W. Buchholz, Das Ende der Frühen Neuzeit im Dritten Deutschland

Titel
Das Ende der Frühen Neuzeit im 'Dritten Deutschland'.


Autor(en)
Buchholz, Werner
Reihe
Historische Zeitschrift, Beiheft 37
Erschienen
München 2003: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
196 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Jörn, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Der vorliegende Band wendet sich einem interessanten historischen Problem in vergleichender Perspektive zu und zeigt dabei die Möglichkeiten einer miteinander vernetzten Landesgeschichtsschreibung auf, wie sie sich seit dem Treffen deutscher Landeshistoriker in Greifswald im Jahre 1995 eröffnete. Vollzog man seinerzeit eine Bestandsaufnahme und verständigte sich über Forschungstendenzen 1, so geht dieser Band auf eine Tagung in Meißen anlässlich des 70. Geburtstags Karlheinz Blaschkes im Jahre 1997 zurück. Den zu Bayern (Ferdinand Kramer), Hannover (Ernst Schubert), Mecklenburg (Thomas Rudert), dem Rheinland (Jörg Engelbrecht) und Sachsen (Josef Matzerath) arbeitenden Experten wurde ein Fragemuster vorgegeben, um den Epochenwechsel zwischen Früher Neuzeit und Moderne wissenschaftlich fassen und in den einzelnen Territorien miteinander vergleichen zu können. Dabei geht es ausdrücklich um das Auslaufen frühneuzeitlicher Epochenkonstituenten und nicht um den Versuch, die jeweils ersten Ausläufer der Moderne erkennen zu wollen.

Die für diese Problemstellung relevanten Fragen, an denen sich der Herausgeber auch für Schwedisch-Vorpommern orientierte, stellt Josef Matzerath einleitend vor. Im Einzelnen wurden alle Beiträger aufgefordert, den territorial-politischen Rahmen, die Rolle im Alten Reich, die Beziehungen zu anderen Territorien, Wirtschaftsstrukturen und Prozesse sozialer Ungleichheit, Herrschaftsformen sowie Kultur und Bildungssystem zu skizzieren, und sich abschließend um eine Bilanzierung und Periodisierung der Ausgangsposition beim Übergang ins 19. und 20. Jahrhundert in den verschiedenen Territorien zu bemühen.

Diese Fragen markieren die Eckpunkte eines sehr ambitionierten, reizvollen Programms, das natürlich über weite Strecken nur thesenhaft abgearbeitet werden kann. Bereits auf diese Weise bieten sich aber zentrale Einblicke in die unterschiedlichen Landesgeschichten und legen eine hervorragende Grundlage für einen Vergleich und weitere Forschungen. Auch wenn über einige Fragen sicher gestritten werden könnte – wie etwa misst man europäisches Niveau bei kulturellen Entwicklungen? – ist es ein bleibendes Verdienst des Bandes, diese Fragen aufgeworfen und auf die vorliegende Weise beantwortet zu haben.

Ein methodisches Problem für den angestrebten Vergleich muss natürlich die Auswahl der beteiligten Territorien sein, die im Prozess der Ausbildung von Staatlichkeit unterschiedlich weit fortgeschritten waren. So sieht sich Jörg Engelbrecht vor dem schwierigen Problem, dass das Rheinland im behandelten Zeitraum ebenso wenig wie heute eine staatliche Einheit bildete, sondern aus einer Vielzahl unterschiedlicher Territorien bestand, für die die einzelnen Fragen konsequenterweise abzuarbeiten gewesen wären. Die zahlreichen mittleren, kleinen und Kleinstterritorien, die in drei Reichskreisen organisiert waren und sehr unterschiedlichen politischen Einfluss im Alten Reich besaßen, erhielten erst durch Frankreich bzw. durch Preußen einen einheitlichen staatlichen Rahmen. Umso höher ist es zu bewerten, dass es Engelbrecht gelingt, die Entwicklung in der gesamten Region im Blick zu behalten und angemessen darzustellen.

Einfacher stellte sich die Lage in den anderen Territorien dar, auch wenn dort die Phase der Staatenbildung zu Beginn der behandelten Epoche ebenfalls noch nicht in jedem Falle abgeschlossen war. In Bayern wurde nach langen dynastischen Konflikten, Haus- und Erbfolgeverträgen im Jahre 1806 das Königreich Bayern gegründet. Kurhannover besaß zwar seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts eine gemeinsame Regierung, eine Armee und ein Oberappellationsgericht, die aber die provinziale Vielfalt nur überwölbten, die in den zum braunschweigischen Herrschaftskomplex hinzugewonnenen Herzogtümern Grubenhagen, Bremen und Verden, den Grafschaften Diepholz und Hoya und dem Fürstentum Lüneburg herrschte und die sich in eigenen Ständevertretungen, provinzialen Sonderrechten und Steuerbehörden spiegelte. Vor ähnliche Probleme sah sich Kursachsen gestellt, das aus dem Herrschaftsgebiet der Albertinischen Wettiner bestand, zu Beginn der Frühen Neuzeit ein wichtiges Kurfürstentum mit großem Einfluss im Reich und im Obersächsischen Reichskreis, im behandelten Zeitraum dagegen nur noch ein Mittelstaat war, der seine Eigenstaatlichkeit gegenüber Preußen verteidigen musste. Auch wenn Kursachsen im Wesentlichen seit 1485 in dieser Form bestand und nur im Jahre 1635 um die Ober- und Niederlausitz ergänzt wurde, hatten die Lausitzen doch auch im Untersuchungszeitraum ihre eigenen Landtage behalten, die Bildung eines Gesamtstaates war also auch hier noch nicht abgeschlossen. Mecklenburg war 1701 im Ergebnis des Hamburger Vergleichs in die souveränen Herzogtümer Schwerin und Strelitz geteilt worden, die Landstände hatten diese Teilung jedoch nicht mitvollzogen. Erst im 19. und 20. Jahrhundert bildeten sich „partiell verschiedene Bündnisorientierungen“ (S. 63) heraus – Rudert gelingt es in seiner Darstellung souverän, die unterschiedlichen Interessen zwischen Herzögen und Landständen darzustellen.

Von der Größe und der politischen Bedeutung des Territoriums her scheint die Einbeziehung Schwedisch-Vorpommerns in den Vergleich problematisch. Anders als im Titel und in der Kopfzeile des Beitrags angekündigt, bezieht sich Buchholz nicht auf Pommern in Gänze, sondern auf den kleinen, schwedisch beherrschten vorpommerschen Landesteil, der nach 1720 im Alten Reich weitgehend bedeutungslos war, und lässt den weitaus wichtigeren, preußisch beherrschten Landesteil unbeachtet. Angesichts des vergleichsweise schlechten Forschungsstandes zu den pommerschen Herzogtümern ist dieses Vorgehen jedoch gerechtfertigt.

Allein die Beantwortung der harmlos anmutenden ersten Frage zeigt somit die Kompliziertheit und Komplexität, die dem Vergleich so unterschiedlicher Territorien innewohnt. Es erfreut, dass sich die Beteiligten nicht dahinter versteckt haben, dass die Aufgabe allein aus diesem Grund unlösbar sei, sondern sie beherzt in Angriff genommen haben. Es macht unbestritten den Reiz dieses Bandes aus, zu sehen, auf welch unterschiedliche Weise sich die einzelnen Autoren den aufgeworfenen Problemen nähern. Allein die Frage nach der Reichsnähe oder –ferne löst interessante Diskussionen aus. So konstatiert Engelbrecht trotz der Existenz von vier Kurfürsten in der von ihm untersuchten Region die Reichsferne des Rheinlandes, während Buchholz für Schwedisch-Vorpommern nach 1720 die starke Annäherung an das Reich als Schutz vor preußischen Expansionsgelüsten bzw. für die Landstände als Garanten für deren starke Stellung im Herzogtum darstellt. Letzteres stellt auch Rudert für die mecklenburgischen Landstände fest. Schubert misst die Nähe zum Reich u.a. an der Reichspublizistik, die an der Universität Göttingen entstand. Matzerath geht auf das Verhältnis zum Reich nicht explizit ein, sondern betont nur, Kursachsen habe alle Anstrengungen unternommen, im Rahmen des Reiches seine Eigenständigkeit zu behaupten. Wesentlich selbstbewusster präsentierte sich dagegen Bayern: das Reich war in seiner Politik ein wesentlicher Bestandteil, Reichstreue ein politisches Leitbild, Karl VII. als letzter Wittelsbachscher Kaiser in lebendiger Erinnerung. Einigend ist allen Territorien die bewahrende, stabilisierende Funktion des Reiches für die frühneuzeitliche Verfassungsstruktur.

Ähnlich unterschiedlich ist das Herangehen der Autoren auch bei den anderen Problemen – so sehr man sich auch dem Fragenkatalog verpflichtet fühlt, so unterschiedlich sind der Forschungsstand zu den untersuchten Territorien und der individuelle Zugriff auf die aufgeworfenen Fragen. Entsprechend schwierig ist die Aufgabe des Herausgebers, eine vergleichende Analyse und Synthese des Endes der Frühen Neuzeit im „Dritten Deutschland“ zu versuchen. Abweichend von den durch Matzerath vorgestellten Kriterien vergleicht Buchholz zunächst den Zustand in den sechs Regionen vor Beginn der Reformen des aufgeklärten Absolutismus miteinander, prüft dann, zu welchen Veränderungen diese Reformen führte. In einem dritten Schritt analysiert er schließlich „die zugrundeliegenden wirtschaftlichen und sozialen Prozesse, die das Ende der Frühen Neuzeit auf einer tiefer liegenden Strukturebene kennzeichnen“ (S. 169). Er stellt drei Phasen des Übergangs von der Frühen Neuzeit zur Moderne fest, kann sie jedoch nicht an allen beteiligten Territorien nachweisen. So konstatiert er eine von der Aufklärung geprägte Reformphase in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, an die sich eine Phase der „Veränderungen und Umstrukturierungen der Landesverfassung sowie der Administration anschließt“, in der u.a. die landständische Verfassung als Strukturmerkmal aufgehoben und durch ein besitzständisches Repräsentativsystem ersetzt wird (mit Ausnahme Mecklenburgs und mit erheblicher zeitlicher Verzögerung in Kursachsen). Begleitet werden diese Reformen im politisch-administrativen Bereich von einem „zeitlich parallel laufenden, teils sich anschließenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft“ (S. 169). Er stellt u.a. fest, dass der Umbruch, der in allen behandelten Territorien an der untersuchten Epochengrenze stattfand, sehr stark von Frankreich aus beeinflusst und geprägt worden ist, „wobei sich die äußeren Einflüsse mit den bereits vorhandenen inneren Tendenzen des Wandels zu einem jeweils landesspezifischen Transformationsprozeß verbanden“ (S. 181). Dieser Satz könnte als Quintessenz des gut redigierten Bandes stehen. Es bleibt zu hoffen, dass sich interessierte Landesgeschichtler erneut zusammenfinden, um zu anderen Epochen ebenso gehaltvoll zusammenzuarbeiten.

Anmerkung:
1 Buchholz, W. (Hg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandaufnahme-Analyse-Perspektiven, Paderborn 1998.

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