Cover
Titel
Das Privatfernsehen, der Axel Springer Verlag und die deutsche Presse. Die medienpolitische Debatte in den sechziger Jahren


Autor(en)
Kain, Florian
Reihe
Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 16
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 25,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lu Seegers, Institut für Geschichte, Universität Siegen

Der Journalist und Medienwissenschaftler Florian Kain lenkt mit seiner Studie den Blick auf die Debatten um die Einführung des privatrechtlichen Fernsehens in den 1960er-Jahren, als sich das Medium in der Bundesrepublik zum Leitmedium entwickelte. 1960 hatte Bundeskanzler Adenauer mit der Gründung der „Deutschland-Fernsehen GmbH“ für Aufruhr gesorgt. Doch der Versuch, neben dem Ersten Deutschen Fernsehen rechtzeitig zur Bundestagswahl 1961 ein Bundesfernsehen unter Verlegerbeteiligung einzuführen, scheiterte am Urteil des Karlsruher Verfassungsgerichts. Dem Engagement der Verleger, die den Siegeszug des Fernsehens in erster Linie fürchteten, weil sie im öffentlich-rechtlichen Werbefernsehen eine Gefahr für ihr Anzeigenaufkommen sahen, war damit aber noch keinesfalls der Wind aus den Segeln genommen. Denn die Verfassungsrichter hatten zwar Adenauers Pläne für unrechtmäßig erklärt, Fernsehen in privatrechtlicher Verantwortung aber grundsätzlich offen gehalten. Bis Ende der 1960er-Jahre kämpfte ein Teil der Verleger mit allen publizistischen und politischen Mitteln um Zugang zum audiovisuellen Sektor der deutschen Medienwirtschaft. Dabei spielte Axel Springer als mächtigstes Präsidiumsmitglied im Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger (BDZV) eine zentrale Rolle. Seine Person steht daher im Mittelpunkt des Buches.

Florian Kain interessiert sich vor allem für die publizistische Auseinandersetzung um das Privatfernsehen, für die argumentativen Topoi sowie für die Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme der Verlagshäuser. Denn es war primär der publizistische Einfluss, der die Verleger – und insbesondere Axel Springer – zu gefährlichen Gegnern der öffentlich-rechtlichen Anstalten machte. Kain wertet dazu erstmals den Bestand „Medienpolitik“ im Archiv des Axel Springer Verlags sowie einen Querschnitt der wichtigsten Presseorgane einschließlich der Medienfachdienste und des Verlegerorgans ZV + ZV aus. Es verwundert jedoch, dass er Programmzeitschriften nur am Rande heranzieht, obwohl sie über Millionenauflagen verfügten und das Verhältnis von Zuschauern, Fernsehanstalten und Fernsehprogramm maßgeblich prägten. Auch zeigt sich hier, dass ein Rückgriff auf die 1950er-Jahre hilfreich gewesen wäre, um Springers publizistische Kampagnen gegen die öffentlich-rechtlichen Anstalten besser einordnen zu können. Dennoch schließt das Buch eine wichtige Forschungslücke, weil bisherige Arbeiten zwar die institutionelle Seite und die rundfunkpolitischen Hintergründe im Blick hatten, nicht aber deren Vermittlung in die Öffentlichkeit. 1

Die Studie ist in acht Kapitel untergliedert. Nach einer Einführung in die maßgeblichen politischen, gesellschaftlichen und mediengeschichtlichen Entwicklungen und Kontexte der 1960er-Jahre werden im dritten Kapitel die Gründung der „Deutschland-Fernsehen GmbH“, ihre Ablehnung durch das Verfassungsgericht und die Reaktionen der Verleger skizziert. Bis zum Karlsruher Urteil hatten nämlich z.B. Helmut Kindler (Eltern, Bravo), Gerd Buccerius (Die Zeit) und Werner G. Hoffmann (FAZ) Adenauers Pläne nicht nur publizistisch unterstützt, sondern sich daran auch aktiv als Gesellschafter beteiligt. Unter anderem bediente man sich zur Legitimation antikommunistischer Argumente: Ein zweites Fernsehen unter Bundeseinfluss sei nötig, um die Bewohner der DDR besser erreichen zu können – dem Projekt „Regierungsfernsehen“ sollte damit argumentativ ein „antisozialistisches Mäntelchen“ umgehängt werden, schlussfolgert Kain (S. 65). Während die genannten Verleger ihre Fernsehambitionen nach dem Verbotsurteil im Schwinden sahen, setzte für Axel Springer der Kampf um ein privatrechtliches Fernsehen erst richtig ein. Zwar hatte auch er die Bestrebungen für ein Bundesfernsehen unterstützt, war aber ebenso wie der BDZV an der „Freies Fernsehen GmbH“ nicht offiziell beteiligt gewesen.

Im vierten Kapitel beschreibt Kain sowohl die organisatorische Ausweitung der Fernsehambitionen im Springer-Verlag als auch die Zuspitzung der publizistischen Debatte nach dem Verfassungsurteil. Ab 1962/63 avancierte Axel Springer zur Speerspitze im Kampf für das Verlegerfernsehen. Mit dem Schlagwort der „Wettbewerbsverzerrung“ wollte er nicht zuletzt die zunehmende Pressekonzentration rechtfertigen, die seiner Meinung nach auf das Konto des Fernsehens gehe. 1962 initiierte die Bild-Zeitung unter ihrem Chefredakteur Peter Boenisch einen publizistischen Feldzug gegen die öffentlich-rechtlichen Sender. Mit dem Abdruck von Leserzuschriften („Fernseher kochen vor Wut“), die das Programm und das „Monopol“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kritisierten, inszenierte sich die Bild-Zeitung, so Kain, als „Plebiszit“ (S. 90). Die wirtschaftlichen Interessen des Verlags traten so hinter einen angeblichen Leserwillen zurück. Diese Form der Kampagnenführung war jedoch nicht so neu, wie der Autor denkt, hatte es doch bereits in den 1950er-Jahren ähnliche Aktionen des Verlagshauses gegeben. Neu war jedoch die heftige Kritik Springers am öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt, dessen „Gigantismus“ und angeblich manipulative Macht jetzt auch in der „Welt“ beschworen wurden.

Dies rief bei den Rundfunkanstalten deutliche Gegenwehr hervor: „Panorama“-Chef Gert v. Paczensky polemisierte gegen Springers starke Position auf dem Pressemarkt und seine Meinungsmacht. Auch der „Spiegel“, der die Fernsehambitionen der Konkurrenz ohnehin kritisch beäugte, nahm die Debatte auf und fokussierte sie erstmals mit dem Begriff „Springer-Fernsehen“ ganz auf den Hamburger Verleger. Gleichwohl gelang es Springer mit Hilfe befreundeter Bundestagsabgeordneter aus CDU und CSU, die Michel-Kommission einzusetzen, die die Wettbewerbslage zwischen den Massenmedien untersuchen sollte.

Das fünfte Kapitel behandelt Springers Angriffe und Rückschläge ab 1965. Dabei weist Kain sowohl taktische Fehlgriffe auf Seiten der Verleger als auch eine zunehmende Verhärtung der publizistischen Debatte insbesondere durch das Engagement des „Spiegels“ nach. Nachdem u.a. Willy Brandt, der sich optimale Bedingungen für den Bundestagswahlkampf 1965 schaffen wollte, die Verzögerungen in der Michel-Kommission kritisiert hatte, sahen Axel Springer und der BDZV eine Chance, das ZDF zu übernehmen. Es sollte als öffentlich-rechtlicher Sender bestehen bleiben, das Programm jedoch von den Verlegern gestaltet und durch Werbung finanziert werden. Dabei hatte man die Rechnung allerdings ohne den Wirt gemacht: Am 15. Januar 1965 lehnte die Ministerpräsidentenkonferenz den Verlegervorschlag zur Übernahme des ZDF offiziell ab.

Mit seiner Titelgeschichte „Springer-Vorstoß auf das Fernsehen“ leitete Rudolf Augstein dann ein neues Kapitel in der publizistischen Kontroverse um das Fernsehen ein, die den Topos des bedrohlichen, machtvollen Verlegers zementierte und zugleich eine persönliche Kampfansage war. Kain zeigt die Doppelbödigkeit von Augsteins Argumentation auf: Der „Spiegel“-Chef stimmte nämlich durchaus mit Springer darin überein, dass sich die Rundfunkanstalten zu sehr ausdehnten. Springer weigerte sich jedoch, Zeitschriftenverlage in seine Fernsehpläne einzubeziehen. Kain interpretiert Augsteins Artikel als verdeckte „Retourkutsche eines Pressehauses, das die Fernseh-Werbung in Wahrheit genauso fürchtete, aber vom Projekt ‚Übernahme Mainz’ von Beginn an ausgeschlossen worden war“ (S. 150).

Solche und ähnliche Spiegel-Artikel waren der Auftakt zu einer breiten Publikationswelle, die angesichts der zunehmenden Pressekonzentration in den Rezessionsjahren 1966/67 ein ungünstiges Klima für den Verlag schuf und die Bemühungen um ein privatrechtliches Fernsehen konterkarierte. Angesichts der publizistischen Attacken gegen die Machtposition des Axel Springer Verlags, die mittlerweile von allen namhaften Organen geführt wurden, blieben dem Verleger nur Rückzugsgefechte, die zu einer Modifikation der gängigen Argumentationstopoi führten. So war von der angeblichen Monopolstellung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkmedien nun nicht mehr die Rede. Vielmehr mussten Springer-Journalisten im Gegenteil argumentativ auf die von Rundfunk und Fernsehen garantierte Informationsvielfalt verweisen, um den Vorwurf der Meinungs- und Manipulationsmacht herunterzuspielen. Kain konstatiert hier zu Recht einen wichtigen Wendepunkt der Debatte.

Das letzte Kapitel ist den Stationen der „Niederlage“ Axel Springers im Kampf um das Privatfernsehen gewidmet. Folgenreicher als die Ablehnung einer Sendelizenz durch das Berliner Verwaltungsgericht war die Spionage-Affäre von Springers „Fernsehbevollmächtigtem“ Hermann Ferdinand Arning, weil sie Springer ins Zwielicht rückte und zur völligen Diskreditierung seiner Fernsehpläne führte. Arning hatte den früheren ZDF-Angestellten und HÖRZU-Mitarbeiter Miserony beauftragt, belastendes Material über den Sender zu sammeln. Man hoffte, dadurch die Ministerpräsidenten der Länder doch noch dazu bewegen zu können, das ZDF in Verlegerhände zu legen. Als Miserony die Geschichte zum „Spiegel“ trug, setzten heftige Angriffe aller großen Tages- und Wochenzeitungen ein, die nicht nur Springers Rolle in der Affäre thematisierten, sondern – vor dem Hintergrund der Studentenunruhen – generell seine publizistische Macht, die nun als Gefahr für die Demokratie interpretiert wurde (S. 183). Eine dritte Niederlage hatte Springer schließlich durch die Ergebnisse der Michel-Kommission einzustecken, die eindeutig feststellte, dass der Konzentrationsprozess auf dem Pressemarkt nicht dem Fernsehen zuzuschreiben war. Dem Verleger blieb angesichts des öffentlichen Meinungsklimas nichts anderes übrig, als seinen Chefjustitiar zu entlassen und den geordneten Rückzug anzutreten. Vom Verlegerfernsehen war in den nächsten Jahren nicht mehr die Rede.

Mit seinem gut geschriebenen Buch gelingt es Florian Kain, die Debatte um das Verlegerfernsehen in allgemeine politische und gesellschaftliche Kontexte einzubetten. So trug das Entstehen einer zunehmend kritischeren Öffentlichkeit nach der Spiegel-Affäre 1962 dazu bei, die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Medien in der Demokratie neu zu überdenken. Diese Entwicklung kann, so Kain, nicht unabhängig von den Plänen für ein Privatfernsehen betrachtet werden. Zugleich wird deutlich, dass nicht nur Axel Springer sondern auch Verleger wie Rudolf Augstein ihre wirtschaftlichen Motive in der Debatte mit demokratie- und staatstheoretischen Argumenten zur Organisation des Fernsehens zu kaschieren suchten.

Anmerkung:
1 So Steinmetz, Rüdiger, Freies Fernsehen. Das erste privat-kommerzielle Fernsehprogramm in Deutschland, Konstanz 1996.

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