P. Barceló: Constantius II. und seine Zeit

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Titel
Constantius II. und seine Zeit. Die Anfänge des Staatskirchentums


Autor(en)
Barceló, Pedro
Erschienen
Stuttgart 2004: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Portmann, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die vorliegende Biografie zu Constantius II. ist, wie das Vorwort erläutert (S. 9), Bestandteil einer Trilogie. Zwei weitere Biografien, verfasst von Klaus Rosen, werden sich mit Konstantin und Julian befassen. Barcelós Werk zu Constantius II. ist aber als eigenständiges Werk verfasst, das keine Verweise zu den (noch nicht erschienenen) anderen Teilen der Trilogie gibt. Der Autor, Professor für Alte Geschichte in Potsdam, ist schon durch zahlreiche einschlägige Arbeiten zur Spätantike bekannt. Hingewiesen sei im vorliegenden Zusammenhang nur auf seine wichtige Untersuchung "Roms auswärtige Beziehungen unter der constantinischen Dynastie" (1981).

Wie Barceló zu Recht hervorhebt, gibt es bisher keine vergleichbare monografische Behandlung der Vita von Constantius II. Seine Jugendzeit wird in Konstantin-Biografien erwähnt, seine spätere Zeit als Kaiser in den Anfangsteilen von Biografien zu Julian. Ihm ein eigenes Werk zu widmen, war gewiss - nicht nur aufgrund seiner langen Regierungszeit (337-361) - ein Desiderat. Wichtig für die Forschung ist eine Konzentration auf Constantius II. selbst, weil nur eine ausführliche Behandlung dieses Kaisers es ermöglichen kann, das historische Urteil auf festeren Boden zu stellen. Da Constantius II. in den Quellen (und dadurch auch in der Forschung) überwiegend negativ bewertet wird, ist eine Biografie wie die vorliegende willkommen, die immer wieder die Quellen, insbesondere die Darstellung eines der wichtigsten antiken Autoren (und zudem eines Zeitgenossen), nämlich Ammianus Marcellinus, kritisch befragt.

Das vorliegende Werk ist in 15 Kapitel eingeteilt, die im Wesentlichen dem chronologischen Ablauf der Vita von Constantius II. folgen. Die Überschriften weisen mit griffigen Formulierungen (wie etwa Kapitel 3: "Im Bannkreis des Vaters: Lehrjahre eines Herrschers" oder Kapitel 13: "Die verordnete Glaubensformel: Trugbild religiöser Eintracht") darauf hin, dass auch der gebildete Laie als Adressat gemeint ist. Letzterem wird mit dem Titel der Biografie suggeriert, dass er nicht nur eine Biografie zur Hand nimmt, sondern vermittelt durch sie in eine Epoche eingeführt wird (was allerdings seltsamerweise durch den Untertitel wieder relativiert wird). Barceló hat somit einen schwierigen Spagat zwischen einer auf der gegenwärtigen Forschungslage beruhenden Quellenkritik und einer populären Darstellung zu vollziehen. Enttäuscht wird der Leser sein, der eine Art Epochenbild sucht, denn der Verfasser konzentriert sich im Wesentlichen auf die Vita des Kaisers und dessen Politik. Wirtschaftliche, soziale, kulturelle Gegebenheiten treten nur in das Blickfeld, wenn der Kaiser diesbezüglich Maßnahmen getroffen hat.

Barceló intendiert nicht einfach eine Umwertung des Kaisers, sondern er möchte ihn "als eigenständigen Akteur einer überaus spannungsreichen Epoche" betrachten (S. 15). Deswegen finden sich in dieser Biografie erfreulicherweise kaum pauschale Urteile über Constantius II., sondern Barceló überlegt immer wieder bei einzelnen Handlungen und Maßnahmen, welche Ziele der Kaiser verfolgt hat, welche Methoden er angewandt, welche Taktik er benutzt hat. Insgesamt ist der Eindruck bestimmend, dass es dem Verfasser ein großes Anliegen ist, dem Kaiser möge historische Gerechtigkeit widerfahren, aber dieses Anliegen wird nicht penetrant umgesetzt. Deswegen bleibt die Darstellung wohltuend sachlich.

Die Stärke des Buchs liegt in der Darstellung der politischen, im engeren Sinne militärpolitischen Vorgänge. Barceló ist hier dem Leser ein verlässlicher Führer, wenn es um die Fragen geht, was, möglichst unabhängig durch tendenziöse Darstellungen in den Quellen, wohl wirklich geschehen ist. Deutliche Schwerpunkte der Darstellung liegen also bei den außenpolitischen Auseinandersetzungen mit den Persern und Germanen, bei den Usurpationen und den dynastischen Problemen. Hierbei wird manchmal auch etwas des Guten zuviel getan, wenn der doch etwas ephemeren Usurpation des Vetranio mehrere Seiten gewidmet werden (S. 93-97).

Anders als der Untertitel ("Die Anfänge des Staatskirchentums") erwarten lässt, bildet die Religionspolitik nicht den Schwerpunkt der vorliegenden Biografie. Die Religionspolitik scheint nicht nur etwas zurückgesetzt, sondern die sie betreffenden Passagen sind zudem ein Schwachpunkt des Buches. Zugegeben, eine Darstellung der kirchenpolitischen Vorgänge ist nach wie vor ein sehr schwieriges Unterfangen, denn selbst die Hauptlinien der Entwicklung - ganz abgesehen von Fragen der Datierung - sind oft nur unscharf zu erkennen. Die dogmatischen Differenzierungen sind selbst für den Forscher schwer zu fassen, entsprechend schwierig ist es, sie dem gebildeten Laien begreiflich zu machen, geschweige denn sein Interesse dafür zu wecken. Sie gehören aber in eine Biografie Constantius’ II., weil er sich über Jahre hinweg mit der Frage konfrontiert sah, welche Gruppierungen zu fördern sind, um – worauf Barceló sicherlich zu Recht insistiert – einen reichsübergreifenden Konsens herbeizuführen.

Dass nicht auf kirchenpolitischem und dogmatischem Gebiet die Stärke des Verfassers liegt, zeigt sich beispielsweise daran, dass er dreimal versucht, dessen theologische Position zu beschreiben (S. 53, 191, 238). Die erste Charakterisierung, wonach für Arius "der Sohn (=Christus) vor aller Zeit geschaffen sei" (S. 53), ist schlichtweg falsch und widerspricht der zweiten Charakterisierung, die etwas genauer ist: Christus sei "irgendwann geschaffen, also nicht seit aller Zeit vorhanden" (S. 191). Wieso verweist Barceló nicht einfach auf das berühmte Diktum des Arius, wonach es eine Zeit gab, als es Christus noch nicht gab? Die dritte Charakterisierung schließlich tendiert zu sehr dazu, das theologische Verständnis des Wesens Christi als quantitatives Problem zu begreifen: "Arius hatte die Wesensähnlichkeit zwischen Vater und Sohn betont, ohne aber deren genauen Grad zu bestimmen." (S. 238)

Wie den Kaiser, so versucht Barceló auch dessen kirchenpolitischen Gegenspieler, den alexandrinischen Bischof Athanasius, nicht mit einem einseitigen Verdikt zu belegen. Die etwas salopp ("Energiebündel", S. 116) geratene Charakterisierung des Bischofs (S. 115f.) liegt aber doch zu sehr in der Linie einer einseitig politischen Geschichtsschreibung, die ihn letztlich nur als "Machtmenschen" (S. 116) verstehen will: "Seine Gegner mussten ihn fürchten." (ebd.) In der Tat haben ihm seine Gegner stets die Anwendung von Gewalt vorgeworfen, aber kein Einziger dieser Vorwürfe ist wirklich erwiesen. Umgekehrt ist Athanasius verschiedentlich Vorwürfen – wie etwa dem des Hochverrats – ausgesetzt gewesen, die ihm in der Tat den Kopf hätten kosten können. Im kirchenpolitischen Bereich sind somit Defizite zu beklagen, die sich u.a. auch darin niederschlagen, dass das bedeutsame Werk von Annick Martin über Athanasius keine Erwähnung findet.1 In religionsphilosophischer Hinsicht wundert man sich doch sehr über die Aussage, dass Julian sich "in einem polytheistischen System prinzipiell gleichartiger Gottheiten" bewegt habe (S. 182). Die neuplatonischen Schriften Julians sprechen eine andere Sprache, weil sie eben der gemeinantiken, auch neuplatonischen Götterhierarchie folgen.

Nachlässig redigiert ist das Register. Es umfasst Personen, Orte und Sachen, bringt aber jeweils nur eine merkwürdige Auswahl, deren Prinzipien nicht erkennbar sind. Warum etwa wird das öfter erwähnte Viminacium (S. 51, 55, 213) nicht aufgeführt? Es fehlen Dionysius von Alexandrien (S. 53), Georg von Alexandrien (S. 100), Paul von Samosata (S. 53), Paulinus von Trier (S. 103, 116), bei Julian fehlt ein Verwies auf S. 101 usw. Die Lücken beziehen sich aber nicht nur auf das kirchenpolitische Gebiet, denn auch Ammian, Florentius, Titianus und andere fehlen.

Trotz der genannten Einschränkungen kann man nur wünschen, dass das gut lesbare, anschaulich geschriebene Buch einen größeren Leserkreis für die Spätantike gewinnt.

Anmerkungen:
1 Martin, Annick, Athanase d'Alexandrie et l'Église d'Égypte au Ive siècle, Paris 1996.

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