Cover
Titel
Emanzipation und Differenz.


Autor(en)
Laclau, Ernesto
Erschienen
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Schober, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien

Mit dieser Übersetzung liegt die einflussreiche 1996 auf Englisch erschienene Sammlung von Essays zur politischen Theorie auch auf Deutsch vor. Der Band wurde gegenüber der englischen Ausgabe um zwei weitere Aufsätze („Tod und Wiederauferstehung der Ideologietheorie“ und „Von den Namen Gottes“) ergänzt. Eine ausführliche Einleitung von Oliver Marchart macht die Leserschaft sowohl mit den Bruch- und Traditionslinien der hier aufgeworfenen Thesen innerhalb des bisherigen Theoriegebäudes Laclaus als auch mit der Rezeptionsgeschichte dessen Schriftne vertraut.

Der Hauptteil der in dieser Sammlung zusammengefassten Essays ist – wie Laclau im Vorwort selbst vermerkt – zwischen 1991 und 1995 in Bezug auf die zeitgleich stattfindenden massiven Veränderungen auf der Weltbühne geschrieben worden. Dementsprechend kreisen die Texte dann auch um die zentrale Problematik der politischen Praxis und theoretischen Reflexion der letzten Jahrzehnte wie sie sich im Zusammenhang mit unter dem Banner des „Multikulturalismus“ auftretenden partikularistischen Bewegungen gezeigt hat. Laclau konzentriert sich damit auf die Ende der 1980er-Jahre erstarkende Rebellion neuer sozialer Bewegungen (ethnische, nationale und sexuelle) gegen „totalisierende Ideologien“, die eine Politik der Emanzipation und Aufklärung bislang dominiert hatten. Die Praxis dieser Bewegungen sei, so Laclau, unter anderem davon charakterisiert, dass sie – paradoxer Weise trotz einer parallel einsetzenden Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Identität“ – zunehmend identitätspolitisch ausgerichtet war, d. h. diese Gruppenbildungen („Frauen“, „Schwarze“; „Schwule“, „Lesben“) waren von der Annahme geleitet, dass die Mitglieder innerhalb des Zusammenschlusses alle gleich seien, was dazu geführt hat, dass diese Gruppen sich zunehmend als ganze voneinander abschotteten und keinerlei gemeinsame Interventionen von verschiedenen partikularistischen Bewegungen mehr möglich waren. Deutlich sichtbar wurde dies etwa an der Frauenbewegung, die seit etwa Mitte der 1980er-Jahren in eine Vielzahl verschiedener partikularistischer Gruppen zerfiel (Radikalfeministinnen, marxistische Gruppen, katholische Gruppen, Lesbengruppen, Esoterikgruppen etc.), die sich gegenseitig zu kontrollieren und zu outen begannen, so dass bislang erfolgreich durchgeführte gemeinsame Vorgehensweisen und Projekte ad acta gelegt werden mussten. Eine Redefinition eines solchen zeitgenössischen politischen Praktiken zugrundeliegenden Verhältnisses von Universalität und Partikularität steht deshalb im Zentrum der in Emanzipation und Differenz versammelte Essays. Laclau zeigt auf, dass die Grundannahmen einer solchen Gruppenpraxis hinterfragbar sind: Wir teilen nichts einfach nur deshalb, weil wir Menschen sind und das Faktum, dass wir in Gemeinschaften leben, garantiert noch keine gemeinsame Sicht der Welt. Zudem ist die von partikularistischen Bewegungen angenommene essentielle Gemeinsamkeit oder Gleichheit immer auch eine Identifizierung, die diese Gruppen marginalisiert und auf diese Weise Beziehungen sozialer Dominanz aufrechterhält.

Bereits im Vorwort weist Laclau auch zwei gleichzeitig verfügbare Lösungsangebote für dieses beschriebene Dilemma neuer sozialer Bewegungen zurück: Er tritt einerseits einem etwa von Jürgen Habermas forcierten Festhalten an einer Privilegierung des Universalismus und der damit verknüpften Erwartung entgegen, von einem dialogischen Prozess könne Konsens erreicht und jede Partikularität transzendiert werden. Und auf der anderen Seite wendet er sich gegen ein Feiern von reinem Partikularismus und Kontextualismus und ein Ausrufen des Todes von Universalismus allgemein, wie es in diversen postmodernen Theorien (etwa bei Lyotard) praktiziert wird. Universalität könne – so Laclau – nicht einfach als „altmodischer totalitärer Traum“ zurückgewiesen werden. Zugleich sei jedoch auch eine Rückkehr zu überkommenen Vorstellungen von Universalität ebenfalls nicht möglich. Als Ausweg aus diesem Dilemma erarbeitet Laclau das Konzept einer „Universalität, die nicht eine ist“.1 Universalität wird bei ihm zum Ort pluraler Bedeutungen, d. h. Universalität besitzt in diesem Konzept selbst keinen eigentlichen Inhalt, sondern ist der Signifikant einer Fülle, die sich jedoch nur an einem Partikularen zeigen kann. Laclau hält mit dieser Lösung an der Möglichkeit einer Vermittlung zwischen Universalität und Partikularität fest. Welche Partikularität in einem bestimmten sozialen Milieu Universalität inkarnieren wird, hängt für ihn allein von der Konstellation gesellschaftlicher Antagonismen ab. Eine solche Inkarnation ist demnach nicht vorhersehbar, hat aber dennoch zentral an einem Sich-Ergeben von politischer Hegemonie teil. Dabei wetteifern, so Laclau, stets verschiedenste Gruppen darum, ihren Partikularismen eine Funktion universeller Repräsentation zu geben.

Als zentralen Begriff der Vermittlung zwischen Universalität und Partikularität führt Laclau den Begriff des „leeren Signifikanten“ ein. Damit sind genau diese Partikularitäten gemeint, an denen sich Universalität zeigt. Laclau führt als Beispiel die Aufladung von „Ordnung“ an: Herrscht eine Situation radikaler Unordnung, dann wird „Ordnung“ als Signifikant einer Abwesenheit zum leeren Signifikanten, was auch daran deutlich wird, dass nun verschiedene politische Kräfte miteinander wetteifern werden, ihre partikularen Ziele so zu repräsentieren, dass sie als Erfüller eines solchen Mangels erscheinen. Hegemonisieren heißt für ihn also, eine solche „Füllfunktion“ zu übernehmen.

Um dieses Verhältnis zwischen Partikularismus und Universalität, das er als für die Gegenwart als so essentiell instabil und ununterscheidbar beschreibt, besser verstehen zu können, skizziert Laclau eine Geschichte des Umgangs klassischer Emanzipationsbewegungen mit diesen Dimensionen. Dabei ist sein Denken grundsätzlich von einem an Heidegger geschulten Offenhalten eines Bruchs hin zur Moderne geprägt. Knapp zusammengefasst lautet diese Geschichte folgendermaßen: Die abwesende Fülle oder Totalität des Seins erscheint in der Moderne nicht mehr in Gott (und seinen Stellvertretern), sondern in bestimmten Partikularitäten, Details in der Welt, wobei grundsätzlich jedes Detail zu einem Signifikanten werden kann, an dem sich der „Mangel“ oder die „abwesende Fülle“ zeigt. Während traditionelle Glaubensformen jedoch davon ausgehen, dass Gott die abwesende Fülle bzw. die Totalität des Seins ist und es keine Möglichkeit gibt, zwischen beiden zu differenzieren, können in der säkularen Moderne verschiedene Interpretationen, die Universalität beanspruchen, miteinander konkurrieren und geprüft werden. Dennoch stellt Laclau auch für unsere moderne Ausrichtung des Glaubens eine Parallele zum Mystizismus her. Denn ähnlich wie Mystiker sich als Mystiker miteinander verbinden, indem sie tagtäglich leben, dass Gott in den Steinen, in den Sternen, im Fleisch, in der Seele und in der Wolke präsent ist, so verbinden wir uns zu Gemeinschaften, indem wir an Streiks teilnehmen, an Demonstrationen, an Wahlen, bestimmte Kleider tragen und gewisse Praktiken ausführen und dabei über diese partikularen Verrichtungen hinaus (und zwar mit ihnen) auch noch am Formieren einer „Revolution“, von „Emanzipation“ oder einer „Wertesicherung“ teilhaben. Wichtig dabei ist, dass in diesen Fällen die einzelnen partikularen Erfahrungen jenseits dessen, was sie trennt, auch noch in eine Äquivalenzbeziehung miteinander eintreten, d.h. sie verweisen zugleich auch auf ein Jenseits dieser Differenz, das tendenziell leer ist. Über das Sich-Ergeben von solchen Äquivalenzketten kann es immer wieder von einer anderen Perspektive aus zu Hegemonisierungen kommen.

Aus diesen Transformationsprozessen ergibt sich für Laclau auch die Frage, wie in Abwesenheit von festgelegten Rollen und vereinheitlichten Praktiken Momente der Übereinkunft hergestellt werden. Die Antwort, die er darauf gibt, lautet: durch Artikulation. Dies impliziert aber auch, dass Identität für ihn nicht ein für allemal fixiert sondern rein relational ist. Laclau baut seine politische Theorie also aus einer Akzeptanz des Problems menschlicher Pluralität heraus und nicht aus einer Vorstellung des Menschen in der Einzahl wie es bei einem Großteil der westlichen Philosophie der Fall ist. In einer konstitutiv von Antagonismen gekennzeichneten Gesellschaft werden erst über Praktiken der Artikulation relative und prekäre Fixierungen zwischen diskursiven Einheiten hergestellt, die selbst jedoch immer schon von einer ursprünglichen Instabilität und Vorläufigkeit gekennzeichnet sind. Das Anerkennen solcher konstitutiv unvollständiger und prekärer Identitäten und der Beweglichkeit von Hegemonie bedeutet für Laclau jedoch nicht, dass es zu einer Implosion des Sozialen oder zu einem Rückzug von Partizipation in öffentlichen Räumen kommen muss. Das Verständnis, jede historische Intervention sei das Werk begrenzter historischer Akteure und Akteurinnen, ermöglicht seiner Meinung nach erst den Gewinn einer neuen Freiheit im Umgang mit der Kontingenz sozialer Verhältnisse und mit all jenen politischen Arrangements, mit denen wir unseren Umgang mit der Unmöglichkeit des Realen organisieren.

Laclau bringt für ein besseres Verständnis der oft sehr abstrakten Zusammenhänge viele anschauliche Beispiele heutiger partikularistischer Auseinandersetzungen. Die Stärke seiner Analysen liegt aber vor allem darin, dass diese Kämpfe und die an ihnen beteiligten Elemente ausführlich und in konsistenter Weise in eine politisch-philosophische Tradition eingeschrieben werden – etwas, das vielen anderen gegenwärtigen Kulturtheorien leider abgeht und das deshalb einen um so reicheren Ausgangsstoff für ein Weiterverarbeiten im Bereich der Kultur- und Politikwissenschaften bietet.

Anmerkung:
1 Linda Zerilli nennt dieses Konzept in ihrer Besprechung der englischen Ausgabe von 1998 „Universalism that is not One.“ Zerilli, Linda, This universalism which is not one, in: diacritics, summer 1998, S. 3-20.

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