Seit auch auf dem Gebiet der jüdischen Geschichte die qualitativen Erwartungen in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind und die Beschäftigung mit dem Gegenstand als solche nicht mehr alleinige Rechtfertigung ist, lohnt es sich wieder, auf die nicht wenigen Arbeiten zu sehen, die in der letzten Zeit zur Thematik vorgelegt wurden. Besonders erfreulich ist, dass gerade die Epoche der Frühen Neuzeit, bislang stark vernachlässigt, jetzt mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Noch bemerkenswerter ist es dann, wenn ein so zentrales Ereignis der frühneuzeitlich-jüdischen Geschichte wie die „Frankfurter Rabbinerversammlung“ von 1603 und die nachfolgenden Ereignisse nach langer Zeit wieder einmal zum Thema der Forschung gemacht werden, wie in dem vorliegenden Buch der Duisburger Judaistin und profunden Kennerin des rheinländischen Judentums, Birgit Klein, geschehen.
Die zentrale Figur des Buches ist die des Levi von Bonn, sicher eine der einflussreichsten und schillerndsten Personen des rheinischen Judentums an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, der durch seine privilegierte Stellung bei dem Wittelsbacher Kurfüsten und Erzbischof von Köln Ernst zur herausragenden Figur innerhalb der Kurkölnischen Landesjudenschaft wurde und auch offiziell lange deren Vorgänger war. Der Forschung ist seine Person schon länger bekannt, und auch innerhalb der vor allem Frankfurter jüdischen Tradition war Levi von Bonn schon seit langem ein auffälliger Platz sicher, nämlich der des Denunzianten und Verräters der Frankfurter Versammlung von Rabbinern und Vertretern jüdischer Gemeinden des Reiches 1603, die einen Versuch zur Vereinheitlichung des innerjüdisch-autonomen Rechtssystems unternahmen. Besonders den finanziellen Interessen des Kölner Erzbischofs war es dann zu verdanken, dass dieser Versuch einige Jahre danach als „Hochverrat“ gegen die kaiserliche Rechtshoheit durch Levi denunziert wurde, was zu einem lange anhaltenden Prozess gegen die Juden des Reiches, vor allem aber gegen die Teilnehmer der Versammlung führte. In der Funktion des Denunzianten wurde Levi von Bonn in der Tradition zur Figur des verräterischen Metzgers Löb Krauß. Daneben war Levi von Bonn auch der Verfasser von gefälschten Responsen über die Fleischbeschau von koscherem Fleisch.
Die drei biografischen Stränge dieser Person wieder zusammengeführt zu haben ist das Verdienst der Arbeit von Klein. Dabei waren, wie schon aus der sehr gut geschriebenen Einleitung hervorgeht, viele der verschiedenen Handlungsebenen des Levi von Bonn alias Juda bar Chajim – oder auch Löb Kraus der Denunziant genannt – der Forschung durchaus schon längere Zeit bekannt. Die Motivation zur erneuten Darstellung des Themas erhielt Klein dann offenbar von einer sehr umfangreichen Reichskammergerichtsakte im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, aus der eine Fülle von Details über das Leben und die Verwicklung Levis in die Geschehnisse seiner Zeit zu entnehmen waren.
Das Buch ist in fünf Hauptkapitel unterteilt: Nach der Einleitung informiert das zweite Kapitel über die Kurkölner Juden und ihren Streit um den Aufseher Levi von Bonn, das dritte Kapitel widmet sich einer Strafverfolgung des Kurtrierer Juden Wolf von Koblenz durch Levi von Bonn und der vierte Abschnitt geht auf den genannten Hochverratsprozess gegen die Juden des Reiches ein. Das abschließende fünfte Kapitel beschreibt die Figur des Levi nach innerjüdischen Quellen.
Die deutliche Stärke des Buches liegt vor allem dort, wo Klein auf der Basis der innerjüdischen Quellenüberlieferung argumentiert. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass die Responsensammlung des Levi von Bonn letztlich dazu führte, dass eine eigene niederrheinische Tradition innerhalb des Judentums entstand, die sich auf den Umgang mit dem Fleisch geschächteter Tiere gründete. Dieser Minhag, so die hebräische Bezeichnung für einen Brauch, wurde zwar von den deutschen Rabbinern kaum anerkannt, erhielt aber seinen Dispens von den Prager jüdischen Rechtsgelehrten in jener Zeit. Dieses Ergebnis von Kleins Untersuchungen wirft neues Licht auf die Fragen nach den unterschiedlichen Auslegungstraditionen einzelner Religionsgesetze innerhalb des Reiches und verhilft zu weiterführenden Einsichten.
Zugegebenermaßen gibt es durch die Auswertung der Düsseldorfer Akte eine große Anzahl neuer behördlichern Quellen, deren Inhalte das Bild um die handelnden Personen und die resultierenden Vorgänge um einiges bereichern können. Diese Quellen bis ins letzte Detail ausgenutzt zu haben, verbessert Kleins Darstellung nicht unbedingt. Neben dem in der Einleitung formulierten Ziel der vollständigen Rekonstruktion der Figur des Levi von Bonn, für die man kein Buch von 500 Seiten hätte schreiben müssen, ist der weitere Inhalt des Bandes die mit allen wesentlichen und leider auch unwesentlichen Details versehene Darstellung der Ereignisse, ohne diese kritisch zu hinterfragen oder gar von einer höheren Warte aus zu analysieren. Hier spürt der Leser das Fehlen eines eingangs klar geäußerten Erkenntnisinteresses verbunden mit einem Katalog von Fragen an das Material am deutlichsten. Die Lektüre wird hierdurch bisweilen mühsam und man gewinnt bald den Eindruck, dass es der Autorin vor allem darauf ankam, kein Detail zu vergessen. Allerdings wurde dabei der potenzielle Leser vergessen, denn die Lesbarkeit des Buches nach der Einleitung hat deutlich gelitten. Die endlose Darstellung der Ereignisabfolge im Handeln von Levi, dem Erzbischof von Köln sowie deren Mitstreitern bzw. Kontrahenten ist auch mit der gewählten Strukturierung nicht wirklich spannend und spätestens hier wären die Handwerkszeuge des Historikers gefragt gewesen, um die Befunde aus den Quellen zu analysieren und in den richtigen Kontext einzuordnen. Dies hätte dann auch die Struktur des Buches aufgelockert und von der Schreibtradition des späten 19. Jahrhunderts weggeführt. Vielleicht wäre es insgesamt sinnvoller gewesen, eine Auswahl aus den zweifellos wichtigen Dokumenten um die Person des Levi von Bonn zu edieren und diese in einem knappen und gut strukturierten Beitrag zu interpretieren.
Resümierend muss gesagt werden, dass der Ertrag des Buches nur ein begrenzter ist. Die wichtigen Resultate sind vor allem in der gleichzeitigen Nutzung von intern jüdischem und behördlichem Material zu sehen, wie auch in der Darstellung einer Person, die man als „Protohofjuden“ bezeichnen könnte, noch dazu in der Zeit des allmählichen Niedergangs des Reichsverbandes, in der das Zusammenwirken von Landesherren und einflussreichen Juden eine ganz neue Bedeutung bekam. Aber insgesamt bleibt der Eindruck, dass der mögliche Effekt der Arbeit verpufft, was vielleicht auch an der häufigen Präsentation des Themas lange vor der Publikation gelegen haben mag.