P. Zimmermann-Steinhart: Europas erfolgreiche Regionen

Titel
Europas erfolgreiche Regionen. Handlungsspielräume im innovativen Wettbewerb


Autor(en)
Zimmermann-Steinhart, Petra
Reihe
Schriftenreihe des europäischen Zentrums für Förderalismus-Forschung 26
Erschienen
Baden-Baden 2003: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Luutz, Leipzig

Die leicht überarbeitete Fassung der Dissertation, die die Verfasserin 2003 vorgelegt hat, reiht sich ein in die inzwischen kaum noch zu übersehende Forschungslandschaft zu Regionen in Europa. Warum, fragt die Autorin deshalb am Beginn sehr berechtigt, brauche man noch eine weitere Studie über Regionen. Man kenne zwar regionale Erfolgsgeschichten, so die vorläufige Antwort im Vorwort, aber man wisse nicht genug über die Gründe des Erfolgs europäischer Regionen. Gerade von den erfolgreicheren Regionen könnten die erfolgloseren lernen (S. 5). Das macht nicht nur neugierig, sonder schürt auch Erwartungen.

Die Autorin präzisiert dann aber ihr Anliegen in einer Art und Weise, die beim Leser rasch einen gewissen Ernüchterungseffekt hervorruft: Es geht ihr nämlich eigentlich um die Frage, „welche Strategien und Anpassungsmechanismen bereits erfolgreiche Regionen in unterschiedlichen nationalen Kontexten und unterschiedlichen Politikfeldern ergreifen bzw. erbringen, um ihre Position im EU-Wettbewerb behaupten zu können und welchen Handlungsrestriktionen sie hierbei unterliegen“ (S. 13). Also nicht die Erklärung des (technisch-wirtschaftlichen) Erfolgs selbst ist Gegenstand, sondern die (politischen) Behauptungsstrategien bereits erfolgreicher Regionen interessieren.

Auch das Feld „Europas erfolgreiche Regionen“ schrumpft schnell zusammen. Ausgewählt und vergleichend analysiert wurden die französische Region Rhône-Alpes und das deutsche Bundesland Baden-Württemberg. Begründet wird diese Auswahl damit, dass beide Regionen im jeweiligen nationalen Maßstab – gemessen an sozialökonomischen Parametern (Vergleichbarkeitsbedingung) – als erfolgreich gelten, aber eine sehr unterschiedliche politische Kompetenzausstattung (Bedingung größtmöglicher Differenz) besitzen (S. 95ff.). Die zugrunde liegende Annahme lautet dann auch, dass regionale Innovationsstrategien nur in geringem Maße von institutionellen Rahmenbedingungen (deutscher Föderalismus versus sich nur allmählich dezentralisierender französischer Einheitsstaat) abhängen, sondern der regionale Gestaltungswille, die Bereitschaft, die vorhandenen Kompetenzen zu nutzen, im Vordergrund stehen. Kurz: Die Aufgabe der Arbeit „ist es demnach, zu klären, wie Regionen mit den gegebenen Rahmenbedingungen umgehen“, welche Strategien als erfolgreich geltende Regionen anwenden (S. 15). Eine als Vergleichsmaßstab dienende Variable ist also die „verfasste Kompetenz in der Region“ (S. 22 ff.). Allerdings, das sei angemerkt, wird die Leistungsfähigkeit dieses Begriffes durch mehrere Unklarheiten eingeschränkt. Zum einen ist nicht klar, wie man diese regionale Kompetenz von nationalen und EU-Kontext-Bedingungen trennscharf abzugrenzen kann. Das wäre aber die Bedingung dafür, um den Einfluss bzw. die Gestaltungskraft regionaler Akteure bestimmen zu können. Außerdem überdecken sich in ihrem Begriff der politischen Kompetenz zwei Gesichtspunkte, die man durchaus schärfer abheben sollte; zum einen geht es um die Einflussmöglichkeiten regionaler Akteure auf nationale bzw. EU-Entscheidungsprozesse („Außenpolitik“), zum anderen um das Vermögen regionaler politischer Institutionen, regionalwirtschaftliche Prozesse zu regulieren bzw. zu gestalten („Innenpolitik“).

Die Autorin räumt solchen begrifflichen Klarstellungen jedoch nur wenig Platz ein. Sie beschränkt sich bei ihrer Kompetenzanalyse auf die Untersuchung dreier Politikfelder. Herausgegriffen werden Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik und Forschungs- und Technologiepolitik. Systematisch legt sie dabei die Unterscheidung regulative-distributive Politik zugrunde, wobei Wirtschaftspolitik dem Pol regulativer und Forschungs-/Technologiepolitik dem Pol distributiver Politik zugeordnet werden (S. 19, 27f.). Einen Vorzug der Arbeit sieht die Autorin gerade darin, den Einfluss der EU auf das regionale Regieren sowohl im Bereich der regulativem als auch der distributiven Politik zu untersuchen (S. 27). Kritisch ist hierzu aus meiner Sicht anzumerken, dass auch Wissenschafts- und Technologiepolitik regulativen Imperativen unterliegt. Insofern trägt die forschungsleitende Unterscheidung nur wenig zur Ordnung des Untersuchungsfeldes bei. Vor allem aber vermisse ich ein Politikfeld als Untersuchungsgegenstand, das wesentlichen Einfluss auf die regionale Leistungsfähigkeit gewinnen kann, den Bereich europäischer, nationaler oder von den Regionen selbst getragener Regional- bzw. Raumordnungspolitik mit seinen spezifischen Instrumentarien (wie „EFRE“ und „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“).

Nun sind solche Beschränkungen forschungspragmatisch sicher zu rechtfertigen, zumal wenn die Arbeit hilft, und das ist durchaus der Fall, unser Wissen über divergierende regionalpolitische Entwicklungsstrategien in Europa zu erhöhen. Dennoch wird der mögliche Gewinn durch eine begriffliche „Fehlinvestitionen“ geschmälert, die deshalb auch weniger Nachsicht verdient, den verwendeten Regionenbegriff. Ihrer Arbeit liegt ein Begriff von Region im Sinne „politischer Region“ zugrunde, dessen wichtigstes Merkmal die Existenz einer gewählten Vertretung ist (S. 16). Das ist aus meiner Sicht doppelt problematisch. Einmal, weil viele Regionalprojekte, die durch informelle Politik-Netzwerke gestaltet werden, dieses Merkmal der Repräsentation nicht aufweisen. Zum anderen aber, dieser Einwand ist gewichtiger, weil hier in unzulässiger Weise politische und wirtschaftliche Regionalisierungen gleichgesetzt werden. Die Rede von erfolgreichen Regionen bezieht sich eindeutig auf ökonomisch erfolgreiche Regionen. Der Begriff der Kompetenz meint hingegen regionale politische Gestaltungsspielräume. Es stellt sich die Frage, ob ökonomisch erfolgreiche Regionen mit politisch-administrativen Einheiten immer zusammenfallen, ob sie nicht anders, evt. kleinräumiger strukturiert sind als politisch verfasste Regionen im oben eingeführten Sinne. Diese kurzschlüssige In-eins-Setzung von politischer und wirtschaftlicher Region setzt sich übrigens später bei der Definition des Strategiebegriffs, von ihr bestimmt als eine auf „das Ziel der Erhaltung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden politischen Einheit, in dem Fall der Region, gerichtete Maßnahme“ (S. 138), fort. Der Begriff der (regionalpolitischen) Strategie ist viel zu eng auf die Frage ökonomistisch verkürzter „Wettbewerbsfähigkeit“ zugeschnitten. Andere Aspekte politischer Gestaltung wie das Streben nach politischer und kultureller Autonomie werden von vornherein ausgeklammert.

Meine Einwände beziehen sich also eher auf diese unklaren begrifflichen Voraussetzungen des Ansatzes als auf seine Ausführung. Welche Ergebnisse der Untersuchung halte ich für hervorhebenswert?

Begonnen wird mit einer Analyse der EU-Rahmenbedingungen (Kapitel 2) und der divergierenden nationalen Rahmenbedingungen in Frankreich und Deutschland (Kapitel 3). Diese Abschnitte sind durchaus informativ, wenn auch die gravierenden Veränderungen, die sich im Verständnis von Regionalpolitik im europäischen und nationalen Kontext in den letzten 40 Jahren vollzogen haben, von der Autorin nur andeutungsweise dargestellt werden konnten (siehe dazu ausführlicher etwa Heeg 2001 1oder Conzelmann 2002 2). Dem schließt sich eine „Ist-Analyse“ der beiden Fälle, des Landes Baden-Württemberg und der Region Rhône-Alpes, an (Kapitel 4), wobei die Autorin auf die geo- und demografischen Rahmenbedingungen, die wirtschaftlichen Profile, die Hochschul- und Forschungslandschaft, die Finanzausstattung und die politischen Akteure im beiden Räumen eingeht. Die nähere Beschäftigung mit den Fällen zeigt nun aber, das wird Kenner der Szene (die um die Dilemmata vergleichender Ansätze wissen) kaum überraschen, dass unterhalb der Oberflächenbeschreibung „erfolgreiche Regionen“ gravierende Unterschiede in der demografischen Dichte, der ökonomischen Struktur, der Organisation der Forschungslandschaft und der politischen Verfasstheit der Regionen existieren.

Im Kapitel 5 kommt die Autorin zum eigentlichen Gegenstand ihrer Arbeit, dem Vergleich der von beiden Regionen gewählten Strategien im Innovationswettbewerb. Sie unterscheidet dabei zwischen inhaltlicher und Kompetenzstrategie sowie indirekter und direkter Strategie (S. 138f.). Die Untersuchung selbst konzentriert sich auf die Analyse von fünf Strategieaspekten (wobei für mich nicht hinreichend klar geworden ist, worum genau diese Gesichtspunkte herausgegriffen wurden 3):
- Ziele und Leitbilder bezogen auf die Politikressorts Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik und Forschungs- und Technologiepolitik
- Strategien zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (Infrastruktur, regionale Beihilfen)
- Die Umsetzung der FFH-Richtlinie der EU
- Politikfeldübergreifende Strategie 1 – das Beispiel der „Vier Motoren für Europa“
- Politikfeldübergreifende Strategie 2 – Werbung nach innen und außen

Mit dieser Untergliederung gelingt es der Autorin durchaus, bestimmte Charakterzüge/Variationen regionaler Gestaltungsstrategien darzustellen. Insofern ist ein zu beachtender Beitrag zur vergleichenden politikwissenschaftlichen Regionalpolitik-Forschung entstanden. Weder war jedoch durch die Arbeit sicher zu klären, inwieweit solche regionalen Strategien funktional sind im Sinne der Selbstbehauptung von Regionen im europäischen Innovationswettbewerb, noch konnte die Kernthese der Arbeit, dass die Wahl der regionalen Strategie nicht vorrangig von der Kompetenzausstattung der Region abhängig ist, hinreichend belegt werden, da der verwendete Kompetenzbegriff unzulässig oszilliert. 4 Diesem (Zwischen-)Ergebnis sollten deshalb nicht nur – was in der Natur der Sache liegt – weitere fallspezifische empirische Untersuchungen zu anderen europäischen Regionen und anderen Politikressorts folgen, sondern auch methodisch-begrifflich orientierte kritische Reflexionen angeschlossen werden.

Anmerkungen:
1 Heeg, Susanne, Politische Regulation des Raums. Metropolen - Regionen – Nationalstaat, Berlin 2001.
2 Conzelmann, Thomas, Große Räume, kleine Räume. Europäisierte Regionalpolitik in Deutschland und Europa, Baden-Baden 2002.
3 Das heißt nicht, dass ich diese Operationalisierung nicht für möglich halte. Was ich vor allem bemängele, ist, dass sie argumentativ ungenügend eingeholt wird. Die erwähnten Unterscheidungen von Strategieaspekten (inhaltliche-Kompetenzstrategie, direkte-indirekte Strategie) werden für die Ordnung des Untersuchungsfeldes jedenfalls kaum wirksam. Warum erfolgt zum Beispiel eine Konzentration auf Leitbildern, statt deren projektbezogene Umsetzung zu analysieren (Abschnitt 5.2)? Weshalb wird unter 5.3 (Strategien zur Verbesserung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit) nicht auf Kultur- und Bildungspolitik eingegangen? Warum wird die Umsetzung der FFH-Richtlinie zu einem Schwerpunkt gemacht, obwohl die Regionen nachgewiesenermaßen von sich aus kaum Anstrengungen zu deren Realisierung unternehmen? Warum werden die Erzählung der „Vier Motoren für Europa“ und die Werbung nach innen und außen zu Untersuchungsschwerpunkten gemacht, wo doch deren Effekte im Sinne einer Kompetenzsteigerung gar nicht sicher bestimmbar sind?
4 Ein Beispiel: So heißt es im Fazit, dass die Kompetenzausstattung nicht die ausschlaggebende Variable für die Wahl der regionalen Strategie ist, sondern es „vor allem die finanziellen Möglichkeiten und Freiräume der Gebietskörperschaften (sind), die deren Handlungsoptionen bestimmen“ (S. 193). Was aber sind Freiräume von Gebietskörperschaften anderes als Kompetenzen?

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