K. Zechiel-Eckes (Bearb.): Katalog der frühmittelalterlichen Fragmente

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Titel
Katalog der frühmittelalterlichen Fragmente der Universitäts-und Landesbibliothek Düsseldorf vom beginnenden achten bis zum ausgehenden neunten Jahrhundert.


Herausgeber
Zechiel-Eckes, Klaus
Reihe
Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf 34
Erschienen
Wiesbaden 2003: Reichert Verlag
Anzahl Seiten
108 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Hirschmann, Düsseldorf

In der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf (ULB Düsseldorf) befindet sich eine dem Umfang und Inhalt nach bemerkenswerte Sammlung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Handschriften. Sie umfasst etwa 450 Codices vom 8. bis zum 16. Jahrhundert und gehört als Teilgut zu den historischen Altbeständen der Bibliothek, die neben den Handschriften und zahlreichen Fragmenten auch rund 1000 Inkunabeln sowie knapp 4000 Drucke des 16. Jahrhunderts vereinen. Als ersten großen Schritt zur Erschließung der Altbestände hat die ULB Düsseldorf bereits 1993 die Erfassung mittelalterlicher Handschriften im rheinischen Landesteil von Nordrhein-Westfalen mit dem so genannten Handschriftencensus Rheinland abgeschlossen. Dieses Inventar bietet eine erste zuverlässige Übersicht über den historisch bedingten Streubesitz mittelalterlicher Handschriften in Archiven und Bibliotheken gleich welcher Trägerschaft.1 In ihm sind Informationen über mehr als 2600 mittelalterliche Handschriften zusammengefasst, darunter auch aus den Beständen der ULB Düsseldorf. Die vollständige Katalogisierung der mittelalterlichen Handschriften, die die notwendige Nutzbarmachung für die wissenschaftliche Forschung zum Ziel hat, ist für den Gesamtbestand der ULB Düsseldorf bereits seit einigen Jahren mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Gange. Durch Umstrukturierungen und personelle Änderungen ist das Unterfangen jedoch zuletzt ins Stocken geraten.

Erfreulicherweise kommt mit dem vorliegenden wunderschönen Band das Unternehmen nun offenbar wieder in Fahrt, auch wenn man entgegen dem ursprünglichen Vorhaben das Feld quasi von hinten aufrollt, da zuletzt an eine Veröffentlichung der teilweise noch im Entstehen begriffenen Handschriftenkataloge in alphabetischer Reihenfolge der Signaturen gedacht worden war. Nun beginnt man also mit den Fragmenten, die in der Forschung bislang weniger bekannt waren. Der Fundus reicht dabei vom beginnenden 8. bis zum 16. Jahrhundert. Mitte letzten Jahres verzeichnete die ULB exakt 741 Fragmente mit insgesamt 1500 Blättern bzw. Blattteilen, aus denen Zechiel-Eckes jetzt die bedeutendsten herausgefiltert hat. Eine inhaltliche und paläografische Bestimmung existierte bisher nicht, so dass nunmehr eine Forschungslücke geschlossen werden konnte. 15 oder 16 Signaturen können dem 8. Jahrhundert zugeordnet werden, 27 oder 28 dem 9. Jahrhundert und ca. 75 Fragmente fallen ins 10. und 11. Jahrhundert. Die Addition führt insgesamt zu knapp 300 früh- und hochmittelalterlichen Zeugnissen, der Rest, etwa 450 Signaturen, verteilt sich auf spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Dokumente. Das thematisch breite Spektrum der ins 8. bis 11. Jahrhundert datierten Texte schließt Klassikerüberlieferungen (u.a. Cicero, Plinius der Ältere, Terenz, Vergil) genauso ein wie Kirchenväter (u.a. Augustinus, Gregor der Große) und andere spätantike Autoren (u. a. Boethius, Martianus Capella, Maximus Taurinensis, Orosius, Priscianus) sowie Reste von Bibel- (Vulgata), Rechts- (Canonum collectio Quesnelliana) und hagiografischen Handschriften (S. 13-19). In der ULB Düsseldorf sind diese Fragmente unter 23 Signaturgruppen von K (wie Kapsel; Ms. fragm. K 1ff.) und M (wie Makulatur) verzeichnet, die zu den zahlreichen Ergänzungen und Berichtigungen aus der Zeit nach Theodor Joseph Lacomblet (1789-1866), des ehemaligen Direktors des Staatsarchivs Düsseldorf und Leiters der Bibliothek, gehören. Auch die in den letzten Jahren bei Restaurierungsarbeiten ausgelösten kleineren Fragmente erhalten bei fortlaufender Zählung die Signaturen M für Einband-Makulatur und Fragmente, d.h. der Bestand wächst durch Fragmentfunde aus der restauratorischen Praxis auch heute noch weiter an. Das Verständnis für die Systematik ist insofern von großer Bedeutung, als die durch Zechiel-Eckes in äußerst sachkundiger Weise beschriebenen Fragmente nicht gänzlich unbekannt gewesen oder gar erst durch das Erschließungsprojekt zum Vorschein gekommen sind. Die seinerzeit durch die zweite Buchpatenaktion nachhaltig geförderte Arbeit der Restaurierungswerkstatt der ULB, in die der Beitrag von Ulrich Schlüter (S. 9-12) einen kurzen Einblick gewährt, fördert aktuell immer wieder Textfragmente zu Tage, die in Bänden mit Holzdeckeln versteckt waren, die als inneres Schutzblatt ein handbeschriebenes Pergament oder Papier besaßen.

Dennoch: Zwischen „zitierfähig“ und „wissenschaftlich erschlossen“ klafft eine beträchtliche Lücke. Die erstmalige und systematische Inventarisierung der Düsseldorfer Fragmente – und hier liegt die eigentliche Leistung – hat sich als lohnendes Projekt und eines Antrags auf öffentliche Förderung würdig erwiesen. Darüber hinaus fordert der heutige Stand digitaler Möglichkeiten den Einsatz neuer Technologie bei der Bearbeitung von Altbeständen geradezu heraus – die Codices Electronici Ecclesiae Coloniensis haben den Beweis hierfür längst erbracht.2 Es wird daher kaum verwundern, dass im Rahmen eines Digitalisierungsprojekts nun auch die Düsseldorfer Fragmente im Internet zur Verfügung gestellt werden sollen (S. 1-7).

Sosehr dieses Unterfangen zu begrüßen ist, letztlich wird den Bibliophilen der vorliegende Band wohl doch mehr erfreuen. Denn neben dem Katalog der frühmittelalterlichen Fragmente (S. 23-66), der 45 Elemente umfasst, weist das gelungene Werk noch 25 ganzseitige Abbildungen beschriebener Fragmente auf. Allein diese Reproduktionen würden den verhältnismäßig niedrigen Anschaffungspreis des Werks schon rechtfertigen. Aus wissenschaftlicher Perspektive dürften zweifellos K 19: Z 8/8 (Johannes Chrysostomus, De compunctione cordis; S. 60 und Abb. 23), welches Zechiel-Eckes um mehr als 50 Jahre umdatiert und einer neuen Provenienz zugeordnet hat, sowie M. Th. u. Sch. 29a (Ink.) Bd. 4 (Passio S. Iusti pueri, S. 66 und Abb. 25), die der Autor als singuläre Überlieferung der merowingischen Passio-Version klassifiziert, besonders herausragen.

Anmerkungen:
1 Handschriftencensus Rheinland, 2 Bde. und Register, bearb. von Heinz Finger, Marianne Riethmüller u.a., Wiesbaden 1993.
2 URL: http://www.ceec.uni-koeln.de.

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