H. Zinecker: El Salvador nach dem Bürgerkrieg

Titel
El Salvador nach dem Bürgerkrieg. Ambivalenzen eines schwierigen Friedens


Autor(en)
Zinecker, Heidrun
Reihe
Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung 44
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Campus Verlag
Anzahl Seiten
241 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Suter, Basel

Es ist still geworden um die zentralamerikanischen Nachkriegsgesellschaften und dies nicht erst, seit die Auseinandersetzung mit dem militanten Islamismus auch den PolitikwissenschaftlerInnen prioritär erscheint. El Salvador, nach dem Friedensschluss von 1992 zwischen rechtsgerichteter Regierung und der FMLN-Befreiungsfront scheinbar zur Ruhe gekommen, ist als Objekt sowohl spektakulärer Zeitungsmeldungen wie auch vertiefter wissenschaftlicher Untersuchungen aus der Mode gekommen; eine Untersuchung wie die von Heidrun Zinecker vorgelegte steht damit quer zum Mainstream und ist doch gerade wegen ihrer nichtkonjunkturellen Qualitäten hochwillkommen. Zineckers Studie erinnert daran, dass ein Bürgerkrieg auch in einer für Europa und USA plötzlich nicht mehr "heißen" Zone politischer Verwerfungen über sein Ende hinaus nachwirkt und fragt nach dem Konfliktpotenzial unvollständiger Friedensprozesse. In diesem Sinne ist ihre knappe, aber äusserst detailreiche und sorgfältig recherchierte Arbeit über den Regionalbezug hinaus Anregung zu einer langfristigeren Betrachtungsweise sozialer Konflikte, ihrer Ursachen, gewaltsamen Austragung und Bewältigung nach dem Ende der - im Falle El Salvadors in einem langjährigen Bürgerkrieg ausgetragenen – offenen militärischen Auseinandersetzung.

Zinecker stützt ihre Analyse auf eine große Anzahl von Interviews mit Protagonisten des Friedensprozesses, Vertretern der Regierung und der Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) sowie salvadorianischen und ausländischen ExpertInnen. Daneben hat sie auch die umfangreiche Literatur zur Konfliktbewältigung, die die Politikwissenschaft, aber auch involvierte Kreise wie UN-Agenturen seit den 1980er-Jahren hervorgebracht haben, umfassend eingearbeitet. So ruht ihre Untersuchung der Prozesse seit dem Friedensschluss von Chapultepec 1992 zwischen FMLN und der von der rechtsgerichteten Partei ARENA geführten salvadorianischen Regierung auf einer sorgfältigen methodischen Herangehensweise, die sich um eine präzise Begrifflichkeit insbesondere bei den Fachtermini bemüht. Zinecker unterscheidet so etwa zwischen dem peace making, also dem Abschluss eines Friedensvertrages und dem peace building, der tatsächlichen Umsetzung von Friedensabkommen und dem Aufbau einer stabilen Nachkriegsordnung. Die Autorin vertritt die These, dass das peace making mit dem Abkommen von Chapultepec erreicht wurde, nicht jedoch ein umfassendes peace building, trotz der Präsenz verschiedener UNO-Missionen zur Umsetzung der weitreichenden und komplexen Vereinbarungen. Trotzdem, so das Fazit der Autorin, ist der Prozess des peace building über das kritische Minimum hinaus realisiert worden und damit sind trotz erheblicher Defizite dieses Friedens (der von Zinecker verwendete Ausdruck Ambivalenzen hat einen etwas euphemistischen Beigeschmack) die Voraussetzungen für eine Auseinandersetzung verschiedener gesellschaftlicher Interessengruppen (fast) ohne Rückgriff auf politische Gewalt oder gar Rückkehr zu offenem Krieg gegeben.

Die Autorin geht in der Folge auf die monierten Ambivalenzen ein und macht deutlich, dass insbesondere die FMLN und ihre AnhängerInnen in ihren Erwartungen an den Frieden enttäuscht werden mussten, war doch das erklärte Ziel der Guerilla, der Aufbau einer sozial gerechten Gesellschaft nicht mehr Kern des Abkommens von Chapultepec und noch weniger der Friedensprozesse danach. Schwerwiegend auch der Befund der Autorin, dass beide Seiten, insbesondere aber die in bruchlosem Anschluss zur Kriegszeit und nur mit wenigen personellen Auswechslungen weiterhin die Macht ausübende ARENA-Regierung, das Abkommen verletzten bzw. sich nicht an Fristen oder vereinbarte Rahmenbedingungen hielten. Dies betraf etwa den Aufbau einer neuen "unpolitischen" Polizeitruppe oder Landüberschreibungen.

Ein besonderes Verdienst der Untersuchung Zineckers ist die präzise Einordnung des Nachkriegsregimes in El Salvador nach typologischen Gesichtspunkten. Anhand einer detaillierten Checkliste (S. 108ff.) die nach Elementen autoritärer Herrschaft, militärischer Machtausübung, rechtsstaatlicher Institutionalisierung und Akteuren von Gewaltausübung fragt, kommt sie zu folgendem Schluss: El Salvadors Friedensregime ist trotz erheblicher auch legitimatorischer Defizite grundsätzlich nicht mehr von Militärs bestimmt. Das Land manifestiert demokratische Staatlichkeit, jedoch keinen Rechtsstaat: "Es handelt sich um ein politisch exklusives Regime, das am Ende keinerlei Hebel für eine ökonomische Inklusion der Subalternen ist. Die Transition ist in El Salvador beim Übergang von der Liberalisierung zur Demokratisierung stecken geblieben." (S. 113). Damit kann Zinecker Krisensymptome wie die stark gestiegene Allgemeinkriminalität einordnen und trotzdem gleichzeitig darauf verweisen, dass dadurch der Frieden als solcher nicht bedroht und auch nicht entwertet ist, da dieses Phänomen im Angesicht der grundsätzlich vorhandenen Wahldemokratie (in Zineckers Terminologie: Polyarchie), die den Autoritarismus abgelöst hat, nicht die Destabilisierungsschwelle erreicht. So wird die salvadorianische Friedensordnung fassbar als prekärer Zustand erreichter Non-Belligerenz, wo die virulenten sozialen Auseinandersetzungen auf der Ebene von Wahlen ausgetragen werden – teilweise jedoch durchaus auch durch legitime und nun auch wieder mögliche Protestaktionen wie Streiks etc., aber auch in überkommenen Formen klientelistischer Politik. Diesen Kollektivlösungen stehen jedoch auch individuelle "Lösungen" wie die genannte Allgemeinkriminalität gegenüber und Menschenrechtsverletzungen bis hin zum politischen Mord sind zwar selten geworden, zeigen aber trotzdem an, dass der demokratische und zivile Prozess politischer und sozialer Auseinandersetzung noch längst nicht für alle Mitglieder der salvadorianischen Gesellschaft als der einzig legitime gesehen wird.

Das vorliegende Werk füllt zweifellos eine große Lücke der Forschung und überzeugt konzeptionell und inhaltlich in seiner nüchternen Beurteilung einer schwierigen, eben ambivalenten Situation ohne politischen Stellungsbezug. Trotzdem ist ein Punkt kritisch herauszuheben und zwar der irritierende Umgang Zineckers mit Sprache außerhalb der, wie gesagt sehr sorgfältigen, Verwendung fachlicher Termini. Einzelne Ausdrücke wie "insonderheit" (S. 118) für insbesondere bzw. besonders oder "zuvörderst" (S. 154) mögen noch als spleenig durchgehen und Begriffe wie "Konsultant" (S. 215, vom englischen consultant) statt Konsulent mit großer Nähe zur englischen Forschungsliteratur erklärbar sein. Gleiches gilt für nicht unmittelbar verständliche Ausdrücke wie "sequencing" (S. 189) oder "surplus" (S. 200) statt des gut eingeführten deutschen marxschen Mehrwerts. Problematischer, weil missverständlich sind Wortschöpfungen wie "Gastarbeiterrente" (passim, etwa S. 195f.) für die Überweisungen emigrierter SalvadorianerInnen an ihre in der Heimat verbliebenen Verwandten; ebenso etwa "Ignoranz der Kriminalität" (S. 174, gemeint das nicht zur Kenntnis nehmen von Kriminalität durch die Regierung); oder "unhintergehbar" (S. 106), das gemeinhin mit "hintergehen" im Sinne von "betrügen" assoziiert wird, von Zinecker jedoch im Sinne von "unverzichtbar" verwendet wird – was im Satzkontext irritiert.

Doch diese Kritik soll nicht die Bedeutung und den insgesamt sehr positiven Eindruck, den diese knappe, stringente, aber bei aller strengen Systematik auch lebendig und lesbar geschriebene Darstellung vermittelt, schmälern. Heidrun Zineckers Buch ist für an Zentralamerika (und keineswegs nur an El Salvador) interessierte Laien wie für PolitikwissenschaftlerInnen und HistorikerInnen, aber auch in der Entwicklungszusammenarbeit tätige Menschen eine unverzichtbare Hilfe für das Verständnis der Mechanismen und Prozesse in einer Nachkriegsgesellschaft – und gibt damit konkrete Hinweise für Maßnahmen nachhaltiger Konfliktbewältigung.

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