Cover
Titel
Conceptualizing, re-conceptualizing Africa. The construction of African historical identitiy


Herausgeber
Keita, Maghan
Erschienen
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
$66.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Albert Gouaffo Université de Dschang

Das wissenschaftliche Bedürfnis der europäischen Moderne, die Welt nach geografischen Einheiten einzuteilen, um sie besser zu studieren, hat die Geschichtsschreibung dazu verleitet, totalitäre Diskurse über Gesellschaften zu produzieren, die heutzutage als selbstverständlich erscheinen. Die Querbeziehungen zwischen den Gesellschaften und Kontinenten, die wechselseitigen Austausch zur Folge haben, werden praktisch ausgeblendet. Der Sammelband des Historikers Maghan Keita hinterfragt diese historischen Mythen in Bezug auf die afrikanische Geschichtsschreibung. Afrika, so die These des Bandes, ist gleichsam erfunden worden und eine differenzierte Neu-Lektüre seiner Geschichte kann nur im Netzwerk der Weltgeschichte (lokal und global) erfolgen. Diese These ist kühn und das interdisziplinäre Team (Historiker, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Anthropologen und Politologen) versucht, in sechs Beiträgen, diese Herausforderung anzunehmen. Der Ansatz bei allen Beiträgen ist interkulturell und alle Mitautoren zeigen in ihren jeweiligen Texten, wie Afrika als Legitimationsfaktor in der Weltgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart fungiert hat.

Der Beitrag des Historikers Lamont Dehaven King zum Verhältnis von Staat und Ethnien im vorkolonialen Nord-Nigeria dekonstruiert die vorherrschende Vorstellung von ethnisch homogenen Volksgruppen in Afrika. Am Beispiel des Staates Katsina im Nordnigeria zeigt er, wie sukzessiv von der Vorkolonialzeit bis zum 19. Jahrhundert die Haussa- und die Fulani-Hegemonie unter dem Einfluss islamischer Invasion interagiert hat, so dass eine hybride Kultur daraus entstanden ist. Der europäische Nationsbegriff als Existenz einer homogenen ethnischen Gemeinschaft, die durch eine gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte gekennzeichnet wird, verliert hier seine Tragfähigkeit.

Der Soziologe Jesse Benjamin geht auf eine andere vernachlässigte Dimension der Weltgeschichtsschreibung ein: die bidirektionelle Interaktion. Er untersucht die Beziehungen zwischen Ostafrika und dem Nahen Osten in der Antike und postuliert, dass das bisherige Wissen über diese beiden Kulturräume dekolonisiert werden muss: “Historial questions regarding this region revolve around the opposed terms: ‚East Africa’ and ‚Middle East’. These are little more than anachronistic post eighteen-century Western designations that imply posit a pre-existing separation between these realms.” (S. 32)

Mit kulturwissenschaftlichen Kategorien wie der des „Fremden“ bringt Jeremy Prestholdt mehr Licht in die afrikanische Geschichtsschreibung. Auf der Grundlage portugiesischer Reiseberichten über die Swahili an der Küste Ostafrikas zeigt er, wie ungeeignet die Kategorie des Fremden als radikale Trennlinie vom Eigenen ist, wie ideologisch die kulturellen Grenzen vom europäischen Betrachter gezogen werden. Da die portugiesischen Händler Swahili-Partner brauchten, haben sie in ihrer Wahrnehmung von den Swahili eine Hierarchie gebildet: Die Swahili der Küste werden als „höherstehend“, die des Hinterlands als „primitiv“ betrachtet. Das Fremde als wissenschaftliche Kategorie wird willkürlich. Deshalb plädiert Prestholdt für eine Differenzierung: „Through an interrogation of Portuguese perceptions of Swahili-Speakers, this paper shows that the totalizing concept of „Other“ as a unit for analysing European/non European social relationships does not fit certain historical circumstances. In the case of East African coast, degrees of familiarity and/or Otherness seem more appropriate analytical tools for reconstructing the history of European conceptual categories.” (S. 53f.)

Thomas Ricks analysiert die Praxis des Sklavenhandels und den Ansatz von Sklaven afrikanischer Herkunft im Iran vom Jahre 1500 bis zum Jahre 1800. Er öffnet somit ein vergessenes Kapitel der iranischen Geschichte. Mit Statistiken belegt er die Spuren der aus Zanzibar verschleppten afrikanischen Sklaven, die bis in Shi’i-Iran in der Landwirtschaft eingesetzt wurden; dies ungeachtet des internationalen Verbots des Sklavenhandels.

Die Kategorie des Fremden taucht wieder im Beitrag des Anthropologen Robert Launay auf. Er vergleicht die Wahrnehmung von „Hottentotten“ am Kap der guten Hoffnung mit der von Asiaten in den Reiseberichten des 17. und 18. Jahrhunderts: „On the contrary, it is essential to pay attention to the ways in which representations of different kinds on non-European ‚Others’ both Asian and African, articulate with one another within these narratives in order to evaluate representations of South Africans in a broader light.” (S. 90) Dieser Vergleich entblößt den europäischen Diskurs über den Anderen als einen Diskurs der Macht. Je nachdem, ob man es mit „Hottentotten“ in Afrika oder mit Asiaten zu tun hatte, pendelte der europäische Diskurs zwischen Exotismus und Rassismus.

Der Sammelband endet mit dem politikwissenschaftlichen Beitrag von Richard J. Payne und Cassandra R. Veney. Der Beitrag zeigt, wie Taiwan in seinen konfliktreichen Beziehungen zu der Volksrepublik China auf diplomatischer Ebene afrikanische Länder für seine völkerrechtliche Anerkennung erkauft hat. Das Prinzip bestand darin, jenen afrikanischen Ländern finanzielle Hilfe zu gewähren, die Taiwan als unabhängiger Staat anerkannten, eine Art Hallsteindoktrin aus taiwanesischer Perspektive.

Die verschiedenen Zugänge zur afrikanischen Geschichtsschreibung, die dieser Sammelband bietet, zeigen, dass die afrikanische Geschichte neu geschrieben werden sollte. Afrika als vom Weltgeschehen gelöste Einheit ist ein Konstrukt der westlichen Welt. Interessant an dieser Arbeit ist die angelegte diachronische Perspektive: Afrikanische Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart.

Das Buch ist sehr gut aufgebaut und lesbar und mit einem Index versehen. Der Titel ist jedoch irreführend. Der Schrägstrich im Titel (Conceptualising/Re-Conceptualising Africa) ist missverständlich. Es ist nicht klar, ob es sich um eine Entweder-oder-Relation oder um eine chronologische Beziehung zwischen den beiden Begriffen handelt. Darüber hinaus erwartet der Leser von einem solchen pompösen Titel eine umfangreiche theoretische Auseinandersetzung über die Geschichte dieses Kontinentes. Er muss sich leider mit sechs Beiträgen begnügen, die auf insgesamt 102 Seiten die Geschichte Afrikas im Wesentlichen auf Ostafrika reduziert. Der Herausgeber des Sammelbandes ist sich dieser Schwäche des Buches offenkundig bewusst, deshalb formuliert er in der Einführung vorsichtig: „These essays address these issues in term of the ways in which Africa has been conceptualized, and, therefore, might be re-conceptualisezed.“ (S. 1)

Die Stärke dieses Sammelbandes liegt in der Dekonstruktion von Totalitäten und in der These, dass in der Geschichtsschreibung Afrikas wechselseitige Beziehungen lokaler und globaler Art einbezogen werden müssen.

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