A. Karsten: Künstler und Kardinäle

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Titel
Künstler und Kardinäle. Vom Mäzenatentum römischer Kardinalnepoten im 17. Jahrhundert


Autor(en)
Karsten, Arne
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
258 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Zunckel, Genua

In seiner an der Humboldt-Universität entstandenen Dissertation behandelt Arne Karsten ein Phänomen, das jeden Rombesucher auch heute noch beeindruckt: das prächtige Erscheinungsbild der Tiberstadt als Barockmetropole. Angesichts der unübersehbaren Fülle von Publikationen, die sich mit barocken Kunstwerken, mit der Genialität ihrer Erschaffer und den verschiedenen Stil- und Theoriefragen beschäftigen, führt Rom in der einschlägigen Literatur nun wahrlich kein Schattendasein. Erstaunlicherweise aber werden die für das päpstliche Machtzentrum spezifischen sozio-politischen Bedingungen, die das barocke Gesamtkunstwerk Rom letztlich hervorbrachten, seitens der kunsthistorischen Forschung kaum thematisiert; ein Defizit, das auf eine mangelnde Reflexion der gesellschaftlichen Funktion von Kunst schließen lässt. Dies moniert jedenfalls Arne Karsten, und genau darum geht es ihm in seiner konsequent interdisziplinär konzipierten Studie, die sich die Methoden und Erkenntnisse sowohl der Geschichtsforschung als auch der Kunstgeschichte gleichermaßen nutzbar macht, um den zentralen Fragen nachzugehen, weshalb die Kunstproduktion gerade im Rom des 17. Jahrhunderts eine Boomphase durchlief und auf welche Faktoren das die barocke Bildersprache der römischen Kunst auszeichnende außerordentliche Innovationspotential zurückzuführen ist.

Vor allem dem Klischee einer selbstzweckhaft-idealistischen Förderung der Kunst um ihrer selbst willen, der unzulässigen Übertragung des bürgerlichen Connaisseur-Ideals auf die Mäzene des 17. Jahrhunderts, hat Karsten also den Kampf angesagt. Stattdessen untersucht er die „Kunstpatronage als gezielt eingesetztes Instrument zur Legitimation und Repräsentation von gesellschaftlicher Stellung und politischer Macht“. Er tut dies am Beispiel gerade jener fünf Kardinalnepoten, denen in der Zeitspanne von 1605 bis 1667 - eben in der Epoche des römischen Hochbarock - eine zentrale Rolle für die Statusstrategien der jeweils herrschenden Papstfamilie zukam.

In der Einleitung steckt Karsten den allgemeinen Argumentationsrahmen und die Forschungsprämissen seiner Arbeit präzise ab, indem er die Ergebnisse der Romforschung in Relation zu seinem Untersuchungsgegenstand setzt. Beachtlich ist die darstellerische Prägnanz, mit der Karsten sein wissenschaftliches Anliegen vermittelt. Auch dem nur durchschnittlich informierten Leser werden die mit der päpstlichen Wahlmonarchie verknüpften sozio-politischen Dynamiken verständlich. Auf nur 13 Seiten wird ein facettenreiches Bild des als Rom-spezifisch zu bezeichnenden hochkompetitiven Sozialklimas entworfen, das die an die Gesellschaftsspitze aufgestiegenen Kardinalnepoten unter immensen Profilierungszwang setzte, da der neu erworbene Status der Herrscherfamilien zu rechtfertigen und abzusichern war, solange ihr päpstlicher Onkel auf dem Stuhl Petri saß. Kaum ein Mittel war, so Karsten, dafür so wirkungsvoll einsetzbar wie die Kunstpatronage. Und tatsächlich endete die hochproduktive Phase der römischen Kunstproduktion im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts mit dem rapiden Bedeutungsverlust des päpstlichen Nepotismus.

Die These einer in erster Linie durch Legitimationsbedürfnisse motivierten Kunstpatronage durch die Kardinalnepoten, die ihre herkunftsbedingten Traditionsdefizite (insbesondere, aber nicht ausschließlich) über die Antike-Rezeption zu kompensieren trachteten, kann Karsten im Hauptteil der Arbeit schlüssig belegen. Dem Interesse der fünf Persönlichkeiten an der Kunstförderung und ihrem Verhältnis zu den Künstlern wird jeweils in einem gesonderten Kapitel nachgegangen. Keineswegs erwartet den Leser jedoch eine ermüdende Aneinanderreihung von Einzelbeispielen, die lediglich dazu dienen, die Grundthesen zu bestätigen. Ziel der Untersuchung ist es vielmehr, ein möglichst differenziertes Panorama der Kunstförderung durch die fünf Mäzene zu liefern, das die jeweiligen Besonderheiten herausstreicht, ohne aber die strukturellen Gemeinsamkeiten und die generelle Entwicklungslinie des Phänomens aus dem Auge zu verlieren. Für jeden der Kardinalnepoten entwirft Karsten ein charakteristisches Sozialprofil, das er dann mit der ihnen jeweils eigenen, individuellen Ausfüllung der Rolle als Mäzen in Korrelation setzt.

Der Interpretation der von den einzelnen Kardinalnepoten in Auftrag gegebenen herausragenden Einzelkunstwerke misst er dabei zentrale Bedeutung zu. Karstens Analysen von Motivwahl und Darstellungsformen überzeugen in (fast) jedem Einzelfall. Der von ihm geprägte Begriff der „Nepotenikonographie“, mit dem er den großen Einfluss des Selbstdarstellungsdrangs der Papstneffen auf die römische Kunst bezeichnet, erscheint demnach treffend gewählt. Das ungeheure Innovationspotential der römischen Barockkunst schreibt er substantiell dem Konkurrenzfaktor zu, da sich die finanzkräftigen Kardinalnepoten jeweils unterschiedlicher Künstler bedienten, um die von ihren Vorgängern in Auftrag gegebenen Projekte möglichst noch zu übertreffen. In erster Linie war dabei Originalität und eine der Selbststilisierung des Nepoten förderliche Ausdrucksform gefragt. Kunsttheoretische oder stilistische Diskussionen interessierten - wie Karsten in deutlicher Abgrenzung zu den bislang gängigen Interpretationsansätzen mehrfach und ausdrücklich betont - höchstens am Rande. Die sich um die „Nepotenikonographie“ anlagernden Thesen stellen damit eine produktive Herausforderung für die Kunstgeschichte dar.

Konzeption, Aufbau und Argumentationsgang der Studie überzeugen, wenngleich besonders hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen Kapitel Kritik anzubringen ist. So wird dem Kardinalnepoten Pauls V. (1605-1621) der mit 23 Seiten knappste Untersuchungsabschnitt gewidmet, obwohl Scipione Borghese laut Karsten als Maßstäbe setzender Mustermäzen schlechthin zu gelten hat. Demgegenüber wird Ludovico Ludovisi, dem während des Pontifikats seines kränkelnden Onkels Gregor XV. (1621-1623) nur kurze Zeit zur Selbstdarstellung blieb, außerordentlich große Aufmerksamkeit (41 Seiten) zuteil. Die anspruchsvolle Aufgabe, die Kunstpatronage Francesco Barberinis (auf nur 57 Seiten) schlaglichtartig mit den wichtigsten politischen Ereignissen im langen und turbulenten Pontifikat Urbans VIII. (1623-1644) in Beziehung zu setzen, meistert Karsten gut, auch wenn die Ausführungen vielleicht etwas organischer hätten ausfallen können. Plastisch sind dagegen die Darstellungen zu den Kardinalnepoten Innozenz‘ X. Pamphilij (1644-1655) und Alexanders VII. Chigi (1655-1667).

Große Bedeutung misst Karsten der Individualität „seiner“ Protagonisten bei. Der immensen Problematik dieses Wertungsanspruches durchaus bewusst, versucht er die Annäherung an die Persönlichkeiten der Kardinäle zu objektivieren, indem zwei für die Bewertung des päpstlichen Nepotismus grundlegende Faktoren als Dreh- und Angelpunkt der Analyse gewählt werden: die Ausfüllung der soziale Rolle der Papstneffen im Rahmen der Familienstrategien und die Abschätzung ihres politischen Spielraums im Rahmen der Herrschaftsorganisation. Auf diese Weise gelingt es ihm, dem Argumentationsgang die nötige Transparenz zu verleihen und gleichzeitig so manche unreflektiert-idealisierende Beurteilung der behandelten Mäzene (besonders) in kunstgeschichtlichen Forschungen zu kontrastieren und zu widerlegen. Das von Karsten entworfene Gegenbild kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, auf welch unsicheres Terrain sich die Geschichtswissenschaft mit der Erfassung von individuellen Persönlichkeitsstrukturen generell begibt. Und nicht zuletzt die unterschiedliche Intensität, mit der Karsten „seine“ Kardinalnepoten behandelt, lässt zuweilen den leisen Verdacht aufkommen, dass auch er sich nicht ganz von tradierten Wertungsmustern und subjektiven Vorlieben freimachen kann.

Den Wert dieser wegweisenden Arbeit schmälern derartige Überlegungen aber nicht. Vielmehr gibt die intellektuell äußerst stimulierende, da erstaunlich vielschichtige Studie eine Fülle von Anregungen, sich mit grundlegenden Problemen historischer Forschung aus der Akteursperspektive auseinander zu setzen. Freilich darf man auf die Reaktionen von kunstgeschichtlicher Seite besonders gespannt sein, spart Karsten doch nicht an harscher, aber stets sachlicher Kritik. Es ist zu hoffen, dass seine Studie die wissenschaftliche Auseinandersetzung befruchtet und der von ihm eingelöste Anspruch von Interdisziplinarität Schule macht. Zudem wird Karsten seinem programmatischen Hauptanliegen als Historiker gerecht, geht es ihm bei seinen Studien doch nicht zuletzt um die gesellschaftliche Relevanz der Geschichtswissenschaft. Die Ergebnisse der historischen Forschung auch einem größeren Publikum zu vermitteln, ist ihm in seiner stilsicheren, glänzend geschriebenen Dissertation „Künstler und Kardinäle“ gelungen. Mit Vergnügen folgt man Arne Karsten auf seinem Streifzug durch das barocke Rom. Dem kurzweiligen Buch ist ein breiter Leserkreis zu wünschen.

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