Cover
Titel
Criminal Visions. Media Representations of Crime and Justice


Herausgeber
Mason, Paul
Erschienen
Cullompton 2004: Willan Publishing
Anzahl Seiten
310 S.
Preis
£18.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Siemens, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wie konstruieren die Massenmedien Bilder von Kriminalität und Devianz? Wie verhalten sich in dieser Frage fiktionale zu faktenorientierten Darstellungen? Und schließlich, was sagen solche medialen Erzeugnisse über die jeweilige Gesellschaft bzw. über eine historische Epoche aus?

Das sind einige der Leitfragen, mit denen sich die insgesamt 25 Beiträge überwiegend britischer Wissenschaftler in einem neuen Sammelband auseinandersetzen, herausgegeben von Paul Mason, Direktor des Zentrums für „Crime, Conflict and the Media“ am britischen Southampton Institute und Kopf des neuen E-Journals „journal for crime, conflict and media culture“ (jc2m) 1. Der Titel „Criminal Visions“ ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, denn der Schwerpunkt des interdisziplinären Bandes, in dem Kriminologen und Filmwissenschaftler ebenso vertreten sind wie Soziologen und Rechtswissenschaftler, liegt auf den von den Medien gezeichneten „Bildern“, weshalb Fernsehen und Kino zumeist der Vorzug vor der Analyse gedruckter Quellen wie Tageszeitungen gegeben wird. In zeitlicher Hinsicht befassen sich die Beiträge mit der Zeit ab 1945 bis zur unmittelbaren Gegenwart, in räumlicher Hinsicht werden fast ausschließlich Großbritannien, die USA und Irland untersucht. Der Anspruch des Herausgebers ist es dabei, dem Leser sowohl breite Perspektiven zu eröffnen als ihm auch empirische Fallstudien zu bestimmten massenmedialen Kriminalitätskonstruktion vorzustellen (S. 2).

Diese Verbindung von „media studies“, diskursanalytischen Verfahren und historischer Kriminalitätsforschung könnte ein vielversprechender Ansatz auch für die historische Forschung sein, nicht nur für die im deutschsprachigen Raum in dieser Hinsicht bislang schwerpunktmäßig untersuchte Frühe Neuzeit 2, sondern gerade auch für das vergangene „Jahrhundert der Massenmedien“. Ein erster Blick auf die einzelnen Beiträge zeigt allerdings, dass nur wenige explizit eine historische Perspektive einnehmen wie der Aufsatz „From law and order to lynch mobs: crime news since the Second World War“ von Robert Reiner, Sonia Livingstone und Jessica Allen (S. 13-32). Dieser Beitrag referiert zu Beginn skizzenhaft die Methodik der wichtigsten Forschungsansätze aus dem Bereich „Kriminalität und Medien“ der letzten Jahrzehnte, eher er auf Basis einer quantitativen Analyse zweier britischer Tageszeitungen die Veränderungen in der Berichterstattung von Kriminalität, Gewalt und Verbrechen aufzeigt. Die Autoren beobachten dabei eine diskursive Verschiebung: Die Tagespresse zeigt seit den 1970er-Jahren ein verstärktes Interesse an den Opfern von Verbrechen, während sie die Straftäter selbst von der normalen Gesellschaft ausschließt, indem sie diese als per se andersartig und fremd charakterisiert. Auch das Bild der Polizei, in den 1950er und 1960er-Jahre noch ganz überwiegend positiv, wird seitdem deutlich negativer gezeichnet. Während Kriminalität in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten noch überwiegend auf soziale Ursachen zurückgeführt wurde, beobachten die Autoren für die folgenden Jahrzehnte eine Darstellung von Kriminalität, die die Irrationalität und damit die von diesen Handlungen ausgehende Gefahr betont. Für Reiner et al. sind solche Veränderungen Folgen einer „deeper transformation in public discourse about crime“ (S. 24f.), wobei sie insbesondere die sich ausbreitende Ideologie des freien Marktes und des Individualismus hervorheben. Diese Entwicklung, die für den Einzelnen mit hohen Risiken verbunden sei, finde ihre Analogie im veränderten Narrativ über Kriminalität, das „Hass“ und „Rache“ gegen individuelle Täter schüre (S. 31).

Einen zumindest implizit historischen Ansatz kennzeichnet auch den Beitrag von George S. Larke über Gestalt und Funktion des Mafia-Mythos in den audiovisuellen Medien (S. 116-132). Larke arbeitet vor allem die Charakteristika dieses Mythos in den Filmen der letzten 25 Jahre heraus wie in „The Godfather“, Teil I-III (1972-1990) oder „Casino“ (1995), reflektiert aber auch Veränderungen im Vergleich zu den frühen cineastischen Inszenierungen der Mafia aus den 1930er-Jahren wie in „Public Enemy“ (1931) oder „Scarface“ (1932). Larke kommt dabei zu dem Ergebnis, dass der Mafia-Mythos zwar auf der einen Seite hinreichend flexibel ist, um für verschiedene Generationen und über kulturelle Grenzen hinweg aktualisierbare Bedeutungen und Deutungen („Meanings“) tragen zu können, sich andererseits aber auch durch Konstanten auszeichnet. Egal ob die Mafia romantisiert oder verdammt würde, stets werde sie in strikter Opposition zur „normalen“ Lebenswelt gezeichnet. Die inhärente Botschaft an die Rezipienten dieser Filme sei denn auch eher beruhigend als angsterweckend: solange man sich nicht in die Geschäfte der Mafia einmische, drohe dem Außenstehenden keine Gefahr (S. 129). Diese Erkenntnis ist sicherlich richtig, aber eben leider auch nicht neu. Larkes Beitrag steht in der Kontinuität zu den zahlreichen Untersuchungen zur Figur des „Gangsters“ und seiner kulturellen Bedeutung - da ist es umso erstaunlicher, dass beispielsweise die hervorragende Studie von David E. Ruth mit keinem Wort Erwähnung findet.3

In methodischer Hinsicht aufschlussreich ist der Beitrag von Martin Innes, der seinen Zentralbegriff der „signal crimes“ am Beispiel des Bildes der Detektivarbeit in den Medien erläutert. Unter „signal crime“ versteht er „events that, in addition to affecting the immediate participants (i.e. victims, witnesses, offenders) and those known to them, impact in some way upon a wider audience. The nature of the impact upon this wider audience varies, but it will cause them to reconfigure their behaviours or beliefs in some way“ (S. 52).

Mit Hilfe seines Konzeptes von „signal crimes“ sei zu erklären, so Innes, warum und auf welche Weise die soziale Reaktion auf bestimmte Verbrechen einen Wandel auch im Wertesystem der Zeitgenossen bewirken könne (S. 52). Einzelne Verbrechen würden von der Gesellschaft als Warnsignal verstanden, auf die es zu reagieren gelte. Im vorliegenden Aufsatz untersucht Innes insbesondere die Rolle der Kriminalpolizei bei der Auswahl dieser als gesellschaftlich relevant erkannten Gesetzesübertretungen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Behörden bei der Etablierung solcher Verbrechen eine wichtige Rolle spielen, wobei ihr Einfluss durch die häufige Übereinstimmung von Polizei- und Medieninteressen noch gestärkt wird. Letztlich geht es Innes darum, die Mechanismen der von staatlichen Behörden und privaten Massenmedien ausgeübten Sozialkontrolle aufzuzeigen.

Die weiteren Beiträge konzentrieren sich zumeist auf eine Analyse von fiktionalen oder faktenorientierten Inszenierungen von Kriminalität, ihren Trägern und Opfern. Inwieweit diese Beiträge den Forschungsstand der verschiedenen Disziplinen der Autoren widerspiegeln oder gar neue Anregungen enthalten, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive fällt jedoch ins Auge, dass viele der Aufsätze kaum über eine Rezeption des englischsprachigen Forschungsstandes und eine an ihrer jeweiligen Fragestellung orientierte anschließende Beschreibung der medialen Verbrechensbilder und ihrer Täterfiguren hinauskommen. Insbesondere eine vertiefende Analyse, die Querverbindungen zwischen gesellschaftlich-historischen Entwicklungen und der diskursiven Wirkungsmächtigkeit bestimmter Verbrechensbilder aufzeigt, sucht man vergeblich. Oft wird zwar mit variierenden Formulierungen auf die große Bedeutung der „Kriminalitätsbilder“ und den damit verbundenen Strategien des gesellschaftlichen Umgangs mit diesen Bedrohungen für die Kultur der untersuchten Gesellschaften insistiert, ohne dass aber im Einzelnen konkret aufgezeigt würde, worin diese Leistung eigentlich besteht und wie sie sich im Detail manifestiert.

Dem Herausgeber Paul Mason ist zuzustimmen, wenn er auf die hohe Bedeutung hinweist, die Kriminalität und Justiz in den Medien zukommt, und wenn er daraus folgert, dass Fragen nach den Veränderungen dieser massenmedialen Diskurse und dem Stellenwert der einzelnen Akteure wie Richtern, Polizisten und Straftätern ein wichtiges und spannendes Forschungsfeld abstecken. Nicht alle in diesem Sammelband vereinigten Beiträge – sieht man von Spezialfragen wie der Berichterstattung über Sexualverbrechen in Nordirland ab (Chris Greer, Sex crime and the media: press representations in Northern Ireland, S. 90-115) – gehen aber wesentlich über bislang Bekanntes hinaus. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive erscheinen weitere Forschungen wünschenswert, die insbesondere historische Entwicklungsprozesse stärker berücksichtigen. Sie könnten zu manch neuen Einsichten in diesem komplexen Forschungsfeld beitragen.

Anmerkungen:
1 Vgl.: http://www.jc2m.co.uk/ .
2 Zu dieser im deutschen Sprachraum dominierenden Forschungsrichtung und ihrer methodischen Ansätze vgl. als Überblick: Eibach, Joachim, Recht – Kultur – Diskurs. Nullum Crimen sine Scientia, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 23 (2001), S. 102-120; Blauert, Andreas; Schwerhoff, Gerd (Hgg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000; Blauert, Andreas; Schwerhoff, Gerd (Hgg.), Mit den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsgeschichte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1993; für das 19. und 20. Jahrhundert vgl. den Sammelband von Linder, Joachim; Ort, Klaus-Michael (Hgg.), Verbrechen - Justiz – Medien, Tübingen 1999.
3 Ruth, David E., Inventing the Public Enemy. The Gangster in American Culture, 1918-1934, Chicago 1996.

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