M. Hänke-Portscheller: Berufswerkstatt Geschichte

Cover
Titel
Berufswerkstatt Geschichte. Lernorte für die Erinnerungskultur


Autor(en)
Hänke-Portscheller, Michaela
Reihe
Beiträge zur Geschichtskultur 28
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Hasberg, Seminar für Geschichte und Philosophie, Universität zu Köln

Das Cover des Bandes zeigt einen Bücherstapel, der auf einem Steg liegt und auf dem eine Laterne steht. „Leuchtturm, Möglicherweise“ lautet der Titel des Bildes. Dieses Motto regt zu der Frage an, inwieweit die vorliegende Dissertation beanspruchen darf, ein Signallicht in der klippenreichen Bucht zwischen universitärer Ausbildung und Berufspraxis von Historikern zu sein. Denn in diesem bislang kaum beschifften Gewässer bewegt sich die Studie, die ein an der Universität Bielefeld durchgeführtes Projekt beschreibt und auswertet.

Um eine Studie im strengen Sinne handelt es sich freilich nicht – dazu ist der beschreibende Anteil allzu hoch bemessen. Das Projekt wurde offensichtlich in seiner Pilotphase abgeschlossen; ob es weiterhin existiert, lässt sich der Darstellung nicht entnehmen.1 Trotz starker Redundanz bleibt nämlich manches unerwähnt, was der Leser gern erfahren hätte – so etwa der genaue Ablauf des Projekts, das sich vermutlich über einen längeren Zeitraum erstreckte, während sich die Auswertung vornehmlich auf die Veranstaltung eines Semesters bezieht. Auch das Ausmaß des ganzen Unterfangens, die Anzahl der Teilnehmer und der eingebundenen Teilprojekte bleiben dem Leser vorenthalten.

Neben den Kapiteln zur Durchführung nimmt die Grundlegung des Projekts breiten Raum ein. Dabei geht Hänke-Portscheller von der Hauptthese aus, für künftige Professionals der Erinnerungskultur – an anderen Stellen spricht sie häufig von Gedächtnis- und Erinnerungsmoderatoren – sei eine Trennung zwischen fachlicher und beruflicher Qualifizierung, wie sie durch die derzeitigen Studienordnungen gegeben sei, „kontraproduktiv“ (S. 4). Deshalb fordert sie, bereits im Studium Berufsfelder erschließende Lehrveranstaltungen anzubieten, die sie als „Lernorte“ bezeichnet. Wenig erhellend werden diese umschrieben als „netzartig organisierte Topographien kommunikativer Auseinandersetzung mit unterschiedlichen sozialen Akteuren, die verschiedene Erfahrungen, Erwartungen und Kompetenzen aufeinander beziehen“ (S. 6). Damit liefert sie eine eigene Definition des in der Allgemeinen Didaktik und in den Fachdidaktiken wesentlich weiter verstandenen Begriffs, die bereits alle Merkmale ihres Projekts „Berufswerkstatt Geschichte“ beinhaltet.

Zu dessen vertiefter Begründung führt Hänke-Portscheller die schlechten Berufsaussichten von Magisterabsolventen im Fach Geschichte ins Feld. Stützen kann sie diese These auf eine berufsbiografische Erhebung, die 1996 an der Universität Bielefeld durchgeführt wurde. Die Auswertung von 43 Leitfadeninterviews ergab, dass fast alle Befragten erst nach langjährigen Übergangsphasen den Weg in eine feste Anstellung gefunden hatten (S. 23). Zu den Ursachen gehörte offenbar, dass die im Studium erworbenen Qualifikationen für eine unmittelbare Beschäftigung in den verschiedenen Sparten der Erinnerungskultur nicht hinreichten.

Wenn darüber hinaus für ein Umdenken in der Geschichtsdidaktik plädiert wird, die sich der Erinnerungs- bzw. Geschichtskultur zu öffnen habe, verkennt Hänke-Portscheller einerseits, dass sich diese Disziplin spätestens mit der Hinwendung zum Forschungsgegenstand „Geschichtsbewusstsein“ (die 1970 durch Rolf Schörken und nicht erst 1976 durch Karl-Ernst Jeismann erfolgte) auch der „Geschichte in der Öffentlichkeit“ zuwandte. Die Kategorie „Geschichtskultur“ erweitert das Forschungsfeld der Geschichtsdidaktik keineswegs, sondern dient seiner heuristischen Strukturierung. Mit Recht wird festgestellt, dass „Lernprozesse, in denen Studierende die erforderlichen fachlichen und didaktischen Kompetenzen erwerben, durch die sie in die Lage versetzt werden […], historische Lehrprozesse innerhalb und außerhalb der Schule selbst zu organisieren“, bislang weitgehend unerforscht seien (S. 41). Man kann präzisieren: Sie sind bislang geschichtsdidaktisches Brachland. Anstatt aber das erkannte Desiderat zu beseitigen, wird als „Lösungsidee“ das „Studienkonzept ‚Lernorte’“ vorgeschlagen (S. 48), das streng genommen eine entsprechende Grundlagenforschung zur Voraussetzung gehabt hätte.

Die „Lernorte“ entfalten sich nach Hänke-Portscheller in „fünf zentralen Gestaltungsdimensionen“: Eine erste Dimension wird als „Netz“ bezeichnet, das in mehrere Richtungen ausgeworfen wird: Lernorte werden selbst organisiert, sie bieten durch integrierte Praktika Zugänge zu verschiedenen Berufsfeldern und umfassen Kontaktveranstaltungen, in denen Praktiker und Theoretiker der Geschichtskultur einander unmittelbar begegnen. Mit „Kooperation“ wird eine zweite Dimension bezeichnet, in der Studierende und Professionals der Erinnerungskultur gemeinsam Ausstellungen, Bildungsreisen etc. planen, durchführen und auswerten. In der dritten Dimension geht es darum, die Studierenden mit den Medien der Geschichtskultur vertraut zu machen, indem u.a. Lehrmedien erarbeitet und in realen Situationen erprobt werden. So genannte „Trainings“ sollen schließlich dazu dienen, dass die Studierenden diejenigen Vermittlungskompetenzen erwerben, derer sie in der späteren Berufspraxis bedürfen. Wie dies angesichts des konstatierten Mangels an einer „theoretisch und empirisch gestützten(n) Methodik historischer Vermittlung“ (S. 119) praktisch gelingen kann (bzw. gelingen konnte), bleibt im Dunkeln.

Die Ausführungen zu den Grunddimensionen sind immer wieder angereichert mit so genannten „Fallstudien“, in denen Beispiele aus den durchgeführten Projekten berichtet werden. Sie dienen in aller Regel der Illustration bzw. dem Beleg der Fruchtbarkeit des Vorgeschlagenen und werden selbst keiner Analyse unterzogen. Ihre Repräsentativität bleibt dem Leser verborgen – so auch in den Ausführungen zur letzten Dimension von Lernorten, den „Begleitforen“, in denen sich die Studierenden mit den Erinnerungsprofessionals über Anforderungen, Bedingungen und Möglichkeiten in den einzelnen Berufssparten austauschen. Umfangreiche Zitate aus Tonbandmitschnitten einer im Wintersemester 1998/99 durchgeführten Veranstaltung dokumentieren, wie weit die Vorstellungen der Studierenden und die Erwartungen der Professionals auseinander liegen. Auch dieser Befund spricht augenscheinlich für eine Studien begleitende Einführung in die Berufspraxis.

So zielen die auf der Basis einer allzu schmalen Evaluation (n = 16) abschließend unterbreiteten Vorschläge darauf ab, „Lernorte in ‚Dauerorte’ zu transformieren und an historischen Fachbereichen Professionalisierungszentren zu errichten, in denen Studierende sich umfassend und im engen Bezug zur historischen Forschung und zur Berufswelt auf vermittelnde, lehrende und moderierende Tätigkeiten in der Erinnerungskultur vorbereiten können“ (S. 177). Ein solches Fazit muss Skepsis hervorrufen – nicht nur deshalb, weil sich im Zirkelschluss zu erfüllen scheint, was als „Lösungsidee“ quasi ad hoc ersonnen wurde. Vor allem ist die empirische Basis allzu schmal und methodologisch unzuverlässig, als dass sich auf ihr ein derart weit reichendes Plädoyer begründen ließe. In der methodischen Unbedarftheit besteht einer der Mängel des Buches, bei dem an keiner Stelle Reflexionen über die Konzeption des Projekts oder über dessen Auswertung angestellt werden. Daneben rufen einige begriffliche Ungenauigkeiten (vgl. den Umgang mit dem Wort Didaktik/didaktisch) oder Eigenheiten (z.B. Lernort, Erinnerungsmoderatoren) sowie der mitunter saloppe Ausdruck, der nicht selten durch die Verwendung von Anführungszeichen kaschiert wird, Irritationen hervor. Irritierend ist aber vor allem, dass geschichtsdidaktische Kategorien in dieser geschichtsdidaktischen Studie paradoxerweise eine marginale Rolle spielen. Im Vordergrund steht das „Studiengangsmodell“, dessen Ausrichtung an den Bedingungen und Möglichkeiten historischen Lernens/Denkens nicht transparent wird. Dazu hätte es in der Tat empirischer Untersuchungen des historischen Bewusstseins der Beteiligten bedurft.

Die zentrale Problematik, wie sinnvoll ein an Berufsfeldern orientiertes akademisches Geschichtsstudium sein mag, wird indes nicht thematisiert. Worin unterscheiden sich Erinnerungsmoderatoren von Historikern? Wenn es so ist, wie das letzte Kapitel suggeriert, dass Erstere eines erweiterten Blicks auf die Kommunikationsperspektiven von Geschichte bedürfen, dann bleibt die Frage, ob dazu nicht der zunächst einengende Blick auf die Absichten, Objekte und Methoden der Geschichtswissenschaft von Nutzen sein kann, um desto besser die Spezifika der Geschichtsvermittlung erkennen zu können. Die Frage zu stellen heißt noch nicht, sie zu beantworten – sie deutet nur auf das „Möglicherweise“ im Titel des Coverbildes hin. Ob der vorgeschlagene Weg tatsächlich ein probater ist, wird sich ohne grundlegende Verständigung über die Ziele eines geschichtswissenschaftlichen Hochschulstudiums und die darin zu vermittelnden Qualifikationen oder Kompetenzen nicht entscheiden lassen. So verstreut die Studie allenfalls ein fahles Licht, das nur die sichtbaren Klippen des unwegsamen Gewässers zwischen Hochschul- und Berufsausbildung erkennen lässt, während die gefährlichen Untiefen weiterhin verborgen bleiben.

Anmerkung:
1 Zur (reduzierten) Fortführung der „Berufswerkstatt Geschichte“ in Form eines Arbeitsbereichs „Geschichte als Beruf“ siehe <http://www.geschichte.uni-bielefeld.de/bewerk/>.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension