H.-J. Behr (Hg.): Karl Freiherr von Müffling

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Titel
Karl Freiherr von Müffling. Offizier - Kartograph - Politiker (1775-1851). Lebenserinnerungen und kleinere Schriften


Herausgeber
Behr, Hans-Joachim
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
498 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Winter, Historisches Institut, Universität Potsdam

Rechtzeitig vor dem Einsetzen der Publikations- und Ausstellungsaktivitäten, die das Ende des altpreußischen Staates 1806 und der daran anschließenden Reform- und Restaurationsjahre vor 200 Jahren nach sich ziehen werden, hat Hans-Joachim Behr eine neue, kritische und ergänzte Ausgabe der Lebenserinnerungen des Freiherrn Karl von Müffling vorgelegt. 1 Der von dem Bearbeiter gewählte Titel weist auf die Vielseitigkeit dieses preußischen Offiziers hin, der nach seinem 1788 erfolgten Eintritt in den preußischen Militärdienst sowohl während des Zusammenbruchs des altpreußischen Staates 1806 als auch in der anschließenden Restaurationsphase nicht nur wichtige militärische und politische Positionen bekleidete, sondern auch mit diplomatischen Missionen und familiären Angelegenheiten der Hohenzollern betraut war.

An Müffling, dessen Person lange Zeit im Schatten von Blücher, Scharnhorst und Gneisenau gestanden hatte, schieden sich bereits zu seinen Lebzeiten die Geister. Zu seinem lange Zeit in der älteren borussianischen Geschichtsschreibung vorherrschenden negativen Image haben nicht zuletzt seine erstmals 1851 posthum unter dem Titel „Aus meinem Leben“ veröffentlichten Erinnerungen beigetragen, die nach ihrem Erscheinen durch August Varnhagen von Ense als ein „Zankbuch“ charakterisiert wurden (S. 1). Die Kritik entzündete sich hierbei in erster Linie an seiner Beschreibung der Feldzüge von 1813/14 und 1815, bei der dem Autor einige sachliche Fehler und Irrtümer nachgewiesen wurden. Im Kern richtete sie sich aber gegen Müfflings Charakterisierungen der preußischen „Heroen“ der Freiheitskriege Blücher und Gneisenau. Die allmähliche Revision dieser Position in der historischen Forschung führte schließlich so weit, dass Peter Hofschröer Müffling als einen der fähigsten Generalstabsoffiziere der preußischen Armee charakterisierte, der einer der Architekten des alliierten Sieges von Waterloo gewesen sei. 2 Dies zeichnet der Bearbeiter in der Einleitung nach, die auch knappe Hinweise zu den Editionsprinzipien enthält (S. 8). Dem schließt sich eine instruktive Kurzbiografie (S. 8-31) an, die durch eine Zusammenstellung der Müfflingschen Auszeichnungen sowie eine Bibliografie seiner Veröffentlichungen ergänzt wird. 3Den Hauptteil bildet die chronologisch gegliederte Edition der Erinnerungen, denen ein Dokumentenanhang sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis folgen. Ein Namensindex mit geografischen und Personennamen rundet den Band ab.

Die vorliegende Edition wurde durch den Bearbeiter aus drei verschiedenen Quellen kompiliert. Den Grundstock bilden die 1851 erstmals erschienenen Erinnerungen „Aus meinem Leben“ und der 1855 im Militärwochenblatt gedruckte „Auszug aus den hinterlassenen Papieren“, der auch in die zweiten Auflage der Erinnerungen von 1855 übernommenen wurde. Diese Teile wurden chronologisch geordnet, teils mit neuen Überschriften untergliedert und um weitere Auszüge aus dem im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrten Nachlass Müfflings ergänzt, die von ihm ursprünglich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Hierbei hätte sich der Rezensent einige weiter reichende Anmerkungen zur Komposition der Textedition gewünscht, die sich so nur aus den Fußnoten erschließen lassen. Die aus den Archivalien ergänzten Teile betreffen vor allem die Tätigkeit Müfflings als Kartograf, die Neugestaltung des Generalstabes (den er seit 1821 leitete), seine Sendungen nach Konstantinopel und St. Petersburg, das Kapitel „Militär und Politik“, Müfflings Tätigkeiten als Kommandierender General des VII. Armeekorps in Münster (seit 1829) und ab 1838 als Gouverneur von Berlin und Präsident des Staatsrates bis zu seinem Ausscheiden aus beiden Ämtern im Jahr 1847. Die Edition ist sorgfältig kommentiert und bietet neben Literaturhinweisen auch Verweise auf Archivalien.

Die Memoiren Müfflings sind ein Spiegelbild seiner vielseitigen Interessen und Fähigkeiten, die – gepaart mit seiner konservativen Grundhaltung, seinen innovativen Ideen, seiner literarischer Begabung und einem zu Opulenz neigenden Lebensstil – die Einordnung dieser Persönlichkeit so schwierig gestalten. Neue Fakten bieten sie, wie der Bearbeiter in der Einleitung hervorhebt, auch in ihren bislang unveröffentlichten Teilen kaum. Ihr Wert liegt vielmehr in der „Selbstvergewisserung“ und „zeitbedingte(n) Selbstverortung“ des Autors (S. 7). Vor allem vor dem Hintergrund des anhaltenden Interesses an Selbstzeugnissen bilden sie eine kulturgeschichtliche Quelle von hohem Rang für die Epoche Preußens zwischen Reform und Revolution.

Diese Dimension verdient um so mehr Beachtung, als man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass Goethe die Person Müfflings als Vorlage für die Gestalt des Hauptmanns in seinen Wahlverwandtschaften nutzte, in denen ein „fiktiver Romanhauptmann nur Hauptmann Müfflings Taten für Sachsen-Weimar-Eisenach“ simuliert (S. 12). 4 Paradigmatisch zeichnet Goethe diesen modernen Offizier, der als eine der Grundlagen für die gravierenden Veränderungen des Kriegswesens der napoleonischen Epoche nicht nur über die Fähigkeiten der topografischen Landvermessung verfügt, sondern sich auch Verdienste um das Archivwesen, die allgemeine Verwaltung und die Hebung des Bildungsstandes erwirbt. In der Realität war Müffling, der 1806 in das Korps des Herzogs von Weimar versetzt worden war, nach der Niederlage der preußischen Armee von 1808 bis 1813 als Geheimer Rat und Vizepräsident der Domänenkammer am Weimarer Hof beschäftigt, wo er mit Landesvermessung, Straßenbau, Neuorganisation der Finanz- und Militärverfassung und der ständischen Verfassung betraut war.

Die besondere organisatorische und technische Leistung Müfflings, die im raschen Aufholen der Rückständigkeit Preußens in Bezug auf das topographische Kartenwesen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand und ihren Niederschlag in der ersten von ihm erlassenen „Instruction für die topographischen Arbeiten des Königlich Preußischen Generalstabes“ von 1821 fand, ist vor allem von kartographischer Seite ausführlich gewürdigt worden. 5 Von seinen zahlreichen Interessen, vor allem aber auch von seiner literarischen Begabung legen seine Erinnerungen beredtes Zeugnis ab, die neben ihrem kulturgeschichtlichen Quellenwert durch die eigenständige Charakterisierung ihn umgebender Personen und Ereignisse auch eine kurzweilige, bisweilen amüsante Lektüre bieten. Die vorliegende neue und sorgfältige Edition der Erinnerungen Müfflings bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen - nicht nur im militärhistorischen Kontext, mit dem der Autor gängigerweise in Verbindung gebracht wird. Sie ist auf jeden Fall dem Reprint vorzuziehen.

Anmerkungen:
1 Die Erinnerungen Müfflings sind auch als Reprint der ersten Ausgabe von 1851 erhältlich: Müffling, Friedrich Carl Ferdinand Freiherr v., Aus meinem Leben, Hamburg 2000.
2 The memoirs of Baron von Müffling: a Prussian officer in the Napoleonic wars. New introd. by Peter Hofschröer (=Napoleonic library 31), London 1997.
3 Ergänzend wäre hier lediglich ein Verweis auf die beiden als Reprint lieferbaren Titel aus Müfflings Feder hinzuzufügen. Siehe Anm. 1 sowie Ders., Betrachtungen der großen Operationen und Schlachten der Jahre 1813 und 1814 (Reprint der Ausgabe Berlin 1825), Hamburg 2000.
4 Hierzu unter anderem: Kittler, Friedrich A., Ottilie Hauptmann, in: Ders. (Hg.), Dichter – Mutter – Kind, München 1991, S. 119-148; S. 139.
5 Zum neuesten Stand siehe den leider etwas entlegen publizierten Band: Müfflings Leben und Werk aus der Sicht der Gegenwart: Wissenschaftliches Gedenk-Kolloquium zum 150. Todestag des Philipp Friedrich Karl Ferdinand Freiherr von Müffling am 09. November 2001 im Rathaus zu Erfurt, Fachinformationsblatt, Deutscher Verein für Vermessungswesen, Landesverein Thüringen 4 (2002).

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