T. Prase u.a.: Propagandist und Heimatfilmer

Titel
Propagandist und Heimatfilmer. Die Dokumentarfilme des Karl-Eduard von Schnitzler


Autor(en)
Prase, Tilo; Judith Kretzschmar
Reihe
MAZ, hg. von der DFG-Forschergruppe "Programmgeschichte des DDR-Fernsehens -komparativ" 10
Erschienen
Anzahl Seiten
233 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Steinle, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg

Karl-Eduard von Schnitzlers „Schwarzer Kanal“ (1958-1989) ist auch heute noch weithin ein Begriff, wenn nicht der Inbegriff für parteitreuen DDR-Journalismus und Kalte-Kriegspropaganda aus SED-Perspektive. 1 Dass aber der „Kalte Krieger“ auch Heimatfilme und Reisereportagen realisiert hat, dürfte vielen jüngeren oder im Westen Aufgewachsenen neu sein. Ausführliche Untersuchungen standen dazu bisher ebenso aus wie zu Schnitzlers längeren Dokumentationen. Beidem widmet sich der zehnte Band der MAZ-Reihe des 2001 begonnen DFG-Forschungsprojektes zur „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens – komparativ“, den das Leipziger Teilprojekt 6 „Dokumentarische Genres im DDR-Fernsehen“ nun vorgelegt hat. Das Vorwort betont, dass es nicht um die „Zurschaustellung eines Fossils, […] sondern um das Dokumentieren seiner Langmetragewerke als Musterbeispiele für Film gewordene Ideologie“ (S. 11) geht.

Einleitend skizziert Kretzschmar kurz Schnitzlers Biografie, die Bekanntes überblicksartig zusammenfasst. Dabei datiert sie die Entstehung des geläufigen Spitznamens „Sudelede“ (S. 14) in die Anfangsphase des Kalten Krieges Ende der 1940er-Jahre zurück, obwohl dieser wohl erst um 1960 durch den SFB-Redakteur Günter Lincke geprägt wurde. 2

Prase untersucht „Die nationalen Fragen in Schnitzlers Propagandawerkstatt“ am Beispiel zeitgeschichtlicher Dokumentarfilme, für die Schnitzler zunächst als Texter, später dann auch als Autor verantwortlich war: „Du und mancher Kamerad“ (1956), „Schaut auf diese Stadt“ (1962), „Die Grenze“ (1966), „Vor 40 Jahren begann der Zweite Weltkrieg“ (1979), „Was war der Faschismus wirklich?“ (1983) und „Wie die BRD entstand“ (1989), deren Inhalt und Produktionskontext kurz beschrieben werden. In der Analyse wendet sich Prase dem Umgang mit Schlüsselbildern zu, wobei er sie unter die Vorzeichen „inszeniert, manipuliert und gefälscht“ (S. 40) stellt. Da Schnitzlers Filme sich durch argumentative Eindeutigkeit und leichte Verständlichkeit auszeichnen, konzentriert sich Prase darauf, die Rhetorik und den Umgang mit dem Material zu analysieren. Dabei versteht er „die Schnitzlerschen Werke als Bau- und Brutstätten sozialistischer ‚Ikonographie’“ (S. 40f.). Zur Beschreibung solcher kanonisierten Bildwerke greift er auf Uwe Pörksens Visiotype-Konzept zurück, womit Bilder gemeint sind, die absichtsvoll aus propagandistischen Motiven produziert wurden und haften geblieben sind. Damit müsste die leidige Diskussion um Dokumentarfilm versus Spielfilm/Propaganda eigentlich nicht mehr geführt werden, die aber gleichwohl in der Feststellung anklingt, dass „Du und mancher Kamerad“ kein Dokumentarfilm, sondern ein Propagandafilm sei (S. 43). 3 Problematisch an dem Zugriff ist zudem, dass unterschiedliche mediale Formen aus unterschiedlichen Epochen rückblickend unter dem Kriterium der ‚Propaganda’ verhandelt werden. Ein abendfüllender Kinofilm aus den 1950er-Jahren wie „Du und mancher Kamerad“ ist mit seinem humanistischen Pathos ungleich komplexer als z.B. eine zusammengestückelte TV-Sendung aus den letzten Tagen der DDR à la „Wie die BRD entstand“. Und da „Parteilichkeit“ erklärtes Ziel der Filme war, führt der Vorwurf der Propagandaproduktion nicht wirklich weiter.

Die Analyse der Mythen und Visiotype in Schnitzlers Filmen legt die dichotomischen Denkmuster offen, aus denen die ideologische Instrumentalisierung des Dokumentarischen ebenso resultierte wie bewusste historische Verfälschungen. An konkreten Filmbeispielen belegt Prase, wie Schnitzler das Material „zurechtbog“ oder durch Auswahl verfälschte, bis es in sein einfaches Schwarzweiß-Schema passte und zur Legendenbildung taugte. Interessant ist, dass Schnitzlers Methoden heute unter umgekehrten Vorzeichen fortgeführt werden: Etwa wenn der ORB-Film „Schwarzer Kanal oder Armes Deutschland“ (1992) aus Schnitzlers „Die Grenze“ zitiert und suggeriert, dass diese „Fernsehfiebel für 10 bis 14-jährige“ (so der Untertitel des Films) sich an Erwachsene richten würde – auf ähnliche Weise versuchte bereits die ARD-Reihe „Ost und West“ Ende der 1960er-Jahre die Propaganda aus dem Osten lächerlich zu machen. 4

Schnitzlers Darstellung des kommunistischen Widerstandes oder der Sowjetarmee folgte inhaltlich der offiziellen Parteilinie und wandelte sich kaum. Während die Bundesrepublik nicht nur in Schnitzlers Filmen in faschistische Kontinuität zum „Dritten Reich“ gestellt wurde, maßte sich die DDR die Rolle „einer Gralshüterin des Antifaschismus“ (S. 75) an. So schließt Prase, dass Filme nach Schnitzlers Muster nicht durch die Unterstützung des SED-Staates Schadensrisiko trugen, sondern „vor allem Schuld durch unterlassene Hilfeleistung, denn die wirklichen Bedingungsfaktoren und Abläufe faschistischer Diktaturen blieben ausgeblendet“ (S. 76). Bei diesem recht allgemeinen Resümee vermisst man die jüngste Diskussion zur Rolle und Funktion des Antifaschismus in der DDR.

Unter dem Titel „Sein Vaterland im Film – die DDR-Reportagen“ untersucht Judith Kretzschmar Schnitzlers Reportagen aus der DDR, für die er 1985 die Auszeichnung „Held der Arbeit“ erhielt. In einer ausführlichen Begriffsklärung zeichnet sie zunächst die Entwicklung des Heimatbegriffs in der DDR nach: Nachdem „Heimat“ in den 1950er und 1960er-Jahren nur auf das Vaterland bezogen und nicht regional gebunden war, geriet der Begriff ab den 1970er-Jahren in die Diskussion. Schnitzler selbst setzte sich damit nicht wirklich auseinander, sondern verstand ganz im Sinne der parteioffiziellen Definition Heimat nicht als lokal begrenzt: Im Zentrum stand die DDR als „sozialistische Heimat“. Seine Heimatreportagen wollten ein Identifikationsangebot vermitteln, indem die Schauwerte landschaftlicher Schönheit mit politischer, ökonomischer, gesellschaftlicher und historischer Information gekoppelt wurden.

Als erste Reportage entstand 1976: „Rügen – Entdeckung einer Insel“. Ihr folgten 12 weitere (darunter zwei zweiteilige), wobei Schnitzler aus persönlicher Affinität den Ostseeraum bevorzugte (5 Filme). Aufhänger der Filme war stets ein soziales Problem; Schnitzler zufolge sollten die Einwohner im Mittelpunkt stehen. Sie blieben aber, wie Kretzschmar zeigt, nur Statisten, die mit ihren Aussagen vorgefertigte Muster bestätigten. Kritische Aspekte wurden ausgeblendet, so dass die Reportagen auch aus Sicht des damaligen Produktionsleiters in der Rückschau „geschönt“ und „realitätsfremd“ wirken (S. 117).

Im Folgenden werden die thematischen Bausteine analysiert, aus denen Schnitzler sein Heimatbild konstruierte. Sie beziehen sich schwerpunktmäßig auf den Aufbau- und Fortschrittsmythos („Industrie“, „Wohnungsbau“, „Aufbau Berlin“ etc.), Geschichte und Tradition, ferner auf Hochkultur und Kunst sowie Brauchtum und allgemein das alltägliche „Leben im Sozialismus“ (S. 122). Die Präsenz der einzelnen Schwerpunkte wird exemplarisch an einzelnen Filmen untersucht und in Form zahlreicher Balkendiagramme und Tortengrafiken dargestellt. Letztere sind allerdings nicht immer sehr ergiebig, da viele Unterschiede in regionalen Differenzen begründet liegen, wie die Autorin selbst feststellt. Demgegenüber hätte man sich gewünscht, mehr zur visuellen Rhetorik und den Selbstinszenierungen des Filmemachers zu erfahren.

Ausführlich stellt Kretzschmar die Reaktionen von Presse und Zuschauern dar: Erstere waren hauptsächlich positiv, wenngleich einige überraschend kritische Kommentare zu finden waren, die sich aber immer nur auf die Gestaltung und nicht auf die Inhalte bezogen. Dagegen reagierten die Zuschauer ähnlich wie auf den „Schwarzen Kanal“, nämlich mit Um- oder Abschalten bei einer Sehbeteiligung von lediglich ca. 5-10 Prozent.

Als Ergebnis hält die Studie fest, dass Schnitzler kaum Unterschiede zwischen den Regionen machte, da Heimat eben nicht lokal, sondern national verstanden wurde. Die Filme folgten sowohl in inhaltlich-thematischer als auch in dramaturgischer Hinsicht einem präzisen Konstruktionsprinzip und setzten sich aus weitgehend identischen „Bausteinen“ zusammen. Die Schlussbemerkung, dass die DDR-Bevölkerung zu sehr in ihrem Land eingesperrt war, um „die bekannten Landstriche der DDR in einseitig beleuchteter Weise erleben“ zu wollen (S. 158), ist vor allem hinsichtlich des Aspektes der Einseitigkeit zu unterstreichen, da TV-Reportagen westdeutscher Journalisten aus der DDR über ‚Land und Leute’ beim ostdeutschen Publikum gut ankamen. 5

Auch für die Heimatfilme gilt, was Prase in seinem Beitrag „Im Eilzug durch Raum und Zeit“ zu Schnitzlers Auslandsfilmen konstatiert: Diese seien „aufschlussreich und wichtig, nicht wegen etwaiger ästhetischer Raffinesse, sondern Dank der klaren, schnörkellosen Umsetzung eines sozialistischen Wunschweltbildes“ (S. 175). Dabei untersetzte Schnitzler das in den Heimatfilmen praktizierte Vaterlandskonzept mit einem dichotomischen Geschichtsbild. An allen Reisereportagen lässt sich beispielhaft demonstrieren, wie Schnitzler Widersprüche ausblendete und seine Darstellung an den jeweils aktuellen diplomatischen Bedürfnissen orientierte. Einerseits auf der Suche nach dem Neuen, jongliert er andererseits bildungsbeflissen mit Geschichte und reduzierte zugleich radikal die Komplexität des Zeitgeschehens, indem er relevante Aspekte einfach wegließ.

Zusammenfassend konstatiert Prase den Versuch, ein Bild der Vollständigkeit im Kleinen zu schaffen, das auf „Konfetti-Landschaft“ hinauslaufe (S. 206). Inhaltlich dominierten mit Abstand die Themen „Imperialismus & Krieg“, gefolgt von „Verkehr und Transport“ und „Stadtbilder“ (S. 207f.). Schnitzlers Herkunft vom Tagesjournalismus zeigt sich in der kleinteiligen Strukturierung der Reportage, die einzelnen Stationen wurden im Durchschnitt in 88 Sekunden abgehandelt. Dementsprechend blieben auch die menschlichen Begegnungen flüchtig, wobei Schnitzler nicht nur durch mangelnde Sprachkenntnisse, sondern auch durch sein Selbstverständnis als „publizierender Politiker“ (S. 209) eingeschränkt war. Ästhetisch war die Kameraarbeit solides Handwerk, erschien aber „oberflächlich und lustlos“ (S. 213). Zudem dozierte der mit Marx und Lenin-Zitaten garnierte Kommentar in gespreizter Schnitzler-Diktion vorhersehbar klassenkämpferisch.

Der Band zeigt Facetten in der Werkbiografie Schnitzlers, die der alles dominierende „Schwarze Kanal“ verdeckt, die diesem aber methodisch und diskursiv entsprechen. Damit bestätigt sich das Bild des „Dinosauriers des Kalten Krieges“, durch dessen ideologischen Panzer keine sich wandelnde Wirklichkeit ein- oder Selbstzweifel herausdringen konnten. Dabei zeigt Prase, dass es sich bei Schnitzlers Heimatfilmen und Reportagen nicht nur um eine Art „therapeutische[n] Ausgleich“ zur anstrengenden Feindbildproduktion in der tagesaktuellen Publizistik gehandelt hat, wie dieser selbst dies immer dargestellt hat. Vielmehr stellen sie ein spiegelverkehrtes Muster dazu dar, einen „schöngefärbte[n] und weichgespülte[n] Sozialismus“, der eher als „sinnfällige Ergänzung“ denn als Gegensatz zum „Schwarzen Kanal“ verstanden werden kann (S. 215). Wünschenswert wäre es gewesen, über die im Vorwort genannten „adäquate[n] Counterparts an der anderen Seite der Frontlinie des Kalten Krieges“ (S. 11) näheres zu erfahren, zumal das Projekt auch explizit unter dem Vorzeichen „komparativ“ steht. Denn erst vor dem Hintergrund von z.T. nicht minder propagandistisch instrumentalisierten Bildern westdeutscher Provinienz lässt sich die Heftigkeit von Schnitzlers Rhetorik im Kalten Krieg ebenso nachvollziehen wie deren Verhärtung im Zuge der deutsch-deutschen Annäherung.

Anmerkungen:
1 Sämtliche Sendeprotokolle und weiteres Material zu K.-E. von Schnitzler hat das Deutsche Rundfunkarchiv-Babelsberg ins Netz gestellt: http://sk.dra.de/.
2 "Mann gegen Mann", in: Der Spiegel, Nr. 7/1961, S. 58.
3 Vgl. Heller, Heinz-B., Dokumentarfilm als transitorisches Genre, in: Keitz, Ursula von; Hoffmann, Kay (Hgg.), Die Einübung des dokumentarischen Blicks. „Fiction Film“ und „Non Fiction Film“ zwischen Wahrheitsanspruch und expressiver Sachlichkeit 1895-1945. (Schriften der Friedrich Wilhelm Murnau-Gesellschaft 7) Marburg 2001, S. 15-26.
4 U.a. die Sendungen „Wer führt Kalten Krieg?“ (Hans-Ulrich Barth, Heiner Kneib, 3.4.68), „Wie wird die DDR regiert?“ (Werner Molsberger, 17.6.69) und „Deutschland vor der Wahl“ (H.-U. Barth, Klaus Ellrodt, 17.9.69).
5 Vgl. Pleitgen, Fritz, ARD-Korrespondent in der DDR, in: Riedel, Heide, Mit uns zieht die neue Zeit … 40 Jahre DDR-Medien, Ausstellungskatalog des Deutschen Rundfunk-Museums, Berlin 1993, S. 199-203, hier S. 203.

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