M. Fiedrowicz: Apologie im frühen Christentum

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Titel
Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. 2., korr. und erw. Auflage


Autor(en)
Fiedrowicz, Michael
Erschienen
Paderborn 2001: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
363 S.
Preis
€ 46,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katrin Pietzner, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Auf dem Palatin in Rom gelang 1856 eine außergewöhnliche Entdeckung: Im so genannten Paedagogium wurde ein eventuell aus dem 3. Jahrhundert stammendes Graffito gefunden, das einen Gekreuzigten mit Eselskopf und kurzer Tunika zeigt; links neben ihm steht mit erhobenem Arm ein auf gleiche Weise bekleideter Mann. Kommentiert wird das Geschehen durch den griechischen Spruch: "Alexamenos betet seinen Gott an." Die Deutungen dieses 'Comic' sind nicht gesichert; die Mehrzahl der Forscher spricht sich aber für eine Kruzifix-Darstellung aus, mit der Christen von ihren überwiegend heidnischen Mitmenschen verspottet wurden.

Auch Michael Fiedrowicz, der in Trier antike Kirchengeschichte lehrt, schließt sich dieser Sichtweise an; er selbst kann an diesem Beispiel einen der neuralgischen Punkte aufzeigen, über die Christen und Heiden in der römischen Kaiserzeit miteinander stritten. Der Mensch Jesus, der gekreuzigte Verbrecher, der von jenen christlichen Außenseitern als Gott oder auch nur als dessen Sohn (beides erschien absurd) verehrt wurde, gehörte dazu. Nur selten spiegeln Zeugnisse wie dieser Graffito die alltäglichen Spötteleien und Verleumdungen, denen Christen ausgesetzt waren. Weitaus ergiebiger sind die überlieferten Texte jener christlichen Wortführer, die es übernommen hatten, die neue Religion, ihre Anhänger und ihre Lebensweise öffentlich zu verteidigen. Sie stehen daher auch im Mittelpunkt von Fiedrowicz' Interesse.

Der Patristiker konzentriert sich dabei auf die frühchristlichen Apologeten vom 2. bis zum 5. Jahrhundert und ihr Bestreben, die christliche Religion als die einzig wahre zu begründen. Dazu werden in einem ersten Schritt die einzelnen Autoren, ihre apologetischen Werke und wesentlichen Intentionen in chronologischer Ordnung vorgestellt. Bereits dieser Überblick zeigt einschlägige Charakteristika: So konnten sich die Apologeten nicht nur an christlichen, sondern auch an jüdischen Vorbildern ausrichten. Gerade letztere boten hilfreiche Orientierungen, hatten sie sich doch ebenso gegen Verleumdungen (wie beispielsweise die Anbetung eines Eselskopfes) wehren müssen. Darüber hinaus weist Fiedrowicz auf die Vielfalt der apologetischen Literatur hin, die sich durch verschiedene Gattungen oder Mischformen auszeichnete und auch inhaltlich nicht festgelegt war. Allein das Christentum gegen Angriffe und Vorurteile aus der Umwelt argumentativ zu verteidigen, einte alle Autoren. Mit dieser Kurzdefinition bestimmt Fiedrowicz zugleich sein Verständnis von Apologie, das - angelehnt an Eusebius - bereits auf einen wesentlichen Aspekt verweist: Die Apologeten reagierten mit ihren Texten auf Kontroversen und Auseinandersetzungen, die sie zugleich mitgestalteten.

Damit hat der Autor auch ein strukturierendes Leitmotiv gewonnen: Am Beginn der einzelnen Abschnitte führt er die antichristliche Polemik an, der dann die Reaktionen der neuen Wortführer folgen. Diese sehen sich seit dem Ende des 2. Jahrhunderts wachsender Kritik ausgesetzt: Platoniker wie Celsus und vor allem der Plotinschüler Porphyrius (etwa 233-301/05) forderten christliche Gebildete heraus; ihre Antworten fielen daher zunehmend umfangreicher und differenzierter aus. Auf diese Weise kann Fiedrowicz eine Entwicklung verdeutlichen, die unabhängig von innerchristlichen Diskussionen verlief und damit eine gewisse Eigendynamik erhielt. Hier wird der Prozess greifbar, in dem sich eine eigenständige Diskurstradition etabliert. Diese wandelt sich zwar mit der Anerkennung und zunehmenden Durchsetzung des Christentums in konstantinischer Zeit, was sich vor allem im Selbstbewusstsein der Protagonisten, in ihren weniger verteidigenden und stärker begründenden Argumenten zeigt; die Tradition wird aber weitergeführt und durch Kritiker wie den Kaiser Julian (361-363) oder den neue Akzente setzenden Bischof von Hippo, Augustin, geprägt. Seine apologetischen Ansätze nach dem Fall Roms im Jahr 410 bilden mit denen des Orosius den Abschluss des historischen Überblicks.

An diesen schließt sich im zweiten Schritt die systematische Darstellung an. Die einzelnen Kapitel sind nun um die spezifischen heidnischen Anklagen und Verleumdungen gruppiert: Das angeblich unmoralische Verhalten der Christen, ihr Atheismus oder ihre politische Illoyalität werden ebenso wie der Vorwurf des Traditionsbruchs oder des vernunftlosen Glaubens zum Ausgangspunkt verschiedener christlicher Argumentationsmuster. Diese anschaulich und umfassend zusammenzustellen und zu systematisieren, ist das Verdienst von Fiedrowicz. Dabei geht es ihm weniger um die oft nur schwer rekonstruierbaren sozialen Kontexte oder Abwertungen (auf die beispielsweise der Name oder die Kleidung der Männer auf dem Graffito bzw. der Fundort schließen lassen könnten). Vielmehr stehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in inhaltlichen Positionen und argumentativen Strategien im Vordergrund. So antworteten die meisten christlichen Autoren auf die Kritik, mit der Tradition zu brechen, und auf die Frage nach dem späten Erscheinen Jesu mit den Methoden des Altersbeweises und mit der Plagiatsthese. Beide Praktiken, so Fiedrowicz, konnten sie den philosophischen Kontroversen entnehmen, in denen es gängig war, die eigene als die ältere und damit glaubwürdigere sowie originellere Tradition darzustellen, von der die Modelle des Gegners abhingen. Abweichende Haltungen gegenüber dem Prioritätsargument (z.B. von Origenes) führt der Autor aber ebenso an; er thematisiert Probleme, die mit dem Altersbeweis verbunden sind, so die chronologischen Unklarheiten oder die Nivellierung der heilsgeschichtlichen Bedeutung des Erscheinens Jesu. Zugleich macht er den wahrscheinlich mit der wachsenden Ausbreitung des Christentums im 3. Jahrhundert greifbaren Wandel deutlich, wenn zunehmend die Neuheit der eigenen Religion betont und damit das Selbstbewusstsein zum Ausdruck gebracht wird.

Dieses Beispiel Fiedrowiczscher Darstellungsweise ist dabei auch in anderer Hinsicht charakteristisch: So ist es zum einen sein Anliegen nachzuweisen, dass Argumente, Topoi oder rhetorische Kunstgriffe immer darauf hinauslaufen, die eigene Überzeugung als die wahre herauszustellen; zum anderen führte gerade dieser universale Wahrheitsanspruch zum besonderen Konflikt mit der Philosophie. Sie wurde nach Fiedrowicz zur ernsthaftesten Gegnerin des Christentums, beanspruchten doch ihre Vertreter das Monopol auf Weltdeutung. Dieser Disput nimmt daher einen besonderen Stellenwert ein; er spiegelt sich vor allem in den Auseinandersetzungen um das richtige Verständnis von Gott und Logos, das von christlicher Seite nicht nur behauptet, sondern auch neu definiert wurde. Der Autor stellt insbesondere platonische und christliche Denkansätze vor und hebt auf diese Weise markante Punkte wie die Vorstellungen eines inkarnierten Logos heraus. Dabei zeigt sich, dass heidnische Platoniker, die sich mit dem 3. Jahrhundert im philosophischen Milieu durchsetzten, christliche Auffassungen an den eigenen Kriterien maßen, christliche Apologeten wiederum die Argumente und Strategien verstärkt auf diese Gegner fokussierten und das Christentum als wahre Philosophie darzustellen versuchten.

Einige Aspekte fallen in dieser Hinsicht auf: Fiedrowicz scheint seine anfänglich hervorgehobene scharfe Differenzierung in christliche Gegner und Befürworter paganer Bildung, Kultur und Religion (die sicher stärker zu hinterfragen ist) mit dem Erreichen seines Darstellungsziels mehr und mehr aufzugeben. Die christlichen Lehren werden dem Platonismus entsprechend dargestellt; da man den Dialog mit den Trägern der antiken Bildung sucht, werden unverständliche biblische Zusammenhänge vermieden, wird das Christentum unter anderem als rational einsichtiger Monotheismus definiert oder der göttliche Logos vor dem irdischen Jesus betont. Die Übereinstimmungen zwischen christlichen und heidnischen Denkkategorien dienten dazu, den neuen Glauben zu vermitteln. Einem fremden Verstehenshorizont galt es christliche Vorstellungen anzupassen; der Philosophiebegriff bot dabei geeignete 'Übersetzungsmöglichkeiten'. Diese zweckrationale Ausrichtung in den christlichen Argumentationen zieht sich einem roten Faden gleich durch das gesamte Werk. Dabei gesteht auch Fiedrowicz den Apologeten in jeweils unterschiedlichem Maße philosophische und rhetorische Bildung zu; er vernachlässigt aber den Aspekt, dass sie in der Regel wie ihre heidnischen Kontrahenten im gleichen Bildungsmilieu sozialisiert wurden, Teil dieser geistigen und sozialen Elite waren, Parallelen sich also auch aufgrund gleicher Prägungen ergaben und nicht nur übernommene Kategorien darstellten, um den Gegner zu gewinnen oder mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Auch Christen identifizierten sich mit philosophischem Gedankengut und nutzten dieses nicht nur zur Missionierung heidnischer Gebildeter oder zur überzeugenderen Selbstdarstellung; es entsprach ebenso dem eigenen Selbstverständnis.

Dieses, so betont Fiedrowicz zu Recht, entwickelte sich in ständiger Auseinandersetzung mit der paganen Umwelt. Daher erstaunt die abschließende Beurteilung, dass die apologetischen Texte vor allem unter christlichen Gleichgesinnten verbreitet und damit wohl auch an sie gerichtet waren; ihr Selbstbewußtsein sollte gestärkt werden. Dem soll auch nicht grundsätzlich widersprochen werden. Problematisch erscheint jedoch, dass diese Einschätzung sich nicht auf die Argumentationsstruktur des Buches auswirkte. In dieser wird beständig der pagane Gebildete, das so genannte nichtgläubige Denken oder die heidnische Öffentlichkeit als Gegenüber angenommen, mit dem der Dialog gesucht wird; die Darstellungsweise und Wirksamkeit von Argumenten und Methoden wird an diesem Gegenüber gemessen. Wenn Christen jedoch als direkte Adressaten weitaus eher anzunehmen sind, dann hätte es sich gelohnt zu zeigen, wie sie beispielsweise durch die jeweilige Art von Beweisführung im eigenen Glauben und Handeln bestärkt oder auf welche Weise ihnen Orientierungen für die eigene Auseinandersetzung mit heidnischen Anklagen in die Hand gegeben wurden.

Dass es sich hierbei um ein grundsätzliches Problem handelt, ist eindeutig. Denn de facto ist die Rezeption (und damit auch die Wirkung) apologetischer Schriften unklar: Allein Christen sind als Leser gesichert. Dennoch sind die Texte formal wie inhaltlich nur aus der christlich-heidnischen Auseinandersetzung heraus erklärbar. Beide Seiten reagierten (und das spiegelt die Monografie wider) aufeinander, sie griffen gegnerische Standpunkte auf, richteten eigene Argumentationen daran aus und bewirkten weitergehende Antworten. Auch wenn sich keine unmittelbare Reaktion auf einen konkreten apologetischen Text bei Celsus oder Porphyrius nachweisen lässt, so antworteten sie dennoch auf die in christlichen Schriften formulierten Vorstellungen, auf die im Alltag erlebten Spannungen, Diskussionen und Fragen oder reagierten wie beispielsweise Porphyrius auf ihnen bekannte christliche Gebildete, in diesem Fall Origenes. Das ergibt sich aus der Fiedrowiczschen Darstellung, wenn es auch in der abschließenden Einschätzung über die Wirksamkeit apologetischer Literatur nicht noch einmal eigens thematisiert wird. Dafür führt der Autor die Absichten christlicher Apologeten an, eigene Konversionen vor heidnischen Mitbürgern zu begründen und Verunsicherte gewinnen zu wollen. So vielfältig wie die literarischen Zugriffe der Apologeten, so unterschiedlich waren wohl auch ihre unmittelbaren, kontextgebundenen Intentionen.

Diese übergeht auch Fiedrowicz nicht, wenn auch einzelne 'Lebenssitze' stärker hinterfragt werden können. Dies betrifft unter anderem die Annahme, gerade die frühen Apologeten (beispielhaft ist Justin) hätten ihre Texte als Petitionen an den Kaiser gerichtet, die dann gemeinsam mit dessen Antwort öffentlich ausgehangen wurden. Die Umsetzbarkeit dieses Verfahrens und mögliche Alternativen hätten durchaus problematisiert werden können. Das gilt ebenso für die antichristlichen Vorurteile und Verleumdungen. Diese sollten nicht nur aus Missverständnissen und falschen Prägungen heraus erklärt oder als Tatsachen verstanden werden. Vielmehr ist hierbei der Zuschreibungscharakter zu beachten: Heiden haben nicht nur auf die Andersartigkeit der Christen reagiert, sondern diese zugleich produziert. Die verwendeten Etikette erfüllten dabei vor allem eine Funktion: Sie sollten die Christen wirkungsvoll diskreditieren.

Eingehender Betrachtung wert wären Athen als Zentrum christlicher Elitebildung im 2. Jahrhundert oder die katechetische Tätigkeit von Athenagoras in Alexandrien, die angebliche Rede des Märtyrers Apollonius vor dem römischen Senat, die zudem Quelle für die Apologie des Tertullian gewesen sei oder die in den Acta Catharinae enthaltene (und nur in einem Fragment überlieferte) Apologie des Quadratus. Ein weiteres Beispiel ist die Trennung der Märtyrerberichte in so genannte Acta, die Kopien der Prozessprotokolle seien, die heimlich in christlichen Besitz gebracht oder mitgeschrieben wurden, und in Passiones, womit Erzählungen über die Martyrien gemeint sind. Die 'Märtyrerliteratur' ist von Beginn an vielfältiger; es finden sich zudem Verhörszenen auch in den Passiones (wie die des Polycarp oder der Perpetua zeigen) und die Historizität der christlich überarbeiteten und literarisch gestalteten Acta (vgl. nur die Cyprians) ist durchaus anzuzweifeln. Dies ließe sich um die Vorstellungen einer eskalierenden Reichskrise und einer damit verbundenen römischen Religion ergänzen, die innerlich zerrüttet, ein bloßer Kult ohne Glauben und kohärente Logik gewesen sei. Hier scheint Fiedrowicz zu sehr die Sicht der christlichen Quellen zu übernehmen, was sich auch in der Einschätzung heidnischer Philosophen widerspiegelt, die die Wahrheit nicht oder nur teilweise erkannt hätten und deren praktisches Leben von ihrem theoretischem Wissen unberührt geblieben wäre (vgl. dagegen Plotin und seine Schüler). Diese Beispiele deuten einen Nachteil an, der zugleich durch die Anlage des Buches relativiert wird. Der Autor verarbeitet zwar insgesamt eine enorme Menge an internationaler Forschungsliteratur, verweist aber in Einzelfällen nur selten auf divergierende Positionen; weitergehende Hinweise auf Forschungskontroversen oder zumindest auf den hypothetischen Charakter mancher Aussagen könnten vielleicht bei einer dritten Auflage stärker berücksichtigt werden. Die hier besprochene zweite Auflage unterscheidet sich von der ersten vor allem durch ein erweitertes Literaturverzeichnis.

Seinem Anliegen, einem breiteren Leserkreis eine Gesamtdarstellung zu bieten, wird Fiedrowicz vollends gerecht. Das Buch ist ein Gewinn, da es das komplizierte Quellenmaterial und die unübersichtliche Fülle von Spezialstudien zur frühchristlichen Apologetik in einer gelungenen Synthese zusammenführt. Diese verdeutlicht zugleich, dass der auf dem Palatin gefundene Graffitto in einen sehr viel umfangreicheren geistesgeschichtlichen Zusammenhang gehört. Wie Christen und Heiden diesen gestalteten, wird von Fiedrowicz eindrucksvoll demonstriert.

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