G. D. Starr-LeBeau: In the Shadow of the Virgin

Cover
Titel
In the Shadow of the Virgin. Inquisitors, Friars, and Conversos in Guadalupe, Spain


Autor(en)
Starr-LeBeau, Gretchen D.
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
£ 27.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peer Schmidt, Historische Seminar, Universität Erfurt

Vom Gedächtnis zum Ereignis – so lässt sich die Auseinandersetzung mit der spanischen Inquisition schlagwortartig resümieren. Im Jahre 1478 erwirkten die Katholischen Könige Isabella und Ferdinand bei Papst Sixtus IV. die Etablierung der spanischen Inquisition. Sie stand damals – und steht noch heute – für fanatischen Glaubenseifer und, in der Konstruktion des antihispanischen Feindbildes seit dem beginnenden 16. Jahrhundert, für die Grausamkeiten „des Spaniers“ und die Charakterisierung seiner Kultur schlechthin. Namentlich durch sephardische und (seit der Mitte des 16. Jahrhunderts) niederländische Propaganda waren die Gräuel der spanischen Inquisition bald in aller Munde. In Kastilien, in Aragon einschließlich dessen italienischer Territorien (mit Ausnahme Neapels) sowie ab 1570 in den amerikanischen Vizekönigreichen Neu-Spanien und Peru war die spanische Inquisition bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts tätig. 1

Erst in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten wurde der Diskurs über die Inquisition durch die Arbeit mit Quellen über die Inquisition ersetzt, wurde die Perzeption und das Image durch die Aufarbeitung des „konkreten“ Wirkens des Santo Oficio in der spanischen Gesellschaft und Kultur flankiert. Von allen Aspekten inquisitorischer Aktivitäten hatte bis dahin insbesondere jene gegen die vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Neu-Christen (conversos) das Interesse auf sich gezogen. Ferner beschäftigte sich die Historiografie mit einigen prominenten Opfern inquisitorischer Prozesse. Seit Mitte der 1970er-Jahre weitete sich jedoch der Horizont, und das gesamte Spektrum inquisitorischer Opfer geriet in den Blick. In der Folgezeit kam es zu einer systematisch angelegten Aufarbeitung der Tätigkeit des Santo Oficio (vgl. die Arbeiten von Contreras, García Carcel, Martínez Millán). So entstand eine Reihe von Arbeiten zur Frage der getauften Muslime (Morisken), zu Protestanten, zu Hexen oder zu Mystikerinnen sowie zahlreiche Lokal- und Regionalstudien, die das Wirken der Inquisition (meist) über die drei Jahrhunderte ihrer Existenz verfolgten und die dabei je nach Landschaft sehr unterschiedliche Ausprägungen zutage förderten. Diese Untersuchungen fanden freilich bis heute in der Historiografie hierzulande – nicht zuletzt wegen sprachlicher Barrieren – kaum Beachtung. 2 Inzwischen liegen einige erste Synthesen vor, die freilich für die meisten Leser hierzulande sprachlich nicht erreichbar sein dürften. 3 Dass in der deutschsprachigen Spanienforschung die Inquisition auf der Iberischen Halbinsel kein sich in Forschungsarbeiten manifestierendes Interesse hervorgerufen hat, hat vielfache Ursachen. Einer der wohl wichtigsten Gründe ist schlicht und ergreifend in der hierzulande wissenschaftspolitisch (und damit auch personell) nur schwach verankerten Spanienhistoriografie zu suchen, die in den 1970er und 1980er-Jahren in punkto Frühneuzeit z.B. eher der in der internationalen Spanienforschung heiß diskutierten Frage der Bourbonischen Reformpolitik im 18. Jahrhundert nachspürte.

Vor diesem Hintergrund ist diese lokalgeschichtlich angelegte Untersuchung von Gretchen D. Starr-Le Beau schon deswegen zu begrüßen, weil sie als englischer Forschungsbeitrag in Deutschland breiter rezipierbar sein dürfte, als spanischsprachige Studien auf diesem Feld. Ihr Wert beschränkt sich aber bei weitem nicht auf diesen Vorteil. Sie ist dem traditionell stärker beachteten Problemkreis des Judentums im 15. und im beginnenden 16. Jahrhundert in Spanien gewidmet und verortet ihren Beitrag in der in letzter Zeit neu aufgeflammten Debatte um die conversos, d.h. den zum Christentum konvertierten ehemaligen Anhängern des mosaischen Glaubens. In dieser Debatte stehen sich zwei Interpretationslinien gegenüber, von denen die ältere Richtung davon ausgeht, dass es sich bei den getauften Juden auch nach ihrer Aufnahme in die christliche Gemeinschaft um weiterhin treue Anhänger des mosaischen Glaubens (Yitzhak Baer, Haim Beinart) gehandelt habe, wohingegen eine neuere Deutung, insbesondere um Benzion Netanyahu und (mit anderen Akzenten) um Norman Roth, postuliert, die Getauften hätten ihr Judentum bereits aufgegeben und seien definitiv zum Christentum übergegangen. Für Netanyahu liegen die Ursachen für die Verfolgung der (ehemaligen) Gläubigen der mosaischen Gesetze im antisemitischem Rassismus und finanziellen Interessen begründet. Für Henry Kamen beispielsweise stellt sich dieses Problem des „Krypto-Judaismus“ erst nach der nur noch zwanghaft vorgenommenen Konversion von in Spanien verbliebenen Juden nach 1492.

Seit dem Pogrom von 1391 war das religiöse Klima gegenüber den Juden in Spanien zunehmend feindseliger geworden und die Verschärfung dieser Haltung gipfelte schließlich in der Ausweisung 1492. Starr-LeBeau siedelt ihre Untersuchung in diesem historischen Umfeld an, indem sie sich auf das letzte Drittel des 15. Jahrhunderts konzentriert, mithin auf die allerersten Jahre der Inquisition. Als Raum für ihre mikrogeschichtlich angelegte Studie wählt sie den prominenten, in der Extremadura gelegenen Wallfahrtsort Guadalupe. Im ersten Kapitel wendet sich die Autorin den Rahmenbedingungen zu und schildert, wie man an diesem Ort im Spätmittelalter eine Madonna „er“-fand, die aus spätgotisch-frühchristlicher Zeit stammend, die islamisch-maurische Herrschaft in einem Versteck überstanden haben soll. Im Zuge der fortschreitenden Reconquista wurde sie zum Symbol des christlichen Widerstandes gegen die Muslime. Zusammen mit dem Jakobus-Kult in Santiago de Compostela stieg Guadalupe zu einem der zentralen spanischen Pilgerorte auf. Von seiner zweiten Reise brachte Christoph Kolumbus zwei karibische Indios, Tainos, nach Guadalupe, um sie dort taufen zu lassen. Die Verknüpfung von Re-Conquista und Missionierung findet in der Neuen Welt eine parallele Entsprechung, wo in Neu-Spanien (Mexiko) eine amerikanische Marienverehrung mit der gleichnamigen Guadalupe (heute im Stadt-Gebiet von Mexiko-Stadt) zur Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzte.

Der Guadalupe-Kult im gleichnamigen Ort erregte nicht nur das Interesse der aufsteigenden Dynastie der Trastámara, aus deren Hause das Königspaar Ferdinand und Isabella stammte. Der Schrein zog neben Pilgern zunehmend neue Bewohner in die Kleinstadt, die vom Wallfahrtswesen ökonomisch zu profitieren suchten. So wuchs der kleine Flecken Guadalupe innerhalb eines Jahrhunderts von 289 (1408) auf 1030 Haushalte (1500). Von besonderer Bedeutung für die Stadtgeschichte war die Ansiedlung des an den iberischen Höfen so einflussreichen Hieronymitenordens, der 1389 die Stadtherrschaft übernahm. Bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatten sich gut 130 Mönche in Guadalupe niedergelassen. Zu den Zugezogenen zählten auch viele Neuchristen, die etwa 5-10 Prozent der Einwohnerschaft ausmachten (S. 95). Mit ihren überregionalen Wirtschaftsbeziehungen spielten sie vor allem im Tuchhandel und im Kreditgeschäft bald eine beherrschende Rolle.

Im zweiten und dritten Kapitel wendet sich die Autorin der Kleinstadt und den in ihr lebenden religiösen und sozioökonomischen Gruppen zu. Wie andernorts so formierten sich auch hier verschiedene dominierende Gruppen (bandos) mit ihrer Klientel, die vor allem um den Einfluss auf den Handel in diesem Pilgerort rangen. Namentlich die Tuchhändler, die gleichzeitig als wichtige Kreditgeber fungierten, versuchten, ihre wirtschaftliche Stellung auszuspielen und ein Monopol zu etablieren. Dass diese mehrheitlich Neu-Christen waren, sollte zu erheblichen Reibereien führen, ergab sich doch eine der zentralen Auseinandersetzungen innerhalb der Stadtgemeinde aus der Observanz und Performanz religiöser Praktiken. Hierbei zeigt die Autorin auf, dass das binär kodierte Szenario – hier weitere Observanz jüdischen Glaubens, dort die völlige Lossagung vom mosaischen Glauben nach der Taufe – nicht den realiter gepflegten religiös-kulturellen Glaubenspraktiken entsprach. Längst nicht alle, die die mosaischen Glaubensgebote, nach wie vor, dem Christentum vorzogen, waren im streng jüdischen, sprich „normativen“ Sinne praktizierende Juden. Sicherlich spiegelte sich die Persistenz der alten Religion, oder, genauer gesagt, das Fortexistieren einiger Elemente jüdischer Praktiken, in bestimmten Handlungen der Essenszubereitung, sprich Schlachtung der Tiere und koscherer Mahlzeiten wider. Doch wurden längst nicht alle jüdischen Feiertage begangen. Parallelen zu einer ebenfalls nur oberflächlichen Befolgung christlicher Glaubensregeln bei den Altchristen drängen sich hier auf. Die dem Judentum treu Gebliebenen waren durch die Migration nach Guadalupe gekommen. Eine eigene Synagoge hatte Guadalupe ebenso wenig vorzuweisen wie ein eigenes Judenviertel, und so waren die dem jüdischen Glauben treu gebliebenen Conversos auf die familiären Kontakte mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern vor allem im Süden, im noch muslimisch beherrschten Malaga, angewiesen sowie auf die Kontakte mit Guadalupe besuchenden Händlern und schließlich auf die Unterweisung umherwandernder Rabbiner. Die Bezeichnung „Krypto-Juden“ lehnt die Autorin ab (S. 52). Sie plädiert stattdessen dafür, von „Judaisierenden“ (Judaizing) zu sprechen. In diesem Kapitel gelingt der Autorin die Darstellung eines aus den Quellen gewonnenen, einfühlsamen Bildes vom Alltag und dem religiös-kulturellen Verhalten der Stadtbewohner. Wie fließend die Grenzziehungen religiöser Observanz noch waren, geht nicht zuletzt auch daraus hervor, dass so mancher Hieronymit selbst noch dem mosaischen Glauben anhing, wie die Autorin im siebten Kapitel darlegt. Manches Mitglied im Hieronymitenorden brachte wohl in der Hoffnung auf eine spätere profundere Christianisierung der Neophyten eine gewisse Toleranz für die Persistenz judaisierender Praktiken auf.

Die sozioökonomischen und kulturellen Spannungen im rasch wachsenden Wallfahrtsort entluden sich, wie im vierten Kapitel analysiert wird, anlässlich einer Abtwahl, bei der sich 1483 zwei Lager gegenüberstanden. Ein altchristlicher Abt konnte auf die Altchristen bauen, wohingegen die vermögenden neuchristlichen Tuchhändler auf einen Hieronymiten setzten, der jüdische Wurzeln hatte. Doch dieser unterlag. Der neue altchristliche Abt ließ es nicht bei seinem Sieg bewenden. Vielmehr wurde ein Besuch König Ferdinands in dem wichtigen Wallfahrtsort vom ihm genutzt, um den Trastámara auf die realen und vermeintlichen Umtriebe der Neuchristen hinzuweisen, deren wirtschaftlicher Einfluss nach wie vor spürbar war. Die Folge war die Einsetzung des neuen Glaubenstribunals in Guadalupe.

Der fünfte und sechste Teil des Buches widmen sich den Formen der Inqusitionsprozesse und den Antworten der Beschuldigten, die 1485 vor das Glaubenstribunal zitiert wurden. Insgesamt weiß man von 226 Personen, die vom Santo Oficio beschuldigt wurden, wobei sich aber 37 Prozessakten erhalten haben, eine als gut zu bezeichnende Materialgrundlage in dieser für die Quellenüberlieferung so schwierigen Frühphase der Inquisition. Zum wohl bedrückendsten gehört die Einsicht, dass Familienmitglieder sich gegenseitig beschuldigten, dass Kinder ihre Eltern verrieten. Eindrucksvoll zeichnet die Autorin aus den Quellen die Schicksale nach, beschreibt Lebensläufe und Situationen. Die Inquisition führte mit ihrer Arbeit zu einer Trennung von religiösen Praktiken, die vorher als eher changierend betrachtet werden müssen. Selbst die Hieronymiten wurden vom strengen Blick der Inquisitoren erfasst. Zehn Prozent wurden von den Anschuldigungen freigesprochen. Eine ganze Reihe von Beschuldigten schwor ab. Anderen wiederum wurde eine (zeitlich befristete) Verbannung aus Guadalupe als Strafe auferlegt.

Im letzten Abschnitt ihres Buches wendet sich die Autorin den politischen Konsequenzen inquisitorischer Tätigkeit in Guadalupe zu. Mittels der Androhung neuer Glaubenstribunale konnten die geistlichen Stadtherren die Herrschaft über Guadalupe weiter festigen. Für das Königtum weist die Autorin auf eine gesteigerte Sakralisierung der Herrschaft hin. Dieser Aspekt kam mittels der Inquisition zum Tragen und war insbesondere für Kastilien wichtig, wo der Idoneitätsgedanke stets höher veranschlagt worden war und wo den Königen und Königinnen nicht, wie beispielsweise in Frankreich, die Sakralität gleichsam eigen war.

So einsichtsvoll die Studie von Starr-LeBeau ist, die im Übrigen ihr selbst gestecktes Ziel einer „dichten“ Beschreibung religiösen Lebens in Guadalupe einlöst, so vergisst die Autorin am Ende doch die Einordnung in die größeren Zusammenhänge. Dass von den 226 Angeklagten 30 Prozent zum Tode verurteilt wurden, bestätigt die Einsicht der neueren Forschung, wonach die Inquisition gerade in der ersten Zeit ihres Bestehens (bis 1530) ihre wirkungsmächtigste Phase durchlief. Eben dies herausgearbeitet zu haben, war einer der wesentlichen Beiträge der Inquisitionsforschung der letzten Jahrzehnte. So wird man die Zahl der in Guadalupe zum Tode Verurteilten in einer umfassenderen Würdigung in Relation zu setzen haben zum Anteil von Todesurteilen, der bei Prozessen in der Regel verhängt wurde. Bereits 1976 fanden zwei der Pioniere der spanischen Inquisitionsforschung, Gustav Henningsen und der in Alcalá de Henares lehrende Jaime Contreras heraus, dass die Inquisition (bis 1700) weniger als zwei Prozent Feuerstrafen verhängte. 4 Der hohe Prozentsatz von Todesstrafen in Guadalupe ist selbst für die Frühphase der spanischen Inquisition bemerkenswert und für den Abschluss inquisitorischer Prozesse aufs Ganze gesehen keineswegs typisch, womit freilich die Schicksale der Familien und der einzelnen Individuen in keiner Weise relativiert werden sollen.

Anmerkungen:
1 1610 erfolgte die Gründung eines Inquisitionstribunals in Cartagena de Indias, einem für den Handel zwischen Europa und Amerika zentralen Hafen in der Karibik.
2 Vgl. hierzu zum Beispiel die Untersuchung des belgischen Historikers Werner Thomas "Los protestantes y la inquisición en España en tiempos de reforma y contrarreforma", Leuven 2001.
3 Vgl. Contreras, Jaime, Historia de la Inquisición Española (1478-1834). Herejías, delitos y representación, Madrid 1997; Carcel, Ricardo García; Martínez, Doris Moreno, Inquisición. Historia crítica, Madrid 2000; Pérez, Joseph, Crónica de la Inquisición en España, Barcelona 2002.
4 Contreras, Jaime; Henningsen, Gustav, Forty-Four Thousand Cases of Spanish Inquisition (1540-1700). Analysis of a historical data bank, in: Henningsen, Gustav; Tedeschi, John (Hgg.), The Inquisition in Early Modern Europe. Studies on Sources and Methods, DeKalb 1986, S. 100-129, hier bes. S. 114. Die Analyse der beiden Historiker bezieht sich auf den Zeitraum 1540-1700. Im 18. Jahrhundert hatte die Tätigkeit der Inquisition immer mehr an Bedeutung verloren.

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