R. Köster: Konzentrationsbewegung in der Dortmunder Brauindustrie

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Titel
Die Konzentrationsbewegung in der Dortmunder Brauindustrie 1914-1924. Das Beispiel der Dortmunder Actienbrauerei


Autor(en)
Köster, Roman
Reihe
Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte 10
Erschienen
Anzahl Seiten
120 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Schmidt, Marburg

Beim Thema Bier denken viele spontan an Bayern und tatsächlich existiert eine Fülle von Literatur über die Entwicklung der bayerischen Brauindustrie. Aber auch länderübergreifend findet das Thema im Forschungsbereich zur Nahrungsmittelindustrie zunehmend Beachtung. Im Fokus zahlreicher Publikationen steht das Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Als grundlegende und wertvolle Beispiele seien etwa die Darstellungen von Clemens Wischermann 1 und Mikuláš Teich 2 genannt. Die Zeit von Beginn des Ersten Weltkrieges bis Mitte der 1920er-Jahre, in der die Brauindustrie eine technische und ökonomische Rationalisierung erlebte, hat dagegen bislang eher wenig Beachtung gefunden.3 Roman Köster setzt sich in seiner quellengestützten Detailuntersuchung erstmals intensiv mit dem Jahrzehnt zwischen 1914 und 1924 auseinander. In dieser Zeit begann mit der Zusammenlegung von Unternehmen und der Stilllegung unrentabler Betriebe die erste Welle der Rationalisierung. Besonders stark ausgeprägt war diese Entwicklung in Westfalen und im Rheinland. Auch in Dortmund, einer der „Biermetropolen“ Deutschlands, übernahmen ortsansässige „Aktienbrauereien“ – verbunden mit einer deutlichen Ausweitung des Aktienkapitals bei gleichzeitiger Erweiterung und Modernisierung der Betriebsanlagen – mehrere Braubetriebe.

Die Dortmunder Actienbrauerei (DAB) war bereits Ende der 1920er-Jahre eines der zehn größten Brauunternehmen in Deutschland. Anhand dieser Großbrauerei, die heute, nach vielen Fusionen und Umstrukturierungsmaßnahmen, mit einem Jahresausstoß von etwa drei Millionen Hektoliter die größte Brauerei des Ruhrgebietes ist, zeigt Köster in seiner chronologisch gegliederten Studie exemplarisch auf, dass zwischen dem massiven externen Unternehmenswachstum und den Rationalisierungsmaßnahmen ein dynamischer Zusammenhang bestand. Daneben stellt er die These auf, dass es im Untersuchungszeitraum zu einem Aufbrechen von Marktzutrittsbarrieren gekommen sei, weil Großbrauereien wie die DAB in vormals abgeschottete regionale Märkte eindrangen (S. 9).

Das erste Kapitel (S. 15-32) beinhaltet eine quantitative Analyse der Konzentrationsbewegung der Brauindustrie zwischen 1880 und 1930. Dazu arbeitet Köster zunächst die Marktformen der Brauindustrie vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges heraus. In dieser Zeit ging der Trend – vor allem auf Kosten der Klein- und Kleinstbrauereien – zur Aktiengesellschaft als „dominante Unternehmensform in der Brauindustrie“ (S. 17). Nach 1914, und hierin liegt der entscheidende qualitative Unterschied zurzeit vor dem Ersten Weltkrieg, nahm die Zahl der Aktiengesellschaften deutlich ab, während sie vorher kontinuierlich gestiegen war. Diese Entwicklung galt auch für die Dortmunder Brauindustrie. Eine noch stärkere Konzentration wurde vor dem Ersten Weltkrieg durch die Regelung der Absatzverhältnisse mittels so genannter Bierlieferungsverträge 4 verhindert. Damit steht im Zusammenhang, dass die Rentabilität der meisten Brauunternehmen schon vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges relativ schlecht war.

Im zweiten Kapitel (S. 33-60) erhält der Leser einen Abriss der Unternehmensentwicklung der Dortmunder Actienbrauerei bis zum Jahr 1914. Die DAB, 1867 als private Gesellschaft gegründet und 1872 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, war ein von Anfang an explizit auf industrielles Brauen ausgerichtetes Unternehmen. Einen Einschnitt bildete die dem Börsencrash von 1873 nachfolgende und sich negativ auf den Bierkonsum auswirkende Krise. Sie führte dazu, dass die DAB 1876 das Aktienkapital halbieren und umfassende Neustrukturierungsmaßnahmen in der Verwaltung und der Betriebsorganisation vornehmen musste. Die Konsolidierungsmaßnahmen griffen und das Unternehmen erholte sich. In der Folgezeit konnte die DAB kontinuierlich durch eine Vielzahl von Investitionen modernisiert und zu einer Großbrauerei ausgebaut werden.

Die Zeit des Ersten Weltkrieges betrachtet Köster genauer, indem er in drei untergliederten Abschnitten die Organisation der Zwangswirtschaft, die Entwicklung der Bierproduktion und die des Vertriebes der DAB bis 1918 darstellt. In dieser Zeit stellte nicht nur die Knappheit der Gerste, sondern vor allem die im März 1915 eingeführte und danach sukzessive verschärfte Malzkontingentierung ein wesentliches Problem für das Brauunternehmen dar: Konnte der Bierabsatz im Geschäftsjahr 1914/15 noch ungefähr gehalten werden, sanken die Ausstoßzahlen in der Folgezeit rapide (S. 46). Um die Rentabilität der Bierproduktion weiterhin zu gewährleisten, wurden verstärkt Rationalisierungspotentiale genutzt. 5

Breiten Raum nimmt die Erweiterungspolitik des Absatzgebietes der DAB ein, die vor allem von Brauereiübernahmen geprägt war. Mit der Darstellung zweier Übernahmen im Herbst 1917 bzw. im Sommer 1918 und ihrer Interpretation vor dem Hintergrund der Branchenentwicklung in einem gesonderten Abschnitt, unterstreicht Köster den Stellenwert dieser Strategie für die Entwicklung des Unternehmens.

Der Übergang zum dritten Kapitel (S. 61-91) ist fließend. Köster führt das Thema der zuvor skizzierte Übernahmepolitik der DAB weiter und rückt die diesbezüglich für das Unternehmen sehr ereignisreichen Jahre 1918 bis 1922 in den Mittelpunkt. In diesem Zeitraum verband sich die DAB mit acht Brauereien durch Fusionen, Übernahmen oder Kontingentserwerbungen. Sie forcierte eine ausgeprägte Expansionspolitik, deren Ziel vor allem die Erweiterung des Absatzgebietes im Rheinland und im Raum Südhannover war. Köster analysiert diese Übernahmen – eingebettet in die Darstellung der Lage der deutschen Brauindustrie nach Kriegsende – im Zusammenhang mit der umfangreichen Erweiterung und Rationalisierung des Dortmunder Betriebes, um den „Entwicklungssprung“ deutlich zu machen, der das Unternehmen in den 1920er-Jahren zu einer der größten Brauereien Deutschlands werden ließ.

Im vierten Kapitel (S. 92-103) widmet sich Köster schließlich den beiden, stark durch „exogene Schocks“ geprägten Jahre 1923 und 1924, in denen Ruhrgebietsbesetzung und Hyperinflation das Unternehmen vor neue Herausforderungen stellten.

In dieser Zeit stand das Bestreben im Vordergrund, die politischen Schwierigkeiten zu meistern und eine Konsolidierung der angegriffenen Unternehmensfinanzen in Angriff zu nehmen. Im Gegensatz zur Übernahmepolitik bis 1922 wurden 1923/1924 zwei Brauereien nur angepachtet, was laut Köster vor dem Hintergrund der politischen und finanziellen Entwicklungen in diesen beiden schwierigen Jahren zu erklären ist: „1923 verschärfte sich das schon seit Jahren bestehende Problem weiter, dass Rohstoff- und Verkaufspreise auseinander klafften.“ (S. 94)

Zum Abschluss beschreibt Köster die Situation der Dortmunder Brauindustrie in den Jahren bis zur Weltwirtschaftskrise und fragt nach, welche Unternehmen die Krise überstanden. Zwar konnte die Konkurrenzbrauerei Dortmunder Union (DUB) nach 1924 ihren Ausstoß am schnellsten steigern. Dennoch war es die DAB, die kurz vor der Weltwirtschaftskrise schnell aufholte und sich mit deutlichem Abstand den zweiten Platz in der internen Rangliste der Dortmunder Brauindustrie sicherten konnte. Abgerundet wird die Studie schließlich mit einem Rekurs auf die zu Beginn der Arbeit aufgestellte These des Aufbrechens von Marktzutrittsbarrieren (vgl. S. 9). Köster sieht diese These bestätigt, da die DAB in der Hauptsache Brauereien in mittelgroßen Städten übernahm und das Eindringen in großstädtische Märkte vermied. So hatte die DAB in der Regel mit keiner regionalen Konkurrenz zu rechnen und es entstanden kaum Reibungsverluste durch die Zusammenführung zweier Unternehmen.

Inhaltlich überzeugt die Studie von Köster. Positiv hervorzuheben sind auch die zahlreichen Tabellen und Diagramme, die die Entwicklungsschritte der DAB nachzeichnen. Die Unterteilung des Literaturverzeichnisses nach Erscheinungsjahr bis 1945 bzw. ab 1945 erleichtert einen schnellen Überblick. Leider beinhaltet die Darstellung einige formale Fehler. Insgesamt handelt es sich aber um eine wertvolle Bereicherung für die Forschung zur Brauindustrie des 20. Jahrhunderts.

Anmerkungen:
1 Wischermann, Clemens, Zur Industrialisierung des deutschen Braugewerbes im 19. Jahrhundert. Das Beispiel der Reichsgräflich zu Stolbergschen Brauerei Westheim in Westfalen 1860-1913, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 10 (1985), S. 143-180.
2 Teich, Mikuláš, Bier, Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland 1800-1914. Ein Beitrag zur deutschen Industrialisierungsgeschichte, Wien 2000.
3 Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Hoffmann-Güth, Claus, Die Entwicklung der Karlsberg-Brauerei 1918-1922. Vom einfachen Mittelstandsbetrieb zum Unternehmensverbund im Spiegel der Regionalgeschichte und im Vergleich zur Branchenentwicklung, Saarbrücken 1998. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt jedoch auf der Zeit nach 1945.
4 Ein „Bierlieferungsvertrag“ verpflichtete den Wirt im Normalfall dazu, sein Bier ausschließlich von einer Brauerei zu beziehen. Diese Form der Absatzorganisation bezog ihren Sinn zunächst daraus, dass zwischen Produktion und Absatz der Brauerei eine gewisse zeitliche Spanne lag, die vom Unternehmen vorfinanziert werden musste. Im Gegenzug traten die Brauereien als Kreditgeber der Gastwirte auf.
5 Dabei handelte es sich zunächst um eine für die Brauindustrie typische „Kriegsrationalisierung“, um schwach eingebrautes Bier mit möglichst sparsamen Einsatz von Arbeitskräften und Betriebsstoffen herzustellen und eine größtmögliche Extraktausbeute zu erreichen.

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