Cover
Titel
Creating Germans Abroad. Cultural Policies and National Identity in Namibia


Autor(en)
Walther, Daniel Joseph
Erschienen
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
$26.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Zeller, Berlin

Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Namibias (vormals Südwestafrika) sind wiederholt Gegenstand ethnologischer und historischer Untersuchungen gewesen. Nachdem zahlreiche Studien über die Ovambo, San, Herero, Himba, Nama oder die Rehobother Baster erschienen sind, gilt in den letzten Jahren das Interesse verstärkt auch den Namibia-Deutschen. Eine der neueren Arbeiten über die ehemaligen Kolonialherren des Landes stammt von Daniel Joseph Walther, die dieser 1996 als Dissertation an der Universität von Pennsylvania/USA eingereicht hat. Unterteilt in zwei Kapitel, 1894-1919 und 1919-1939, befasst sich Walther mit der nationalen Identitätsbildung der deutschsprachigen Siedlergesellschaft.

Detailliert schildert der Autor die Bemühungen der ‚Südwester-Deutschen‘, sich als ethnische Gruppe zu konstituieren. Obwohl nie eine homogene Gruppe, wurde das Deutschtum zur Kolonialzeit vor dem Ersten Weltkrieg vornehmlich mit einer hart arbeitenden, sparsamen, protestantisch-agrarisch geprägten Mittelstandsklasse identifiziert, die sich nationalen Werten und einer Hingabe an den Kaiser verpflichtet fühlte. Dazu gehörte ein vulgärer Rassismus und ein gegenüber den „Eingeborenen“ fest verankertes Überlegenheitsgefühl. Um die deutsche Kultur in der fremden Umgebung als dominante Kultur durchzusetzen, machten sich die Vordenker in den Kolonialkreisen nicht nur Gedanken über die Auswahl des „Siedlermaterials“, sondern propagierten mit Nachdruck die Einwanderung von deutschen Frauen. Als „Kulturträgerinnen“ und „Hüterin der Rassenreinheit“ sollten sie dem deutschen Manne zur Seite stehen und verhindern, dass dieser sich mit afrikanischen Frauen einlässt und „Mischlingskinder“ zeugt, damals eine unerwünschte, wenngleich gängige Praxis.

Um den „deutschen Charakter“ der Kolonie für die Zukunft zu bewahren, galt ein besonderes Augenmerk der Einrichtung eines formalen Schulsystems für die deutschen Kinder - die alles in allem bescheidenen Erziehungsmaßnahmen für die afrikanische Jugend delegierte die Kolonialverwaltung an die Missionen. Dabei war die Förderung der deutschen Sprache als wesentlicher Bestandteil kultureller Identität oberste didaktische Zielsetzung. Die Einführung des Faches „Heimatkunde“ sollte ein gemeinsames „vaterländisches“ Geschichtsbild vermitteln, um einerseits die Loyalität zu „Südwest“ und andererseits zum Mutterland zu stärken. Um dem kolonialen Raum ein deutsches Gepräge zu geben, wurde die afrikanische „Wildnis“ mit deutschen Namen, mit technischer Infrastruktur und typisch deutscher Architektur besetzt. Nicht zuletzt fungierten auch die zahlreich in Südwestafrika errichteten Kriegerdenkmäler als Symbole deutscher Vormachtstellung. Walther diagnostiziert eine hybride Identitätsbildung, welche das Deutschtum mit einer starken Dosis Südwestertum vermischte.

Alle Anstrengungen, die Siedlungskolonie zu germanisieren wurden nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hinfällig. Walther zeigt die Situation der Deutschen unter der neuen südafrikanischen Mandatsverwaltung auf, welche sich alles in allem äußerst nachsichtig gegenüber der besiegten Kolonialmacht verhielt. Nur ca. die Hälfte der etwas mehr als 13.000 Deutschen, die vor 1914 in der Kolonie gelebt hatten, wurden repatriiert. Und obwohl Mitte der 1930er-Jahre deren Zahl wieder auf knapp 10.000 angestiegen war, veränderte sich durch die nun einsetzende Einwanderung von Buren aus Südafrika die demografische Struktur dahingehend, dass die deutschsprachigen Südwestafrikaner nur noch eine geduldete Minorität unter den Weißen waren. Sich unter der Buren-Regierung als „Bürger zweiter Klasse“ fühlend, begannen die einstmaligen Herren des Landes trotzig das Eigene zu verteidigen. Im „Dienste deutschen Volkstums“ setzten sie sich für ihrer Privilegien als Weiße ein, für den Erhalt deutscher Schulen und der deutschen Sprache, immer getrieben von der Furcht, assimiliert zu werden. Die Parole lautete, nicht zu „verburen“. Die Identitätsbehauptung erfolgte durch politische Zusammenschlüsse wie den 1924 gegründeten „Deutschen Bund“, ein deutsches Vereinsleben und eine ausgeprägte Traditionspflege. Die in diesem Rahmen begangenen Gedenktage waren nicht frei von imperialer Nostalgie. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 hegten die allermeisten Südwester Sympathien für die neuen Machthaber im Reich, von denen sie sich die Lösung der offenen Kolonialfrage erhofften.

All dieses und weiteres mehr vermag Walther in seinem Buch durchaus angemessen darzustellen. Nur wird man den Eindruck nicht los, dass man das alles irgendwo schon einmal gelesen hat, zumal wenn man die einschlägigen Arbeiten des Nationalismusforschers Klaus H. Rüdiger 1 und der Volkskundlerin Brigitta Schmidt-Lauber 2 heranzieht. Walthers Studie bietet, so ist zu resümieren, trotz mancher, bisher kaum bekannter Details wenig neue Erkenntnisse. Zudem sind die analytischen Elemente insgesamt zu kurz geraten. Einleitend werden zwar anspruchsvolle Theoriekonzepte wie das der “Imagined Communities” von Benedict Anderson zitiert, aber nicht weiter aufgegriffen und vertieft. Ein Blick ins Quellenverzeichnis offenbart, dass Walther lediglich Quellen aus dem Bundesarchiv Potsdam (heute Berlin-Lichterfelde), nicht aber auch aus den Archiven in Namibia ausgewertet hat.

Ein besonderes Problem dieser Studie liegt darin, erst lange Jahre nach ihrer Fertigstellung publiziert worden zu sein, was sich zu Lasten ihrer wissenschaftlichen Aktualität auswirkte. Die wie erwähnt 1996 abgeschlossene Arbeit wurde bis 1999 noch einmal überarbeitet, benötigte aber weitere drei Jahre bis zu ihrer Drucklegung. So fehlt im Literaturverzeichnis manche wichtige neuere Publikation. Da vermisst man die zweite Untersuchung von Brigitta Schmidt-Lauber 3, das Buch von Jürgen Zimmerer 4 über die „Eingeborenenpolitik“ in Deutsch-Südwestafrika. Aber auch die jüngst erschienene Literatur zur kolonialdeutschen Erinnerungskultur ist nicht erfasst.5 Unverständlich ist, warum ein Autor wie Henning Melber 6 fehlt, der u.a. auch die Bedeutung des Kolonialkrieges gegen die Herero und Nama (1904-1908) problematisierte. Auf diesen, in einem Völkermord geendeten Kolonialkrieg - er jährt sich 2004 zum hundertsten Mal - geht Walther leider nur am Rande ein. Das Buch von Walther lohnt trotz alledem die Lektüre, zumal im Hinblick auf das Gedenkjahr 2004. Die zu erwartenden Diskussionen auch und gerade um die Geschichte der Namibia-Deutschen werden sicherlich interessante Einblicke in die Selbst- und Fremdwahrnehmung dieser Minderheit Namibias ergeben.

Anmerkungen:
1 Rüdiger, Klaus H., Die Namibia-Deutschen. Geschichte einer Nationalität im Werden, Stuttgart 1993.
2 Schmidt-Lauber, Brigitta, Die abhängigen Herren. Deutsche Identität in Namibia, Münster 1993.
3 Schmidt-Lauber, Brigitta, „Die verkehrte Hautfarbe“. Ethnizität deutscher Namibier als Alltagspraxis, Berlin 1998. In diesem Kontext wäre etwa auch auf Weinberger, Gerda, An den Quellen der Apartheid, Berlin (Ost) 1975 zu verweisen.
4 Zimmerer, Jürgen, Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia, Münster 2001.
5 Zeller, Joachim, Das Reiterdenkmal in Windhoek/Namibia. Ein deutsches Kolonialdenkmal im Wandel der Zeiten, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9 (1995), S. 773-794; Ders., Kolonialdenkmäler und Geschichtsbewußtsein, Eine Untersuchung der kolonialdeutschen Erinnerungskultur, Frankfurt am Main 2000. Speitkamp, Winfried, Kolonialherrschaft und Denkmal. Afrikanische und deutsche Erinnerungskultur im Konflikt, in: Martini, Wolfram (Hg.), Architektur und Erinnerung, Göttingen 2000, S. 165-190.
6 Von den zahlreichen Arbeiten, die Henning Melber zur Geschichte der Namibia-Deutschen vorgelegt hat, seien hier nur zwei angeführt: Melber, Henning (Hg.), In Treue fest, Südwest. Eine ideologiekritische Dokumentation von der Eroberung Namibias über die deutsche Fremdherrschaft bis zur Kolonialapologie der Gegenwart, Bonn 1984; Ders., Kontinuitäten totaler Herrschaft. Völkermord und Apartheid in „Deutsch-Südwestafrika“, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 1 (1992), S. 91-114. Zu nennen wäre aber auch: Dale, Richard, Reconfiguring White Ethnic Power in Colonial Africa, The German Community in Namibia, 1923-1950, in: Nationalism & Ethnic Politics 7 (2001) 2, S. 75-94. Von den allerdings erst nach Erscheinen von Walthers Buch herausgekommenen Werken besticht: Kundrus, Birthe, Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien, Köln 2003.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension