Cover
Titel
Macht außer Kontrolle. Geheime Weltpolitik von Chruschtschow bis Bush


Autor(en)
Schiller, Ulrich
Erschienen
Berlin 2003: Aufbau Verlag
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fred Oldenburg, Seminar für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen, Universität zu Köln

Der promovierte Journalist Ulrich Schiller ist ein Chronist unserer Zeit, der Jahre des Kalten Krieges und darüber hinaus. Vierzig Jahre arbeitete er als Korrespondent an verschiedenen Brennpunkten des Kalten Krieges: Belgrad, Moskau, Washington.

Im Jahre 1926 im schlesischen Mittenwalde geboren, wurde er im Jahre 1943 zur deutschen Luftwaffe eingezogen und verlor vier weitere Jahre seines Lebens in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Doch diese Jahre weckten seine Liebe zur slawischen Kultur. Das Studium der Slawistik war nur eine logische Konsequenz. Das hier vorzustellende Werk stellt nunmehr eine erste Bilanz über seine Zeit dar, über vier Dekaden eines erfolgreichen Journalistenlebens, dessen Beharren auf persönliche Integrität und aufklärerisches Ethos alle Anwerbungsversuche von BND und MfS gleichermaßen abwehrte.

Das Vorwort lässt allerdings Schlimmes erwarten. Schon Schillers „erste Überraschung“, an der er uns teilnehmen lässt, ist die, dass die Sowjetunion seit Breshnew, d.h. sei 1964, einen „Wettkampf der Systeme“ nicht mehr geführt habe. Diese Behauptung schlittert haarscharf an einer eklatanten Fehlbeurteilung vorbei. Waren das Ausweichen in die Dritte Welt, die Vorrüstung mit den berüchtigten SS-20 keine Systemkonkurrenz mehr? Dass der Kalte Krieg bereits 1963 beendet wurde, wird allerdings auch von namhaften Autoren der realistischen Schule wie Mark Trachtenberg behauptet1, richtiger wird es deshalb jedoch keineswegs.

Schiller weigert sich ebenso wie andere, den USA den Sieg im Kalten Krieg zuzuschreiben, obwohl die Logik des bipolaren Konflikts erwarten ließe, dass dort wo es einen Verlierer gab, auch ein Sieger aufzufinden sein müsste. Vielleicht aber, um ein anderes Werk zu zitieren, haben wir in der Tat „alle den Kalten Krieg verloren“2 angesichts eines kaum zu bremsenden Neo-Liberalismus und der Implosion des anderen sozialen Pols im Konkurrenzkampf der Gesellschaftsordnungen. Schiller beklagt den „Aufstieg der USA zum Hegemon“. Doch dies ist ebenfalls nicht der Kern des eigentlichen Problems der Präsidentschaft von George W. Bush. Denn das Imperium USA war stets von hegemonialen Intentionen und Möglichkeiten bestimmt. Insofern kann man nur bedauern, dass es seine imperiale Reichweite oftmals verleugnete und zu selten den Positionen der Falken, beginnend mit Douglas MacArthur, ausreichend Beachtung schenkte.3

Zu beklagen ist, dass die USA ihre hegemoniale Rolle gerade nicht wahrnehmen - denn diese Rolle würde Abstimmung mit den Verbündeten voraussetzen -, sondern heute vielmehr dem Unilateralismus und einer auf präemptive Schläge zielenden Strategie anhängen. Auch Schiller, das zeigen besonders die letzten beiden Abschnitte seines Buches, gehört zu jenen, die die amerikanische Entwicklung zur Hypermacht für verhängnisvoll halten. Er sieht die transatlantische Wertegemeinschaft zu Recht als bedroht an. Mit voreiligen Schlüssen, so meint auch der Rezensent, mit letztlich an Lügen grenzenden Behauptungen, darf selbst die einzig übrig gebliebene Supermacht nicht eine ganze Region weiter destabilisieren. So werden in fünfzig Jahren verdiente transatlantische Gemeinsamkeiten, selbst eine tief begründete deutsch-amerikanische Freundschaft, die in den Jahren der Berlin-Blockade bis zur Wiederherstellung der deutschen Einheit erfreulich stabil schien, auch von der anderen Seite des Atlantiks grundlos aufs Spiel gesetzt. Schiller weiß, wovon er spricht, wenn er den Voraussetzungen dieses Irrweges nachgeht. Nicht umsonst war er, nach Jahren als Chefredakteur von Radio Bremen, mehr als 15 Jahre und zwar bis 1989 Hörfunk-Korrespondent der ARD in Washington, D.C. Ein weiterer anti-amerikanischer Schnellschuss also? So einfach macht es Schiller, dessen intelligente Analysen in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ in guter Erinnerung sind, freilich dem Leser nicht. Sein Urteil über die Präsidentschaften von Reagan, Bush und Clinton ist USA-kritisch, jedoch nie gehässig. Journalisten, man ahnt es, initiieren nicht nur Moden, sie folgen ihnen auch getreulich nach.

Schillers erster Horchposten war die Hauptstadt der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, wo er seit 1960 sechs Jahre erfolgreich, wenn auch nicht ohne Hindernisse, die ihn die Geheimdienste in den Weg legten, für die ARD berichtete. Dieses Kapitel, das Titos Lebensweg vom Partisanenführer zum Leiter eines der selbstmörderischen „bolschewistischen Systeme“ schildert - auch diese Formulierung ist im Falle des titoistischen Jugoslawien nur eine Halbwahrheit -, gehört zu den fesselnden Abschnitten des Buches. Der Leser wird in die Zwei-Lager-Analyse Stalins und Shdanows eingeführt. Schillers neuestes Werk hat Chruschtschow im Titel, doch schon das zweite Kapitel handelt von Stalin und dessen Strategiewechsel nach 1945. Es enthält einen längeren und durchaus nützlichen Schnellkurs über die Nachkriegsgeschichte.

Angesichts der kürzlich erfolgten Enthüllungen mehrfacher Anschläge der CIA auf das Leben Fidel Castros als Anführer eines Schurkenstaates – die Übertragung dieses Begriffes in die internationale Politik ist freilich neueren Datums –, den die Kennedys unter allen Umständen und mit äußerst dubiosen Praktiken loszuwerden suchten, wird man interessiert zur Kenntnis nehmen. Dass im Falle des Josip Broz auch Stalin mehr als nur „seinen kleinen Finger geschüttelt“ hatte, ist weniger bekannt. Doch laut Schiller musste das MGB (Vorläufer des KGB) am 1. März 1953 dem Kremlchef melden, alle Versuche des Agenten Josif Grigulevich alias Maks alias Teodore Castro als Geschäftsträger von Costa Rica in Belgrad, Tito entweder durch Pneumonie-Erreger oder mittels tödlichen Gases oder gar durch einen finalen Schuss zu erledigen, hätten bisher noch nicht stattgefunden. Wie man weiß, erlitt Stalin am folgenden Tag einen tödlichen Schlaganfall, Tito aber überlebte ihn um 27 Jahre. Sein verhinderter Mörder publiziert unter seinem Namen in Moskaus Fachzeitschriften zu Problemen Lateinamerikas.

Schillers Buch ist voll solcher, oft nur dem feinen Kreis der Experten bekannter Fakten. Seine Analysen über die Konflikte innerhalb des Sowjetblocks und zwischen den sozialistischen Großmächten UdSSR und China sind überaus lesenswert. Auch die Abschnitte, welche die „innere Verrottung“ der Sowjetunion nachzeichnen, sind instruktiv. Schließlich war Schiller zu Beginn der Ära Breshnew für die ARD in der sowjetischen Hauptstadt akkreditiert.

Die letzten 136 Seiten behandeln die Entwicklungen in den USA seit der Abhör-Affäre Nixons im Weißen Haus, die am 16. Juli 1973 in die Schlagzeilen der US-amerikanischen Medien, beginnend mit der Washington Post, geriet. Heimlich hatte der Präsident seine Amtsräume „verwanzt“. Was damals gerne übersehen wurde, war, dass diese Praxis auch seinem von vielen bewunderten Amtsvorgänger und auch anderen US-Präsidenten vor ihm eigen war. Richtig ist, dass die Tonbänder Nixons jedoch für das Ziel entscheidend wurden, die kriminellen Handlungen des Präsidenten und seiner Helfershelfer endlich dokumentieren zu können. Schiller lässt leider die Folgen der Ära Nixon-Kissinger für das internationale System unterbelichtet, denn es war der „Gauner“ Nixon, wie der Autor den 37. US-Präsidenten bezeichnet, der zusammen mit seinem willigen Sicherheitsberater Henry Kissinger die so genannte Entspannung auf den Weg brachte, der erst Reagan ein Ende setzte. Vielleicht sind weniger die verantwortlichen Präsidenten der USA, wie Schiller meint, ein Problem. Diese kann man abwählen oder, wie das Beispiel Richard M. Nixons zeigt, durch Initiativen des Kongresses vorzeitig zu hoch bezahlten Memoirenschreibern aufwerten. Das Problem des US-Entscheidungsprozesses stellen heute möglicherweise die unverantwortlichen Berater der Präsidenten dar, mögen sie noch so kluge wissenschaftliche Analysen über das Ende des Kalten Krieges verfasst haben.

Das Werk von Ulrich Schiller, eine provozierende, nachdenklich stimmende Arbeit über die Jahrzehnte des inter- und intrasystemaren Konfliktes ist für alle, die sich in die Probleme des Ost-West-Konfliktes einlesen möchten, ein empfehlenswerter Einstieg. Das Buch enthält ein ausführliches Personenregister sowie wichtige Literaturverweise.

Anmerkungen:
1 Vgl. Trachtenberg, Mark, A Constructed Peace. The European Settlement 1945-1963, Princeton 1991.
2 Vgl. Lebow, Richard Ned; Stein, Janice Gross, We All Lost the Cold War, Princeton 1994.
3 Vgl. hierzu: Ferguson, Niall, Das verleugnete Imperium. Chancen und Risiken amerikanischer Macht, Berlin 2004.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension