D. F. Crew: Consuming Germany in the Cold War

Titel
Consuming Germany in the Cold War.


Herausgeber
Crew, David F.
Reihe
Leisure Consumption and Culture
Erschienen
Oxford 2003: Berg Publishers
Anzahl Seiten
209 S.
Preis
$25.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tina Dingel, Department of History, University of Limerick

Seit Beginn der 1990er-Jahre etabliert sich die Konsumgeschichte mit einiger Verzögerung im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern und den USA auch in Deutschland. Die „Forschungsinseln“, die sich zu Anfang dieser Entwicklung herausgebildet haben, werden nun schrittweise verbunden und weiter ergänzt. Dass innovative Impulse für die deutsche Konsumgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts oftmals aus der anglo-amerikanischen Wissenschaftstradition kommen, dafür ist auch der Sammelband ‚Consuming Germany in the Cold War’, herausgegeben von David Crew, Professor für Geschichte an der University of Texas, ein Beispiel. Der Band setzt sich zum Ziel, nach Möglichkeiten zu suchen, zwei bislang separate Stränge der deutschen Konsumgeschichtsschreibung miteinander zu verbinden. Die einflussreichsten Daten für die konsumhistorische Forschung des 20. Jahrhunderts sind das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Zusammenbruch der DDR 1989. Ersteres wird implizit oder explizit als Geburtsstunde einer modernen Konsumgesellschaft in Westdeutschland verstanden, während das zweite Ereignis relevante Quellen in der ehemaligen DDR überhaupt erst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. So sind in den letzten zehn Jahren zwei fast völlig getrennte Forschungsfelder zur Konsumgeschichte in der BRD und der DDR entstanden.1

Die Zusammenstellung von insgesamt sieben Beiträge, jeweils drei zu westdeutschen und drei zu ostdeutschen Konsumphänomenen, eingeleitet durch eine Überblicksdarstellung von Crew, ist grösstenteils gelungen, auf jeden Fall aber immer lesenwert ist. Die Beiträge des Bandes, die sich hauptsächlich auf die 1950er und 1960er-Jahre konzentrieren, werden durch ihren Facettenreichtum dem komplexen Thema Konsum gerecht, und lassen, wenn möglich, auch den in der Forschung immer noch unterrepräsentierten Konsumenten zu Wort kommen. Bedauerlich ist einzig, dass die meisten Artikel auf ost- oder westdeutsche Phänomene beschränkt bleiben. Nur in wenigen Fällen werden direkte Vergleiche angestellt. Durch die Gegenüberstellung der Beiträge ist dennoch erstmalig die Überschreitung der „innerdeutschen Forschungsgrenze“ auf diesem Gebiet gelungen.

Crews Einleitung gibt einen thematisch zugeschnittenen und lesenswerten Überblick über die aktuelle Sekundärliteratur. Das im Unterkapitel ‘The Gender of Consumption’ allein die Rolle der Frau als Konsumentin angesprochen wird, spiegelt nur den Stand der Sekundärliteratur wieder, die bis jetzt den männlichen Konsumenten völlig vernachlässigt hat. Crew stellt fest, das Konsum und ‚the quality of everyday life’ sich als symbolische ‚Schlachtfelder’ gebildet haben, auf denen der Ost-West Konflikt stellvertretend ausgetragen wurde (S. 2). Diese Auseinandersetzung fand nicht nur auf der dinglichen, sondern auch auf einer gedanklichen Ebene statt. Attraktive Bilder von der Zukunft wurden in beiden Systemen entworfen, um die Zustimmung und Unterstützung der eigenen Bevölkerung zu gewinnen (S. 11). Dabei regt er zu einer nuancierten Darstellung der Geschichte des ostdeutschen Konsums an, die nicht einfach als eine Geschichte der Niederlagen und des Mangels darzustellen sei, aber auch nicht unterschlagen dürfe, dass sich eine unabhängige, sozialistische Konsumform, trotz aller Bemühungen der jeweiligen Regierungen, nicht entwickeln konnte (S. 3.).

Katherine Pences Beitrag befasst sich mit der Rolle der Leipziger Messe in den 1950er-Jahren und ihrer besonderen Bedeutung für die DDR. Pence schafft es als einzige Autorin des Bandes, Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland direkt miteinander in Verbindung zu setzen. Sie arbeitet heraus, wie die Leipziger Messe als Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft instrumentalisiert wurde. Beschrieben wird, wie sie als Schnittstelle zwischen Ost und West diente und im Rahmen des Kalten Krieges zu einem der oben beschriebenen ‚Schlachtfelder’ wurde. Die Quellenlage erlaubt Pence, auch eine Analyse der Konsumentenreaktionen auf die Messe. Sie nutzt diese geschickt, um Verbindungen zur allgemeinen Versorgungslage in der DDR herzustellen und zu zeigen, wie insbesondere Konsumentinnen die Breite und Tiefe des auf den Messen ausgestellten Produktsortiments mit der weniger attraktiven Realität in Einklang zu bringen suchten. Die Messe bot auch eine Plattform für Aktivitäten, die nicht im Sinne des sozialistischen Staates waren. So wurden Kontakte zwischen ost- und westdeutschen Bürgern gepflegt, Güter geschmuggelt und „leichte Mädchen“ nutzten die Gelegenheit zum Devisenverdienst. Pence zeigt, dass die Messe tatsächlich eine „world in miniature“ war, die die Widersprüchlichkeiten des „real existierenden Sozialismus“ sichtbar machte.

Judd Stitziels Beitrag befasst sich ebenfalls mit einer Form der Ausstellung von Gütern, in diesem Fall mit Modeschauen in der DDR der 1950er und 1960er-Jahre. Stitziel zeigt anhand einer Vielzahl von Beispielen die Prozesse auf, in denen eine sozialistische Konsum- und Modekultur verhandelt wurde. Deutlich wird die Unmöglichkeit, eine unabhängige sozialistische Identität von staatlicher Seite zu fördern. Das Spektakel der Modenschau, ähnlich wie das der Messe, verdeutlichte nur den Widerspruch zwischen dem suggerierten Überfluss und der tatsächlichen Knappheit.

Diskussionen über Haushaltsartikel aus „Plaste“, ihr Design, Bewerbung und Verkauf, Gebrauch und Entsorgung dienen Eli Rubin als Fallstudien für seinen Beitrag. Obwohl das Chemieprogramm der DDR von 1958 nie die versprochenen Ziele erreichte, hatten Konsumgüter aus Plastik einen „Staats-stabilisierenden“ Effekt. Rubin zeichnet anhand seines Forschungsobjekts nach, wie sich „an aesthetic of mainstream socialist culture“ (S. 112) entwickelte. Ob der Rohstoffknappheit in der DDR wurden Plastikgegenstände nicht zu Wegwerfobjekten, wie dies in Westdeutschland der Fall war, sondern zu langlebigen Gebrauchsgütern. Gerade wegen dieser Sonderstellung von Plastikartikeln stellte ein bewusster Verzicht auf sie auch eine Form der Ablehnung des Staates dar.

Die zweite Hälfte der Artikel widmet sich westdeutschen Konsumphänomenen. Jeff Schutts stellt die These auf, Coca-Cola habe eine aktive Rolle bei der Wiederherstellung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft und -identität gespielt. Anders als zum Beispiel in Frankreich wurde die Ausbreitung des Konsums dieses ur-amerikanischen Erfrischungsgetränks in Westdeutschland nach dem Krieg von der herrschenden Elite nicht als bedrohlich empfunden. Dies hatte sicherlich auch mit der Vertrautheit des Produkts zu tun: Coca-Cola wurde seit 1929 in Deutschland verkauft und 1939 gaben die Deutschen 25 Millionen Reichsmark für ihre Cola aus. Nach Versorgungsengpässen und den „Hungerjahren“ unmittelbar nach dem Krieg wurde Coca-Cola ab 1949 erstmals wieder in Westdeutschland angeboten (S. 125ff.). Schutts zeigt auf, wie Aspekte der u.U. als bedrohlich zu empfindenden „Coca-Colonisierung“ durch die westdeutsche Bevölkerung assimiliert wurden und so dem Produkt eine neue Qualität gaben. Coca-Cola habe den westdeutschen Konsumenten die Möglichkeit geboten, sich ein Symbol für den Wiederaufbau und die Rückkehr die weltweite menschliche Gemeinschaft einzuverleiben, was sie den stark ansteigenden Absatzzahlen zufolge auch taten. Der werberische Rückgriff auf die Vorkriegs-Beliebtheit des Getränks und die Akzentuierung seiner ‚freiheitlichen’ und ‚vereinheitlichenden’ Werte erlaubte es den Konsumenten, sich als ‚consumer-democrats’ in Westdeutschland zu verstehen, so Schutts (S. 142f.). Ähnlich wie die Leipziger Messe im Beitrag von Pence diente in diesem Fall Coca-Cola als Brücke zwischen einer ideologisch unbedenklichen Vergangenheit und der Zukunft.

Jonathan Wiesen zeichnet die diskursive Kreation des „Wirtschaftswunders“ nach und präsentiert das Wirtschaftswunder selbst als Produkt zur Konsumption. Sein Beitrag beleuchtet den institutionellen und ideologischen „Unterbau“ des Nachkriegskonsums. Die Ausstellung von Vorstellungen materiellen Wohlstands sowohl in eher traditioneller Form auf Messen als auch in der ‚moderneren’ Werbung ermöglichte den Deutschen in der BRD, so Wiesen, die etablierte Philosophie der Qualitätsproduktion mit dem neuen Ethos des Massenkonsums zu verschmelzen. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren hätten Messen jedem Besucher die Möglichkeit geboten, noch unerreichbare Produkte zu bestaunen. Mit einer Verbesserung der materiellen Situation sei diese Aufgabe im Laufe der 1950er und 1960er-Jahre von der Werbung übernommen worden. Wiesen stützt seine Aussagen für den späteren Teil schwerpunktmässig auf Dokumente eines Deutschland-Büros einer amerikanischen Werbeagentur. Dieser Blick durch die ‚Brille’ der Branche muss zwangsläufig zu einigen Verzerrungen führen. Die Wurzeln, die die „moderne“ amerikanische Werbung schon in den Zwischenkriegsjahren in der Weimarer Republik geschlagen hatte, werden zwar im Beitrag erwähnt, aber in ihrem Einfluss vom Autor unterschätzt.2 Zudem entsteht nach der Lektüre des Beitrags der Eindruck, erst in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft lägen die Anfänge einer Konsumgesellschaft begründet, wo der Autor doch selbst andeutet, dass vergleichbare Entwicklungen auch schon früher zu beobachten waren (S. 152).

In Kapitel sieben des Bandes behandelt Robert Stephens den Konsum illegaler Substanzen in Westdeutschland. Er versteht den Drogenkonsum von Jugendlichen zu Beginn der 1960er-Jahre, den er besonders mit Hinblick auf Hamburg behandelt, als eine Ablehnung der Werte der Elterngeneration, hier besonders der materialistischen Orientierung. Stephens konzentriert sich bei seiner Analyse auf die politisch eher unmotivierte „Gammler-Szene“ als auf die Studentenschaft. Er arbeitet das Paradox der Ablehnungshaltung beider Gruppen heraus: durch den Drogenkonsum, der sie eigentlich vom ‚geschmacklosen Materialismus’ des modernen Kapitalismus befreien sollte, trugen sie selbst zum Entstehen eines globalen, kapitalistischen Drogenmarktes bei.

Die Beiträge des Bandes verdeutlichen den Reiz der konsumhistorischen Forschung, der in der Verknüpfung von gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Prozessen liegt. Die erste Brücke zwischen zwei ‚Forschungsinseln’ wurde gebaut und die in den Beiträgen enthaltenen Anregungen können sicherlich als Brückenköpfe für weitere Forschungsprojekte dienen. Der typische essayistische Stil der Beiträge und das schnörkellose Englisch machen den Band lesbar und auch als Einstiegs- und Überblickswerk empfehlenswert.

Anmerkungen:
1 Für die Konsumgeschichte der BRD: Carter, Erica, How German Is She? Postwar West German Reconstruction and the Consuming Woman, Ann Arbor 1997; Wildt, Michael, Am Beginn der „Konsumgesellschaft". Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, Hamburg 1993; Andersen, Arne, Der Traum vom guten Leben; Alltags- und Konsumgeschichte vom Wirtschaftswunder bis heute, Frankfurt am Main 1999; Loehlin, Jennifer, From Rugs to Riches; Housework, Consumption and Modernity in Germany, Oxford 1999; Schindelbeck, Dirk, Marken, Moden und Kampagnen, Darmstadt 2003 behandelt die DDR-Geschichte nur äußerst spärlich. Für die Konsumgeschichte der DDR: Heldmann, Philipp, Negotiating Consumption in a Dictatorship, in: Daunton, Martin; Hilton, Matthew (Hgg.), The Politics of Consumption, Material Culture and Citizenship in Europe and America, Oxford 2001, S. 185-202; Kaminsky, Annette, Wohlstand, Schönheit, Glück; Kleine Konsumgeschichte der DDR, München 2001; Merkel, Ina, Utopie und Bedürfnis. Die Geschichte der Konsumkultur in der DDR, Köln 1999; Pence, Katherine, 'You as a Woman Will Understand': Consumption, Gender and the Relationship between State and Citizenry in the GDR's Crisis of June 1953, in: German History 19 (2001), S. 218-252; Poutrus, Patrice, Die Erfindung des Goldbroilers, Über den Zusammenhang zwischen Herrschaftssicherung und Konsumentwicklung in der DDR, Köln 2002.
2 Schug, Alexander, Wegbereiter der modernen Absatzwerbung in Deutschland: Advertising Agencies und die Amerikanisierung der deutschen Werbebranche in der Zwischenkriegszeit, in: WerkstattGeschichte 12 (2003), S. 29-52

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