige von Descartes für die „wissenschaftliche Bewegung Newtons bis zu unserer Gegenwart“ (S. 21).

Das zweite Kapitel, „Eine neue Möglichkeit: die Einsichtigkeit des Glaubens“ (S. 22-39) erläutert Anselms Grundintentionen, die dieser in dem bekannten Motto fides quaerens intellectum zusammengefasst hatte. Das dritte Kapitel nimmt den größten Teil des Buches ein (S. 40-150). Es trägt die Überschrift „Die Hauptschriften“. Darunter versteht Schönberger erstens das „Monologion“, zweitens das „Proslogion“ und drittens die Trilogie De veritate, De libertate arbitrii und De casu diaboli. Diese Auswahl von „Hauptschriften“ erscheint im Hinblick auf die von Schönberger in der Einleitung erläuterte Zielsetzung vertretbar, wird aber dennoch zur Folge haben, dass mancher Leser in seinen Erwartungen enttäuscht wird. So hatte Eileen Sweeney in einem von Schönberger zitierten Beitrag von 1999 gezeigt, dass gerade auch für ein Verständnis von Anselms Methodologie eine vertiefte Beachtung seiner Orationes sive meditationes fruchtbar wäre. Das theologisch interessierte Lesepublikum wird unter den „Hauptschriften“ Anselms besonders Cur deus homo vermissen. Schönberger verweist später selbst auf diese Begrenztheit seiner „Einführung“ (S. 152). Der Vorteil der Beschränkung auf wenige Schriften liegt darin, dass damit Platz für eine relativ ausführliche Erläuterung ihres Gedankengangs bleibt, und man kann nur wünschen, dass dadurch viele Leser auch zur Lektüre der Originaltexte oder zumindest ihrer Übersetzungen ermutigt werden.

Das sehr kurze Abschlusskapitel (S. 151-154) skizziert Aspekte der Einordnung des „Denkers“ Anselm in die „Denkgeschichte“. Zutreffend bemerkt Schönberger, dass die konkrete Wirkung Anselms manchmal „überschätzt“ wird (S. 151). Er zeigt gedankliche (nicht philologische) Verbindungen Anselms zu Platon und Descartes und verweist auf die Einzigartigkeit und Originalität Anselms, die es erlaube, ihn auch „im emphatischen Sinne“ als „Denker“ zu bezeichnen (S. 153).

Das Buch wird in seinem Verlauf mit vier Schwarzweißabbildungen illustriert, auf die jedoch im Text nicht näher eingegangen wird. Bei Abbildung 2 handelt es sich um ein für die Zeit um 1100 seltenes Beispiel eines zeitgenössischen Autorenbildnisses (aus einer Monologion-Handschrift), das Anselm mit stark typisierten Gesichtszügen in seinem Amtsornat als Erzbischof von Canterbury zeigt. Im Anhang finden sich 90 Anmerkungen zum Text, eine Zeittafel, eine Auswahlbibliografie, ein Bildnachweis und ein Personenregister.

Das Buch dürfte sich seiner Konzeption nach vor allem an Philosophiestudenten und an ein philosophisch interessiertes Laienpublikum richten. Einer solchen Zielgruppe würde man wünschen, dass neben den von Schönberger behandelten Schriften, die ausnahmslos in zweisprachigen Ausgaben zugänglich sind, auch einmal weniger bekannte, für den „Denker“ Anselm aber durchaus charakteristische Texte wie die Lambeth-Fragmente oder De grammatico vorgestellt werden. Spezifisch historische Erkenntnisinteressen können für das vorliegende Buch kein sinnvoller Bewertungsmaßstab sein, aber ich halte die Möglichkeit eines stärker historisch-biografischen Zugangs zu Anselms Problemstellungen und Begriffsfindungen für bedenkenswert. Dessen ungeachtet wird Schönbergers Buch sicherlich dankbare Leser finden, da es die höchst originellen Gedanken aus Anselms philosophischen Hauptwerken in einer gut verständlichen Sprache erklärt und mit anregenden Bemerkungen unterstützt.

Anmerkung:
1 Schönberger zitiert in diesem Zusammenhang Gemeinhardt, Peter, Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter, Berlin 2002, S. 423; vgl. dagegen Vaughn, Sally N., Anselm. Saint and Statesman, in: Albion 20 (1988), S. 205-220 sowie Krüger, Thomas M., Persönlichkeitsausdruck und Persönlichkeitswahrnehmung im Zeitalter der Investiturkonflikte. Studien zu den Briefsammlungen des Anselm von Canterbury, Hildesheim 2002, S. 230-233.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension