Cover
Titel
The Greek World. 479-323 BC.


Autor(en)
Hornblower, Simon
Reihe
Routledge History of the Ancient World
Erschienen
London 2002: Routledge
Anzahl Seiten
XIX, 396 S.
Preis
£16.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Walter, Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln

Simon Hornblower gehört zweifellos zu den produktivsten und einflussreichsten Griechenlandhistorikern unserer Zeit. Sein Kommentar zu Thukydides, den er 1987 schon in einer originellen Monografie behandelt hat, ist zu einem unentbehrlichen Arbeitsmittel geworden; der abschließende dritte Band wird demnächst erscheinen. Zu großer Breitenwirkung auch in der Lehre gelangte Hornblower als Mitherausgeber und -verfasser von Band VI der "Cambridge Ancient History" (The Forth Century, 1994), durch zahlreiche Artikel in der von ihm zusammen mit Antony Spawforth herausgegebenen Neubearbeitung des "Oxford Classical Dictionary" (1996, verbesserter Nachdruck 2003), ferner als Verfasser des großen Überblicksartikels zur griechischen Geschichte in der "Encyclopedia Britannica" und als Bearbeiter einer überaus nützlichen Sammlung übersetzter Quellen zur Pentekontaëtie (The Athenian Empire, London 1984).

Hier anzuzeigen ist die gründliche Neubearbeitung einer Geschichte der klassischen Zeit, die Hornblower erstmals 1983 bei Methuen in der Reihe 'Classical Civilisations' publizierte1; der Band ist mit der zweiten - praktisch unveränderten - Auflage in die 'Routledge History of the Ancient World' überführt worden und deckt dort zusammen mit den Bänden von Robin Osborne und Graham Shipley die griechische Geschichte ab.2

Während im Detail so viel umgestellt, verändert und ergänzt wurde, dass ein im Vergleich zur ersten Ausgabe neues Buch entstanden ist (vgl. S. XIII-XVI), blieben die Leitgedanken der Darstellung erhalten. Hornblower unterstreicht zum einen den polyzentrischen Charakter der griechischen Geschichte, indem nicht nur Athen und Sparta, sondern auch die anderen Akteure und Regionen im Zentrum wie an der Peripherie in eigenen Kapiteln vorgestellt werden: die Westgriechen, Kyrene und Ägypten, das Perserreich, Nord- und Mittelgriechenland sowie Korinth. Hinzugekommen ist ein Abschnitt über Argos. Diese Kapitel stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind durchweg miteinander vernetzt und münden in die Analyse der gemeingriechischen Ereignisse und Phänomene ein. So wird etwa die Rolle Korinths als Katalysator des Konflikts zwischen Athen und Sparta klarer als in anderen Darstellungen dieser Art herausgearbeitet; das gilt auch für die Verbindungen zwischen dem makedonischen Königshaus und den Persern (S. 92). Ab dem Peloponnesischen Krieg (Kapitel 13, gegenüber der ersten Ausgabe gänzlich neu geschrieben) verläuft die Darstellung strenger chronologisch und an den gängigen Markierungen entlang (Korinthischer Krieg, Königsfriede, Leuktra, Zweiter Attischer Seebund, Mantineia, Philipp), bleibt aber der auch im Titel des Buches implizierten Grundannahme verpflichtet, indem etwa der Satrapenaufstand ausführlich erörtert wird.

Das abschließende Kapitel ist Alexander dem Großen gewidmet. Das ist konsequent, denn Hornblower schenkt - dies der zweite Leitgedanke des Buches - den Beziehungen und Diffusionen zwischen Griechenland und dem 'Osten' große Aufmerksamkeit. Schon Hornblowers Dissertation über Maussollos von Karien3 war eine Studie über einen Hellenismus vor dem eigentlichen Hellenismus; nunmehr heißt es provozierend (S. 4): "The two hundred years between Cyrus and Alexander can therefore be seen as an interruption in a single process by which hellenism was diffused through the formal settlement of whole new Greek communities." Die kleinteilige, detailverliebte Art von Hornblower, der oft eher erörtert und vignettenartige Problemaufrisse gibt, als dass er darstellt, gewinnt aus dieser ungewohnten Vogelperspektive auf einmal universalhistorische Weite und Einheit. Korrespondierend dazu weist Hornblower immer wieder mit Recht auf Kontinuitäten mittlerer Reichweite hin, etwa in der schon seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. seeorientierten und 'imperialen' Politik Athens (S. 19, 126) oder im ebenfalls alten athenisch-spartanischen Gegensatz.

Manche originellen Akzente sind in der Neubearbeitung (leider) abgeschwächt worden. So heißt das Kapitel "Phthonos (envy) and the origin of the Delian League" jetzt nur noch "The beginning of the Delian League"; der Essentialismus, der im Wort "origin" liegt, ist ebenso weggefallen wie der Satz "On the level of practical politics, the principle that my neighbour's enemy is my friend explains much about Greek history in the fifth century" (1. Aufl. 1983, S. 16). Das gleiche gilt für die sehr erhellenden generellen Bemerkungen über Rache, Neid und den 'balkanischen' Charakter der hellenischen Poliswelt. Das folgende Kapitel "Athens imposes her will" heißt jetzt nur noch "Empire". Der ursprünglich wunderbar idiosynkratische Index ist jetzt nüchterner gestaltet; Einträge wie "Hellenistic age foreshadowed" sucht man nun vergebens. Aber viel Gutes ist geblieben, etwa das instruktive Kapitel über die Folgen des Peloponnesischen Krieges auf ganz verschiedenen Feldern. Nicht wenige Einsichten, die vor zwanzig Jahren noch auffielen, sind inzwischen Gemeingut geworden. Der Satz "Federalism was Boiotia's great contribution to politics" (1. Aufl. 1983, S. 85) ist jetzt durch den treffenden Zusatz ergänzt, dass die Boioter weder dafür noch für irgendetwas anderes von den übrigen Griechen Anerkennung empfangen haben (S. 100). Anderes, das sich nicht halten ließ, findet sich nun nicht mehr, etwa die Überlegungen zur Zusammensetzung des Rats der 500 (1. Aufl. 1983, S. 118). Insgesamt hat Hornblower die ursprüngliche elitistisch-mafiose Interpretation der athenischen Demokratie deutlich abgeschwächt. Dass der so genannte Kalliasfrieden vielleicht nicht historisch ist, blieb 1983 unerwähnt (S. 44 u.ö.), wird aber jetzt zumindest referiert (S. 35). An mehreren Stellen vermerkt Hornblower ausdrücklich, eine früher vertretene Ansicht aufgegeben zu haben.

Eine Fülle grundlegender und origineller Einsichten macht die Lektüre gerade für den Fortgeschrittenen ertragreich. So führt Hornblower die oft widersprüchlichen Quellenberichte über die Politik Spartas und die erratischen, mitunter unberechenbaren Züge dieser Politik auf Frontbildungen innerhalb der spartanischen Elite, ja latente Stasissituationen zurück, die mehrfach zu Umschwüngen führten, so bei der Reaktion auf den Verlust der Hegemonie durch die Gründung des Attischen Seebundes oder nach Ankunft des athenischen Hilfskontingents unter Kimon. Im Falle Athens hätten sich Fraktionierungen eher aus dem Eigengewicht und Eigenbewusstsein zumindest einiger wichtiger Demen an der Peripherie Attikas ergeben können, die Hornblower anschaulich als Einheiten mit Polischarakter zeichnet; dass es dazu nicht kam, unterstreicht indirekt die Integrationsleistung der kleisthenischen Ordnung, die Osborne (s.o.) mit Recht betont hat. Hornblower scheint sie eher zu unterschätzen, wenn er die Polis Athen als "a compromise between a centralized state and a federal one" bezeichnet (S. 135) - ein origineller Gedanke, der aber in vergröberter oder nur halbverstandener Form in den Essays und Hausarbeiten manches Studierenden einigen Schaden anrichten dürfte.

Auf der Höhe der Zeit befindet sich Hornblower, wenn er die Einheit von 'Religion' und 'Politik' an dem Konflikt zwischen Athen und Sparta um die Kontrolle der großen panhellenischen Heiligtümer und Spiele im so genannten Ersten Peloponnesischen Krieg evident macht oder wenn er unterstreicht, wie wichtig Mythen für die Durchsetzung machtpolitischer Ansprüche waren. Der Leser profitiert auch durchweg von den feinen Beobachtungen des Thukydideskommentators Hornblower; dem von Thukydides 'ausgelassenen' Jahrzehnt zwischen 439 und 432/31 ist ein kurzes, diskursives Kapitel gewidmet (S. 103-110). Ein anderer glänzender Gedanke: Die Gewöhnung der Spartaner an den von Nervosität und Gewalttätigkeit geprägten Umgang mit den Heloten machte sie untauglich, auf Dauer unter freien Griechen eine Führung zu etablieren, die Aussicht auf Akzeptanz gehabt hätte (S. 120).

Dass die Zuspitzung und Indizienverknüpfung manchmal etwas zu weit geht, ist in einem so argumentationsfreudigen Buch unvermeidlich. So stellte sich Perikles bekanntlich in die von Themistokles mitbegründete Tradition athenischer Großmachtpolitik zur See. Aber die These (S. 22), Perikles habe die drohende Ostrakisierung des Querkopfes aus Südattika verhindern wollen, indem er 472 die Aufführung von Aischylos' "Persern" finanzierte (Syll.³ 1078), krankt an der Annahme, dass das Stück eine dezidierte Stellungnahme für Themistokles gewesen sei - obwohl der Dichter bekanntlich keinen einzigen Griechen oder gar Athener namentlich erwähnt. Das Scherbengericht ist als "religious mechanism" zur Bezeichnung eines Sündenbocks (S. 21) sicher nicht richtig bestimmt (richtiger dann S. 140f.). Der Umgang der Spartaner mit den Neodamoden sollte nicht mit Herbert Marcuse als "repressive Toleranz" angesehen werden (S. 121). - Dass die Zielgruppe des Buches, Studenten in England und den USA, nur selten Literatur in einer andere Sprache als ihrer eigenen zur Kenntnis zu nehmen in der Lage ist, nennt Hornblower erschreckend, aber leider wahr (S. XV); dem mittlerweile üblichen Druck des Verlags nachgebend zitiert er nur in Ausnahmefällen fremdsprachige Literatur.

Es kann aber kein Zweifel bestehen, dass Hornblowers Buch eine ausgereifte, intellektuell hochrangige, dabei überaus quellennahe und insgesamt sehr anregende Synthese darstellt, die für Anfänger indes zu anspruchsvoll sein dürfte. Ein kritischer, mit den Grundlinien und den Quellen vertrauter Leser wird die Lust des Autors an Perspektivwechseln und Problematisierungen zu würdigen wissen und aus der Lektüre reichen Ertrag für das eigene Nachdenken über eine ganz und gar nicht erschöpfte Epoche ziehen. Zusammen mit den gänzlich anders gearteten Studienbüchern von Raimund Schulz und Michael Stahl4 wird "The Greek World" aber auch in der akademischen Lehre vielfachen Nutzen stiften.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Rezension von Gehrke, Hans-Joachim, Gnomon 59 (1987), S. 64-66.
2 Osborne, Robin, Greece in the making. 1200-479 B.C., London 1996; vgl. die Besprechung des Rezensenten: Das Wesen im Anfang suchen. Die archaische Zeit Griechenlands in neuer Perspektive, Gymnasium 105 (1998), S. 537-552; Shipley, Graham, The Greek world after Alexander. 323-30 B.C., London 2000.
3 Hornblower, Simon, Mausolus, Oxford 1982; vgl. die Rezension von Brodersen, Kai, Gymnasium 93 (1986), S. 243-244.
4 Schulz, Raimund, Athen und Sparta, Darmstadt 2003; Stahl, Michael, Gesellschaft und Staat bei den Griechen. Klassische Zeit, Paderborn 2003.

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