Titel
DDR, Stasi und Schweden.


Autor(en)
Eriksson, Gösta A.
Anzahl Seiten
196 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Müller-Enbergs, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes - BStU, Berlin

Weithin unbemerkt vom deutschen Publikum sind in westeuropäischen Ländern Bücher aufgelegt worden, die sich mit geheimpolizeilichen Aktivitäten der DDR bzw. der Spionage der Staatssicherheit außerhalb Deutschlands beschäftigen. Die umfassendste Veröffentlichung über die ostdeutsche Spionage in Österreich stammt vom Journalisten Kid Möchel („Der geheime Krieg der Agenten, 1997), über die in Dänemark von den Journalisten Mette Herborg und Per Michaelsen („Stasi og Danmark“, 1996). Studien über die „Kundschafter“ in Großbritannien, den Niederlanden und in Kanada sind in Vorbereitung – in der Regel ebenfalls aus der Feder von Journalisten. Nun liegt die deutsche Übersetzung einer Veröffentlichung des Journalisten Gösta A. Eriksson vor – über Schweden.

Das schwedische Publikum hatte zuvor wenig Auswahl, konnte es in der Landessprache lediglich auf Publikationen wie den Roman „Stasi. En roman om förräderi“ (1993) von Ulf Nilson oder die Erinnerungen des „Spionagegenerals“ Markus Wolf („Mannen utan ansikte. En mästarspions memoarer“, 1997) zurückgreifen.

In dieses Vakuum stößt nun Eriksson vor und wartet mit einer spektakulären These auf: „Schwedische Unternehmen haben nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in ganz entscheidender Weise an dem wirtschaftlichen Wiederaufbau der damaligen sowjetischen Besatzungszone und in der Folge am Aufbau der DDR mitgewirkt“ (S. 15). Die Entlarvung, so verspricht der Klappentext, erfolge mit „wissenschaftlicher Genauigkeit“ unter Berücksichtigung von „mehreren tausend Geheimakten“ (S. 174).

Der Autor hat für seinen Nachweis einen großzügigen Rahmen abgesteckt, in dem ein historischer Überblick zur DDR geliefert wird, zu Entstehung, Struktur und Aufgaben der DDR-Staatssicherheit, ein 14-seitiges Porträt Erich Honeckers, ein 8-seitiges zu Erich Mielke und einen Exkurs zur Wohnsiedlung in Wandlitz. Bei dieser Darstellung berücksichtigte der Autor den aktuellen Forschungsstand jedoch nicht. Auch „Geheimakten“ sind nicht zurate gezogen worden. Das Literaturverzeichnis weist 19 Titel aus, die jüngste Publikation - wenn von Wolfs Erinnerungen abgesehen wird - stammt aus dem Jahr 1993 und betrifft einen Roman.

Nach dieser Einführung widmet sich Eriksson dem schwedischen Waffenhandel, an dem ein schwedisches Unternehmen mitgewirkt und in den Jahren 1981 bis 1985 Sprengstoff an die DDR geliefert habe, und jenen schwedischen Unternehmen, die im Internationalen Handelszentrum in Ostberlin über Büroräume verfügten, die freilich von der Staatssicherheit aufmerksam beobachtet worden sind. Der Autor blickt sodann auf die 1968 bis 1975 veranstalteten Ostseewochen, die seinerzeit auch das Interesse schwedischer Journalisten gefunden hatten. Auch diese hielt die Staatssicherheit im Visier. Der Olof-Palme-Friedensmarsch, der im September 1987 von Stralsund bis Dresden führte, fand unter Beteiligung von Lisbet Palme statt. Auch er wurde durch die Staatssicherheit beobachtet.

Der Autor verfolgt eine Reihe von Berührungspunkten zwischen der DDR und Schweden wie die schwedischen Schadensersatzforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg sowie persönliche Kontakte von einzelnen Schweden mit DDR-Repräsentanten, um sich dann gänzlich auf die Beweisführung seiner These zu konzentrieren, dass „der Aufbau der DDR durch schwedische Unternehmen“ erfolgt sei (S. 70-99). 20 schwedische Unternehmen hätten an diesem Aufbau mitgewirkt. So errichtete das schwedische Bauunternehmen ABV - überwiegend in den 1980er-Jahren - ein Hotel in Dresden, investierte in die Leunawerke und in ein Ostberliner Erholungszentrum sowie in den Bau von Rostocker Hafenlagerhallen. Die schwedische Maschinenbaugesellschaft Altas Copco interessierte sich für eine Helium-Stickstoffgewinnungsanlage in Salzwedel, der schwedische Gerätehersteller Electrolux AB für den Kauf von Großküchen und medizintechnischen Gerätschaften und der schwedische Großkonzern ASEA für DDR-Kraftwerksanlagen. Diese Liste ließe sich fortsetzen über das Möbelhaus Ikea, den Baukonzern SIAB, die Autofabriken von Volvo bis hin zur Beteiligung an der Fährverbindung Sassnitz-Trelleborg.

Die von Eriksson angeführten Beispiele beziehen sich zumeist auf die 1980er-Jahre und sind mithin wenig geeignet, den Nachweis für die Rolle schwedischer Unternehmen „nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges“ zu erbringen, die „in ganz entscheidender Weise an dem wirtschaftlichen Wiederaufbau der damaligen sowjetischen Besatzungszone und in der Folge am Aufbau der DDR mitgewirkt“ haben sollen. Auch das Statistische Jahrbuch der DDR aus dem Jahre 1955 legt diese Wertung nicht nahe: Schweden hatte 1953 einen Anteil von 1,4 Prozent an Importen in die DDR und rangierte damit deutlich hinter - um nur westeuropäische Länder zu nennen - Holland, Österreich, Belgien und Luxemburg. Gleiches gilt für den Export der DDR nach Schweden, bei der auf Österreich und Holland jeweils ein größerer Lieferanteil entfiel. Der Außenhandelsumsatz der DDR mit Schweden rangierte auch 1988 - nach dem Statistischen Jahrbuch der DDR 1989 - hinter Belgien, Frankreich, Großbritannien, Holland, Österreich, ja sogar noch hinter West-Berlin. Mit Blick darauf wird der Autor seine These gründlich überprüfen müssen, falls er sie überhaupt substantiieren kann.

Eriksson hat von den „mehreren tausend Geheimakten“ in seiner Ausarbeitung rund 50 Fundstellen zitiert, wobei in mehreren Fällen ein Wiederauffinden erschwert ist, weil er u.a. lediglich „BStU, S. 20“ angibt. Dies wäre bei einer Neuauflage nachzubessern.

Trotz dieser Einschränkung zeigt die Publikation Erikssons das offensichtliche Interesse an einer Klärung der deutsch-schwedischen Beziehungen, auch der geheimpolizeilichen Aktivitäten der DDR gegen Schweden. Diese Arbeit kann lediglich als eine erste Annäherung verstanden werden, denn die Rekonstruktion der DDR-Spionage in Schweden, die mit Hilfe der bei der Stasi-Unterlagen-Behörde vorliegenden Überlieferungen (SIRA) zumindest teilweise möglich ist, hat Eriksson nicht vorgenommen – eine Berücksichtigung auch nicht versucht.

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