D. Krüger u.a. (Hgg.): Konspiration als Beruf

Titel
Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg


Herausgeber
Krüger, Dieter; Wagner, Armin
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfriede Otto, Historische Kommission der PDS, Berlin

Spannung wie in einem Krimi haben Geheimdienstgeschichten des Kalten Krieges wohl immer an sich. In „Konspiration als Beruf“ definieren sich solche Geschichten über Biografien. Elf ausgewiesene Autoren stellen die Porträts von elf unterschiedlichen und einflussreichen Dienstherren der Konspiration vor. Gestützt auf eigene Forschungen und einschlägige Fachliteratur sind Bekannte wie Vergessene verschiedener geheimer Dienste Forschungsobjekt: vom Ministerium für Staatssicherheit (fünf Porträts), der Militärabwehr in der Nationalen Volksarmee (ein Porträt) bis zu Akteuren der Organisation Gehlen und des Bundesnachrichtendiensts in der Bundesrepublik (zwei Porträts), des Bundesamt für Verfassungsschutz in der Bundesrepublik (BfV) (zwei Porträts) und der Abwehr im Amt Blank (ein Porträt). Außer Betracht bleiben wegen der schlechten Quellenlage Chefs des MAD, des Militärischen Abschirmdienstes der Bundeswehr, so die Autoren. Leserfreundlich und sachlich geschrieben, spiegeln die biografischen Milieus den wechselseitigen Zusammenhang von Politik und Geheimdienst wie auch den Einfluss der Geheimdienste im Kalten Krieg wider. Es fallen Legenden und mystische Verschleierungen, die sich alle Geheimdienste leisteten.

Sich dem Dschungel politisch gegensätzlicher Geheimdienste zuzuwenden, deren Unterschiede, Parallelitäten und Hauptverantwortlichen historisch nachzugehen, hat sich in neueren Publikationen einen festen Platz erobert. „Konspiration als Beruf“ bringt sich in die Reihe bekannter vergleichender Literatur ein wie der von: Janusz Piekalkiewicz, Weltgeschichte der Spionage; Peter-Ferdinand Koch, Die feindlichen Brüder. DDR contra BRD; Wolfgang Krieger und Jürgen Weber, Spionage für den Frieden; Rüdiger Henkel, Was treibt den Spion?; Peter F. Müller und Michael Mueller, Gegen Freund und Feind; Wolfgang Krieger, Geheimdienste in der Weltgeschichte. 1 Zugleich steht das Buch für ein eigenes Herangehen.

Mit dem Vorwort von Dieter Krüger und Armin Wagner vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam sowie mit der Auswahl der Porträtierten, die durchweg von generationstypischen historischen Zäsuren des vergangenen Jahrhunderts geprägt wurden, werden gleichzeitig gewisse Schlaglichter auf die Entwicklung des deutschen Geheimdienstes von seinen Anfängen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts geworfen. Ein Mini-Exkurs skizziert Stationen wie den Aufbau einer „Geheimen Feldpolizei“ und eines „Central-Nachrichtenbüros“ zu Bismarcks Zeiten, die Modernisierung geheimdienstlicher Arbeit mit der Expansion der militärischen Aufklärungsapparate während des Ersten Weltkriegs, die Entwicklung von Staatsschutz und Inlandaufklärung in der Weimarer Republik wie auch den Weg zur Zentrale Reichssicherheitshauptamt und den Apparat von Wilhelm Canaris. Eingeordnet in den Jahrhundert- beziehungsweise Epochenkonflikt, der als „Konflikt der Ideologien“ (S. 12) und mit dem Charakteristikum beschrieben wird, dass „sowohl der demokratische Kapitalismus als auch der totalitäre Kommunismus [...] gesellschaftlich-ideologische Ordnungsvorstellungen mit universalem Geltungsanspruch“ (S. 17) waren, werden Genesis und Ausbau der Geheimdienste nach 1945 in den Westzonen und in der Bundesrepublik sowie in der Ostzone und in der DDR nachgezeichnet.

Methodisch wird von neueren Ansätzen der Geschichts- beziehungsweise Biografienforschung ausgegangen. Einerseits widerspiegelt sich in der Auswahl der Biografien das Prinzip der Parallelgeschichte. Im historischen Kontext erscheinen das Gegeneinander-Antreten der Geheimdienste im Kalten Krieg, beeinflusst von den jeweiligen Siegermächten und deren Diensten, insbesondere des amerikanischen und des sowjetischen, der Militarisierung des Ost-West-Konflikts, der Einbindung der beiden deutschen Staaten in den jeweiligen politisch-militärischen Block und der Neuen Ostpolitik. Die Typologie der geheimen Dienste folgt dem Muster „Demokratie und Diktatur“ (S. 7/8). Andererseits nähert sich die Auswahl und Betrachtung der Personen Wilhelm Zaisser, Friedrich Wilhelm Heinz, Richard Stahlmann, Fritz Tejessy, Karl Linke, Otto John, Ernst Wollweber, Reinhard Gehlen, Erich Mielke, Gerhard Wessel, Markus Wolf 2 dem Prinzip vergleichender Geschichte an. Zugrunde gelegt wurden Fragen, die für alle Biografien auf gleichlautende Problemstellungen orientierten: die „Phase der Prägung“ im Zeitalter der Weltkriege und die „Phase der Wirksamkeit“ im Kalten Krieg (S. 29); Herkunft und Familie sowie Einbindung in „rechts- oder linksradikale Milieus“; die Frage nach dem Dienst auf den Schlachtfeldern, aber auch nach dem Verhältnis zu Nationalsozialismus, Stalinismus und Demokratie.

Das Rollenspiel einiger Personen wie von Reinhard Gehlen, Otto John, Erich Mielke und Ernst Wollweber ist vielleicht manchen Leser bekannt. Dennoch, das historisch-politische Aufgebot von gemischter Auswahl, geschichtlichem Umfeld, individuellen Lebensstationen, Brüchen und Kontinuitäten, Unterschieden und Wechselbeziehungen sollte man sich nicht entgehen lassen. So Zaissers politische Weltenwanderung vom euphorisch eingestimmten königlich-preußischen Offizier zum charismatischen Kommunisten und zum Sicherheitsminister, der 1953 als Gegenspieler Ulbrichts abgesetzt wurde (Helmut Müller-Enbergs). Reflexionen auf grandiose Herrschaftskarrieren bieten die völlig entblätterte Figur Gehlens vom Spionagegeneral Hitlers, Retter des militärisch-sicherheitspolitischen Know-Hows und Spitzenbeamten Adenauers, in dessen Abstiegsszenario Gehlen selbst geriet (Dieter Krüger), oder die Vorstellung des ambitionierten Mielke vom Attentat auf dem Bülow-Platz 1931 bis zum Ende seines fünf Jahrzehnte langen Tschekismus mit der Niederlage des staatssozialistischen Systems (Jens Gieseke). Zusammenhänge zwischen Lebensläufen und Struktur- sowie Methodenwandel der Apparate wie von Gehlen zu BND-Präsident Wessel (Dieter Krüger), von Staatssicherheitsminister Zaisser (Helmut Müller-Enbergs) zum Staatssekretär und Minister für Staatssicherheit Wollweber (Roger Engelmann) sowie von Stahlmann (Matthias Uhl) zu Wolf (Karl Wilhelm Fricke) spiegeln sich wider. Fricke geht dabei zugleich auf den rechtlichen Umgang mit der Spionageproblematik im vereinten Deutschland ein. Interessante, neue Tatsachen kann der Leser finden u.a. Stahlmanns Kämpferleben (Mathias Uhl) und Linkes Sturz durch eine raffinierte Operation der CIA (Central Intelligence Agency) (Armin Wagner) betreffend. Auch Frontenwechsel von Konspirateuren fehlen nicht, so mit den Biografien über John und seinem spektakulären „Übertritt“ als Präsident des BfV in die DDR 1954 (Bernd Stöver) und über den Konfidenten der Mörder von Luxemburg und Liebknecht und ewigen Verschwörer von rechts Heinze (Susanne Meinl). Tejessy, erster Verfassungsschutzchef in Nordrhein-Westfalen (Wolfgang Buschfort), sticht davon ab mit seinem demokratischen Verfassungs- und Rechtsempfinden. Sozial gesehen, sind es die Söhne von Pastoren, Gendarmen und Kaufleuten, aber auch von Ärzten, Schriftstellern und wilhelminischen Bürgern, die eine Geheimdienstkarriere begannen.

Bedauerlich ist, dass für die Forschung immer noch keine BND-Akten zur Verfügung stehen, was auch für die Buchautoren hinderlich war. Manche Wertung im Gegeneinander der Geheimdienste, deren Erfolge und Mißerfolge, wären somit auch relativierend zu lesen. Ähnliches ergibt sich auch aus dem fehlenden Zugang zu russischen Akten. Obwohl die Publikation Sachverhalten den Vorzug gibt, dürfte manches bei dem einen oder anderen Leser Diskussionsbedarf auslösen. So zum Beispiel wenn für den Spanienkrieg allein der Begriff Stellvertreterkrieg (S. 14) eingeführt wird und damit der Einsatz der Spanischen Volksarmee, nach Literaturangaben 1938 mit immerhin 750.000 Mann, und das Nichteingreifen der westlichen Großmächte ausgeklammert bleiben. Einzelheiten sind immer spannend zu lesen, scheinen jedoch manchmal etwas überhöht eingeordnet zu sein. Einige Jahreszahlen mehr wären hin und wieder wünschenswert gewesen.

Komplettiert wird die Publikation mit einem Anhang. Er enthält eine Übersicht über deutsche Geheimdienstchefs 1950-1990, zu jeder Biografie die Zitatenbelege und eine Einschätzung benutzter Literatur sowie ein Abkürzungsverzeichnis und Personenregister.

Anmerkungen:
1 Piekalkiewicz, Janusz, Weltgeschichte der Spionage. Agenten – Systeme- Aktionen, Mit einem Geleitwort von Dr. Richard Meier, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz a. D., München 1988; Koch, Peter-Ferdinand, Die feindlichen Brüder. DDR contra BRD, Eine Bilanz nach 50 Jahren Bruderkrieg, Bern 1994; Krieger, Wolfgang; Weber, Jürgen (Hgg.), Spionage für den Frieden? Nachrichtendienste in Deutschland während des Kalten Krieges, München 1997; Henkel, Rüdiger, Was treibt den Spion? Spektakuläre Fälle von der „Schönen Sphinx“ bis zum „Bonner Dreigestirn“, Berlin 2001; Müller, Peter F.; Mueller, Michael, Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte, Reinbek bei Hamburg 2002; Krieger, Wolfgang (Hg.), Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart, München 2003.
2 Wilhelm Zaisser (1893-1958), erster Minister für Staatssicherheit in der DDR 1950-1953; Friedrich Wilhelm Heinz (1899-1968), Abwehrchef des Amtes Blank; Richard Stahlmann (1891-1974), stellvertretender bzw. kommissarischer Leiter des Außenpolitischen Nachrichtendienstes der DDR 1951-1953; Fritz Tejessy (1895-1964), Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen 1949-1960; Karl Linke (1900-1961), Leiter des Militärischen Nachrichtendienstes der DDR 1952-1957; Otto John (1909-1997), erster Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950-1954; Ernst Wollweber (1898-1967), Staatssekretär bzw. Minister für Staatssicherheit in der DDR 1953-1957; Reinhard Gehlen (1902-1979), Chef der Organisation Gehlen 1946-1956 und Präsident des Bundesnachrichtendienstes 1956-1968; Erich Mielke (1907-2000), Staatssekretär für Staatssicherheit 1950-1957 und Minister für Staatssicherheit der DDR 1957-1989); Gerhard Wessel (1913-2002), Präsident des Bundesnachrichtendienstes 1968-1978; Markus Wolf (1923), Leiter der Hauptabteilung bzw. Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit 1953-1986.

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