G. Manuwald: Pacuvius, summus tragicus poeta

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Titel
Pacuvius, summus tragicus poeta. Zum dramatischen Profil seiner Tragödien


Autor(en)
Manuwald, Gesine
Reihe
Beiträge zur Altertumskunde 191
Erschienen
München 2003: K.G. Saur
Anzahl Seiten
189 S.
Preis
€ 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Kruschwitz, Corpus Inscriptionum Latinarum, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin

Mit den Fragmenten der lateinischen Tragödie des 3. und 2. Jahrhunderts v.Chr. kommen Lateinschüler nie, Lateinstudenten nur selten und gegebenenfalls eher oberflächlich in Berührung. Curricula und die Interessen der Lehrenden und Lernenden haben in der Regel andere Schwerpunkte (was nicht als Vorwurf, sondern lediglich als Zustandsbeschreibung aufgefasst werden möge). Konfrontiert man Lateinstudenten mit den tragischen Fragmenten eines Ennius, Pacuvius oder Accius, um nur die drei bedeutendsten der frühen Tragiker zu nennen, so machen diese hier ästhetische Erfahrungen, die ihnen ansonsten bei der Befassung mit der lateinischen Sprache und Literatur nicht selten verwehrt bleiben: Sie werden mit einer hochgradig pathetischen, kräftigen, klang- und stimmungsvollen Sprache und einem poetischen Kunstwollen konfrontiert, das in der übrigen lateinischen Dichtung seinesgleichen sucht.1 Es handelt sich bei den Fragmenten vorwiegend um Bruchstücke einer Gattung, die aus der griechischen Mythologie allgemein und der griechischen Tragödie speziell schöpfte, diese Stoffe rezipierte, um daraus schließlich etwas ganz eigenes zu schaffen. Noch Horaz spricht von dem hohen Ansehen, in welchem die republikanische Tragödie zu seiner Zeit stand.

In den letzten zehn Jahren hat im deutschsprachigen Raum die Beschäftigung mit der römisch-republikanischen Tragödie erheblich zugenommen. Nach Otto Ribbecks "Die römische Tragödie im Zeitalter der Republik" (Leipzig 1875) erschien 1994 mit Klaus Lennartz’ Dissertation "Non verba sed vim. Die Fragmente archaischer römischer Tragiker" (Stuttgart 1994) erstmals wieder eine Monografie über die römischen Tragiker. Die jüngsten Veröffentlichungen zur römischen Tragödie in Buchform stammen schließlich aus dem von Eckard Lefèvre geleiteten latinistischen Teilprojekt "Konstitution und Konstruktion von Identität und Alterität in der römischen Literatur der Republik, insbesondere der Tragödie" im (inzwischen beendeten) Sonderforschungsbereich 541 "Identitäten und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität" an der Ludwig-Alberts-Universität Freiburg: Im Jahre 2000 erschien der von Gesine Manuwald herausgegebene Sammelband "Identität und Alterität in der römischen Tragödie" (Würzburg 2000). Weiterhin sind insbesondere Gesine Manuwalds Band über die Fabula Praetexta (München 2001) sowie der ebenfalls von ihr zusammen mit Stefan Faller herausgegebene Sammelband "Accius und seine Zeit" (Würzburg 2002) zu nennen. Eine ordentliche Zusammenfassung des Wissens über die antike Tragödie aus der Feder von Ekkehard Stärk findet sich schließlich auch im unlängst erschienenen, von Werner Suerbaum herausgegebenen ersten Band des neuen Handbuchs der Lateinischen Literatur (München 2002, S. 150ff.).

Klaus Lennartz schrieb 1994 in der Vorbemerkung zu seiner Monografie (S. 7): "Die Untersuchungen sind nicht immer leicht verdaulich. Der Leser findet vieles in Klammern hinzugestellt, im deutschen oder auch im lateinischen Text: Der Grund für diesen hin und wieder vielleicht ermüdenden 'Informationsstau' liegt in der anfangs erwähnten Mißachtung, der die archaischen Tragiker [...] anheimgefallen sind [...]: Ich mußte also manches berühren, um sowohl textkritisch-metrisch als auch deutungsgeschichtlich möglichst den heutigen Stand der Forschung zu bieten." In der Tat ist der Stand der Editionen und Kommentare zu den archaischen Tragikern (wenigstens teilweise) verheerend und es bleibt dringend zu hoffen, dass in absehbarer Zeit ein lateinisches Pendent zu den Tragicorum Graecorum Fragmenta zur Verfügung stehen wird, wie es derzeit von Markus Schauer an der Freien Universität Berlin vorbereitet wird.

Vor diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund ist das hier anzuzeigende Buch von Gesine Manuwald über Pacuvius (ca. 220-130 v.Chr.) zu sehen. Die Autorin hat sich, wie dargestellt, bereits mehrfach über die römische Tragödie geäußert, und ihre Vertrautheit mit dem Stoff ist dem Pacuviusbuch durchwegs anzumerken. Die Lektüre des Haupttextes gestaltet sich angenehm flüssig, die Fußnoten zeugen angesichts ihrer Anzahl und ihres Gehalts für einen hohen Grad der Kenntnis von Sekundärliteratur. Das Buch gliedert sich in vier Hauptabschnitte, denen ein umfangreiches Literaturverzeichnis, eine Konkordanz der verschiedenen Ausgaben, ein Stellenregister sowie eine englischsprachige Zusammenfassung folgen (wovon letzteres im anglophonen Raum sicher mit Beifall aufgenommen werden wird). Ein Sachregister fehlt bedauerlicherweise. Nach der theoretisch gehaltenen Einführung (A) äußert sich Manuwald zur Auswahl der Stoffe durch Pacuvius (B) und zu dessen dramatischer Technik (C), untergliedert in (I.) die von Pacuvius thematisierten Bereiche (Beziehungen, Herrschaft, Werte, Religion und Philosophie) und (II.) formale Elemente (Realismus der Darstellung, szenische dramatische Effekte und stilistische Gestaltungsmerkmale). Am Schluss steht ein Abschnitt mit Schlussfolgerungen und Hypothesen (D), insbesondere zur Datierung.

Hinsichtlich der dramatisierten Mythen kommt Manuwald zu der Auffassung, dass von Pacuvius nicht - wie bislang vermutet wurde - besonders seltene, sondern lediglich weniger prominente Stoffe oder Mythenabschnitte als von den großen griechischen Tragödiendichtern umgesetzt wurden. Im Hinblick auf die formalen Elemente meint Manuwald, dass Pacuvius - zumal unter Berücksichtigung des speziellen Zuschnitts seiner Stoffe - insbesondere auf szenisch effektvolle Inszenierungen und thematische Neuheiten geachtet habe. Hierbei sei es ihm aber auch um grundlegendere moralisch-philosophische, religiöse und gesellschaftlich-politische Botschaften gegangen, die er in seinen stark auf (mehr oder weniger gut organisierte und hierarchisch strukturierte) Formen des menschlichen, zumal familiären Zusammenlebens ausgerichteten Stücken habe behandeln wollen.

Dass man nicht in allen Einzelheiten mit der Darstellung zufrieden sein kann, wäre an sich kaum der Rede wert. Es gibt jedoch ein paar allgemeinere Bedenken, die hier geäußert werden sollen:

(I) Zum expliziten Ziel ihres Buches erklärt Manuwald im Vorwort, "die spezifischen Eigenarten von Pacuvius’ Tragödien etwas stärker zu profilieren, wobei bereits vorliegende Forschungsergebnisse zusammengeführt, teilweise neu begründet und ergänzt werden" (S. 9). Insgesamt ist Manuwald dafür zu loben, dass sie es im Rahmen ihrer Darstellung schafft, ein recht einheitliches, im Verhältnis zu früheren Ansätzen plastischeres Bild vom Dichter Pacuvius zu zeichnen. Insofern erfüllt Manuwald durchaus ihr Ziel, "Eigenarten von Pacuvius’ Tragödien etwas stärker zu profilieren". Unklar bleibt allerdings, inwiefern das, was Manuwald über Pacuvius verdienstvoll zusammenträgt, "spezifische" Eigenarten von Pacuvius’ Tragödien sind - dies kann sich doch wohl nur durch den Vergleich mit dem Vorgehen anderer Tragiker herausstellen. In dieser Hinsicht bleibt Manuwald aber grundsätzlich den Beleg schuldig; wobei noch nicht einmal bestritten zu werden braucht, dass sie tendenziell die Sachverhalte aufgrund der Quellenlage angemessen erfasst haben mag. Überspitzt gesagt: Wieso nun ausgerechnet Pacuvius der "beste Tragiker" gewesen ist, wie der aus einem Cicerowort extrapolierte Titel des Buches vorgibt, wird (zumindest für das Empfinden des Rezensenten) nicht hinreichend deutlich.

(II) Es finden sich zudem einige Stellen, an denen die Verfasserin bedauerlicherweise neuere Forschungsliteratur und -ergebnisse nicht berücksichtigt, ohne dass klar wird, ob dies absichtlich geschehen ist oder nicht. Zwei Beispiele mögen genügen: (a) Die wichtige Arbeit von E. S. Gruen 2 scheint überhaupt nicht herangezogen worden zu sein. (b) Zum vermeintlichen Grabepigramm des Pacuvius, das Gellius (1,24,4) überliefert, findet sich bei Manuwald immerhin eine Fußnote (S. 138, Anm. 18). Das Epigramm ist allerdings in jüngerer Zeit mehrfach in der epigrafischen Forschung erörtert worden,3 da sich aus der Zeit, aus der Pacuvius’ Grabepigramm stammten sollte, authentische Grabinschriften finden, die sich auf dasselbe Grundmuster zurückführen lassen. Insofern erübrigt sich jede Diskussion, ob mit dem Grabepigramm etwa ein Bestandteil der Satiren des Pacuvius erhalten sein könnte.

(III) Es ist ungerecht, sich als Rezensent darüber zu beklagen, dass man nicht das Buch lesen durfte, das man gerne gelesen hätte. Gleichwohl sei eine kleine Anmerkung in dieser Richtung gestattet: Besonders scharf konturiert ist die antike Kritik an der Sprache von Pacuvius’ Tragödien, deren beispielsweise von Neologismen geprägter Stil auf Widerstand bei späteren Rezipienten stieß. Bei Manuwald gilt der Sprache des Pacuvius jedoch nur ein Abschnitt von circa 3 Seiten (S. 120-123). In diesem Bereich hätte ohne Zweifel mehr erreicht werden können, selbiges sei auch für die Metrik vermutet.

Bei dem Buch handelt es sich insgesamt um eine kohärente, solide und materialreiche Arbeit, die dazu beiträgt, das Bild von Pacuvius geschlossener und stärker profiliert zu zeichnen, als dies bislang geschehen ist. Eine Anzahl unbegründeter oder weniger plausibler älterer Vermutungen über Pacuvius (insbesondere hinsichtlich der gewählten Stoffe und deren Stellenwert im griechischen Mythos) werden korrigiert. Trotz der oben genannten Bedenken möchte man hoffen, dass das Buch - nicht zuletzt durch seine Eigenschaft als kritische Summa der bisherigen Pacuviusforschung - zur Ausgangsbasis für die zukünftige Beschäftigung mit Pacuvius werden wird. Hierfür wäre jedoch zugleich auch eine verlässliche kritische Ausgabe erforderlich, die dem editorischen state of the art Rechnung trägt.

Abschließend noch ein Wort, das ausdrücklich nicht der Verfasserin, sondern dem Verlag gilt: Der Preis von 90 Euro, also fast 50 Cent pro Seite (!), ist angesichts einer zweifelsohne von der Verfasserin gelieferten Druckvorlage sowie einer institutionellen Finanzierung der Drucklegung durch den Freiburger Sonderforschungsbereich und somit durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) über jedes vertretbare Maß hoch.

Anmerkungen:
1 Ein anschauliches Bild vermittelt leicht zugänglich die Textauswahl bei Petersmann, H.; Petersmann, A., Die römische Literatur in Text und Darstellung: Republikanische Zeit I. Poesie, Stuttgart 1991, S. 198ff.
2 Gruen, E. S., Culture and national identity in Republican Rome (Cornell studies in classical philology 52), Ithaca, N.Y. 1992.
3 Zu verweisen ist insbesondere auf Courtney, E., Musa lapidaria, Atlanta 1995, S. 237 sowie insbesondere auf Massaro, M., Gli epigrammi per L. Maecius Pilotimus e A. Granius Stabilio (CIL, I², 1209 e 1210), Epigraphica 60 (1998), S. 183-206.

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