R. Düsterberg: Hanns Johst: Der Barde der SS

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Titel
Hanns Johst: Der Barde der SS. Karrieren eines deutschen Dichters


Autor(en)
Düsterberg, Rolf
Erschienen
Paderborn 2004: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
462 S., 29 Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Weitkamp, Institut für Geschichte, Universität Osnabrück

Der historischen Moderne waren am Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ konstruktive wie destruktive Konzepte gleichermaßen immanent. In einer sich entwickelnden, industrialisierten Massengesellschaft begannen ab den 1890er-Jahren die wachsende Verwissenschaftlichung der Welt und ein ungebrochener Fortschrittsoptimismus die sozial-kulturellen Stagnationen der vorangegangenen Jahrzehnte aufzulösen. Doch was nach der Überwindung des Alten an dessen Stelle treten sollte, war keineswegs erkennbar. Der Dichter Georg Heym sprach von einem „brachliegenden Enthousiasmus“, der kein klares Ziel verfolge. Fast zwangsläufig zeitigte diese gesellschaftliche Entwicklung nicht nur humanistische Errungenschaften wie Liberalismus, Pluralismus und Individualität. Der Werteverlust führte zu Ressentiments gegen die neue Zeit. Nationalismus und Antisemitismus waren die völkische Antwort auf die große Unsicherheit unterschiedlichster Bevölkerungsschichten. Die Grundlagen der späteren totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts entstanden als Teil der Modernitäts- und Kulturkritik. Die gefeierten Rationalitätsdogmen und die Planbarkeit des Menschlichen wurden adaptiert, instrumentalisiert und pervertiert. Rassismus wurde zum Kulturkonstruktiv.

Damit waren sowohl die humanistischen wie die antihumanistischen Denkprojekte aus einem Kern entstanden, aus dem Kern einer ambiguenten Moderne, die der Historiker Hans-Ulrich Thamer treffend mit einem „Januskopf“ vergleicht. 1 Der deutsche Schriftsteller Hanns Johst, zu dem jetzt Rolf Düsterberg eine umfassende Biografie vorgelegt hat, hat die Strecke zwischen den beiden Extremen durchmessen.

Aus einem Dorfschullehrerhaushalt stammend, studierte Hanns Johst erfolglos Medizin, Kunstgeschichte, Philologie und die Jurisprudenz. Die erste literarische, im Stil des Expressionismus gehaltene Schaffensphase fiel in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Nach kurzer Kriegsbegeisterung, die bei vielen Vertretern dieser literarischen Richtung zu beobachten war, machte er sich als Dramatiker mit pazifistischem Impetus einen Namen. Es erwuchsen Freundschaften zu Bertolt Brecht und Thomas Mann. Jedoch lagen antisemitische und sozial-darwinistische Tendenzen schon in Johsts expressionistischem Weltverständnis verborgen, wie Passagen seines Dramas „Der Einsame“ (1917) zeigen. Die Zäsur im Denken vollzog sich im November 1918. Niederlage, Revolution und Bürgerkrieg stellten politische Schlüsselerlebnisse dar, die die verborgenen antisemitischen und nationalistischen Dispositionen endgültig etablierten.

Im Kontext der Moderne-Betrachtung können Weltkrieg und Revolution als Radikalisierungselemente begriffen werden, die die vielschichtigen Weltsichten der Zeit vor 1918 endgültig politisierten und nun in eine eleminatorische Konkurrenz zueinander brachten. Die Ideologisierung des Denkens verschärfte sich. Sozial- und Rassenhygiene waren freimütig diskutabel. Die Jahrhundertwende hatte die offenen Voraussetzungen gestellt, die nun für die Verwirklichung fast aller Ideologie-Projekte genutzt wurde. In diesem Klima der Extreme entschied sich Johst, und er sollte seiner Entscheidung bis an sein Lebensende treu bleiben. Im Jahr 1922 wandte er sich offiziell von der pluralistischen, demokratischen Republik ab und bekannte sich zum völkischen Nationalismus. Von nun an traten die „heldische Führergestalt“ und der entindividualisierte „Volksstaat“ in den Vordergrund des Werkes. Fast zwangsläufig verlief die weitere Karriere in den völkischen Kreisen der Weimarer Republik. Johst wollte immer auch politisch sein, weshalb er sich ab 1928 in den Dienst der Nationalsozialisten stellte und sich für Alfred Rosenbergs „Kampfbund für deutsche Kultur“ engagierte. Im November 1932 erfolgte der Eintritt in die NSDAP, die ihn nach der Machtübernahme mit den erhofften Meriten ausstattete: Johst wurde Erster Dramaturg am Staatstheater in Berlin und Vorsitzender der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste. Das 1933 uraufgeführte Revanchisten-Drama „Schlageter“ widmete er Adolf Hitler persönlich.

Von nun an schaltete Johst den deutschen Literaturbetrieb nach Möglichkeit gleich, „entfernte“ unliebsame Kollegen und Funktionäre. Nach leichten, aber nicht folgenschweren Friktionen folgten im dritten Jahr des Regimes die nächsten großen Karrieresprünge im Leben des erfolggewohnten Dichters. Propagandaminister Joseph Goebbels machte ihn zum Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, Reichsführer-SS Heinrich Himmler zum SS-Oberführer. Johst konnte nun an wesentlicher Stelle Einfluss auf den Kulturbetrieb nehmen, was er weidlich ausnutzte. Als Diener zweier Herren mühte er sich, Schaltstellen in seinem Einflussbereich mit SS-Führern zu besetzen. Im Sinne eigener Überzeugungen stellte Johst sein Schaffen in den Dienst der Propaganda, wo er zum Dogmatiker eines pseudo-intellektualisierten Nationalsozialismus wurde und bei den NS-Machthabern als „Aushängeschild“ Verwendung fand. Die Nazis überhäufen „ihren“ Dichter mit Literatur- und Kulturpreisen.

In der Schilderung der SS-Führerschaft und der damit eng verknüpften Freundschaft zu Heinrich Himmler besteht ein wesentlicher Gewinn der Studie, denn die Verbindungen zum selbsternannten Eliteorden sind bisher in der überschaubaren Johstforschung eher unberücksichtigt geblieben. Der Haupttitel „Hanns Johst: ‚Der Barde der SS‘“ sollte keine falsche Erwartungen hervorrufen. Das die SS direkt betreffende Kapitel umfasst nur 34 der insgesamt 400 Textseiten. Marginal anzumerken ist, dass Düsterberg mehrfach den mittlerweile verbreiteten, aber historisch nicht korrekten Terminus „SS-Offizier“ benutzt. Der Begriff entstand erst in der Nachkriegszeit aus einem exkulpierenden Motiv ehemaliger SS-Angehöriger und deren Sympathisanten heraus. Offizielle SS-Quellen sprechen vor 1945 ganz im Sinne des Selbstverständnisses von „SS-Führer“.

In schwulstigen Briefen versicherten sich der „NS-Dichterfürst“ und der Reichsführer-SS gegenseitige Verehrung und Loyalität. So schrieb Johst 1943 in ekstatischer Verzückung: „In die tausend und abertausend Sorgen dieser Tage und gepressten, explosiven Stunden will dieser Brief die Freude einer Bestätigung bringen [...].“ (S. 295) Himmler antwortete mit Schreiben wie „Umso mehr freue ich mich, wenn ich aus dieser geistigen Welt unseres Blutes, die Sie als einer der besten Deutschlands verkörpern, immer wieder Grüsse erhalte“ (S. 301). Im Krieg mystifizierte Johst den Freund zum „Steuermann dieser weltgeschichtlichen Verantwortung“ (S. 308). Himmler war derart von der Art begeistert, wie Johst die SS-Ideologie in hochtrabende Wortkonstruktionen kleiden konnte, dass er dem „neuen Tacitus“ eine „Saga“ in Auftrag gab, die die geplante Ostkolonisation als germanisches Heldenepos für die Nachwelt erhalten sollte. Daraus wurde aufgrund des Kriegsverlaufs freilich nichts. Johst identifizierte sich ganz mit den kruden Idealen eines „großgermanischen Reiches“ und sah den persönlichen Rassismus und Antisemitismus bestätigt. Über die laufende Vernichtung der Juden war er voll im Bilde.

Nach dem Krieg blieb Johst bis 1948 von den Amerikanern interniert. Ab 1947 lief das Entnazifizierungsverfahren, welches bis zur endgültigen Einstellung 1955 zur Farce bundesdeutscher Nachkriegszeit wurde. Zunächst als Pazifist zum „Mitläufer“ eingestuft, erfolgte eine Berufung durch den Generalankläger, die Johst schließlich zum „Hauptschuldigen“ machte. Schließlich endete Johst als „Belasteter“. In der Bundesrepublik trat er bis auf eine unbeachtete Publikation („Gesegnete Vergänglichkeit“, 1955) nicht mehr literarisch in Erscheinung, obwohl er eine Reihe unveröffentlichter Texte erstellte. Mit dem Nationalsozialismus und dem eigenen Wirken darin setzte sich Johst nicht auseinander. Im Jahr 1958/59 notierte er: „Jede Geburt kostet Blut und Geschichte schreibt mit solcher Tinte und um die Idee der Zukunft willen müssten die Nutznießer der Vergangenheit bei Seite geräumt werden. Solche Zeiten seien unsentimental und heroisch auch im Maßstab der Unzahl ihrer Opfer.“ (S. 400) Selbstgerecht und verbittert starb Johst 1978 in Ruhpolding.

Düsterberg gruppiert seine Biografie in acht große Kapitel, die in streng chronologischer Folge Leben und Werk Johsts nachzeichnen. Nur für die Jahre 1935-45 stehen zwei Kapitel zur Verfügung, die die Tätigkeit als Präsident der Reichsschriftumskammer wie die Zeit in der SS getrennt beleuchten. Einem kommentierten Quellenverzeichnis schließt sich eine umfangreiche Bibliografie der Werke Johsts an, in der dreißig selbständige wie ca. 300 unselbständige Publikationen verzeichnet sind (S. 418-436). Düsterberg erhebt hierbei keinen Anspruch auf Vollständigkeit und verweist auf die ungeheure Produktivität des Vielschreibers als Teil der Propagandamaschinerie. Glücklicherweise wurde beim ausführlichen wissenschaftlichen Apparat auf Endnoten verzichtet. Insgesamt ist der Titel sauber lektoriert und in ansprechender Gestaltung verlegt. Einzig ein Schlusswort fehlt, welches die persönlichen und konzeptionellen Metamorphosen Johsts im historischen, literarischen und literaturgeschichtlichen Kontext einer durch den Nationalsozialismus deformierten Gesellschaft verortet. Hier lag der Fokus etwas zu konzentriert auf der Person Johst. Nichtsdestotrotz liegt eine äußerst fundierte, aus den reichhaltigen Quellen geschriebene, sehr lesbare Studie vor, die in ihrer Interdisziplinarität für Literaturwissenschaftler wie für Zeithistoriker gleichermaßen von Interesse sein dürfte.

Anmerkung:
1 Thamer, Hans-Ulrich, Der Januskopf der Moderne, in: Sembach, Klaus-Jürgen; Krause, Jürgen; Schulze, Ulrich, Thamer, Hans-Ulrich; Schölzel, Klaus (Hgg.), 1910. Halbzeit der Moderne. Van de Velde, Behrens, Hofmann und die anderen, Stuttgart 1992, S. 169-183.

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